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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 30.10.2025:

„1000 Schätze stärkt die psychosoziale Gesundheit von Kindern.“

Ein Lebenskompetenzförderungsprogramm für die 1. und 2. Klasse
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Maria Usbeck

„1000 Schätze“ ist ein Programm zur Stärkung der psychosozialen Gesundheit von Schüler*innen der ersten und zweiten Klasse. Es stellt die Ressourcen und Stärken der Kinder in den Fokus und fördert neben Lebenskompetenzen auch Bewegung und Achtsamkeit. Wir sprachen mit der Projektleiterin Maria Usbeck von der Fachstelle für Suchtprävention Berlin über die Bedeutung von Präventionsprogrammen an Grundschulen, über die Bausteine des 1000 Schätze-Programms für Schüler*innen, Eltern, schulische Fachkräfte und die Schule als Ganzes sowie die Schulungen für die schulischen Fachkräfte.


Online-Redaktion: Was ist das Programm „1000 Schätze - Gesundheit und Suchtprävention“?

Usbeck: „1000 Schätze“ ist ein wissenschaftlich fundiertes und ganzheitlich konzipiertes Lebenskompetenzförderungsprogramm für die 1. und 2. Klasse. Es ist nach dem Mehrebenenansatz gestaltet und bietet Module für Schüler*innen, Eltern bzw. Erziehende, schulische Fachkräfte wie Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen und Erzieher*innen sowie die Schule als System. Die Programmbausteine basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zum gesunden Aufwachsen in der Grundschule. Zentrale Elemente sind die enge Zusammenarbeit zwischen den schulischen Fachkräften und Eltern sowie die frühzeitige Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen von Kindern, was sich nachweislich positiv auf ihre psychische Gesundheit auswirkt. Bewegungs- und Achtsamkeitsangebote im Klassenverband stärken zudem das körperliche und seelische Wohlbefinden. Durch das Einüben gesundheitsfördernder Routinen im jungen Alter werden Kinder nachhaltig in ihrer Entwicklung unterstützt und gestärkt. 

Online-Redaktion: Von wem stammt die Idee zum Programm?

Usbeck: Das Programm wurde 2016/2017 von Dr. Heidi Kuttler in enger Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen (NLS) entwickelt und erprobt. Gefördert und begleitet wird es von der KKH - der Kaufmännischen Krankenkasse. 2017/2018 wurde es pilotiert, evaluiert und weiterentwickelt. Es ist auf der ersten Stufe der Grünen Liste Prävention gelistet - das ist ein wissenschaftlich nachgewiesenes Qualitätssiegel für wirksame Präventionsprogramme.

Online-Redaktion: Warum sind Präventionsprogramme an Grundschulen so wichtig?

Usbeck: Grundschulen eignen sich, um frühzeitig mit der Förderung von Lebenskompetenzen zu starten. Gerade der Übergang von der Kita in die Schule stellt für viele Kinder eine herausfordernde Phase dar. In dieser sensiblen Zeit unterstützt die gezielte Stärkung emotionaler und sozialer Fähigkeiten dabei, ein positives Miteinander, ein Gefühl der Zugehörigkeit und eine förderliche Lernatmosphäre zu schaffen. Ein zentraler Bestandteil des Programms ist die Förderung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen den Schüler*innen und der umsetzenden Fachkraft vor Ort. Erkenntnisse aus der Resilienzforschung zeigen, dass eine verlässliche Bezugsperson außerhalb der Kernfamilie einen bedeutenden Schutzfaktor für Kinder darstellt. Besonders für Kinder mit erschwerten Startbedingungen. Die Vertrauensperson gibt den Kindern Sicherheit und Halt und trägt dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus im Sinne einer erfolgreichen Erziehungspartnerschaft zu stärken.

Online-Redaktion: Wie sind die Programmbausteine für die Schüler*innen inhaltlich aufgebaut?

Usbeck: Das Programm für Schüler*innen umfasst zehn Klassenmodule, die in Basis- und Bonusmodule gegliedert sind. Sie können flexibel über ein oder zwei Schuljahre verteilt oder wiederholt werden. Jedes Modul folgt festen Ritualen und enthält ein Lied, abwechslungsreiche Methoden zu den unterschiedlichen Themen sowie unterstützende Materialien. Die „1000 Schätze-Stunde“ soll den Kindern Halt geben und Freude bereiten - durch vertraute Abläufe entsteht Sicherheit. Im ersten Modul steht Achtsamkeit im Mittelpunkt: Die Kinder nehmen eine stolze Haltung ein, wie eine Kaiserin oder ein Kaiser, und entwickeln ein positives Körpergefühl. Ein Lied, das zum Mitmachen anregt, leitet eine Gehmeditation ein, die Bewegungs- und Ruhephasen enthält und mit einem Klangstab abgeschlossen wird. Daraus entsteht ein Ritual, das jederzeit zur Entspannung im Unterrichtsalltag genutzt werden kann. Zudem lernen die Kinder einen Spruch, der die Lebensweise des Faultiers Paul vermittelt und verdeutlicht, wie wohltuend es ist, Dinge langsam und bedacht zu tun.

Am Ende jedes Moduls gestalten die Kinder eine Seite in ihrem Heft, passend zum Thema. Sie malen ein positives Bild von sich selbst - etwa als stolze Kaiserin oder Kaiser -, das ihr Selbstwertgefühl stärkt, und reflektieren ihre Erfahrungen anhand eines Feedbacks auf dem 1000 Schätze-Klassenposter.

Online-Redaktion: In welchen Unterrichtsstunden wird das Programm durchgeführt?

Usbeck: Die Umsetzung kann flexibel in verschiedenen Unterrichtsfächern wie Sport, Musik oder auch Natur- bzw. Sachkunde erfolgen - je nachdem, wie es sich sinnvoll in den Schulalltag integrieren lässt. Die Förderung emotional-sozialer Kompetenzen ist fest im Curriculum von Grundschulen verankert. Damit Lehrkräfte sowie weitere pädagogische Fachkräfte nicht eigenständig Konzepte entwickeln müssen, bietet das 1000 Schätze-Programm ein wissenschaftlich fundiertes und evaluiertes Konzept, das nachweislich wirkt und praxisnah unterstützt.

Online-Redaktion: Wie werden die schulischen Fachkräfte auf den Einsatz des Programms vorbereitet?

Usbeck: Regionale 1000 Schätze-Trainer*innen - Fachkräfte aus Gesundheitsämtern, der Suchtprävention oder Suchthilfeeinrichtungen - führen das Programm an Schulen ein und begleiten dessen Umsetzung. Sie stellen Materialien bereit und qualifizieren Lehrkräfte, Erzieher*innen und Schulsozialarbeiter*innen der Klassen 1 und 2. Die Schulung umfasst drei verpflichtende Workshops und einen optionalen. In dem ersten Workshop lernen die Fachkräfte das Programm kennen. Alle Materialien, die für die Umsetzung notwendig sind, werden in einer Materialbox zur Verfügung gestellt. Der zweite Workshop widmet sich der ressourcenorientierten Elternarbeit und der Gesundheit der Fachkräfte - mit Impulsen zur Stressreduktion und Selbstfürsorge im Schulalltag.

Im dritten Workshop geht es um Kinder aus suchtbelasteten Familien. Die Fachkräfte werden dafür sensibilisiert, dass statistisch gesehen auch in ihren Klassen betroffene Kinder dabei sind oder in der Vergangenheit waren. Sie lernen, woran sie sie erkennen, wie sie sie mit altersgerechten Methoden unterstützen und wie sie den Elternkontakt gut gestalten können. Dabei reflektieren sie auch ihren Handlungsspielraum: Sie sollen nicht diagnostizieren, sondern vielmehr aufmerksam begleiten und an entsprechende Adressen weitervermitteln. Ein Drittel der Kinder aus suchtbelasteten Familien entwickelt sich trotz der Belastung gesund. Ein Schutzfaktor hierbei ist beispielsweise eine Bezugsperson, die Halt und Vertrauen spendet. 
Schulische Fachkräfte lernen auch, den Kindern zu vermitteln, dass sie nicht schuld sind, sondern dass Sucht eine Erkrankung ist, und die Verhaltensweisen ihrer Eltern aus dieser Erkrankung resultieren. Der optionale Workshop trainiert die Gesprächsführung in herausfordernden Elterngesprächen und stärkt so die Handlungssicherheit der Fachkräfte im Elternkontakt.

Online-Redaktion:
Für welche Schulen ist „1000 Schätze“ besonders geeignet?

Usbeck: Grundsätzlich können alle Schulen von dem Programm profitieren. Da neben den Klassenmodulen zur Lebenskompetenzförderung der Kinder auch das Thema Kinder aus suchtbelasteten Familien behandelt und die Elternmaterialien in neun verschiedenen Sprachen bereitgestellt werden, ist es zudem auch für Schulen in sozial schwächeren Regionen eine wertvolle Ergänzung. 
Gleichzeitig profitieren nach dem Gießkannenprinzip alle Kinder von den Inhalten und Methoden. Idealerweise entscheidet sich das gesamte Kollegium für die Teilnahme und trägt das Programm gemeinsam. So entsteht ein fruchtbarer Austausch unter den Fachkräften, der die Umsetzung stärkt. Eine engagierte Schulleitung, die zeitliche und finanzielle Ressourcen bereitstellt und ihr Team aktiv unterstützt, ist ebenfalls entscheidend für den Erfolg des Programms.

Online-Redaktion: Wo ist das Programm bereits im Einsatz?

Usbeck: Das 1000 Schätze-Programm ist bereits in zehn Bundesländern vertreten. Voraussetzung für die Umsetzung an einer Schule ist, dass vor Ort ein*e regionale*r Trainer*in zur Verfügung steht, der*die in das Programm einführt und es begleitet. So wollen wir die lokalen Präventionsketten gezielt stärken. Auf der Website des Programms findet sich eine interaktive Deutschlandkarte mit allen ausgebildeten Trainer*innen. Um das Angebot weiter auszubauen und langfristig zu verankern, werden regelmäßig neue Trainer*innen qualifiziert. Dafür gibt es zwei Finanzierungsmodelle: Wird das Programm kommunal getragen, etwa durch das Gesundheitsamt, entstehen für die Schulen keine zusätzlichen Kosten für Materialien wie die Box, das Manual oder die Elternbroschüren. Ist keine kommunale Finanzierung möglich, übernimmt die KKH einen Teil der Kosten, und die Schule zahlt eine jährliche Aufwandsentschädigung von 100 Euro pro Klasse an die Bundeskoordination.

Online-Redaktion: Wie werden die Eltern einbezogen?

Usbeck:
Die Einbindung der Eltern ist ein zentraler Bestandteil des Programms. Bereits vor dem Start erhalten sie Informationsmaterial in neun Sprachen sowie ein Erklärvideo, das auch online verfügbar ist. Zwei Elterntreffen, geleitet von dem/der regionalen Trainer*in, begleiten das Programm. Das erste Treffen widmet sich dem gesunden Aufwachsen: Welche Aufgaben können Kinder altersgerecht schon übernehmen, wie stärkt man ihr Selbstwertgefühl, und welche Rolle spielen Schlaf, Ernährung, Bewegung und Rituale im Familienalltag? Auch die Kommunikation mit der Schule soll angeregt und gestärkt werden.
Das Thema Mediennutzung in der Familie wird im zweiten Treffen reflektiert: Was sind empfohlene Bildschirmzeiten, welche Risiken gibt es im Internet und welche Vorbildrolle nehmen die Eltern ein? Regeln und Konsequenzen werden als wichtige Elemente für Sicherheit und Orientierung angesprochen. Die Elterntreffen sind jeweils so aufgebaut, dass es zu Beginn einen Input und schließlich Raum für Austausch unter den Eltern gibt. Es geht dann darum, Stärken zu erkennen und gemeinsam über Herausforderungen zu sprechen, ohne zu bewerten. Der Austausch der Eltern untereinander bietet Raum für gegenseitige Unterstützung und praktische Tipps. Zum Abschluss des ersten Treffens malen auch die Eltern ein Bild für ihre Kinder in das Heft der Schüler*innen. Darüber freuen sich die Kinder sehr.

Online-Redaktion:
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit dem Programm gemacht?

Usbeck: Der schulische Alltag ist oft herausfordernd, und viele Fachkräfte fragen sich, wie sie das Programm neben ihren Aufgaben umsetzen können, denn die Einführung erfordert zunächst etwas Zeit und Engagement. Doch „1000 Schätze“ bietet ein fundiertes Konzept zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen, die ohnehin Teil des Curriculums sind. Besonders für die Schulanfangsphase und den Elternkontakt wird das Programm von den Schulen, die es nutzen, als sehr hilfreich erlebt. Es lässt sich gut mit anderen Lebenskompetenzprogrammen der weiterführenden Klassen kombinieren und wird von vielen Schulen langfristig geführt. Zur Verstetigung kann ein*e schulinterne*r Moderator*in ausgebildet werden, der*die nach einer Online-Schulung die ersten beiden Workshops eigenständig übernimmt. So werden Schulen unabhängiger von externen Fachstellen, und diese gewinnen dadurch neue Kapazitäten für weitere Einrichtungen. Je mehr Bausteine von dem Programm umgesetzt werden, desto wirksamer ist es, aber auch die Durchführung einzelner Bausteine bietet schon einen Gewinn für die Kinder und die Schulen.

Online-Redaktion: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Usbeck: Ich wünsche mir sehr, dass sich das 1000 Schätze-Programm weiterverbreitet, sich mehr Regionen sowie Fachstellen dafür entscheiden, das Programm anzubieten und entsprechend mehr Schulen von den Programminhalten profitieren können. Wer Interesse hat, kann auf der Website nachsehen, ob es bereits eine*n Trainer*in in der eigenen Region gibt - oder sich direkt bei mir melden. Falls das Programm vor Ort noch nicht vertreten ist, können wir gemeinsam überlegen, ob sich ein Träger, ein regionales Hilfesystem oder eine Einrichtung des Gesundheitsamts als Partner eignet und eine*n Trainer*in ausbilden lässt. Gerne unterstütze ich dabei und vermittle den Kontakt zu den passenden Ansprechpersonen. So können wir langfristig gemeinsam ein Netzwerk schaffen, das Kinder nachhaltig stärkt und ihre Entwicklung fördert.


Maria Usbeck ist seit 2022 Referentin für Suchtprävention bei der Fachstelle für Suchtprävention in Berlin und verantwortet derzeit die bundesweite Koordination des Präventionsprogramms 1000 Schätze. Zu ihrem Tätigkeitsportfolio gehört u.a. auch die Durchführung von Fachkräfteschulungen zu Themen wie „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ sowie zur Motivierenden Gesprächsführung. Sie hat an der Berlin School of Public Health den Masterstudiengang Public Health absolviert und sammelte bereits während ihres Studiums praktische Erfahrungen in verschiedenen Einrichtungen der Suchthilfe und -prävention.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 30.10.2025
© Innovationsportal

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