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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 21.04.2005:

Schluss mit lustig - das Ende gemeinsamer Hochschulreformen?

Peter Glotz verlangt sowohl Studierenden als auch Lehrenden mehr Leistung ab
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Prof. Peter Glotz

Bildung PLUS: Wie viel Hochschul-Exzellenz braucht Deutschland, wenn es denn welche braucht?   

Glotz: Deutschland braucht einige Universitäten, mindestens aber eine, die im internationalen Vergleich mit den besten 20 Universitäten der Welt mithalten kann. Wenn nicht, besteht die Gefahr, dass die drei Prozent exzellenter Studierender und Wissenschaftler nach Amerika, England oder in die Schweiz abwandern. Wenn sie nur für zwei Semester abhauen, wäre das noch kein Problem, sondern wünschenswert. Doch das darf nicht von Dauer sein.   

Bildung PLUS: Ist Deutschland überhaupt noch der richtige Ort, Exzellenzuniversitäten zu gründen?  

Glotz: Ich halte es durchaus für möglich, dass auch hier Eliteuniversitäten gegründet werden. Der Versuch der Bundesregierung, Eliteuniversitäten zu gründen ist jedoch kläglich gescheitert, weil die Länder gesagt haben: Wenn Elite aufgebaut wird, dann auch bei uns im Land. Mit dem Versuch der Gründung von Elite-Hochschulen und Spitzenforschungszentren, die in fünf Jahren durch 1,9 Milliarden gefördert werden sollen, hat der Bund durchaus etwas Sinnvolles angestoßen. An sich aber ist der Aufbau von Exzellenzzentren Ländersache. Man hätte im Bund darüber hinaus andere Optionen gehabt, um 1,9 Milliarden Euro auszugeben. Doch dazu hat es an Phantasie gefehlt.   

Bildung PLUS: Vor der Einführung von Studienkonten zählte die Universität Köln über 62.000 Studierende. Danach waren es nur noch rund 49.000. Wenn allgemeine Studiengebühren kommen, werden es wahrscheinlich wieder weniger. Kann sich Deutschland einen Rückgang der Zahlen der Studierenden überhaupt leisten, angesichts der internationalen Konkurrenz?   

Glotz: Von Rückgang der Zahlen der Studierenden kann keine Rede sein. Denn der studentische Überhang, den es an anderen Universitäten im Übrigen auch gab, resultierte vor allem aus den Ehefrauen gut situierter Rechtsanwälte, die sich die Illusion erhalten wollten, irgendwann in Kunstgeschichte zu promovieren. Oder von Leuten, die irgendwo jobbten und sich gleichzeitig die Privilegien des Studentenausweises erhalten wollten: Straßenbahnfahrten, billige Theaterkarten und ähnliches. Das ist keine reale Verringerung der Zahlen derjenigen, die ernsthaft studieren.   

Schauen Sie nur in andere Länder wie Großbritannien oder Australien: Dort hat die Einführung von Studiengebühren, die Zahlen der Studentinnen und Studenten kaum verringert. Um die potentiellen Studierenden nicht zu verschrecken, muss es allerdings eine staatlich gestützte Studienfinanzierung geben. Dann wird es nicht weniger Studierende geben, denn in der Tat brauchen wir mehr. Vielleicht noch mehr an Fachhochschulen als an Universitäten. Jedenfalls fängt die Berufsausbildung nicht mehr genügend Leute auf.    

Bildung PLUS: Halten Sie die Modernisierung von Hochschulen ohne Studiengebühren für möglich?   

Glotz: Nein, das liegt schlicht im Finanzaufkommen der Länder begründet. Die Länder werden auch in Zukunft immer mehr kürzen. Allerdings muss man eine Vereinbarung der Ministerpräsidenten anstreben. Diese Vereinbarung muss sicherstellen, dass die Mittel, die die Länder über Gebühren einnehmen, auch bei den Hochschulen landen − und nicht an anderer Stelle eingespart werden, so dass die Länder sich aus der Verantwortung für die Finanzierung der Hochschulen klammheimlich heraus stehlen.   

Die Einführung von Studiengebühren ist ein Steuerungssystem, das auch durch die Veränderung der Landesgesetzte flankiert werden muss. Dazu müssen sich die Hochschulen auch ihre Studierenden aussuchen können, etwa, indem sie festlegen, wie viele Studentinnen und Studenten sie verkraften können.   

Auf die Dauer muss man ermöglichen, dass die Universitäten die Studiengebühren selbst festlegen. Dann kann eine Universität selbst bestimmen, wo ihr Schwerpunkt liegt; ob ein Studium im medizinischen Fachbereich teurer wird oder im pädagogischen. Wer Pädagogik in Hildesheim studieren möchte und später als Lehrer unterrichten will, soll das in allen Ländern machen können − ohne gezwungen zu sein, nach Harvard, München oder an die Berliner Humboldt-Universität zu gehen.   

Bildung PLUS: Massenuniversitäten sind oft unattraktiv für Studierende und schwerfällig bei der Realisierung von Reformen. Ist die Massenuniversität noch zu retten?  

Glotz: Das Phänomen der Massenuniversität lässt sich heute auf der ganzen Welt nicht mehr vermeiden. Auch so renommierte Universitäten wie die in Berkeley sind Massenuniversitäten. Man könnte überlegen, ob man besonders große Universitäten aufteilt, aber die Erfahrungen mit der Sorbonne legen nahe, dass man da vorsichtig vorgehen sollte. Eine Universität kann ohne weiteres 30.000 oder 40.000 Studentinnen und Studenten aufnehmen, aber nur, wenn sie gut untergliedert ist: sei es in Business-Schools oder geisteswissenschaftliche oder andere Fakultäten. Doch dazu brauchen die Hochschulen mehr Selbstständigkeit und mehr Geld.   

Bildung PLUS: In manchen Ländern gibt es in Fachkreisen Diskussionen darüber, die Zahl der Studierenden zu beschränken, die nach einem Bachelor den Master draufsatteln können. Bachelor und Master - Chiffren für international kompatible Studiengänge oder für ein Zweiklassenstudium?  

Glotz: Ich bin dafür, die Zulassung zum Masterstudiengang an Noten zu binden und nicht an Quoten. Nur diejenigen sollen einen Masterstudiengang absolvieren dürfen, die den Bachelor mit einer guten Note abgeschlossen haben. Doch so, wie ich die deutschen Professoren und die deutschen Bildungspolitiker kenne, schaffen sie es nicht einmal, die Einschränkung der Zahlen der Studierenden über Quoten durchsetzen.    

Ich glaube, dass die Einführung eines Systems von Bachelor- und Masterstudiengängen durchaus sinnvoll ist, wobei es ein vollkommen einheitliches System gar nicht gibt. Denn ein Bachelor in St. Gallen (Schweiz) oder ein Bachelor in Erfurt oder in irgendeiner anderen Universität können sehr unterschiedlich zugeschnitten sein. Das können Studien sein, die ich für sinnvoll halte, etwa ein Studium generale, das im Master dann spezialisiert wird. Manchmal handelt es sich jedoch schlicht um abgespeckte Diplomstudiengänge. Bachelor ist nicht gleich Bachelor.  

Nun höre ich seit 30 Jahren von den Wirtschaftsvertretern wie Hans-Olaf Henkel und anderen Kollegen, die Absolventen müssten jünger sein. Ich bin mal neugierig, ob die Unternehmen Bachelorabsolventen anstellen, wobei ich gar nicht einmal verlange, dass sie Bachelors wie Vollakademiker mit entsprechendem Gehalt anstellen.  

Doch ich bin da guten Mutes. Ich war der erste Magister der Universität München. Als ich das erste Mal die Buchstaben "M.A." hinter meinem Namen schrieb, fragten die Leute: "M.A. was ist denn das?" Inzwischen hat sich der Titel im ganzen Land durchgesetzt. Magister bekommt man heute prinzipiell überall unter. Einen ähnlichen Verlauf erhoffe ich mir auch für Studierende mit einem Bachelorabschluss. Dies braucht allerdings seine Zeit.  

Bildung PLUS: Sie haben in Erfurt Professorinnen und Professoren für die Zwecke einer neuen Vorzeigeuniversität ausgesucht. Welche Fähigkeiten oder welches Profil brauchen gute Profs für die Uni von morgen?  

Glotz: Erstens sind heute Hochschullehrer gefragt, die Forschung und Lehre wichtig nehmen. Zweitens sollten sie sich mit gesellschaftlichen Prozessen im Leben beschäftigen, zumindest, wenn sie sich mit geisteswissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Themen auseinandersetzen. Sie sollten dem Drang zur Spezialisierung widerstehen. Der Philosoph Karl Jaspers hat dazu mal ein Bild geprägt: Auf jedem Baum sitzt ein Affe und bewirft den anderen Affen mit Kokosnüssen, der es wagt auf seinem Baum zu klettern. Ich möchte nicht wie Don Quichotte gegen Windmühlen ankämpfen: Spezialisierung ist in der Wissenschaft notwendig. Aber das darf nicht so weit führen, dass ein Industriesoziologe nichts mehr von Kultursoziologie versteht ― das wäre ein Armutszeugnis.   

Ein Hochschullehrer oder eine Hochschullehrerin muss das Interesse aufbringen, die Leute, die vor ihm sitzen, weiterzubringen und dafür zu sorgen, dass sie in den Beruf kommen. Ähnlich wie in Amerika. Dort fragen sich die Professoren: Wo kann der Student im Job anfangen, wenn er bei uns sein Examen gemacht hat? Vor allem wenn die Professoren älter werden, pflegen viele ihre Steckenpferde und wünschen sich eine Universität ohne Studentinnen und Studenten.  

Bildung PLUS: Sie sind ein Kommunikationsprofi. Wie viel Bund-Länderübergreifende Zusammenarbeit ist erforderlich, um die Hochschulreform auf die richtige Spur zu setzen? Und welche Art von Kommunikation tut not?  

Glotz: Ich halte die Kompetenzaufteilung in der Bundesrepublik für richtig, wie sie durch Artikel 91b Grundgesetz im Jahre 1969 geschaffen worden ist. Daraus ging auch die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) hervor. Ich fürchte allerdings, dass sie in der Föderalismuskommission gekippt wird. Im Grunde hat der Bund schon jetzt nicht viel mitzureden. Wenn er gelegentlich ein Land unterstützen kann, das sinnvolle Vorhaben auf den Weg bringen möchte, halte ich das für richtig, bei der jetzigen Steuerverteilung. Man könnte es auch anders herum machen: Indem man den Ländern etwa mehr Steuergelder zuweist und sie dann machen lässt.  

Aus diesem Grund bin ich für die heutige Kompetenzordnung, allerdings muss man sie pflegen und darf die Länder nicht vor dem Kopf stoßen. Man sollte sie nicht vor das Schienbein treten, sondern muss mit ihnen zärtlich kooperieren. Daran hat es in den letzten Jahren gefehlt.  


Peter Glotz, 72 Jahre, ist derzeit Direktor und Professor an der Universität St. Gallen in der Schweiz. Er bekleidet dort den Lehrstuhl für Medien und Gesellschaft am Institut für Medien und Kommunikationsmanagement.  In den achtziger und neunziger Jahren war er Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1974 bis 1977 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Von 1977 bis 1981 war er Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin. Geläufig ist vielen sein Name aus seiner Zeit als Bundesgeschäftsführer der SPD. Glotz studierte Zeitungswissenschaften, Philosophie, Germanistik und Soziologie in München und Wien.

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 21.04.2005
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