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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 09.05.2005:

Vom Elfenbeinturm zum Dienstleister

Auch überfällige Reformen verunsichern Lernende wie Lehrende in der Zeit des Übergangs

Geld regiert die Welt - und zunehmend auch den Campus. Geld ist der Treibstoff, der Hochschulen handlungsfähiger machen soll. Das allein reicht aber nicht aus, Hochschulen brauchen auch mehr Selbstständigkeit. Viele Wege führen zur Autonomie der ehemals stark gegängelten Hochschulen. Viele Reformwege, die auch viele Formen der Verunsicherung bewirken.   

Beispiel Studiengebühren: Studiengebühren für das Erststudium sind erforderlich, um den Wettbewerb zwischen Hochschulen und damit die Wirtschaft in Deutschland anzukurbeln: Das meinen etwa die unionsgeführten Bundesländer (Eckpunkte zur Einführung sozialverträglicher Studienbeiträge). Studiengebühren gefährden den "Standort Deutschland", sagen hingegen das Deutsche Studentenwerk und Studentenvertretungen.  

500 Euro Studiengebühren pro Semester im Erststudium sollten doch keine Last sein, die Studierende heute nicht mehr bezahlen könnten, im Ausland zahle man teilweise viel mehr für ein Studium, meinen die Befürworter. Den Betrag von 500 Euro haben die unionsgeführten Länder als Obergrenze bestimmt, die eine sozialverträgliche Belastung gewährleiste. Dieser Betrag schrecke niemanden ab, zumal er über einen Studienkredit oder ein Darlehen nachlaufend, also erst nach Studienende, bezahlt werden könne.   

Stimmt nicht, rechnet das Studentenwerk vor: Wenn man, nach einer von Studentenwerk angeführten Studie, von durchschnittlich 600 Euro im Monat verfügbares Geld für Studentinnen und Studenten ausgehe, dann bedeuteten die Studiengebühren von über 80 Euro im Monat eine "erhebliche Belastung" für Studentinnen und Studenten.   

Studiengebühren: Politik der Abschreckung oder des Erfolges?

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) auf der anderen Seite verspricht sich von Hochschulgebühren positive Wirkungen, die zu einem "neuen Verhältnis zwischen Studierenden als zahlenden Nachfragern und Hochschule" führten. Allerdings möchte sich die HRK nicht auf eine Obergrenze festlegen lassen und empfiehlt, "Korridore für die Höhe der Studiengebühren" zu bestimmen. Viele befürchten, die frischen Gelder könnten durch den Zugriff der Finanzminister zweckentfremdet werden.  

Die HRK stellt daher Bedingungen für die Erhebung von Studiengebühren. So dürften die Länder die Landesmittel für die Hochschulen nicht zurückfahren, wenn Studiengebühren in deren Kassen gespült werden. Die Einnahmen sollten darüber hinaus vor allem für die Lehre eingesetzt werden und die Hochschulen müssten selbst entscheiden, in welcher Höhe sie Gebühren von den Studenten verlangen.    

Der Chefdenker des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), Detlef Müller-Böling, macht in einem Beitrag für "Die Zeit" auch kein Hehl daraus, dass der Staat über die Landesfinanzminister die Einnahmen aus Hochschulgebühren wieder einziehen könnte: "Der Staat reduziert in der Tat weltweit die Finanzierung von Hochschulen; allerdings auch bei uns in Deutschland." Keiner kann die Finanzminister davon abhalten, mittels Studiengebühren Haushaltslöcher zu stopfen. Nur die Wählerinnen und Wähler, was allerdings ein schwacher Trost ist.  

Studiengebühren in Höhe von 500 Euro sind für Müller-Böhling mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Er verspricht sich davon nicht weniger als eine "substanzielle Verbesserung des Studiums". Die solle vor allem durch eine intensivere Betreuung in kleineren Lerngruppen erreicht werden, die im Zuge der Umstellung der Studiengänge auf zweistufige Bachelor- und Masterstudiengänge anvisiert werde.  

Zufriedenheit eher die Ausnahme

Unterdessen florieren die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge: In 2.600 Studiengängen studieren knapp 110.000 Studierende. Der Anteil der Studienanfänger in diesen international kompatibleren Studiengängen ist von 2002 auf 47 Prozent im Jahr 2003 hochgeschnellt. Haben sich im Jahr 2002 noch 23.100 Studentinnen und Studenten für einen Bachelor- und Masterstudiengang eingeschrieben, so erhöhte sich die Zahl im Jahr 2003 auf 33.800 Studienanfänger.

Die meisten Studienanfänger kommen aus den Fachbereichen Informatik und Betriebswirtschaftslehre oder aus interdisziplinären Studiengängen, so die Kultusministerkonferenz am 21. April 2005. Gestufte international anerkannte Studiengänge sind offenbar für Studierende aus dem Ausland besonders interessant, diese Gruppe stellt einen Anteil von immerhin 22 Prozent. Das Tempo, das mit neuen Studiengängen möglich ist - nach drei Jahren ist ein erster Abschluss drin, der als Berufsbefähigung anerkannt wird - scheint hier mehrere Gruppen von Studierenden zu überzeugen.  

Die Studiengebühren haben auch hier ein Doppelgesicht. Einerseits könnte der Bachelorabschluss interessanter auch für Studierende unterer sozialer Schichten werden, deren Eltern über die Jahre weniger Studiengebühren bezahlen wollen. Andererseits könnte es zu einer Spaltung der Studierenden in eine "Zweiklassengesellschaft" kommen, wenn sich zum Masterstudium nur noch die Gruppe von Studierenden anmeldet, die es sich finanziell leisten kann. Allerdings eröffnen die neuen Bachelor- und Masterabschlüsse neue Wahlmöglichkeiten: Schneller zu studieren und auch leichter ein Gastspiel im Ausland zu machen.   

Die Reform der gestuften Studiengänge ist ein eher seltenes Beispiel gelingender Zusammenarbeit zwischen europäischer Politik, Bundespolitik und Länderpolitik im Bildungsbereich. "Deutschland ist auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europäischen Hochschulraum sehr weit vorangeschritten", sagen der Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen und Hellmut Körner, Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Schleswig-Holstein denn auch am 7. April 2005.  

Überfällig: neue Zulassungsverfahren
Mehr Freiheit in der Auswahl der Studierenden hat der Bund den Hochschulen gegeben. Mit der Reform der Hochschulzulassung durch das siebte Gesetz zur Änderung der Hochschulrahmengesetzes vom August 2004 gilt eine neue Quote beim Zulassungsverfahren: Zwanzig zu zwanzig zu sechzig (20:20:60). Zwanzig Prozent der Studienplätze gehen jetzt an die Besten eines Abiturjahrganges, 20 Prozent werden nach einer Wartezeit vergeben und, das ist für die Autonomie der Hochschulen interessant, sechzig Prozent werden von den Hochschulen in Zukunft selbst vergeben. Das Änderungsgesetz schreibt vor, dass bei den Auswahlverfahren bestimmte Kriterien für die Vergabe von Studienplätzen berücksichtigt werden wie Durchschnittsnote im Abitur, Tests zur Studierfähigkeit oder in Auswahlgesprächen.

Die Neuregelung betrifft vor allem so begehrte Studienfächer wie Betriebswirtschaftslehre, Medizin oder Psychologie. Ab dem kommenden Wintersemester verteilen die Hochschulen die Studienplätze nach den neuen Kriterien. Im Zentrum steht dabei das universitäre Bewerbungsgespräch, denn nichts anderes ist das "Auswahlgespräch", wobei nach Motivation und Wissen für den gewählten Studiengang gefragt wird.   

Mit Zielvereinbarungen zum unverwechselbaren Hochschulprofil
Noch bedeutsamer für die Autonomie von Hochschulen als die neue Zulassungsregelung sind Vorhaben der Länder, wie etwa Nordrhein-Westfalens, mit den Hochschulen des Landes "Zielvereinbarungen" zu schließen, die zwei Jahre gültig sind. In Nordrhein-Westfalen nennt man diese Form der Führung von Hochschulen "Hochschulkoordinierung statt Hochschulsteuerung im Detail". Mittels Zielvereinbarungen sollen Hochschulen ihre Schwerpunkte setzen, ihre Besonderheit herausarbeiten und sich aus der Masse der vielen anderen Unis herausheben. Erwartet wird, dass sie das sowohl für Studierende als auch für potenzielle Geldgeber interessanter macht. Staatssekretär Hartmut Krebs zur Steuerung mittels Zielvereinbarungen: "An die Stelle von Erlassen und Einzelentscheidungen treten Absprachen über Ziele und Entwicklungspotentiale jeder Hochschule."  

Insgesamt 26 Hochschulen und Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen werden Zielvereinbarungen mit dem Land treffen, um ihre Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit zu stärken und ihr Potenzial durch die Konzentration auf Stärken zu bündeln. Kritiker dieses Systems befürchten allerdings hochschulinterne Verwerfungen und eine Verunsicherung und Schwächung der Fachbereiche, deren Leistungen nicht als Stärken des Hochschulprofils wahrgenommen werden.  

Auf den ersten Blick scheinen Hochschulreformen hierzulande ein beunruhigendes Schwarz-Weiß-Gemälde abzugeben. Reformen wie die Einführung allgemeiner Studiengebühren, die Schaffung von Juniorprofessuren, die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge, Qualitätsmanagement an Hochschulen oder Steuerung über Zielvereinbarungen erzeugen allerorten Verunsicherung. Mal bei Studierenden (Gebühren), dann bei Lehrenden (Bachelor- und Masterstudiengänge oder Juniorprofessuren) mal in den Reihen der Wirtschaft.

Sie könnten aber dazu führen, dass aus Elfenbeintürmen handlungsfähige Lehrbetriebe im Sinne von Dienstleistern werden, die - wenn es am Ende gut ausgeht - in der internationalen Liga des Wissens mitspielen können. Und auch das Recht auf die Enfaltung der Persönlichkeit im Studium nicht ausblenden.

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 09.05.2005
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