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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 28.11.2019:

„Mädchen und junge Frauen sind vor allem dann für technische Berufe zu begeistern, wenn sie weibliche Vorbilder haben, mit denen sie direkt in Kontakt kommen.“

Der Hermann-Schmidt-Preis geht an Projekte, die junge Frauen an technische Berufe heranführen
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Andreas Pieper

Der Verein Innovative Berufsbildung e.V. vergibt seit 1997 jährlich den Hermann-Schmidt-Preis unter einem wechselnden Wettbewerbsthema. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) mit Sitz in Bonn und der Bielefelder Verlag wbv Media gründeten eigens zu diesem Zweck 1996 den Verein. Benannt haben sie ihn nach dem damaligen Präsidenten des BIBB, Hermann Schmidt. „Frauen für die duale MINT-Ausbildung gewinnen“ lautete das Thema des diesjährigen Wettbewerbs. Auf der Preisverleihung am 29. Oktober 2019 in Berlin prämierte der Verein vier Projekte, die beispielhafte Konzepte und Modelle entwickelt und in der Praxis erfolgreich umgesetzt haben, um junge Frauen an technische Ausbildungsberufe in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) heranzuführen. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Andreas Pieper, Pressesprecher des BIBB, über den Hermann-Schmidt-Preis und darüber, warum sich auch heute noch wenige junge Frauen für einen Ausbildungsberuf im MINT-Bereich entscheiden.


Online-Redaktion: Das Thema des diesjährigen Wettbewerbs hieß „Frauen für die duale MINT-Ausbildung gewinnen“. Vor welchem Hintergrund wurde es ausgewählt?

Pieper: Der Anteil von Frauen in der dualen Berufsbildung geht leider seit einigen Jahren kontinuierlich zurück, insbesondere im MINT-Bereich herrscht ein sehr großer Fachkräftebedarf. Darauf wollte die Mitgliederversammlung des Vereins Innovative Berufsbildung e.V., die für die Auswahl der Themen zuständig ist, aufmerksam machen.

Online-Redaktion: Dabei gibt es ja seit einigen Jahren große Bemühungen darum, den Anteil von jungen Frauen in den dualen MINT-Berufen zu erhöhen. Steigen die Zahlen trotzdem nicht?

Pieper: Es gibt viele Initiativen, die sich sehr intensiv bemühen und die auch alle einen tollen Job machen, aber statistisch betrachtet hat sich leider trotzdem relativ wenig verändert. Unsere Datenauswertungen zeigen, dass sich der Anteil von Frauen in den dualen MINT-Ausbildungsberufen gemessen an der Zahl der jährlichen Neuverträge zwar erhöht hat, aber dennoch auf relativ niedrigem Niveau verbleibt. Lag diese Zahl vor etwa zehn Jahren bei unter 9 Prozent, so sind es jetzt etwas mehr als 11 Prozent. Anhand dieser Zahlen kann man nicht sagen, dass das ein enormer Anstieg gewesen ist. Wobei man bei den MINT-Berufen noch einmal differenzieren muss, es gibt MINT-Berufe, wie die Gesundheitstechnik, die Augenoptik, die Hörgeräteakustik oder die Zahntechnik, wo der Frauenanteil bei über 60 Prozent liegt. Ähnlich sieht es bei den Laborberufen aus, wie den Chemiekanten, den Chemielaboranten oder den Pharmakanten, da liegt der Anteil der Frauen bei über 35 Prozent. Aber bei den gewerblich-technischen Handwerksberufen wie Elektroniker, Elektriker oder im Informatikbereich beträgt der Frauenanteil nach wie vor weit unter 10 Prozent.

Online-Redaktion: Warum entscheiden sich heute immer noch so wenige junge Frauen für einen Beruf im MINT-Bereich?

Pieper: Dazu gibt es vielfältige Untersuchungen. Es gibt nach wie vor starke Männer- und Frauendomänen, und gerade technische Ausbildungsberufe gelten als Männerdomäne und sind nicht das erste Interesse der Frauen, wenn sie sich für einen Ausbildungsberuf entscheiden. Die Geschlechtersegregation auf dem Ausbildungsmarkt greift seit vielen Jahren und ist nur mühsam und langsam aufzubrechen. Es mag auch etwas mit dem Rekrutierungsverhalten von Betrieben zu tun haben, nach welchen Kriterien der Nachwuchs ausgewählt wird. Sehr entscheidend für die Berufswahl sowohl von Jungen als auch von Mädchen - das betrifft beide Geschlechter -  ist das soziale Umfeld. Die Eltern spielen eine ganz wichtige Rolle. Gerade das Elternhaus bestimmt bei der Berufswahl sehr mit. Selbst wenn junge Menschen großes Interesse an einem Beruf, beispielsweise einem Handwerksberuf, zeigen, nehmen sie von diesem Berufswunsch wieder Abstand, wenn sie zuhause keinen Rückhalt dafür bekommen. Neben den Eltern sind auch Freunde eine entscheidende Gruppe. Die Berufsbezeichnung ist zudem eine Visitenkarte, mit der man sich in der Peergroup positioniert. Bei entsprechenden negativen Rückmeldungen beeinflusst das in der Tat auch die Berufswahl.

Online-Redaktion: Anders sieht es aber bei den MINT-Studiengängen aus?

Pieper: Ja, bei den Studiengängen ist das anders. Die Politik hat mit der sogenannten „Bologna-Reform“ etwa ab dem Beginn des letzten Jahrzehnts sehr stark auf einen Akademisierungstrend gesetzt, die Abiturienten- und Studierendenquoten liegen heute weit höher, als es beispielsweise noch 2005 der Fall war. Auch der Anteil der Abiturientinnen ist inzwischen höher als der der Abiturienten, ebenso übertrifft die Zahl der Hochschulabsolventinnen die der Hochschulabsolventen, und da ist sehr wohl festzustellen, dass der Anteil von Frauen auch in den MINT-Studienfächern deutlich gestiegen ist. Aber jede junge Frau, die sich für ein Abitur und für ein anschließendes Studium entscheidet, geht natürlich der dualen Berufsbildung verloren, das merken wir insgesamt an den Zahlen, das ist nicht nur in den MINT-Berufen so. Die Vertragszahlen mit jungen Frauen in der dualen Berufsbildung sind seit Jahren rückläufig, und das betrifft natürlich auch die MINT-Berufe.

Online-Redaktion: Wer sind die diesjährigen Gewinner des Wettbewerbs um den Hermann-Schmidt-Preis?

Pieper: Der Hauptpreis ging an das Projekt „girlsatec - Junge Frauen erobern technische Berufe“ - des ABB Ausbildungszentrums Berlin gGmbH. Das seit 2013 bestehende Projekt möchte junge Mädchen und Schülerinnen an technische Berufe heranführen, indem junge Frauen, die sich in der Ausbildung in technischen Berufen befinden oder diese bereits abgeschlossen haben, zu „girlsatec-Botschafterinnen“ ernannt werden. Diese dienen als weibliche Rollenvorbilder und stellen das „Herzstück“ des Projekts dar. Hinzu kommen Veranstaltungen - zum Beispiel in Form von „Technik-Camps“, in denen die Schülerinnen die Welt der MINT-Berufe in handlungs- und praxisorientierten Aufgabenstellungen kennenlernen können - sowie Kontakte zu Betrieben, um diese für das Thema „Frauen in technischen Berufen“ zu sensibilisieren. Die drei Sonderpreise bekamen das Computerspiel „SErEnA - Serious Game Erneuerbare Energien zu technischen Ausbildungsberufen für Mädchen“, ein Verbundvorhaben der TU Berlin, TU Dresden, des Wissenschaftsladens Bonn und des Game-Studios „the Good Evil“, das über eine Abenteuergeschichte das Interesse von 12- bis 16-jährigen Mädchen für technische Berufe gewinnen will, indem diese Aufgaben aus dem Arbeitsfeld der erneuerbaren Energien spielerisch erproben, sowie die Projekte „MINT.FResH“ - Jugendwerkstatt Felsberg e.V. - und „Frauen im Handwerk“ - Beratungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft für Handwerk und Mittelstand (BWHM), Stuttgart. „MINT.FResH“ bietet Haupt- und Realschüler/inne/n aus den Jahrgangsstufen 7 und 8 seit 2016 jeweils für ein Schuljahr einmal in der Woche 90-minütige Praxismodule an, die mit einem erlebnisorientierten Ansatz Einblick in MINT-Berufe geben. Ziel des Projekts „Frauen im Handwerk“ ist es, zu informieren und zu sensibilisieren, um die Ausbildungs- und Erwerbsbeteiligung von Frauen in MINT-Handwerksberufen in Baden-Württemberg zu steigern. Es wurden Informations-, Beratungs- und Schulungsmaterialien entwickelt, um ausbildende Handwerksunternehmen für eine familienbewusste Betriebskultur zu sensibilisieren, darüber hinaus wurde ein Workshop für Eltern für eine klischeefreie Berufsorientierung konzipiert. Ein Mentorinnen-Netzwerk zur Unterstützung von jungen Frauen befindet sich außerdem im Aufbau.

Online-Redaktion: Nach welchen Kriterien werden die Gewinner ausgewählt?

Pieper: Mit dem jährlich verliehenen Hermann-Schmidt-Preis will der Verein auf innovative Ansätze in der Berufsbildungspraxis aufmerksam machen, diese fördern und sie als gute Beispiele zur Nachahmung empfehlen. Dementsprechend legt die Jury Wert auf den Innovationsgehalt der beim Wettbewerb eingereichten Maßnahmen. Außerdem ist der Nutzen wichtig, sowohl für die Betriebe als auch für die Berufsschulen, die zur dualen Berufsbildung mit dazu gehören, aber natürlich auch für die beteiligten Personen selbst. Und die Projekte müssen zum Thema passen, bereits im Einsatz sein und konkrete Umsetzungsergebnisse vorweisen können sowie nachhaltig und übertragbar sein. Ausgezeichnet werden ganz bewusst Initiativen als Leuchtturmprojekte, die andere zur Nachahmung anregen sollen. Beim diesjährigen Wettbewerbsthema haben alle Projekte gezeigt, dass es gerade im MINT-Bereich besonders darauf ankommt, Mentorinnen einzusetzen. Mädchen und junge Frauen sind vor allem dann für technische Berufe zu begeistern, wenn sie weibliche Vorbilder haben, mit denen sie direkt in Kontakt kommen.

Online-Redaktion: Wer gehört der Jury an, und welche Preise werden vergeben?

Pieper: In der unabhängigen Fachjury sitzen neben den beiden Institutionen, die den Preis gegründet haben, Expertinnen und Experten aus der gesamten beruflichen Bildung in Deutschland. Dazu gehören Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien, Bund und Länderseite und natürlich auch die Sozialpartner, denn berufliche Bildung ist immer auch ein Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Der Hauptpreisträger bekommt 3000 Euro, an die drei Sonderpreise gehen jeweils 1000 Euro.

Online-Redaktion: Steht das Thema für das kommende Jahr schon fest?

Pieper: Noch nicht, es wird Anfang des kommenden Jahres auf der Mitgliederversammlung des Vereins beschlossen. Da Deutschland im 2. Halbjahr 2020 die Ratspräsidentschaft innerhalb der EU übernimmt, ist zu vermuten, dass das Wettbewerbsthema 2020 im Bereich der Internationalisierung der beruflichen Bildung angesiedelt sein wird.



Andreas Pieper, Jahrgang 1961, leitet seit 2006 die Pressestelle des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn.




Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 28.11.2019
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