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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 08.01.2003:

"Sprachkurse müssen eine Pflichtveranstaltung sein"

Multikulti sagt ihm nichts - der Schriftsteller Feridun Zaimoglu
Das Bild zum Artikel
Feridun Zaimoglu, Foto: Kiepenheuer & Witsch

Bildung PLUS: Das ist sicher nicht Ihr erstes Interview zu Integration und Bildung. Welche Frage wollen Sie denn auf gar keinen Fall hören?

Zaimoglu: Ob ich deutsch oder türkisch träume. Diese Frage kann ich nicht mehr hören.

Bildung PLUS: Ein Zitat von Ihnen: "Trotz vierzig Jahre Migrationsgeschichte hat Deutschland ein recht schizophrenes Verhältnis zu den Eingewanderten, die es erst zu ewigen Fremden macht. Ich fürchte auch, daran wird sich in nächster Zeit nichts ändern". Warum so skeptisch?

Zaimoglu: Skeptisch deshalb, weil immer noch nicht an den alten Denkgewohnheiten und zementierten Klischees gerüttelt wird. Man macht einen großen Bogen um die eigentlichen sozialen Probleme, ethnisiert sie und bringt so zwei Populationen gegeneinander in Stellung. Auf der einen Seite sind die Deutschen und auf der anderen Seite die Ausländer. Solange man sich nicht mit den vielen Realitäten Deutschlands auseinandersetzt und so tut, als hätte sich in den letzten Jahren nichts verändert, wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Bildung PLUS: Welche Realitäten werden ausgeblendet? 

Zaimoglu: Es wird leider nicht nur von Politpopulisten und Fremdenskeptikern, sondern auch von denen, die das Meinungsmonopol halten, immer noch behauptet, wir müssten uns über Identität, Kultur und Wurzeln unterhalten. Von meinem Selbstverständnis bin ich Deutscher mit türkischen Eltern - die türkischen Eltern setzte ich im Geiste in Klammern. Nur was ist damit gewonnen, wenn dauernd die Identitätskarte ausgespielt wird? Wir in Deutschland wanken zwischen Kleinbürger-Narkose und einer gewissen Multikulti-Lustigkeit, die mit meinen Verhältnissen längst nichts mehr zu tun hat. Denn das eine sind die vielen Nischen und Szenen, über die ich ja auch schreibe und das andere ist das kulturalisierte Sprechen darüber. Nirgends auf der Welt gibt es so viele ausgewiesene Türkenexperten wie in Deutschland. Dieser Türkenerkennungsdienst macht immer Plätze aus, wo unsereins längst nicht mehr ist. In den Kanak-Milieus ist etwas Neues entstanden. Etwas, das mit dem Türkischen gebrochen hat und sich nicht so einfach festlegen lässt.

Bildung PLUS: Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) hat im Rahmen einer Rezension zu Ihrem neuen Buch "German Amok" davon gesprochen, dass die multikulturelle Gesellschaft eine Lebenslüge der Grünen sei. Sind Sie ein Anhänger
von Multikulti?

Zaimoglu: Dieser Begriff sagt mir gar nichts. Multikulti läuft doch auf die friedliche Koexistenz der Speisekarten hinaus. Ich hatte schon blutigste Verbalscharmützel mit Vertretern des linksalternativen Lagers. Aber ich lasse mir von Kaninchenzüchtern, die auf besorgte Kulturbürokraten machen, nicht vorschreiben wie eine Gesellschaft auszusehen hat. Diese Leute betreiben eine Art Insektenforschung und wissen gar nicht, wovon sie reden.

Bildung PLUS: Sie behaupten, dass ihre Lesungen mehr zur Integration beitragen als "interkulturelle Verständigungsspiele". Warum?

Zaimoglu: Bei meinen Lesungen hebe ich den Orchestergraben zwischen dem Publikum und mir, dem Alpha-Männchen, auf. Ich muss mit den Leuten in Berührung kommen. Ich erwarte nicht, dass die Kanak-Kids zu den Literaturhäusern oder den Bel-Etage-Standorten kommen. Ich gehe selbst zu ihnen - in die Jugendhäuser und die Schulen. Ich muss die Reaktionen direkt spüren. Meine Lesungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Emotionen schüren. Ich brauche das, weil ich, ordinär ausgedrückt, eine Rampensau bin. Und von den Kids wird man nicht geschont. Ich habe außerdem die altmodische Vorstellung, dass ich meine Zuhörer, die ja extra gekommen sind und meistens Eintritt bezahlt haben, unterhalten muss und keiner verschnarchten Kulturleistung aussetzen darf.

Bildung PLUS: Einerseits finden Ihre Lesungen klassisch in Buchhandlungen und schicken Clubs statt, andererseits in Jugendhäusern. Wie unterscheiden sich die Reaktionen?

Zaimoglu: Die klassische Aufteilung in Lesung und Diskussion existiert nicht. In Jugendhäusern ist es wie in einer Gospelkirche: Die Reaktionen kommen spontan, da wartet keiner artig auf das Ende der Lesung, bis der Schriftsteller den problemzentrierten Diskussionsteil einläutet. Nein, da scheren die sich nicht drum. Die Fragen sind frischer, heftiger und wenn ihnen die Lesung  gefällt, sehen sie ein Ende der Veranstaltung überhaupt nicht ein. Es sind auch viele junge Frauen in den Lesungen, was mich besonders freut. Es kommt natürlich auch mal vor, dass junge Türkinnen nach der Lesung zu mir kommen und sagen: "Du bist unser Alptraum, du bist genauso widerlich wie deine Bücher".

Bildung PLUS: Ich muss noch einmal Herrn Beckstein bemühen, der Ihnen ausdrücklich widerspricht,  dass Integration im Alltag geschehe, seiner Meinung sei das eine Aufgabe der Politik.

Zaimoglu: Natürlich geschieht Integration nicht einfach so nebenbei. Leider glauben Leute wie Herr Beckstein immer noch an die Homogenität der Gesellschaft. Integration ist für sie gleichbedeutend mit Konformismus. Migration ist aber Unruhe, ist Umwälzung, die Verkehrung von Verhältnissen und natürlich auch eine ungeheure Belastung. Aber eine inzestuöse Gesellschaft ist ein viel schlimmerer Zustand.

Bildung PLUS: Aber was kann die Politik denn konkret tun?

Zaimoglu: Sprache, Sprache, Sprache. Sprache ist der Büchsenöffner. Man muss Sprachkurse einrichten. Das hat man jahrzehnte lang versäumt. Viele türkische Eltern können vielleicht lesen und schreiben, sind aber ungebildet und können ihren Kindern kein Vorbild sein und keine Zukunft weisen. Außerdem brauchen wir eine Akzentverschiebung: Man darf den Ausländern nicht mehr das Gefühl geben, sie seien das Sorgenkind und gehörten in der deutschen Gesellschaft nicht dazu. Dieser Paradigmenwechsel wäre ein solcher Befreiungsschlag...

Bildung PLUS: Sie kamen als Kind nach Deutschland und konnten kein Wort Deutsch. Wie haben Sie denn die deutsche Sprache für sich entdeckt?

Zaimoglu: Durch Frau Hüve, dritte Klasse in der Grundschule am Amphionpark in München-Moosach. Sie hat mir knallhart gesagt, es gibt keinen anderen Weg, du musst es lernen, sonst fliegst du raus. Es gab ja genug Gründe, mich ins Abseits zu stellen und wehleidig zu jammern, dass ich armer Türkenbengel diese Sprache einfach nicht kann. Nichts da. Meine Lehrerin hat auch keine Entschuldigung gelten lassen. Und das war auch gut so. Sprachkurse müssen eine Pflichtveranstaltung sein und kein schwammiges Angebot. Gleichzeitig darf man aber den psychologischen Moment nicht vergessen und muss den Leuten ihr Selbstwertgefühl lassen. 

Bildung PLUS: Das Feuilleton klebt Ihnen gerne Etiketten auf wie Malcolm X der Türken. Sie selbst bezeichnen sich auch  als "educated kanakster". Politiker sprechen gerne von der positiven Wirkung von Vorbildern, so genannter Role Models. Sind Sie so etwas in der Art für junge Migranten?
 
Zaimoglu: Man darf meine Rolle nicht verwechseln mit der von Türkenvertretern, die zu recht verhasst sind. Mir schwebt keine Vereinsmeierei vor. Mir wird eine bestimmte Glaubwürdigkeit abgenommen, auch wenn ich sage, ich bin Deutscher und freu mich darüber, weil ich es so meine. Das ist das Role Model, auf das ich nicht verzichten will. Die Kids brauchen mir ja nur in die Visage zu schauen um zu sehen, der Typ hat es auch nicht einfach gehabt, denn er kommt auch aus Gastarbeiterverhältnissen.

Bildung PLUS: Vielleicht liegt es an Ihrer deutlichen Sprache?

Zaimoglu: Ich erzähle den Jugendlichen keine Ammenmärchen oder sozialpädagogische Kuschelnummern. Ich versuche Ihnen klipp und klar zu sagen, dass sie die Wahl haben zwischen Stillstand und bestimmten  Chancen, die sich ihnen eröffnen, wenn sie die deutsche Sprache lernen. Ich erzähle Ihnen aber auch nicht, dass sie mit Sprache alles erreichen können. Es ist ein ständiger Kampf, aber da draußen kämpfen täglich Millionen von Menschen. Wenn man sich nicht in einer behaglichen Nische einrichten, sondern weiterkommen will, dann muss man eben seinen Türkenarsch hochbringen. Natürlich machen Leute wie Dieter Bohlen vor, der über 400.000 Bücher verkauft hat, dass man auch mit Infinitiv-Deutsch und ohne Bildung beste Aufstiegsmöglichkeiten hat. So was gibt es immer, aber die meisten bleiben halt doch auf der Strecke.

Bildung PLUS: Comedy a la Kaya Yanar "Was guckst du?" liegen voll  im Trend. Die Leute lachen über die Klischees, die es von Türken gibt. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen für die Integrationspolitik?

Zaimoglu: Für mich ist diese Entwicklung ein wunderbares Zeichen. Eine Zeitlang dachte ich, dass Humor in Deutschland nur in homöopathischen Dosierungen möglich ist. Aber das stimmt nicht. Die Dämme brechen langsam. Viele Zuschauer von Kaya Yanar sind ja Kanak Kids, die sich auf die Schenkel klopfen, wenn Kaya sie parodiert. Es ist auch eine Art Befreiung. Dieser böse Humor ist nicht denunziatorisch. Deshalb lachen alle. Eine politisch korrekte Haltung dient  eher der Verschleierung von Missständen. Bloß nicht darüber reden und die Finger auf die Wunden legen. Man darf auch nicht vergessen, dass die gegenseitige Schmähung zur Kultur der Einwanderer gehört.

 
Feridun Zaimoglu, geboren 1964 in Bolu, Türkei. Er lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, seit 1985 in Kiel. Er studierte Kunst und Humanmedizin und arbeitet heute als Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Mit seinem ersten Buch »Kanak Sprak« wurde er 1995 zum Kultautor. 1997 erhielt er den »civis Hörfunk- und Fernsehpreis« zusammen mit Thomas Röschner für den Beitrag »Deutschland im Winter - Kanakistan. Eine Rap-Reportage«. 1998 wurde ihm der Drehbuchpreis des Landes Schleswig-Holstein verliehen. Im November 2000 kam der Film »Kanak Attack«, die Verfilmung seines Buches »Abschaum«, in die Kinos. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien im Herbst 2002 sein neuer Roman »German Amok«.

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 08.01.2003
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