Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen
Erschienen am 22.09.2020:
Offen, kostenlos und zum Kopieren gemacht
Ein Interview von OERinfo mit Kristin Narr zu offenen Bildungsmaterialien für den Elementarbereich
Die Informationsstelle Open Educational Resources (OERinfo) hat in den letzten Jahren in unterschiedlichen Bildungsbereichen für das Thema OER geworben. Hinter OER steckt der Gedanke, dass Lern- und Lehrmaterialien frei zugänglich sein sollten. OER sind explizit dafür gemacht, dass jede*r sie nutzt, bearbeitet, verändert und an andere weitergibt. Offene Bildungsmaterialien können so auch im Elementarbereich gut zum Einsatz kommen.
Um OER in Kita, Tagesbetreuung und Vorschule bekannter zu machen, hat sich OERinfo tatkräftige Unterstützung von Kristin Narr geholt. Die Medienpädagogin und Expertin für OER betreibt gemeinsam mit Sandra Schön, Martin Ebner und Tom Narr den „kindOERgarten“, eine kleine Website mit offenen Materialien für die Kita. Im Juni und Juli hat sie u.a. Workshops zum Thema geleitet, die sich an interessierte Pädagog*innen aus der frühkindlichen Bildung richteten. Für „Bildung + Innovation“ hat Sigrid Fahrer von OERinfo nun Kristin Narr zu ihren Erfahrungen mit offenen Bildungsmaterialien im Elementarbereich befragt.
OERinfo: Inwiefern sind offene Bildungsmaterialien im Elementarbereich verbreitet?
Kristin Narr: Frei lizenzierte Materialien, also Materialien, die unter freien CC-Lizenzen von Creative Commons stehen, sind im Elementarbereich nicht sehr verbreitet - nicht vergleichbar mit dem großen Wachstum, das es seit 2013 im Bereich der Schule, der Hochschule und auch der Erwachsenen- und Weiterbildung gibt. Wir finden aber vieles, was nach dem Motto „Nehmt meine Materialien und macht damit was ihr wollt“ im Internet veröffentlich wird. Klassische OER, die sich aus verschiedenen Materialien zusammensetzen und dann richtig lizenziert weitergegeben werden, funktionieren in der Elementarbildung nicht so gut. Denn dort herrscht ein anderes Verständnis davon, wie mit Materialien umgegangen wird, wie Materialien bearbeitet und in der Praxis verwendet werden. Und das ist nicht unbedingt vergleichbar mit anderen Bereichen, in denen OER zum Einsatz kommen.
OERinfo: Du sagst, dass es viele freie Materialien im Internet für den Elementarbereich gibt, die zwar kostenlos, aber nicht automatisch offen sind. Wie finden Praktiker*innen diese Materialien und wie gehen sie damit um?
Kristin Narr: Es gibt in der Tat einen Pool mit enorm vielen Materialien aus unterschiedlichen Quellen - auch digitale Materialien als PDF oder Audios -, die in der Regel nicht frei lizenziert sind. Professionelle Anbieter wie Verlage, Bildungseinrichtungen oder Unternehmen stellen diese zur freien Nutzung oder gegen eine Schutzgebühr bereit. Dann gibt es einen großen Teil an nicht-kommerziellen Anbietern, etwa privat geführte Blogs. Engagierte legen z. B. eine Liedersammlung mit urheberrechtsfreien Materialien auf ihren Server und stellen diese kostenfrei zur Verfügung. Hier finden sich allerdings Angebote, die ihre Materialien explizit freigeben und unter CC-Lizenz stellen. Das Internet ist voll davon, und in der Kitapraxis wird viel nach solchen kostenlosen Materialien gesucht. Es gibt allerdings kein systematisches Vorgehen und auch keine einzelne Anlaufstelle für den Kita-Bereich, bei der man z. B. thematische Sammlungen findet. Insofern ist es in diesem Bereich sehr „unordentlich“ im Sinne von unsortiert, was auch positive Seiten hat. Denn wenn man Suchwege kennt, z. B. über Pinterest, findet man sich gut zurecht und hat die Auswahl. Aber man muss sich die Wege und Orte selbst erschließen.
OERinfo: Welches Vorgehen, um nach freien Materialien zu suchen, würdest du Praktiker*innen aus der Kita empfehlen?
Kristin Narr: Instagram und Pinterest dienen als Inspiration. Social Media, bei denen es um Vernetzung geht, tragen über bestimmte Hashtags dazu bei, dass Leute voneinander wissen und sich gegenseitig Materialien zeigen können. Das ist sehr spannend, auch medienpädagogisch gesehen.
Auch der Deutsche Bildungsserver wird auf der Suche nach Materialien genutzt. Das könnte man mit weiteren Unterstützungsangeboten noch ausbauen. Der Deutsche Bildungsserver ist ja eine zuverlässige und - da bildungsübergreifend - auch eine ideale Anlaufstelle. Denn bei einer Google-Suche nach Materialien bleibt die Frage der Qualität offen. So lange hier Unsicherheit herrscht, wird es auch keine Steigerung hinsichtlich frei lizenzierter Materialien geben.
OERinfo: Wie könnte so eine Unterstützung für den Elementarbereich zu OER aussehen?
Kristin Narr: Wichtig ist, genau hinzusehen, was wirklich benötigt wird. Wir haben festgestellt, dass wir kein neues Material erstellen müssen, wie zuerst in unseren Workshops geplant. Es ist wahnsinnig viel da. Es geht eher darum, wie wir es sammeln, sortieren und das dann gut darstellen. Eine Möglichkeit wäre der Social-Bookmarking-Dienst edutags, der durch seine einfache Technik eine gute Sammelstelle sein kann. Dort können Pädagog*innen sich gegenseitig ihre Materialien zeigen, ohne etwa privat Cloud-Dienste in Anspruch zu nehmen. Das sind erste kleine Schritte, die aber in eine gute Zukunft führen können. Sie können Austausch ermöglichen, Interesse wecken und vor allem zeigen, dass der Bereich offen für alle ist. Denn was den Elementarbereich angeht, gibt es ein ganz anderes Mindset, eine große Bereitschaft, Dinge zu teilen. Das ist anders als etwa im Hochschulbereich, wo es eher um Reputation geht und darum, Dinge für sich zu reklamieren. Dafür gibt es im Elementarbereich andere Hürden wie Zugang zur Technik, zu der es im Berufsalltag noch wenige Berührungspunkte gibt. Aber eben eine wichtige Voraussetzung für freie Materialien ist gegeben: die positive Haltung, anderen etwas zur Verfügung zu stellen, was in der Praxis gebraucht wird.
OERinfo: Wie werden denn diese im Internet gefundenen Materialien im Kita-Alltag eingesetzt?
Kristin Narr: In der Praxis sind Erzieher*innen auf der Suche nach Materialien, die sie ad hoc einsetzen können. Das kann anlassbezogen sein, wie z. B. die Jahreszeiten, oder zu wiederkehrenden Themen wie Obst. Entweder lassen sich die Praktiker*innen inspirieren, indem sie sich Material anschauen, oder sie setzen die gefundenen Materialien direkt ein. Mein Eindruck ist auch, dass, sehr ähnlich wie in der Schule, viel geremixed wird, also verschiedene Materialien passend für das geplante Lernsetting miteinander kombiniert werden.
OERinfo: Wie können denn Pädagog*innen aus dem Elementarbereich, die selbst Materialien erstellen, diese anderen zur Verfügung stellen?
Kristin Narr: Wir haben im Rahmen von „kindOERgarten“ eigenes Material erstellt und auf einer Website veröffentlicht. Es gab die Überlegung, ob wir auch anderen diese Upload-Möglichkeit zur Verfügung stellen sollen. Aber das ist letztendlich eine Ressourcenfrage, denn das Material muss gepflegt und geprüft werden. Für den Elementarbereich gibt es deshalb noch kein übergreifendes Angebot, sondern eher nur einzelne Blogs. Das ist natürlich ein Weg, der jedem offen steht. Aber um einen Blog zu betreiben, müssen ja generell einige Hürden genommen werden. Dann kommt noch hinzu, dass das Material oder der gesamte Blog wiederauffindbar und eindeutig frei lizenziert sein sollten. Das ist auch noch einmal hürdenvoll.
OERinfo: Freie Lizenzen wie die CC-Lizenzen garantieren, dass Materialien genutzt und kopiert werden dürfen. Allerdings sind sie nicht ganz so intuitiv zu verstehen. Was würdest du raten, wenn man sich unsicher in Bezug auf die Lizenzen ist und deshalb die Verwendung von offenen Materialien scheut?
Kristin Narr: Über die eigene Nutzung und den Bezug zur Alltagspraxis findet man leichter einen Zugang zum Lizenzthema. Wenn man ein Bild z. B. für das Herbstfest braucht, muss man sich zwangsläufig mit dem Urheberrecht auseinandersetzen. Es ist ja bekannt, dass man nicht so ohne weiteres Bilder, die im Internet herumschwirren, nutzen kann. Ich würde Pädagog*innen raten, sich eine freie Plattform für Bilder herauszusuchen, mit der sie gut arbeiten können, und sich dann mit den Nutzungsbedingungen auseinander zu setzen. So können sie in der Praxis erfahren, welche Angaben z. B. nötig sind, wenn ein Bild weitergeben wird. Damit erhält man ein grundlegendes Verständnis dafür, dass man auch eine Verpflichtung bei der Nutzung von freien Materialien hat und es ein beidseitiges Geben ist: Die Urheber*innen geben das Bild und die Nutzer*innen machen dafür die korrekte Lizenzangabe, z. B. CC-BY mit Namensnennung der Urheber*innen. Hilfestellungen zur Lizenzierung hält z. B. OERinfo unter wwww.o-e-r.de bereit.
OERinfo: Welche Möglichkeiten gibt es für OER-Interessierte aus dem Elementarbereich, sich zu vernetzen und auszutauschen?
Kristin Narr: Es gibt viele lokale Anlaufstellen. Insbesondere Bildungsträger kennen die lokalen Vernetzungsstrukturen, die sich z. B. auf einen Bereich wie Sprachförderung spezialisiert haben. Ich würde als erstes so ein lokales Netzwerk zu einem bestimmten Thema finden und dann anregen, gemeinsam z. B. eine Sammlung von freien Materialien zu diesem Thema zu erstellen. Kleine Netzwerke, in denen sich die Leute um einen Tisch setzen können, sind verbindlicher, auch weil sie näher an der pädagogischen Arbeit sind, als es jetzt deutschlandweite Netzwerke wären. Diese lokalen Gruppen könnten auch zusammen Materialien erstellen, wie Liederhefte oder Malvorlagen. Je konkreter die Arbeit in der Gruppe ist, desto erfolgversprechender wird sie.
OERinfo: Zum Abschluss: Was ist momentan deine Lieblings-OER für den Elementarbereich? Hast du einen besonderen Tipp?
Kristin Narr: Im Bereich der Musik gibt es viel für Kinder und dadurch natürlich auch für die Kita wie „Kinder wollen singen“ oder „Musik klarmachen zum Ändern“. Das sind kleine Angebote, quasi von Hand gemacht, ganz typisch für den Elementarbereich. Dort wird auf den Bedarf eingegangen und einander das Benötigte gegeben. Bei „BabyDuda“ gibt es auch überwiegend Materialien, wie Arbeitsblätter und Malvorlagen, die unter CC-BY gestellt wurden. Diese Website mag ich auch sehr gerne.
OERinfo: Vielen Dank für das anregende Gespräch!
Kristin Narr, freie Medienpädagogin in Leipzig, konzipiert zeitgemäße Bildungsangebote und führt seit vielen Jahren Projekte mit medienpädagogischem Fokus für Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch. Sie hat sich viel mit Open Educational Resources (OER) in Form von eigenen Workshops, Vorträgen, Publikationen beschäftigt. Vor allem erstellt sie selbst viel OER, für den Elementarbereich auf der Website www.kindoergarten.de, und setzt sich dafür ein, dass mehr Menschen OER machen und verbreiten.
Autor(in): Sigrid Fahrer
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Datum: 22.09.2020
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Links zum Thema
- OERinfo
- „BMBF-Förderlinie OERinfo: Informationsstelle OER“ in der Projektedatenbank des Innovationsportals
- OER und Kita bei OERinfo
- Kita-Materialien zu finden bei: edutags - Social Bookmarking für den Bildungsbereich
- Website „KindOERgarten - Freies Material für das Kindergartenalter“
- Website „BabyDuda“
- „Kinder wollen singen“
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