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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 22.06.2006:

Ausflug in die Vergangenheit

Der Schulalltag in der DDR vor 40 Jahren

Klassentreffen können eine spannende Angelegenheit sein. Man hat sich lange nicht gesehen und schaut erwartungsfroh, wer wohl dieses Mal kommen wird. Dieses Mal ist es ein besonderes Treffen: Vor 40 Jahren hatten die hier versammelten Frauen und Männer, die in der DDR zur Schule gingen, ihre Abiturprüfungen abgelegt.

Heute schwatzt man, lacht, ist fröhlich wie damals und kramt in den Erinnerungen. Als das Klassentagebuch, das sie vor vier Jahrzehnten über mehrere Schuljahre führten, die Runde macht, wird manch alte Geschichte hervorgeholt.

Die ehemaligen Abiturientinnen und Abiturienten besuchten Anfang bis Mitte der sechziger Jahre von der 9. bis zur 12. Klasse eine Erweiterte Oberschule (Gymnasium) in einer sächsischen Kleinstadt. Gleichzeitig erlernten sie einen Beruf. Einmal pro Woche arbeiteten und lernten sie in ihrem Ausbildungsbetrieb und mehrmals im Jahr absolvierten sie Praktika. Es war eine Zeit, wo es in den Schulen der DDR eine Notenskala von eins bis fünf gab und sonnabends Unterricht war.

Für viele im Westen Deutschlands und auch für die junge Generation in den neuen Bundesländern ist der Schulalltag in der DDR ein Buch mit sieben Siegeln. Bildung PLUS will etwas Licht ins Dunkel bringen und veröffentlicht einige Auszüge aus einem Klassentagebuch, in dem Schülerinnen und Schüler ihre ganz alltäglichen schulischen Probleme festhielten.

10. Klasse

Woche vom 4. bis 9. November 1963

Montag
Die Woche begann gleich gut, denn wir schrieben eine Mathearbeit. Für 15 Aufgaben hatten wir nur eine Stunde Zeit. Das war ziemlich knapp.

Dienstag:
Heute hatten wir FDJ-Nachmittag. Wir diskutierten über das Jugendkommuniqué. Immer 2 Schüler hatten einen Abschnitt ausgearbeitet. Sie erzählten uns das Wichtigste und wir diskutierten darüber. Wenn wir auch manchmal vom Thema abkamen, so war es doch trotzdem ganz interessant.

Mittwoch
Heute bekamen wir unsere Mathearbeit zurück. Wie der Durchschnitt von 3,65 verrät, war es ein arger Schreck für uns. Am Nachmittag war wie jeden Mittwoch Tanzstunde.

Freitag
Heute sahen viele von uns im Theater "Der Revisor" von Gogol. Dieses Stück hatten wir ja in der 9. Klasse in Deutsch besprochen, und es gefiel uns ganz gut.

Der Sonnabend verlief gemütlich wie immer. Es ist der schönste Tag in der Woche.


Woche vom 27. Januar bis 1. Februar 1964

Montag
Gleich in der ersten Stunde schrieben wir eine Kurzarbeit in Mathematik. In Chemie setzten wir unser Schülerpraktikum fort. Durch Unachtsamkeit beim Umgang mit Schwefelsäure wurden bei einer Schülerin die Maschen der Strümpfe vergrößert. Das soll uns allen eine Warnung sein.

Dienstag
In Deutsch lernten wir den Aufbau und den Inhalt des Dudens kennen. 13.45 Uhr fand in der Aula eine Berufsberatung der 10. und 11. Klassen statt. Das paßte uns nicht besonders, da es der einzige Tag ist, an dem wir 12.45 Uhr aus haben. Wir wollten aber Vorbild sein und deshalb gingen alle mit. Wir haben es auch nicht bereut, da wir unsere Fragen vorbringen konnten. Sie wurden von zwei Studentinnen aus Leipzig beantwortet.

Mittwoch
Bei der heutigen Physikarbeit wurde vielen die Chance gegeben, ihre Physikzensur so kurz vor den Zeugnissen zu verbessern. In Englisch bekamen wir unsere Englischarbeiten, die eigentlich zufrieden stellend ausgefallen war, zurück.

Donnerstag
Heute war jeder in seinem Ausbildungsbetrieb.

Freitag
Überraschend war die Arbeit in Russisch. Einen russischen Text mußten wir mit Hilfe des Wörterbuches übersetzen. In Deutsch mußten wir eine Kurzgeschichte über "Nathan der Weise" schreiben, da Herr P. schlecht reden konnte. Er war beim Zahnarzt.

Sonnabend
Im Zeichenunterricht sprachen wir über die Herstellung einer Gipsplatte. Da Herr Sch. Nicht da war, hatten wir die letzte Französischstunde bei einer Praktikantin. Im Sportunterricht gab es Zensuren auf das Klettern usw. Da wir heute nach dem Turnen keinen Unterricht mehr hatten, konnten wir uns mal in Ruhe anziehen.


Woche vom 27. April bis 2. Mai 1964

Montag
In Französisch erhielten wir eine Arbeit zurück. Herr V. war mit dieser Arbeit überhaupt nicht zufrieden. Wir erreichten einen Durchschnitt von 2,5.
In Chemie führten wir eine Maßanalyse durch. Danach hatten die Mädchen DRK-Prüfung. Die Angst vorher war völlig unbegründet. Es war kinderleicht.

Dienstag
Die DRK-Kassierer mußten heute zum stellvertretenden Direktor. Wir erhielten eine Sammelbüchse des Roten Kreuzes und dazu die Empfehlung, sich vor den Bahnhof oder eine Gaststätte zu stellen und zu sammeln. Wir stellten aber die Sammelbüchse auf das Pult. Alle Lehrer spendeten einen kleinen Beitrag.

Freitag
1. Mai - Kampftag der Werktätigen. Wir trafen uns 9.30 Uhr auf dem Schulhof. Wir marschierten in irgendeine Seitenstraße, dann standen wir cirka eine halbe Stunde, aber danach marschierten wir an der Tribüne vorbei. Neben den Persönlichkeiten unserer Stadt waren auch französische Politiker auf der Tribüne. Da wir im VII. Marschblock waren, sahen wir fast nichts von der Demonstration. Kaum war Schluß, schon fing es an zu regnen.

Sonnabend
Heute trafen wir uns um 7 Uhr, um mit Herrn V. die Bibliothek aufzuräumen. Wir wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die 1. Gruppe wischte Staub und räumte auf. Die 2. Gruppe schlug Bücher ein und die letzten vier Mann schrieben Karteikarten. Kurz vor 11 begann das Wochenende.


11. Klasse

Woche vom 14. bis 19. September 1964

Montag
Heute verpaßte unser Klassenlehrer vor lauter Eifer die Stunde zu schließen. Wieder fielen zwei Stunden Französisch aus.

Dienstag
In Mathe schrieben wir eine Kurzarbeit. Bis heute hatten wir die erste Nacherzählung in Englisch auf. So etwas waren wir nicht gewohnt, denn Herr V. hatte für Nacherzählungen überhaupt nichts übrig. Warum? Konnte er vielleicht unserem Redeschwall nicht folgen?

Mittwoch
Heute fiel zum Glück Russisch aus. Denn dieses Fach ist für uns das, was für einen Stier ein rotes Tuch ist. Zeichnen gefällt uns nicht mehr. Bei Herrn B. überanstrengen wir uns. Immer das langweilige Anvisieren der Wagerechten und Senkrechten. Mir tut schon jetzt der Arm weh, wenn ich an den nächsten Mittwoch denke.

Donnerstag
Heute geht es wieder ins Kabelwerk zum Drahtziehen. So lang wie der Draht ist, so langweilig ist das auch.

Freitag
Heute hat uns Gott geholfen, denn wir hatten nur zwei Stunden Unterricht. In Deutsch wurden wir wieder mit Prometheus geärgert. Als Goethe das Gedicht geschrieben hat, hat er bestimmt nicht an uns gedacht. Wir wissen überhaupt nicht, ob wir nun an einen Gott glauben sollen oder nicht. Was uns in Deutsch eingetrichtert wird, wird uns in Geschichte wieder aus dem Sinn geredet.

Sonnabend
Vor dem Unterricht führten wir unsere FDJ-Wahl durch. Dann hatten wir Turnen (bei Frau P.). Kleiderschwimmen stand auf dem Programm. Beim Ausziehen der Schwimmkleidung wäre ich bald abgesoffen.
Wir kamen in Mathe (bei Herrn P.) wie üblich zu spät. Aber bei den Lehrern bleibt es ja in der Familie.


Woche vom 5.  bis 10. Oktober 1964

Montag
Diese Woche begann recht günstig, denn wir gingen zum Onkel Doktor.
In Englisch bekamen wir das Diktat zurück. Es war mäßig ausgefallen.
Um 12 Uhr wanderte unsere Schule dann zum Kino. Dabei waren wir übel dran, denn normalerweise hätten wir aus gehabt. Im Kino fand eine Feierstunde anläßlich des 15. Jahrestages der DDR statt. Dort erfuhren wir auch das Ergebnis der Schulolympiade. Unsere Klasse hatte Grund, sich aufzuregen, denn obwohl uns nur ein Punkt zur Klasse 12 A fehlte, wurden wir mit keiner Silbe erwähnt. Die Klasse 12 A dagegen wurde als eindeutig beste Klasse hervorgehoben. Sie erhielten dafür auch eine kostenlose Fahrt nach Berlin. Na ja, wir sind und bleiben nun mal die Dummen.

Dienstag
In Erdkunde durften wir heute eine Arbeit schreiben. Herr K. gab uns superdumme Aufgaben.
Wir zitterten wie Espenlaub als Herr P. unsere Klasse betrat. Zum Glück war die Arbeit noch nicht korrigiert, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Mittwoch
Heute war nun Staatsfeiertag. Welch eine Freude, daß es ausgerechnet ein Mittwoch war, so fiel das vielgeliebte Chemie aus.

Freitag
In Physik mußten wir uns tüchtig zusammen nehmen, um die Augen offen zu halten. Das ist wirklich früh in der ersten Stunde und bei so einem interessanten Stoff nicht einfach.

Sonnabend
Dieser Tag wird wohl vielen von uns im Gedächtnis bleiben. Wir hatten Wandertag. Früh um 5 Uhr fuhr der Zug vom Bahnhof ab. Leider fehlten fünf Mann und Herr B. hatte viel Ärger. In Coswig stiegen wir um und fuhren dann durch bis Bad Schandau. Dort setzten wir über und liefen erst einmal an der Elbe entlang. Dann ging es in die Berge! Als es immer höher ging und die Sonne unerbittlich brannte, waren wir "sauer". Trotz des schönen Anblicks der Berge, waren wir doch ganz schön kaputt und wir waren froh, als wir wieder unten waren. In Schmilka stärkten wir uns erst einmal und setzten uns an die Elbe. Das Schiff, das uns wieder gen Heimat bringen sollte, fuhr 15.15 Uhr los. Die Schiffahrt bis Pirna war sehr schön. In Pirna hatten wir eine Stunde Aufenthalt. Umsteigen mußten wir dann noch in Dresen. Nach einem schönen Tag mit herrlichem Wetter wir gegen 21 Uhr in der Provinz angelangt.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 22.06.2006
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