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Erschienen am 03.01.2001:
Lernen - ein Leben lang: Tugend und Zwang
Kommentar von Pädagogik-Professor Gonon
Die Forderung, lebenslang zu lernen ist heute in aller Munde. Sie entspricht einer Welt des Wandels und der Dynamik; sie hat oft auch einen besonderen ökonomischen Impetus. Um in Zeiten größerer technischer, wirtschaftlicher aber auch gesellschaftlicher Umwälzungen fit zu bleiben, sollte man sich ständig weiterbilden. Die Bekundung von Weiterbildungsbereitschaft ist daher eine moderne Tugend geworden: sie geht einher mit Flexibilität und Kreativität. Das lebenslange Lernen begünstigt Flexibilität und Kreativität, wie umgekehrt Flexibilität und Kreativität das Lernen fördert - ein Leben lang. Der Arbeitnehmer von heute ist Manager seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten: er erkennt die Lücken, frischt sie bei Bedarf auf und lässt überflüssiges außen vor.
Lernen - ein Leben lang ist einerseits eine Selbstverständlichkeit: denn wir können gar nicht anders als Neues zu verarbeiten und immer fort zu lernen. Andererseits werden nur bestimmte Lernaktivitäten gesellschaftlich anerkannt und belohnt.
Ein solches Verständnis weist darauf hin, dass Lernen im Alltag und ein Leben lang nicht nur Freude und positive Herausforderung ist, sondern auch als Sozialzwang empfunden werden kann. Es sind vor allem die schulischen und zertifizierten Lehrgänge die dem Einzelnen Chancen eröffnen, sich in der Gesellschaft und in der Wirtschaft zu entfalten. Nicht alle finden jedoch diesen Zugang, sei es, dass sie Vorurteile oder bereits negative schulische Erfahrungen mitbringen, nicht sich in der dafür notwendigen Position innerhalb der Betriebshierarchie und Gesellschaft befinden, oder aber schlicht das falsche Geschlecht haben.
Gerade durch die Schule wird das Fundament für die weitere Lernkarriere gelegt. Die Volksbildung im 19. Jahrhundert (eine Vorläuferin des lebenslangen Lernens) entstand aus den Mängeln oder nicht erbrachten Leistungen - also aus der Kritik - an der Grundschule. Wirtschaftlich und gesellschaftlich entscheidendes Wissen - wie z. B. das Zeichnen, die Buchhaltung, aber auch politische Bildung - wurden nicht vermittelt, das Gelernte gleich nach der Schule wieder vergessen. Wer heute die Motivation des Lernens über den Schulrahmen hinaus fördern will, sollte einerseits also die Lerngelegenheiten auch in der Arbeitswelt ausbauen, quasi Anknüpfungspunkte an bereits gelerntes bereitstellen. Andererseits sollten auch in der Schule selbst Lernspielräume geschaffen werden, die neben oder in Ergänzung des offiziellen Lehrplans, die Möglichkeit des erkundenden und experimentellen Lernens im Schonraum erlaubt. Lernen tun wir immer, wie gesagt, wir müssen eher lernen, welches Lernen als Lernen Anerkennung findet.
Autor(in): Prof. Dr. Philipp Gonon
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Datum: 03.01.2001
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