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Erschienen am 04.09.2025:
Bildungsungleichheit besteht schon im Kleinkindalter
Neuer Bericht des Nationalen Bildungspanels erschienen

Der Transferbericht „NEPS Forschung kompakt: Wie frühe Eltern-Kind-Interaktionen die Entwicklung von Kindern beeinflussen“ zeigt, dass ungleiche soziale und ökonomische Startbedingungen im Elternhaus bei der Entwicklung von sprachlichen und sozial-emotionalen Kompetenzen von Kindern in ihren ersten Lebensjahren eine bedeutende Rolle spielen. Die Analysen des Berichts können dazu beitragen, früh entstehenden Bildungsungleichheiten durch gezielte Unterstützungsmaßnahmen entgegenzuwirken.
Nicht alle Kinder entwickeln sich gleich. Während manche Kinder schon früh gut sprechen können, fällt dies anderen schwer. Bereits im Alter von zwei Jahren weichen Wortschatz und Grammatikkompetenz bei Kindern stark voneinander ab. Das zeigt die Ende Juli 2025 veröffentlichte Langzeiterhebung „Transferbericht NEPS Forschung kompakt“ des Nationalen Bildungspanels (NEPS, englisch für: National Educational Panel Study). Das NEPS ist am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) in Bamberg angesiedelt und steht unter der Gesamtleitung von Prof. Dr. Cordula Artelt. Es vereint die Expertise von über 200 Wissenschaftler*innen an mehr als 13 Standorten deutschlandweit.
Das NEPS
Das Nationale Bildungspanel ist die größte Langzeit-Bildungsstudie in Deutschland. Sie wurde im Jahr 2009 ins Leben gerufen und zunächst vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Projekt gefördert und wird seit 2014 am LIfBi fortgeführt. Ziel ist, mit den Längsschnitt-Daten die zentralen Bildungsprozesse und -verläufe über die gesamte Lebensspanne zu beschreiben und dadurch mehr über den Bildungserwerb und seine Folgen für individuelle Lebensverläufe zu erfahren. Indem Kompetenzen vom Kleinkind- bis weit ins Erwachsenenalter kontinuierlich gemessen werden, kann u. a. analysiert werden, welche Kompetenzen maßgeblich für das Erreichen von Bildungsabschlüssen, für lebenslanges Lernen und ein erfolgreiches individuelles und gesellschaftliches Leben sind. In sieben Startkohorten werden die Kompetenzentwicklungen und die Bildungsverläufe von insgesamt über 70.000 Teilnehmenden begleitet. Zusätzlich werden etwa 50.000 Personen aus deren Umfeld, wie z. B. Eltern und pädagogisches Fachpersonal befragt.
Startkohorte „Neugeborene“
Die Ergebnisse des Transferberichts „NEPS Forschung kompakt: Wie frühe Eltern-Kind-Interaktionen die Entwicklung von Kindern beeinflussen“ wurden auf Basis der Startkohorte „Neugeborene“ erarbeitet. Die erste große Säuglingsstudie begleitet deutschlandweit seit 2012 rund 3.500 Kinder vom Säuglingsalter an und zeigt, welche Bedeutung unterschiedliches Elternverhalten für jeweils unterschiedliche Bereiche der kindlichen Entwicklung haben kann. Zu drei Messzeitpunkten, in denen die Kinder sieben Monate, 17 Monate und zwei Jahre waren, wurden alltagsnahe Interaktionen der Kinder und ihrer Eltern auf Video aufgenommen und im Nachhinein sowohl das kindliche Verhalten als auch verschiedene elterliche Verhaltensweisen beispielsweise hinsichtlich ihrer Sensitivität und ihres Anregungsverhaltens beurteilt. Dafür wurden den teilnehmenden Eltern - überwiegend Mütter - Spielmaterialien übergeben und sie wurden gebeten, knapp zehn Minuten so wie sonst mit ihrem Kind zu spielen.
Qualität der Eltern-Kind-Interaktion ausschlaggebend
Die Autorinnen des Transferberichts, Dr. Manja Attig vom LIfBi und Prof. Dr. Sabine Weinert von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, weisen im Bericht nach, dass Unterschiede in sprachlichen und sozial-emotionalen Kompetenzen und damit zusammenhängende Bildungsungleichheiten schon in den ersten Lebensjahren nachzuweisen sind und nicht erst im Vorschul- oder Schulalter entstehen. So beherrschen zweijährige Kinder aus benachteiligten Familien rund 97 Wörter aus einer Liste von 260 Wörtern, während gleichaltrige Kinder aus besser gestellten Haushalten nach Angabe ihrer Eltern schon 158 dieser Wörter kennen.
Durch erste anregende und sensitive Interaktionen, wie das gemeinsame Ansehen von Bilderbüchern und vorlesen, können Eltern die sprachliche und auch die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder beeinflussen. Die NEPS-Studie legt offen, dass es Eltern mit sozio-ökonomischen Belastungen - wie geringem Einkommen und/oder niedrigem Bildungsniveau - oft weniger gelingt, entwicklungsförderlich auf ihre Kinder einzugehen. Besonders kritisch wird es, wenn mehrere Stressfaktoren zusammenkommen: „Wiesen die Familien drei oder mehr sozio-ökonomische, elternbezogene (z. B. Alter der Mutter) oder kindbezogene (gesundheitliche) Belastungsfaktoren auf, so gelang es den Müttern nicht mehr, z. B. ein herausforderndes Temperament ihres Kindes in der Interaktion auszugleichen und nach wie vor gleichermaßen entwicklungsförderlich, d.h. sensitiv und anregend, mit ihrem Kind umzugehen“, stellen die Autorinnen in der Studie fest.
Früher und stärker in die Entwicklung basaler Kompetenzen bei Kindern investieren
Auch wenn die Forscher*innen einräumen, dass es Eltern gibt, die zwar über wenig sozio-ökonomische Ressourcen verfügen, ihre Kinder aber trotzdem sensitiv oder anregend in ihrer Entwicklung fördern können, gehen sie davon aus, dass der Zusammenhang von Bildung mit dem sozio-ökonomischen Hintergrund der Eltern in ihrer Datenerhebung möglicherweise „noch unterschätzt“ werde, da sich die Langzeitstudie nicht auf eine Risikogruppe beschränkt habe.
Umso wichtiger seien Projekte, die auf frühe Unterstützung setzen. „Unsere Studie zeigt deutlich, dass Unterschiede in der kindlichen Entwicklung schon in frühester Kindheit entstehen. Ziel muss es sein, allen Kindern gerechtere Bildungschancen zu ermöglichen und deshalb Eltern in Risikosituationen so frühzeitig wie möglich Unterstützung zukommen zu lassen, um ungleiche Startbedingungen auszugleichen“, sagt Dr. Manja Attig. Ein Beispiel ist die Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung (BRISE), die Kinder und deren Familien, die in sozio-ökonomisch und kulturell benachteiligten Stadtgebieten wohnen, in ihren ersten Lebensjahren begleitet und in einer Langzeitstudie auch den Einfluss früher Unterstützungs- und Fördermaßnahmen für Familien und Kinder untersucht.
Autor(in): Petra Schraml
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Datum: 04.09.2025
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- Bildung beginnt im Kleinkindalter - und Chancengerechtigkeit ebenso
- Nationales Bildungspanel
- NEPS: Startkohorte 1 - Neugeborene
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