„Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulleitung war entscheidend für den Erfolg!“
18.12.2025: Im Jahr 2015 haben die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und die Stiftung Mercator das Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ gestartet. In den fünf Bundesländern Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein wurden bis 2019 an rund 300 Ganztagsschulen Konzepte für das individualisierte Lernen im Ganztag und die Rahmenbedingungen, unter denen insbesondere bildungsbenachteiligte Kinder gut lernen können, erarbeitet und erprobt. Ziel der zweiten Programmphase von 2020 bis 2024 war es, wirksame Steuerungsansätze für die Qualitätsentwicklung langfristig im Regelsystem der beteiligten Bundesländer zu verankern und zu verbreiten. Wir sprachen mit Anna Margarete Davis, Expertin für Schule und Ganztag bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, über die Erfolgsbedingungen und Ergebnisse des Programms.
Online-Redaktion: Frau Davis, das Projekt „LiGa – Lernen im Ganztag“ ist viele Jahre erfolgreich gelaufen. Welche Bedingungen waren dafür entscheidend?
Davis: Der nachhaltige Erfolg des Programms „LiGa – Lernen im Ganztag“ beruhte auf mehreren ineinandergreifenden Gelingensbedingungen. Zentral war die systematische und dialogische, an den Voraussetzungen der Beteiligten angelegte Zusammenarbeit zwischen Schulaufsicht und Schulleitung. Durch Qualifizierungsangebote und regelmäßige Netzwerktreffen wurde ein professionelles Rollenverständnis der Schulaufsicht als beratende Instanz in der Schulentwicklung erprobt und gestärkt.
Darüber hinaus war die sehr gute Kooperation mit der Stiftung Mercator als Förderpartnerin von großer Bedeutung. Ihre Flexibilität, ihr Vertrauen in die Programmlogik sowie ihre Bereitschaft, auf Entwicklungen im Programmverlauf konstruktiv zu reagieren, ermöglichten eine agile und bedarfsgerechte Weiterentwicklung. Auch die enge und verlässliche Zusammenarbeit mit den beteiligten Bundesländern war ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Länder haben das Programm nicht nur administrativ unterstützt, sondern aktiv mitgestaltet und in ihre jeweiligen Steuerungs- und Unterstützungssysteme integriert.
Nicht zuletzt war das hohe Engagement der beteiligten Akteur*innen auf allen Ebenen – insbesondere der Schulleitungen, Schulaufsichten sowie der pädagogischen Fach- und Lehrkräfte – entscheidend. Sie haben mit Innovationsfreude, Reflexionsbereitschaft und Ausdauer an der Weiterentwicklung ihrer Schulen gearbeitet und das Programm mit Leben gefüllt.
Insgesamt war es also eine Kombination aus strukturiertem Rahmen, evidenzbasierter Programmentwicklung, kollegialem Austausch und praxisnaher Begleitung, die wesentlich zur Wirksamkeit und Übertragbarkeit der im Programm entwickelten Ansätze beigetragen hat.
Online-Redaktion: Welche Hürden gab es in Ihrem Projekt zu bewältigen?
Davis: Zu Beginn gab es die Notwendigkeit, eine Öffnung für das Thema „Rolle der Schulaufsicht mit Blick auf Ganztag“ zu erlangen, um dann Formate und Arbeitsweisen auszuloten. Dies vor dem Hintergrund, dass die Zielgruppe sich zentralen Herausforderungen gegenübersieht, die strukturelle Rahmenbedingungen betreffen: Zeitmangel, begrenzte personelle Ressourcen und ein hoher Alltagsdruck erschwerten vielerorts die kontinuierliche Arbeit an Entwicklungszielen. Hinzu kam dann noch die Corona-Pandemie, die nicht nur den Schulalltag massiv beeinträchtigte, sondern auch die Umsetzung schulischer Entwicklungsprozesse erheblich verlangsamte. Viele Schulen mussten ihre Prioritäten kurzfristig neu ausrichten, was zu einer temporären Unterbrechung oder Umsteuerung geplanter Maßnahmen führte. Auch die Möglichkeiten für kollegialen Austausch, Netzwerktreffen und begleitende Qualifizierungsformate waren pandemiebedingt eingeschränkt oder mussten in digitale Formate überführt werden – was nicht in allen Kontexten gleich gut funktionierte. Schulaufsicht und Schulleitung als zentrale Akteurinnen waren hier besonders gefordert.
Darüber hinaus stellte die Etablierung eines neuen Rollenverständnisses der Schulaufsicht als beratende Instanz eine kulturelle Herausforderung dar. Der notwendige Perspektivwechsel erforderte Zeit, gezielte Unterstützung und eine kontinuierliche Reflexion bestehender Routinen. Auch die Qualität und Intensität der Zusammenarbeit zwischen Schulaufsicht und Schulleitung war regional unterschiedlich ausgeprägt, was die Wirksamkeit der angestrebten Steuerungsansätze mitunter begrenzte.
Online-Redaktion: Zu welchen innovativen Entwicklungen hat das Projekt beigetragen?
Davis: LiGa hat in mehrfacher Hinsicht Impulse für die Weiterentwicklung schulischer Steuerung und Qualitätsentwicklung gesetzt. Besonders hervorzuheben ist die Professionalisierung der Schulaufsicht durch systematische Qualifizierungsangebote, etwa zur systemischen Beratung, sowie durch die Entwicklung eines reflektierten Rollenverständnisses als beratende Instanz.
Innovative Instrumente wie die Toolbox SELiG (Schüler*in – Eltern – Lehrer*in im Gespräch) oder das Workbook Agile Schulentwicklung unterstützen Schulen und Schulaufsichten bei der Umsetzung individualisierter Lernformen und datenbasierter Schulentwicklung. Die Plattform www.schulaufsicht.de fungiert darüber hinaus als zentrale Wissensressource für Fachkräfte der Schulaufsicht und trägt zur bundesweiten Verbreitung guter Praxis bei.
Nicht zuletzt hat das Programm durch länderübergreifende Lernreisen, Transferworkshops und Dialogformate neue Formen der Kooperation zwischen Bildungsadministration, Wissenschaft und Praxis etabliert – und damit zur Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses wirksamer Steuerung beigetragen. Die Studie zur „Beratenden Schulaufsicht“ (BeSa-Studie) hat zudem eine systematische, landesweite Übersicht generiert, wie die Rolle mit Blick auf Beratung ausgestaltet ist und wo Lücken sind. Dies diente mit als Grundlage zur Diskussion einer Neuausrichtung der Schulaufsicht bundesweit.
Online-Redaktion: Was würden Sie anders machen, wenn Sie Ihr Projekt heute starten würden?
Davis: Aus heutiger Perspektive erscheint es sinnvoll, bereits zu Projektbeginn noch stärker auf eine verbindliche Einbindung aller relevanten Akteur*innen zu setzen – insbesondere auf kommunaler Ebene, wo Schulträger und Jugendhilfe eine zentrale Rolle für die Gestaltung ganztägiger Bildungsangebote spielen. Zudem hätte eine thematisch fokussiertere Zusammensetzung der schulischen Netzwerke die kollegiale Beratung und den Transfer zwischen Schulen weiter stärken können.
Ein noch stärkerer Fokus auf den systematischen Wissenstransfer zwischen den beteiligten Bundesländern hätte die Weiterentwicklung in den jeweiligen Landeskontexten zusätzlich befördert. Der Vergleich unterschiedlicher Steuerungsansätze und die gemeinsame Reflexion über Gelingensbedingungen hätten wertvolle Impulse für die landesspezifische Umsetzung liefern können. Hier setzen wir jetzt mit dem Vorhaben „InnovationsRaum Schulaufsicht“ an.
Anna Margarete Davis verantwortet den Bereich Schulentwicklung der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung mit den Schwerpunkten Steuerungshandeln und Ganztag. In der Stiftung ist sie seit 2003 in unterschiedlichen Aufgabenbereichen tätig; so baute sie die bundesweite Struktur der Serviceagenturen im Bundesprogramm „Ganztägig lernen“ mit auf und ab 2009 den regionalen Standort Berlin. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf dem Steuerungshandeln der Schulaufsicht und Schulleitung sowie der Kooperation multiprofessioneller Teams und der qualitativen Ausgestaltung von (Ganztags-)Schule; immer mit dem Blick auf Bildungsgerechtigkeit. Anna Margarete Davis studierte Rechtswissenschaften in Marburg, Trier und Norwich.
Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 18.12.2025
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