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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 28.04.2011:

Sprachdiagnose und Sprachförderung interdisziplinär angehen

Die Forschungsinitiative Sprachdiagnostik und Sprachförderung (FiSS)
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Prof. Dr. Angelika Redder

Die Forschungsinitiative Sprachdiagnostik und Sprachförderung (FiSS) ist eine Maßnahme im Rahmen des BMBF-Rahmenprogramms zur Förderung der Empirischen Bildungsforschung. FiSS dient der Erarbeitung von empirisch fundiertem wissenschaftlichen Wissen über die Aneignung, Diagnose und Förderung sprachlicher Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen sprachlichen Anforderungen in den Bildungsinstitutionen. Die Online-Redaktion sprach mit Prof. Dr. Angelika Redder, Initiatorin und Leiterin von FISS, über die Ziele und Vorhaben der Initiative.


Online-Redaktion: Was macht Sprachdiagnostik und Sprachförderung so wichtig?

Redder: Wir brauchen Sprache, um an der demokratischen Gesellschaft, an ihrem Wissen und ihren Einrichtungen teilzuhaben. Wir leben in einer so genannten Wissensgesellschaft, und dieses Wissen ist ganz wesentlich sprachlich vermittelt. Die Fähigkeit, sprachlich gut und effizient zu handeln, ist im Grunde genommen eine Voraussetzung dafür, als Bürger in der Demokratie leben zu können.

Online-Redaktion: Leider gibt es heute viele Kinder und Jugendliche, die in diesem Bereich erhebliche Defizite aufweisen. In den Bundesländern existieren bereits Verfahren und Instrumente der Sprachdiagnostik und Sprachförderung. Warum greifen diese nicht immer?

Redder: Dies müsste man eigentlich im Einzelnen behandeln. Die unterschiedlichen Typen von sprachdiagnostischen Verfahren und Förderverfahren in den Ländern haben unterschiedliche Ziele. Sie sind oft nicht gut koordiniert und legen vor allen Dingen einen sehr engen Fokus auf ganz bestimmte sprachliche Fähigkeiten, meistens solche des Wortschatzes, im weiten Sinne des Lexikons, und der Grammatik. In Bezug auf pragmatische und diskursive Fähigkeiten sind sie wenig entwickelt. Die sprachdiagnostischen Maßnahmen sind meist auch nicht mit einer anschließenden sinnvollen Förderung abgestimmt. Einer Diagnostik folgt nicht automatisch eine Analyse darüber, woran es denn liegt, dass die Diagnose nicht so gut ausgefallen ist oder welche Förderung sinnvoll ist, ob z.B. individuell oder in Gruppen gefördert werden sollte usw. Sprachförderung schließt sich nicht automatisch an Diagnostik an. Auch ist nicht bei allen sprachdiagnostischen und sprachfördernden Maßnahmen die entsprechende Qualifizierung derjenigen, die die Maßnahmen durchgeführt haben, erfolgt. Es fehlen insbesondere Interventionsstudien, um detailliert herauszubekommen, in welchem Verhältnis die diagnostischen Verfahren zu dem, was man fördern und wie man fördern will, stehen. Darüber hinaus fehlen die entsprechenden Qualifizierungsforschungen.

Online-Redaktion: Welches sind die Ziele der Forschungsinitiative Sprachdiagnostik/Sprachförderung (FISS)?

Redder: FISS hat erstmals versucht, die Sprachförderung und Sprachdiagnostik interdisziplinär forschend anzugehen. Die Sprachdiagnostik war lange Zeit vorwiegend Forschungsgegenstand der Psychologie, der Psychometrik und teilweise auch der Erziehungswissenschaften. Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik waren kaum vertreten. Wir haben im Projektverbund FISS diese Disziplinen zusammengebracht. Wir haben uns die Kenntnisse angeschaut, die die einzelnen Disziplinen über Sprachentwicklung nach dem Eintritt in die Schule haben. In den meisten Fällen hören die Forschungen dort auf. Man geht davon aus, dass der wesentliche Spracherwerb mit dem Eintritt in die Schule abgeschlossen ist und sich alles andere dann von selbst entwickelt. Aber so ist es nicht. Gerade zum Beispiel mit Blick auf die Ausbildungsfähigkeit sind die Anforderungen an die sprachlichen Fähigkeiten bedeutend höher und bedürfen eigener Aufmerksamkeit.

Online-Redaktion: Wer ist an der Forschungsinitiative beteiligt?

Redder: FISS geht auf eine Initiative von Prof. Dr. Sabine Weinert, einer Psychologin der Universität Bamberg, und mir zurück und ist vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Förderbereich ausgeschrieben worden. Wir haben zunächst den Forschungsstand dargelegt, Erfordernisse und Zielsetzungen formuliert und das ans BMBF weitergegeben. Dieses hat die Initiative öffentlich ausgeschrieben und aufgrund einer gutachterlichen Prüfung von Forschungsvorhaben dann einen bundesweiten Verbund von Projekten gefördert. Dazu gehören inzwischen 24 Verbund- und Einzelprojekte, die ich an der Universität Hamburg in Kooperation mit Sabine Weinert zu koordinieren habe.

Online-Redaktion: Welches sind Ihre Aufgaben?

Redder: Die Aufgabe der Koordinationsstelle ist es, die einzelnen Projekte stärker methodologisch zusammenzubringen und eine inhaltliche Kooperation, eventuell unter bestimmten Fragestellungen, zu forcieren und zu überlegen, wie man empirische Daten gemeinsam nutzen kann. Wir bieten Herbstschulen für den wissenschaftlichen Nachwuchs an, Fortbildungen für die wissenschaftlichen Mitarbeiter zu ausgewählten Sachgebieten und Impulsreferate zu Methodologien der stärker psychologisch orientierten und der stärker linguistisch orientierten Projekte. Wir wollen eine neue Forschergeneration fördern, die interdisziplinär arbeitet.

Online-Redaktion: Um welche Themen geht es in den Forschungsvorhaben?

Redder: Sie sind unterschiedlich orientiert, vor allem was die Altersstufen anbelangt. Es gibt ein größeres Forschungscluster, das stärker in der Primarstufe angesiedelt ist, aber auch Projekte, die die Sekundarstufe I betreffen, teilweise auch den Übergang. Dann gibt es Forschungen, die stärker auf die Entwicklung von Diagnoseinstrumenten orientiert sind, und solche, die stärker auf Fördermaßnahmen oder aber auf die Erkundung der sprachlichen Anforderung in den verschiedenen Jahrgangsstufen hin angelegt sind, um entsprechende Fördermaßnahmen entwickeln zu können. Und es gibt erstmals auch mehrere Projekte, die die Mündlichkeit ins Auge fassen, teilweise auch mit Einbeziehung der Fähigkeiten, wie sie von zuhause mitgebracht werden, wie sie familiär unterstützt werden oder eben nicht. Dann haben wir Projekte, die unabhängig von der Frage, ob ein Migrationshintergrund existiert oder nicht, arbeiten, und solche, die das Deutsche als Zweitsprache ein bisschen stärker in den Blick nehmen.

Online-Redaktion: Bildung ist Ländersache. Wie können die Ergebnisse der Forschungen bundesweit Wege in die Praxis finden?

Redder: Wir wenden uns zunächst an die Länder, in denen wir an Projekten arbeiten, und das sind recht viele. Es gibt sogar schon erste Umsetzungen von einzelnen Projekten in Lehrerfortbildungen. Vorgesehen ist, spätestens nach Abschluss der ersten Förderphase Ende 2012, in Rücksprache mit Lehrern von solchen Schulen, die mit uns kooperieren, anhand der Materialien und der Ergebnisse, die wir in den Projekten erzielt haben, Lehrerfortbildungen durchzuführen. Der nächste Schritt wäre dann, von diesen Erfahrungen her den einzelnen Bundesländern verallgemeinerbare Rückmeldungen zu geben und Vorschläge zur Förderung und Qualifizierung zu unterbreiten.

Online-Redaktion: Unabhängig von FISS haben Sie ein Konzept für ein koordiniertes Forschungsprogramm initiiert, mit welchem Ziel?

Redder: Bei der Ausschreibung von FISS war man auf das Angebot von Projektanträgen angewiesen, während man zur Füllung der weißen Flecken, der Lücken, die es in der Forschungslandschaft und in der Praxislandschaft noch gibt, eigentlich eine sehr viel enger geführte Ausschreibung machen müsste. So entstand die Überlegung, ein koordiniertes Forschungsprogramm aufzulegen und Projekte stärker Top down anzuregen. Dieses „Top- down-Verfahren“ von Programmforschung haben wir durch ein induktives Verfahren der Nachfrage nach Forschungsmöglichkeiten in Communities zu verbinden versucht (s. ZUSE-Diskussionspapiere 2 und 4). Die Grundlage dafür bildete eine Bilanz darüber, was es in den einzelnen Bundesländern an diagnostischen Verfahren und an Förderungen gibt, und warum diese nicht gut funktionieren (ZUSE-Diskussionspapier 1). Daraus entwickelten wir ein Angebot aus den verschiedenen Forschungsdisziplinen und überlegten, wie man diese clustern und vernetzen könnte. Grundlage waren die drei Dimensionen: diagnostische Verfahren, Interventionsstudien und Qualifizierungsforschung und ihre Relation zu Leitideen, die wir selber formuliert haben. Das ist die vierte Dimension, die wir vorgegeben haben, und zwar auf Grundlage des Konzepts von (Basis-)Qualifikationen für sprachliches Handeln, wie sie innerhalb des BMBF durch Konrad Ehlich und seine Forschergruppe in der Empirischen Bildungsforschung entwickelt worden sind. Diese Vorgaben, diese Leitideen, ergeben den Kubus, innerhalb dessen wir konkret versucht haben, ein ganzes Paket als Forschungsprogramm, das von den Communities getragen würde, zu schnüren. (Auf unsere Anfragen haben wir Rückmeldungen von knapp 200 Kolleginnen und Kollegen mit 150 Projektvorschlägen bekommen.) Dieses koordinierte Forschungsprogramm könnte den Ländern direkt praxisbezogene Fortschritte in der Entwicklung von Diagnosemaßnahmen in Kombination mit Fördermaßnahmen sowie systematische Empfehlungen für die Qualifizierung bieten.

Dieses Konzept haben wir Ende Februar beim BMBF eingereicht.

Online-Redaktion: Worin liegen die Vorteile eines koordinierten Forschungsprogramms?

Redder: Vorteile bestehen darin, dass dort von vorneherein koordiniert und konzertiert bestimmte Erfordernisse aus der Praxis in der Wissenschaft bearbeitet werden können. Wir bieten dann ein Spektrum an systematisch abgesicherten diagnostischen und fördernden Möglichkeiten und die Länder können entscheiden, was sich für sie eignet. Und das erforschte Instrumentarium ist dann wirklich erprobt, das sind z.B. ordentlich aufgesetzte Interventionsstudien, wie sie immer wieder vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) gefordert wurden. An diesem Forschungsprogramm war eine Koordinierungsgruppe von zehn Leuten beteiligt, darunter auch Vertreter/innen des Nationalen Bildungspanels (NEPS), des IQB und des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Dabei waren namentlich Michael Becker-Mrotzek, Konrad Ehlich, Detlef Fickermann, Sabine Forschner, Marcus Hasselhorn, Marianne Krüger-Potratz, Hans-Günther Rossbach, Knut Schwippert, Petra Stanat und Sabine Weinert sowie ich selbst.

Online-Redaktion: Wie könnte es weitergehen, wenn das Programm genehmigt werden würde?

Redder: Wir haben ein „Arrangement von Förderinstrumenten“, dessen Kern das koordinierte Forschungsprogramm bildet und bei dem Maßnahmen wie FISS und andere Förderinitiativen als Satelliten fungieren, so dass man ein vernetztes Instrumentarium zur Verfügung hat, mit dem man die wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Umsetzungs-Bedingungen ständig adjustieren und verbessern kann. Initiativen wie FISS und andere, etwa rein mehrsprachigkeitsbezogene, könnten die dafür erforderliche Zwischenforschung, v.a. die anwendungsbezogene Grundlagenforschung, liefern. Oder man könnte auch einen wechselseitigen Austausch mit anderen Initiativen betreiben; zum Beispiel werden in dem Forschungsprogramm sprachentwicklungsverzögerte Kinder nicht berücksichtigt. Das ist ein eigenes Forschungsfeld, zu dem man Brücken schlagen könnte.


Angelika Redder (geb. 1951) studierte Germanistik, Allgemeine Sprachwissenschaft, Geographie und Philosophie an der Universität Düsseldorf. 1. Staatsexamen 1976 in Deutsch, Linguistik und Erdkunde; Promotion zum Dr. phil. 1983 in Allgemeiner Sprachwissenschaft bei Prof. Dr. Dieter Wunderlich (Universität Düsseldorf) mit einer Arbeit über Modalverben im Unterrichtsdiskurs; Habilitation 1989 an der Westf. Wilhelms-Universität Münster (venia: Linguistik des Deutschen) mit der Schrift "Grammatiktheorie und sprachliches Handeln: 'denn' und 'da'.
Sie ist seit 2003 Professorin (C 4) am Institut für Germanistik I der Universität Hamburg und seit 2005 Direktorin des Zentrums für Sprachwissenschaft (ZfS) an der Universität Hamburg. Außerdem war sie u.a. von 1997 bis 2001 Vorstandsmitglied im Deutschen Germanistenverband, von 2000 bis 2003 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft (DGfS) und von 10/2009 bis 11/2010 Kommissarische Dekanin der Fakultät für Geisteswissenschaften.




Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 28.04.2011
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