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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 26.10.2000:

"Der Staat kann das nicht alleine leisten"

Dr. Eberhard Posner von Siemens über das deutsche Bildungssystem und die Rolle der Wirtschaft
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Dr. Eberhard Posner

Forum Bildung: Siemens engagiert sich seit 1997 mit dem Projekt "Jugend und Wissen" stark in der multimedialen Ausbildung von Jugendlichen und Lehrern. Springt die Wirtschaft jetzt für den Staat in die Bresche?

Posner: Wir wissen natürlich, dass Bildung eine Domäne des Staates ist. Wir wissen aber aus unseren eigenen Erfahrungen auch, dass die Wirtschaft dabei eine Rolle spielen muss. Zum Teil aus Eigennutz, weil wir auf gut ausgebildete MitarbeiterInnen angewiesen sind, aber auch aus unserer gesellschaftlichen Verantwortung heraus, zu der wir uns bekennen.

Forum Bildung: Staat und Wirtschaft Hand in Hand bei Bildungsfragen wie beim Dualen System. Ein Modell der Zukunft oder eine Aufgabe, die der Staat alleine meistern muss?

Posner: Der Staat kann das nicht alleine leisten und sollte es auch gar nicht. In anderen Ländern existieren traditionell intensivere Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich. Die Frage ist dann immer nur, wie die Gewichte verteilt sind.

Forum Bildung: Kann der Staat von der Wirtschaft in Bildungsfragen lernen?

Posner: Ich glaube, der Staat kann generell von der Wirtschaft lernen - jedenfalls von der, die im globalen Wettbewerb steht. Stichwort "Benchmarking" und "Best-Practice-Sharing": Den Wettbewerb und den eigenen Standort unter verschiedenen Aspekten erkennen, bewerten und Konsequenzen ziehen. Der Staat müsste verschiedene Bildungssysteme vergleichen und bewerten. Und wenn die anderen etwas besser machen, müssen Programme entwickelt werden, die genau festlegen, bis wann welches Ziel und welche Verbesserung erreicht werden müssen.

Forum Bildung: Warum herrscht heute ein so großer Mangel an Nachwuchs im IT-Bereich und den Ingenieurwissenschaften? Schlechter Nachwuchs oder eine falsche Bildungspolitik?

Posner: Nein, der Nachwuchs ist nicht schlecht. Außerdem glaube ich, dass Bildungsplanung eines der schwierigsten Gebiete ist, weil komplexe Entwicklungen stattfinden, die oft kaum vorhersehbar sind.

Forum Bildung: Warum ist dann eine solche Flaute auf dem Arbeitsmarkt?

Posner: Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist konjunkturell bedingt. 1994/95 gab es generell, auch bei Siemens, nur geringe Einstellungsziffern bei Ingenieuren. Das hatte zur Folge, dass sich immer weniger junge Menschen für ein Ingenieurstudium entschieden haben: Im Nachhinein eine falsche Entscheidung aufgrund der damaligen Konjunktur. Und der zweite Grund ist das enorme Wachstum der neuen Technologien. Wir brauchen ganz neue Ausbildungsgänge. Das betrifft nicht nur die Universitäten, sondern auch die Berufsausbildung. Wir haben zwar ein gutes Ausbildungssystem, aber heute geht es um vollkommen neue Ausbildungsinhalte und -bilder.

Forum Bildung: Stichwort Greencard-Diskussion: Werfen Sie Politikern trotzdem keine mangelnde Weitsicht vor, denn alles kann ja nicht von externen Faktoren verursacht werden?

Posner: Richtig ist, dass man mit dem Thema früher hätte beginnen können. Ich freue mich aber, dass die Diskussion mittlerweile wertfrei geführt wird. Wir sind uns heute einig, dass mehr in die Bildung im eigenen Land investiert werden muss, aber auch Talente von draußen geholt werden müssen. Das widerspricht sich nicht, sondern ist eine ideale Ergänzung.

Forum Bildung: Muss der Staat mehr Geld für Bildung ausgeben?

Posner: Ja, aber das Geld muss richtig eingesetzt und auch effizienter genutzt werden. Geld alleine löst das Problem nicht.

Forum Bildung: Was erwarten Sie konkret von den Bildungspolitikern?

Posner: Die richtigen Themen diskutieren und in die Öffentlichkeit bringen. Die Themen liegen auf dem Tisch und müssen nun ohne ideologische Scheuklappen angegangen werden. Da sehen wir eine positive Entwicklung. Es ist ja noch nicht lange her, dass Drittmittelforschung an Unis ein Schimpfwort war. Also wir wünschen uns den normaleren und vorbehaltloseren Umgang zwischen privaten und öffentlichen Einrichtungen.

Forum Bildung: Was sind denn die richtigen Themen?

Posner: Lehrkräfte an den Schulen müssen mit grundsätzlichen Themen der globalen Wirtschaft und des Internets in Verbindung gebracht werden - das halte ich für sehr wichtig. Zweitens die Formulierung zukunftsweisender Ausbildungs- und Studiengänge. Drittens die Internationalisierung des Bildungswesens.

Forum Bildung: Steht das Bildungswesen international so schlecht da?
Posner: An dieser Stelle herrscht immenser Handlungsbedarf. Die internationale Stellung unseres Bildungswesens, speziell auch des Hochschulwesens, hat sich in Relation zu den Bildungseinrichtungen des Auslands verschlechtert. Zum Beispiel müsste an deutschen Unis viel mehr auf Englisch unterrichtet werden. Sonst verschließen wir uns der globalen Welt.

Forum Bildung: Woran erkennt man diese Verschlechterung?

Posner: Zum Beispiel an den Zahlen der ausländischen Studenten. Viele Asiaten kamen noch vor 10-15 Jahren gerne nach Deutschland. Die gehen heute lieber in die USA. Da müssen wir aufpassen.

Forum Bildung: Bachelor- und Master-Studiengänge gibt es ja schon. Sehen Sie nun optimistisch in die Zukunft?

Posner: Ja, die richtigen Schritte und Experimente werden gemacht. Es gibt ja kein Patentrezept, aber die BA- und Master-Studiengänge sowie die Gründung von privaten Unis zeigen in die richtige Richtung. Jetzt müssen die Erkenntnisse konsequent weiter entwickelt werden und wir müssen aus der Testphase in die Umsetzungsphase kommen.

Forum Bildung: Kann das funktionieren - alte gegen neue Studienabschlüsse?

Posner: Die jungen Leute werden den Weg wählen, der ihnen die besten Kompetenzen und Chancen eröffnet. Auf lange Sicht wird sich das erfolgreichste Modell durchsetzen.

Forum Bildung: Internationalisierung der Hochschulen. Dann haben Sie auch nichts gegen die Profilsetzungen von Unis?

Posner:
Nein, im Gegenteil. Es muss Wettbewerb zwischen den Hochschulen erzeugt werden. Da hat sich in den letzten Jahren aber auch schon einiges verändert.

Forum Bildung: International gesehen haben wir ja auch die längste Schulzeit. In 12 Jahren zum Abitur?

Posner: Selbstverständlich ja. Man muss keine 13 Jahre zur Schule gehen, um Abitur zu machen. Das geht auch schneller.

Forum Bildung: Müssen Naturwissenschaften wieder gestärkt werden?

Posner: Ja. Aus verschiedenen Gründen ist die Affinität zu solchen Fächern zurückgegangen. Da muss mit Sicherheit eine Menge getan werden. Allerdings ein schwieriges Thema, weil wir natürlich die Wahlfreiheit erhalten müssen. Aber der Markt, also das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, wird uns helfen.

Autor(in): Heike Koppen, Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 26.10.2000
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