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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 16.02.2006:

"Freiheit bedeutet nicht, jedes Land macht, was es will"

Ute Erdsiek-Rave, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, im Interview mit Bildung PLUS
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Ute Erdsiek-Rave

Bildung PLUS: Frau Erdsiek-Rave, Sie sind seit 1998 Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und nun auch turnusmäßig Präsidentin der KMK: Welche Erfahrungen aus Schleswig-Holstein sind für Ihre Präsidentschaft besonders wichtig? Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen?

Erdsiek-Rave: In Schleswig-Holstein führen wir gerade eine Debatte über die Weiterentwicklung unseres Schulsystems und damit verbunden eine Novelle des Schulgesetzes. Die PISA-Studien haben uns deutlich gezeigt: Die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes wird in unserem Bildungssystem leider vernachlässigt. Wir müssen künftig die Begabungspotenziale unserer Kinder besser ausschöpfen und die viel zu hohe Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher deutlich reduzieren. Dieses Thema wird in der KMK in diesem Jahr beraten und ich hoffe, wir schaffen es, mit den Lehrergewerkschaften und -verbänden eine Vereinbarung "Fördern und Fordern" zu schließen. Wir brauchen in Deutschland mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit und gleichzeitig müssen wir international wettbewerbsfähiger sein.

Bildung PLUS: Welche Aufgaben muss Ihrer Meinung nach die KMK im Zuge der Föderalismusreform wahrnehmen, welche Weichenstellungen sind dringend geboten und ziehen da alle Länder an einem Strang?

Erdsiek-Rave: Die geplante Föderalismusreform gibt den Ländern mehr Freiheit und mehr Kompetenzen. Aber in gleichem Maße steigt auch deren Verantwortung. Die KMK steht meiner Meinung nach in der Föderalismusdebatte vor der großen Herausforderung zu zeigen, mehr Freiheit bedeutet nicht, jedes Land macht, was es will. Mein Ziel ist es, in der Bildungs- und Hochschulpolitik unter den Ländern ein gemeinsames Vorgehen und so viel wie möglich gemeinsame Rahmenkonzepte zu vereinbaren.

Bildung PLUS: Sie setzen sich dafür ein, in Deutschland ein Höchstmaß an Einheitlichkeit in der Bildungspolitik herzustellen. Wie weit geht für Sie diese "Einheitlichkeit"?

Erdsiek-Rave: Wir haben in den vergangenen Jahren, vor allem als Reaktion auf die ersten PISA-Ergebnisse, schon viel gemeinsam vereinbart. Gute Fortschritte gibt es zum Beispiel in der Qualitätssicherung, bei den Bildungsstandards und der Bildungsberichterstattung sowie den länderübergreifenden Schulleistungsuntersuchungen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir auch weitere Vereinbarungen, beispielsweise über die Qualitätsverbesserung des Unterrichtes, gemeinsam hinbekommen. In diesem Jahr steht darüber hinaus die Entscheidung über eine Strategie für die nationalen und internationalen Untersuchungen, an denen wir teilnehmen wollen, an.
"Einheitlichkeit" heißt für mich nicht Gleichmacherei. Ich bin eine überzeugte Anhängerin des Föderalismus. Dennoch stehen wir als Länder in der Verantwortung gegenüber Schülern, Studierenden, Lehrkräften und Hochschullehrern. Sie müssen bei allen unterschiedlichen Angeboten in den Ländern innerhalb Deutschlands sowohl Schule als auch Hochschule problemlos wechseln können.

Bildung PLUS: Ihre Länderkolleginnen und -kollegen haben einen "Hochschulpakt 2020" angekündigt. Was erwarten Sie von einem solchen Bund-Länder-Hochschulpaket?

Erdsiek-Rave: Die Prognosen für die nächsten zehn Jahre zeigen einen deutlichen Anstieg der Studierenden. Das ist eine enorme nationale Herausforderung für uns alle. Denn wir wollen ja mehr Hochschulabsolventen. Deshalb ist das Ziel klar: Die Rahmenbedingungen an unseren Hochschulen müssen verbessert werden. Ich begrüße es sehr, dass Bundesbildungsministerin Schavan die Bereitschaft signalisiert hat, die Länder dabei finanziell kräftig zu unterstützen. Wie eine gerechte Aufteilung der Bundesmittel an die Länder aussieht, wird in den nächsten Wochen noch intensiv beraten. Ich hoffe, dass wir eine Lösung finden, bei der die Hochschulen aller Länder profitieren.

Bildung PLUS: Schleswig-Holstein hat noch keine Studiengebühren eingeführt. Brauchen wir wirklich Studiengebühren, um die Hochschulen zu modernisieren? Oder welche alternativen Lösungen schlagen Sie vor?

Erdsiek-Rave: Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes handelt jedes Land, wie es das für richtig hält. Da die Koalitionspartner in Schleswig-Holstein in dieser Frage ganz unterschiedlicher Auffassung waren und sind, haben wir einen Kompromiss gefunden. Zurzeit werden in unserem Land keine Studiengebühren eingeführt. Wir warten zunächst die Entwicklung in unseren norddeutschen Nachbarländern ab.
Ich persönlich bin gegen allgemeine Studiengebühren, weil ich dadurch die Gefahr sehe, dass junge Menschen abgehalten werden, ein Studium zu beginnen.

Bildung PLUS: Die Einführung von Bachelor und Masterstudiengängen ist nicht unumstritten. Gegner befürchten, dass dieses Modell auf lange Sicht zu einem Zweiklassenstudium in Deutschland führt? Wie können diese Befürchtungen entkräftet werden?

Erdsiek-Rave: Durch die zweistufige Studienstruktur ermöglichen wir den Studierenden, früher in einen Beruf einzusteigen und mit dem Bachelor eine Qualifikation zu erwerben, die eben das möglich macht. Außerdem werden unserer Studiengänge durch das BA- und MA-Angebot international vergleichbar. In Zeiten von Globalisierung und internationaler Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft sind das klare Vorteile gegenüber der bisherigen Struktur, die von Hochschule zu Hochschule und von Land zu Land unterschiedlich ist - und genau deshalb im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig ist.

Bildung PLUS: In ihrer Antrittsrede sprachen Sie die Geschlechtergerechtigkeit zwischen Schülerinnen und Schülern an. Die Fakten sprechen dafür, dass da einiges im Argen liegt. Inzwischen gibt es den "Girls Day" und das Pilotprojekt "Neue Weg für Jungs". Was muss darüber hinaus getan werden?

Erdsiek-Rave: Die Schule muss wieder zu "einer Schule für Mädchen und Jungen" werden. Denn sowohl PISA als auch der 2. IGLU-Bericht (Internationale Grundschulleseuntersuchungen) zeigen uns, dass es der Schule eben häufig nicht gelingt, Mädchen und Jungen gleichermaßen zu fördern. Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede im Lernverhalten und in der Wahl der Ausbildungsberufe. Deshalb sollten wir zunächst analysieren, wie Jungen und wie Mädchen lernen, wo jeweils die Stärken und Schwächen liegen und wo etwas getan werden muss. Ich möchte in diesem Jahr den öffentlichen Dialog über diese Entwicklung intensivieren sowie mit Fachleuten und Menschen, die mit und für junge Menschen arbeiten, weitere Ansätze diskutieren.

Bildung PLUS: Welche Prognose haben Sie für das Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler bei PISA?

Erdsiek-Rave: Ich bin optimistisch, dass sich die deutschen Schülerinnen und Schüler weiter verbessern werden. Damit wird sich der positive Trend fortsetzen, der sich bereits bei PISA 2003 angedeutet hat. Allerdings wirken die Reformen, die wir als Länder insgesamt seit dem PISA-Schock 2000 auf den Weg gebracht haben, mittel- und langfristig. Deshalb können wir auch nicht erwarten, von heute auf morgen wieder international Spitze zu sein, zumal die anderen Staaten ja auch weiter in die Bildung investieren. Aber die Richtung stimmt und deshalb bin ich optimistisch.


Ute Erdsiek-Rave wurde 1947 geboren. Sie ist verheiratet und hat ein Kind. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik an den Universitäten Bochum und Kiel und war bis 1987 als Lehrerin tätig. In dieser Zeit lagen auch drei Jahre Auslandsaufenthalt in Stockholm, wo sie in der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen, Goethe-Institut Stockholm) arbeitete.
Von 1992 bis 1996 war sie Landtagspräsidentin in Schleswig-Holstein und von 1996 bis 1998 Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion.
Seit 1998 bis April 2005 war Ute Erdsiek-Rave Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein und seit dem 27. April 2005 ist sie Ministerin für Bildung und Frauen und stellvertretende Ministerpräsidentin.
Die KMK wählte sie zur Präsidentin der Kultusministerkonferenz für 2006.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 16.02.2006
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