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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 10.09.2020:

„Wir möchten dazu ermutigen, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.“

Die Bildungsstätte Anne Frank bietet einen Austausch über Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung
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Bildrechte: Bildungsstätte Anne Frank

Die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main ermutigt Jugendliche und junge Erwachsene dazu, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen, und unterstützt einen qualifizierten Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus. Im interaktiven Lernlabor lernen die jungen Menschen, Fragen aus der Geschichte auf die Gegenwart anzuwenden.


Anne Frank kam als Anneliese Marie Frank am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main zur Welt. Sie zog 1934 mit ihren Eltern und ihrer Schwester in die Niederlande, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, und tauchte ab Juli 1942 mit ihrer Familie in einem versteckten Hinterhaus in Amsterdam unter. Anfang 1945 kam sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben. Ihre Erlebnisse und Gedanken aus der Zeit im Versteck hielt sie in einem Tagebuch fest. Diese Aufzeichnungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von ihrem Vater Otto Frank als „Tagebuch der Anne Frank“ veröffentlicht. Das Tagebuch ist eins der meist gelesenen Bücher weltweit. Es gilt bis heute als ein historisches Dokument aus der Zeit des Holocaust.

Otto Frank, der als einziger der Familie den Holocaust überlebte, trat schon bald nach dem Krieg für die Gründung einer Begegnungsstätte in Annes Namen ein. Der Frankfurter Jugendring unterstütze diese Idee, doch erst durch die Ausstellung „Anne aus Frankfurt. Leben und Lebenswelt Anne Franks“ des Historischen Museums 1991 und das Projekt „Spurensuche Anne Frank“ im Jahr 1993/1994 nahm die Umsetzung Gestalt an. Im Juli 1994 wurde der Verein Jugendbegegnungsstätte Anne Frank in Frankfurt mit dem Ziel gegründet, in ihrer Geburtsstadt einen Ort der Erinnerung, der Auseinandersetzung und der Begegnung zu schaffen. Die Jugendbegegnungsstätte wurde am 15. Juni 1997 feierlich eröffnet und die Ausstellung „Anne aus Frankfurt. Leben und Lebenswelt Anne Franks“ fest integriert. 2013 nannte man die Jugendbegegnungsstätte in Bildungsstätte Anne Frank um, um neben Jugendlichen auch weitere Zielgruppen anzusprechen.

Die Bildungsstätte Anne Frank
Die Bildungsstätte entwickelt als landesweites Zentrum innovative pädagogische Konzepte und Methoden, um Jugendliche und Erwachsene für die aktive Teilhabe an einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken und zu empowern. „Wir möchten dazu ermutigen, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen, und Erwachsene und Jugendliche dabei unterstützen, einen qualifizierten Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden, der einem solidarischen Miteinander verpflichtet ist“, heißt es in der Zielsetzung der Bildungsstätte. Hierzu gehört sowohl die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Zeitgeschichte als auch die Reflexion über Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus in der Gegenwart.

Grundsätzlich orientiert sich die Bildungsstätte dabei an der humanistischen Botschaft Otto Franks und an der Symbolkraft des Tagebuchs der Anne Frank. Die Tagebuchaufzeichnungen ermöglichen es vor allem Jugendlichen zu verstehen, wohin eine Ideologie der Ungleichwertigkeit führen konnte. Die Bildungsstätte will die jungen Menschen dabei begleiten, diese Erfahrung in ihre heutige, alltägliche Lebenswelt zu übertragen, und sie für Diskriminierungen, menschenverachtende Ideologien und Instrumentalisierungen sowie für die zentrale Bedeutung von solidarischem Handeln in ihrem Umfeld sensibilisieren.

Das Lernlabor „Anne Frank. Morgen mehr“

Das Herzstück der Bildungsstätte ist das am 12. Juni 2018, dem Geburtstag von Anne Frank, neu eröffnete Lernlabor „Anne Frank. Morgen mehr“, das die Ausstellung „Anne aus Frankfurt. Leben und Lebenswelt Anne Franks“ und die 2003 eingerichtete multimediale Dauerausstellung „Anne Frank. Ein Mädchen aus Deutschland“, die die Bildungsstätte gemeinsam mit dem Anne Frank Huis in Amsterdam und dem Anne Frank Zentrum in Berlin entwickelt und produziert hat, ablöst. Das Lernlabor, in dem Jugendliche selbst Entscheidungen treffen, will nicht nur Trauer über das Geschehene vermitteln, sondern vor allem die Überzeugung Anne Franks: „Ihr könnt etwas ändern,“ betont Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte. Mit dem neuen Lernlabor soll ein Ort der lebendigen Diskussion und Debatte entstehen. „Wir sind kein Museum, sondern eine Bildungsstätte, und das hier ist auch keine Ausstellung, sondern ein Lernlabor“, machte Mendel anlässlich der Eröffnung deutlich. Das Lernlabor müsse man vielmehr als Spielwiese und als Experimentierfeld sehen. „Wir haben einen völlig neuen Lernort geschaffen, der auf der Höhe der Zeit ist - inhaltlich, optisch und technisch.” In Zeiten, in denen antisemitische Töne wieder lauter werden, und rassistische, sexistische, homophobe und andere menschenfeindliche Haltungen und Äußerungen zum Alltag auch im Leben vieler Jugendlicher gehören, ist das Lernlabor laut Mendel ein wichtiger pädagogischer Beitrag, um die nachwachsende Generation für die Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft zu stärken.

Über digitale Tools werden Übungen zur Selbstreflexion zu einem Lernerlebnis. Die Besucher*innen erhalten Tablets, die sie an einzelnen Stationen zum Dialog aktivieren, und werden dabei von jungen Trainer*innen begleitet. Zum Beispiel können die Jugendlichen Anne Frank sozusagen per Knopfdruck im Hinterhaus besuchen, in dem sich die Familie Frank bis zu ihrer Entdeckung und Verhaftung zusammen mit weiteren jüdischen Bewohner*innen versteckte, und alle Räume abgehen: Annes Zimmer, wo ein Teddybär auf dem Bett sitzt, oder den Gemeinschaftsraum, den die Familie Frank mit anderen Versteckten teilen musste.

Mit dem interaktiven Lernlabor zu Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung in Vergangenheit und Gegenwart macht die Bildungsstätte Jugendliche aber nicht nur mit dem Leben und Werk Anne Franks vertraut - hier lernen die jungen Menschen auch, Fragen aus der Geschichte auf die Gegenwart anzuwenden. Sie erfahren viel über Zivilcourage, über Widerstand und wie man anderen hilft. An verschiedenen Stationen werden spielerisch die Themen Migration, Flucht, Asyl und die Lebensrealitäten junger Menschen aufgegriffen. Es wird u.a. die Frage aufgeworfen, was Normalität eigentlich ist. Gerechtigkeit, Menschenrechte, Ausgrenzung und Diskriminierung sollen selbst erfahren aber auch hinterfragt werden. „Sie werden mit dem Leben und Werk Anne Franks vertraut gemacht und zugleich motiviert, in einen Austausch über aktuelle Formen von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung zu kommen”, sagt Deborah Krieg, stellvertretende Direktorin und Kuratorin der Ausstellung. „Es gibt deshalb in dem Sinne keine Exponate, vielmehr treffen die Besucher*innen auf Interaktionen.” Zum Beispiel macht an der Station „Racist Glasses“ eine einfache Brille deutlich, wie sexistische, antiziganistische, rassistische oder antisemitische Stereotype aussehen. An der Station „Hate Speech“ werden die Besucher*innen aufgefordert, Hassrede im Netz zu erkennen und zu intervenieren.
Die im Labor gemachten Erlebnisse und getroffenen Entscheidungen werden digital gesammelt und am Ende gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der Bildungsstätte diskutiert.

Weitere Angebote der Bildungsstätte
Auch in verschiedenen Workshops zu den Themen Antisemitismus, rechte Ideologien, Hate Speech, Diskriminierung oder Rassismus werden Schüler*innen und junge Erwachsene dazu ermutigt, eigene Standpunkte einzunehmen und Handlungsspielräume in ihrem Umfeld zu nutzen. „Wir entwickeln Angebote für die politische Bildung in der Migrationsgesellschaft, die sich direkt an der konkreten Lebensrealität von Jugendlichen heute orientieren“, so die Verantwortlichen. Außerdem bietet die Bildungsstätte Beratungen für unterschiedliche Zielgruppen an und unterstützt Lehrkräfte mit Fortbildungen bei der Entwicklung von Handlungsstrategien gegen Antisemitismus im pädagogischen Raum. Sie sensibilisiert sie dafür, unterschiedliche Formen von Rassismus zu erkennen und die Perspektiven von Betroffenen ernst zu nehmen, hilft rechte Ideologien bei Schüler*innen frühzeitig wahrzunehmen und entsprechend zu intervenieren und stellt Ansätze vor, wie Pädagog*innen in der Arbeit mit Jugendlichen auf Diskriminierungen kompetent reagieren können.

Geförderte Projekte
Auch längerfristige Projekte mit mehrjähriger Laufzeit und unterschiedlichen Themenschwerpunkten setzt die Bildungsstätte Anne Frank um, bei denen zum Teil mit Partnern in Deutschland, Europa und in Israel/Palästina zusammengearbeitet wird.
An jedem ersten Donnerstag im Monat beispielsweise wird bei Drinks mit spannenden Gästen über aktuelle, strittige Themen in der „StreitBar“ diskutiert. Bei dem Projekt „Telling (Hi)Story“ bringt die Bildungsstätte von antisemitischen, rassistischen und diskriminierenden Übergriffen Betroffene zusammen, damit sie sich gegenseitig zuhören, stärken und den eigenen Erfahrungen und Geschichten Öffentlichkeit geben können. Gemeinsam mit der Stadt Frankfurt schreibt sie seit 2017 jährlich den Frankfurter Schulpreis aus, mit dem Projekte unterstützt werden, die demokratisches Handeln, Vielfalt und Toleranz fördern. Die Preisverleihung findet jedes Jahr am 12. Juni statt, dem Geburtstag von Anne Frank und dem Anne-Frank-Tag der Stadt Frankfurt. Der Wettbewerb stand 2020 unter dem Motto „Was ist gerecht?“.

Aufgrund der hohen Qualität ihrer Arbeit ist der Bildungsstätte Anne Frank im Jahr 2013 das Wirkt-Siegel des unabhängigen Phineo-Instituts verliehen worden, 2016 wurde sie für ihre „vorzügliche historisch-politische Bildungsarbeit“ mit dem Walter-Dirks-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 10.09.2020
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