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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 10.02.2003:

"Das bringt auch mit Blick auf PISA nichts"

Ganztagsschulverband warnt vor Schmalspurbetreuung
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Stefan Appel

Bildung PLUS: Seit 1955 setzt sich Ihr Verband für die Ganztagsschule ein. Aber richtig im Trend liegen Ganztagsschulen erst seit zwei Jahren. Was erklärt diesen Meinungsumschwung?

Appel: Die Ganztagsschule liegt schon viel länger im Trend. Nur wurde sie in den 70er Jahren mit der Gesamtschule in einen Topf geworfen, obwohl beide nichts miteinander zu tun haben. Jetzt hat die Ganztagsschule eine Renaissance erlebt. Und das hat nicht nur mit PISA zu tun, sondern mit der gesellschaftlichen und demographischen Veränderung in Deutschland. Angesichts dieser Veränderungen muss sich natürlich auch Schule verändern und die Halbtagsschule bietet nicht den Rahmen dafür.

Bildung PLUS: Die Ganztagsschule gilt seit PISA als Allheilmittel. Was kann die Ganztagsschule leisten und was sind übertriebene Erwartungen?

Appel: Ein Allheilmittel ist sie sicher nicht. Kurz gesagt heißt Ganztagsschule, mehr Zeit für Kinder zu haben. Und wenn ich mehr Zeit für Kinder habe, dann können Lernprozesse differenzierter angebahnt werden. Wie soll in der Halbtagsschule selbstständiges, offenes und fächerübergreifendes Lernen realisiert werden, wenn exakt auf die Minute vorgegeben ist, wie viel im Jahr in welchem Fach zu leisten ist? Die Ganztagsschule bietet den vernünftigsten Rahmen, um Schulreformen zu realisieren, was aber nicht heißt, dass sich die Halbtagsschule nicht ändern könnte. Ein Allheilmittel wäre die Ganztagsschule nur dann, wenn man aus ihr keine Schmalspurbetreuungseinrichtung macht, sondern eine Lebensschule ganzheitlicher Art.

Bildung PLUS: Sehen Sie momentan diese Gefahr?

Appel: Natürlich. Politiker reagieren dort am stärksten, wo das Defizit am größten ist. Und wenn die Kassen leer sind, wird halt erst mal nur eine Frage gelöst - zum Beispiel ein besseres Betreuungsangebot. Wenn die Betreuungsangebote nur der erste Schritt sind, um die Schulen später qualitativ zu echten Ganztagsschulen auszubauen, dann wäre dies in Ordnung. Doch ich warne eindringlich davor, nur die Frage der Betreuung zu lösen. Das bringt auch mit Blick auf PISA nichts.

Bildung PLUS: Bund, Länder und Bildungsexperten streiten über die das richtige Konzept. Wer sollte Ihrer Meinung nach die Richtung vorgeben: Bund, Länder oder die Schule vor Ort?

Appel: Eigentlich sollte auf allen drei Ebenen eine konstruktive Zusammenarbeit stattfinden. Generell ist es ja so, dass derjenige, der das Geld gibt, natürlich auch einen Anspruch darauf hat, dass die Verwendung der Mittel seinen Vorgaben und den entsprechenden Qualitätsstandards entspricht. Auf der anderen Seite muss man natürlich die Kulturhoheit der Länder respektieren. Die Mitglieder der Kultusministerkonferenz wären eigentlich die Personen, welche die Verteilung der Gelder vornehmen sollten - vorausgesetzt sie garantieren der Bundesministerin die sachgerechte Verwendung der Mittel. Außerdem sollten externe Experten wie der Ganztagsschulverband zu Rate gezogen werden, um Fehler und Schnellschüsse zu vermeiden. Unser Verband hat ja nicht umsonst vier Jahrzehnte Erfahrung mit Ganztagsschulen.

Bildung PLUS: Sie beraten ja auch Regierungen und Schulträger. Ist Ihr Rat seit PISA nun öfter gefragt?

Appel: Ja. Wir haben sehr viel zu tun. Es gibt aber immer noch bestimmte Personen und Regionen, die unseren Rat nicht wollen, weil sie denken, wir würden als Interessenverband unsere Forderungen überziehen. Aber genau das tun wir ja gerade nicht: Unsere Fachleute helfen Zeit und Kosten zu sparen.

Bildung PLUS: Nennen Sie doch mal ein Beispiel.

Appel: Nicht jeder Schulträger ist geübt in der Umwandlung einer Schule zur Ganztagsschule. So können unsere Fachleute bei der Gebäudeumwidmung kostengünstige Modelle entwickeln oder bei Personalfragen Alternativen aufzeigen, wenn nicht sofort die richtigen Leute zur Verfügung stehen. Wir sind mit Sicherheit kein Interessenverband, der durchsetzen will, dass viel Geld ausgegeben wird.

Bildung PLUS: Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Ganztagsschulen in vielen Ländern selbstverständlich sind. Von welchem Beispiel kann Deutschland etwas lernen?

Appel: Bei den skandinavischen Ländern kann man etwas lernen. Zum Beispiel die Kinder dort beim Weiterlernen abzuholen, wo sie entwicklungsmäßig und leistungsmäßig stehen - ein sehr personenbezogenes Konzept. Das französische Schulsystem würde ich nicht favorisieren, da es die Freizeitpädagogik zu Lasten des klassischen Lernens vernachlässigt und auch nicht reformorientiert ist. Es gibt aber kein Land, dessen Schulsystem man weitgehend übertragen könnte. Man müsste sich in verschiedenen Ländern einzelne Elemente anschauen.

 

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 10.02.2003
© Innovationsportal

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