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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 13.06.2005:

Zauberbesen in der Uni...

Die Zeiten des Überflusses sind vorbei- eine "neue Rationalität" hält nun Einzug in die Hochschulen
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Prof. Detlef Müller-Böling, Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE)

Bildung PLUS: Wenn Hochschulbildung keine Ware ist, was ist sie dann? 

Müller-Böling: Sie ist das Ergebnis eines Zusammenspiels der Aktivitäten der Studierenden und der Hochschulen. Es ist wichtig, dass man bei Hochschulbildung nicht von einem Trichter ausgeht, dass man sich Hochschulbildung auch nicht einfach wie in einem Warenhaus kaufen kann. Es ist ein gemeinsames Ergebnis des Bemühens der Studierenden einerseits und der Hochschulen andererseits.

Bildung PLUS: Betriebswirtschaftliche Sichtweisen dringen in immer mehr Bereiche der Gesellschaft und zunehmend auch in die Hochschulen. Inwieweit verändert betriebswirtschaftliches Denken die Hochschulen insgesamt?  

Müller-Böling: Die Zeiten des Überflusses haben ein Ende. Da dies der Fall ist, muss man rational handeln, das heißt man muss wirtschaften. Dabei ist es wichtig, vorgelagerte (Prioritäten) und nachgelagerte Schwerpunkte (Posterioritäten) zu setzen. Dieses Denken hält nun Einzug in die Universitäten. Man fragt sich dabei: Was braucht die Gesellschaft wirklich? Wie viel kostet es? Denn Geld ist nicht mehr unbegrenzt verfügbar.

Das kann man betriebswirtschaftlich nennen. Eine neue Rationalität findet heute Eingang in die Universitäten. Die muss nicht ökonomischer Natur sein, was häufig verkannt wird, sondern sie muss den Kriterien der Wissenschaft folgen. Gerade die Wissenschaftler wissen, welche Bereiche zukunftsträchtig sind, nicht Bayer oder Mercedes oder welches Unternehmen auch immer.  

Bildung PLUS:
Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) verändert als eine Art Denkfabrik die Hochschullandschaft von außen. Welches sind jetzt die Prioritäten der Hochschulreform aus Sicht des CHE?  

Müller-Böling: In Deutschland wurde eine Reihe von Reformen eingeleitet, die sehr bedeutsam sind. So die Finanzautonomie, wonach die Hochschulen selbstverantwortlich über ihr Geld verfügen können. Das reicht bis dahin, dass sie nach den Direktiven eines Globalhaushaltes wirtschaften. Sie bekommen also einen Betrag mit dem sie wirtschaften und sind nicht mehr wie früher im Korsett des kameralistischen Haushaltssystems der Länder eingezwängt.  

Darüber hinaus haben wir die Entscheidungsstrukturen innerhalb des Hochschulsystems verändert und Verantwortlichkeiten besser zugewiesen. Früher wurden in den Hochschulgremien keine Entscheidungen gefällt, sondern eher schlechte Kompromisse. Mit der neuen Zuweisung der Verantwortung an Dekane, Rektoren und Präsidenten gibt es jetzt die Möglichkeit, auf der Grundlage von Prioritäten oder Posterioritäten zu handeln.  

Etwa die Umstellung der Studienstruktur auf international anerkannte gestufte Bachelor- und Masterstudiengänge, die die Universitäten viel Kraft kostet und in den Hochschulen mit viel Engagement voran gebracht wird. Diese Reform soll zum Jahre 2010 abgeschlossen sein. Und die Einhaltung dieser Wegmarke halte ich auch für völlig realistisch. Wir haben bereits einen großen Anteil der Studiengänge umgestellt, das variiert je nach Fach zwischen 30 und 50 Prozent.  

Bildung PLUS:
Kritiker der Umstellung auf die gestuften Bachelor- und Masterstudiengänge bemängeln, dass die Modularisierung zu einer Verschulung führe, die die Freiheit des Studiums einschränke. Ist da etwas dran?   

Müller-Böling: Ohne jede Frage wird das Studium durch die Umstellung auf Bachelor- oder Masterabschlüsse intensiviert. Insbesondere in den ersten sechs Semestern. Da kommen noch Inhalte hinzu, die bisher nicht Gegenstand des Studiums gewesen sind wie Teamfähigkeit, Rhetorik oder die Präsentationstechniken. Im Master wird sich das durch die Vertiefung auf bestimmte Interessengebiete entspannen.

Doch man sollte deutlich machen: Viele Studierende suchen in der Hochschulausbildung auch eine Berufsausbildung oder eine Ausbildung, die auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen bietet. Das ist nicht unbedingt kompatibel mit der Wahlfreiheit durch ein freies Curriculum. Von daher muss man sich den veränderten Bedingungen stellen: Wenn es heute 30 bis 40 Prozent eines Jahrgangs sind, die studieren oder studieren sollen, so waren es früher gerade mal vier Prozent. Unser System ist insgesamt dabei, sich zu verändern.   

Bildung PLUS:
Auch Studierende müssen im Verlauf ihres Studium immer mehr mit spitzem Stift rechnen - Studiengebühren, Lebenshaltungskosten, Studienreisen. Bringen die Hochschulreformen in diesen Zeiten einen neuen Typus des Studierenden hervor?   

Müller-Böling:
Das Studium war zu allen Zeiten eine Phase, in der man finanziell keine großen Sprünge machen konnte. Das wird sich auch in der Zukunft nicht ändern. Auch meine Generation hat während des Studiums nicht in Saus und Braus gelebt. Da liegt keine entscheidende Veränderung vor.  

Was die Studiengebühren anbelangt: Es gibt Modelle, die eine Belastung der Studierenden für die Zeit während des Studiums ausschließen. Danach müssen Studiengebühren erst dann gezahlt werden, wenn man ein Einkommen hat. Solche Modelle sollten eingeführt werden.  

Bildung PLUS: Die Anzahl der Studierenden lässt sich mit "intelligenten Studiengebührenmodellen" sogar anheben, so eine Ihrer Thesen in einem Beitrag für die ZEIT. Wie soll das genau gehen, vor allem in Hinsicht auf Studierende aus benachteiligten sozialen Schichten?  

Müller-Böling: Das Bildungssystem ist ja gerade ungerecht: Denn das Studium der in der Regel Reicheren wird von denen finanziert, die die Chance auf ein Studium so nicht haben. Schon deswegen gibt es gute Gründe für Studiengebühren. Hinzu kommt, dass die Finanzierung der Hochschulen außerordentlich schlecht ist. Gleichzeitig wissen wir, dass wir noch zu wenig junge Leute in den Hochschulen haben. Andere Länder kommen auf einem Anteil von 40 bis 50 Prozent eines Alterjahrgangs, wir bringen es gerade mal auf 30 Prozent.

Ich halte es für unverantwortlich ohne zusätzliches Geld mehr Studierende in die Universitäten hineinzubringen, was wir ja brauchen. Ohne Studiengebühren werden sich die die Studienbedingungen noch weiter verschlechtern als das jetzt schon der Fall ist. Wir brauchen Studiengebühren, ohne allerdings die finanziell Schwächeren auszuschließen.   

Studiengebühren für Langzeitstudierende machen hingegen überhaupt keinen Sinn, außer man will die Schuld am langen Studium eindeutig den Studentinnen und Studenten zuweisen. Das ist falsch, denn bei den schlechten Studienbedingungen an Hochschulen sind ja die Studenten nicht allein verantwortlich für die überzogenen Studienkonten. Langzeitstudiengebühren halte ich daher für völligen Unsinn. Studiengebühren für das Erststudium sind eine Möglichkeit, das System zu verbessern.   

Die Hochschulen, die für Studenten attraktiv sind und sie auf das Berufsleben vorbereiten, werden mehr Studierende anziehen. Dadurch bekommen sie wiederum mehr Geld. Es gibt also drei zentrale Begründungen für Studiengebühren: Erstens soziale Gerechtigkeit, zweitens bessere Finanzierung der Hochschulen und drittens eine sinnvolle Steuerung der Gelder. 

Bildung PLUS: Welche Rolle spielt das CHE bei dem Aufbau von Eliteuniversitäten? Derzeit liegt ja die Exzellenzinitiative der Bundesregierung auf Eis...  

Müller-Böling: Wir haben uns im Hintergrund und im Vordergrund sehr angestrengt, die Exzellenzinitiative vom Eis zu holen. Sie sehen, dass alle möglichen Probleme die Bemühungen durchkreuzen. Nicht zuletzt die bevorstehende Bundestagswahl, mit der in dieser Form niemand rechnen konnte. Dennoch darf man die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt eine Reihe von Ministerpräsidenten CDU-regierter Länder, die das Programm befürworten...   

Bildung PLUS: Worauf kommt es bei der Eliteförderung an: Leistung oder soziale Herkunft?   

Müller-Böling: Bei der Eliteförderung muss die Leistung zählen und nicht die Herkunft. Wir haben allerdings eine Gabelung, die viel früher ansetzt, nämlich diejenige, die von der Grundschule zum Gymnasium führt. Hier findet eine soziale Selektion statt, d.h. es gehen weniger Kinder von Arbeitern oder kleineren Angestellten auf das Gymnasium. Wenn die Schüler dieser Gruppen auf dem Gymnasium sind, gehen sie zu gleichen Anteilen auch auf die Hochschulen. An dieser Gabelung muss gearbeitet werden.

Wir brauchen eine große Koalition bestehend aus Politikern, Hochschulen und Schulen, um das intellektuelle Potential im Land auszuschöpfen, in ganz anderer Weise als das bisher der Fall ist.  

Bildung PLUS: Was sind die Merkmale guter Hochschulen? Und welche Merkmale kennzeichnen schlechte?    

Müller-Böling: Gute Lehre, gute Forschung und guter Service. Gute Forschung und gute Lehre müssen nicht an einer Hochschule konzentriert sein, denn es gibt auch sehr gute Lehruniversitäten in der Welt. Ein guter Service setzt ein funktionierendes Studentensekretariat voraus, es bedarf weiter eines Services in Hinblick auf die zukünftige Karriere. Die Hochschulen müssen sich in Zukunft auch auf dem Arbeitsmarkt aktiv umsehen. Das alles gehört heutzutage zu einer guten Hochschule, sei sie eine Elitehochschule oder nicht.  

Bildung PLUS: Aber die Forschung gilt immer noch als die Krone des Wissenschaftsbetriebs...  

Müller-Böling: Ohne Zweifel, aber andere Aspekte kommen hinzu. So hat die Universität Kassel ein Callcenter eingerichtet, das den Studierenden unmittelbare Unterstützung anbietet. Das ist nur ein Beispiel für ein verändertes Bewusstsein. Die Studierenden werden anders gesehen als in der Vergangenheit, wo sie aus Sicht der Forschung eher als Last empfunden wurden. Die Studenten werden von den Universitäten und Fachhochschulen nun wiederentdeckt.  

Bildung PLUS:
Sind die Studierenden bei den tief greifenden Hochschulreformen ausreichend beteiligt?  

Müller-Böling: Die Studierenden sind sicherlich nicht in ausreichendem Maße beteiligt. Das hat zwei Gründe. Die eine Gruppe interessiert sich nicht für die laufenden Veränderungen und Reformen und konsumiert eher. Die andere, politisch aktive Gruppe ist gegen alles und gegen jede Veränderung. Das ist aber nicht produktiv in der augenblicklichen Reformlandschaft, sich lediglich auf die Funktion des Bremsers zu beschränken.

Ich glaube, dass die Wirkung von Studierenden größer ist, wenn sie Studiengebühren bezahlen, weil man sich dann von Seiten der Hochschule aus mehr um die Beteiligung der Studierenden bemüht. Dann wird man auch ihre Auffassungen und Meinungen auf andere Art und Weise einbeziehen, als das in Hochschulgremien geschieht. Wenn die Meinungen von Studentinnen und Studenten in Hochschulrankings einfließen, dann wird das in der Öffentlichkeit wahrgenommen und die Hochschulen sind motiviert, Schwachstellen abzubauen.   

Bildung PLUS: Welche Funktion haben diese Hochschulrankings für den Prozess der Veränderung von Hochschulen?  

Müller-Böling: Die Ergebnisse des CHE-Hochschulrankings werden von Rektoren, den Dekanen, den Fachbereichen sehr aufmerksam und genau zur Kenntnis genommen. Das CHE verteilt bei seinem Ranking grüne, gelbe und rote Punkte. Rote Punkte bedeuten Schwachstellen und die Unis arbeiten intensiv daran, diese zu beseitigen. Ich werde eingeladen, um mit den Hochschulen die Ergebnisse des Vergleichs für die einzelne Hochschule noch mal genauer zu analysieren, neue Strategien zu entwickeln und die Stärken auszubauen.

Aber auch von Abiturienten und Studierenden wird das Ranking in einem hohem Maße wahrgenommen und sie gründen ihre Entscheidungen, an eine bestimmte Hochschule zu gehen, zunehmend auf das Ranking.  

Bildung PLUS:
Im Zuge der dritten Bologna-Folgekonferenz im norwegischen Bergen schüttelten ausländische Bildungsminister den Kopf über das Blockadeverhalten bei der deutschen Föderalismusreform. Welche neuen Herausforderungen stellt jetzt die Konferenz von Bergen an die Hochschulpolitik?  

Müller-Böling: Die Konferenz in Bergen war eine Bologna-Folgekonferenz, die nicht wirklich etwas Neues gebracht hat. In Europa sind alle Länder dabei, ihr Studiensystem auf Bachelor- und Masterabschlüsse umzustellen.    

Außerdem sind von allen Seiten Qualitätsstandards gefordert worden. Wir haben in dieser Hinsicht eine Menge von Vorarbeiten geleistet, wie man die Qualitätssicherungssysteme in den Hochschulen ausbauen und verbessern kann. Denn die Verantwortung für die Qualität liegt dann letztlich nicht mehr beim Staat, sondern bei der Hochschule. Für Nordrhein-Westfalen haben wir die Qualitätssicherungssysteme bewertet: Diese Systeme befinden sich dort auf einem sehr guten Stand.

Deutschland ist in der ganzen Hochschulentwicklung sehr viel weiter als viele andere Länder. Wir sind zwar spät gestartet, etwa zehn Jahre nach den Nachbarn in den Niederlanden, Großbritannien oder Dänemark. Aber wenn die Deutschen anfangen, starten sie zwar langsam, aber ziehen das Ding dann wirklich durch. Wir haben jetzt ein hohes Maß an Transparenz über unsere Leistungen und ein Bewusstsein für Qualität entwickelt.     


Prof. Detlef Müller-Böling, Jahrgang 1948, Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung in Gütersloh, will Dynamik in die Hochschullandschaft bringen. Sein Vorhaben ist es, die Hochschulen von "staatlicher Überregulierung" zu befreien, sie damit zu entfesseln und zu öffnen. Eines seiner wichtigsten aktuellen Projekte ist der Vergleich von Hochschulen durch das "CHE-HochschulRanking" - im nationalen und internationalen Maßstab. 1990 bis 1994 war er Rektor der Universität Dortmund. 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 13.06.2005
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