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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 22.01.2004:

Körpersprache gegen Gewalt

Anti-Gewalt-Trainer bieten Konzepte an, um Gewalt an Schulen einzudämmen.
Das Bild zum Artikel
Holger R. Schlafhorst, Anti-Gewalt-Trainer

Bildung PLUS: Ein Schüler in Holland schießt seinen Biologielehrer vor den Augen hunderter Mitschüler in der Kantine an. Er war zuvor von der Schule verwiesen worden und der Lehrer in seiner Funktion als stellvertretender Schulleiter war nicht bereit, auf das Drängen des Schülers den Verweis zurückzunehmen. Bei uns gab es den Amoklauf von Erfurt. Ist die Gewalt an Schulen überhaupt noch bezähmbar?

Schlafhorst: Die Gewalt ist sicherlich noch bezähmbar. Es empfiehlt sich aber, genau hinzusehen, um die Ursachen von Gewalt zu erkennen. Zum Beispiel sehe ich im Amoklauf von Erfurt immer auch die Tat eines Mobbingopfers. Denn nach allem, was wir wissen, hat es den Anschein, dass der spätere Täter Robert Steinhäuser im klassischen Sinne gemobbt wurde. Er war der Schule verwiesen worden, hatte keinen Schulabschluss, und zu allem Übel gab es niemandem, dem er sich offenbaren konnte. Denn weder Lehrer noch Mitschüler haben ihn unterstützt, er ist also ausgegrenzt worden, geschnitten', bis er irgendwann beschloss, Rache zu nehmen.

Das entschuldigt selbstverständlich nicht diese grauenvolle Tat. Aber ich sehe es nach wie vor als ein mögliches Erklärungsmodell. Denn es sind häufig gerade die Opfer, bzw. die Looser in der Klasse, aus denen irgendwann Täter werden können.

Bildung PLUS: Was hätte im Fall Erfurt passieren sollen?

Schlafhorst: Hinterher ist es einfach zu sagen, das wäre nicht passiert, wenn die Schule, die Lehrer, die Mitschüler und natürlich auch die Eltern den späteren Täter angemessen unterstützt hätten. Denn nur ein Mensch, der das Gefühl hat, dass andere ihm zur Seite stehen, wird Vertrauen zu seinen Mitmenschen aufbauen können, um eben nicht gewalttätig zu werden. Ein Mittel, um das zu erreichen, ist die gegenseitig Achtung. Wenn alle Beteiligten, also Lehrer und Schüler, gegenseitig auf Verhaltensweisen und Äußerungen achten, wenn Lehrer und Schüler ihre Nöte wirklich ernst nehmen und sie nicht - wie im Fall Erfurt - aufs Abstellgleis stellen, dann ist ein erster Schritt getan. Und natürlich ist dabei auch eine effektive Elternarbeit unverzichtbar.

In der Jugendgerichtshilfe beispielsweise arbeite ich mit jugendlichen Gewalttätern zusammen. Statistisch gesehen werden zwar nur knapp vier Prozent der Jugendlichen von 14 bis 21 Jahren wegen solcher Delikte auffällig, was sehr wenig ist. Aber wenn Sie beispielweise einen massiven Störenfried in Ihrer Klasse haben, kann dieser das ganze System zum Kippen bringen. Deswegen sollte man immer diese Wenigen im Auge behalten, auch wenn sie mehr Arbeit machen. Denn im Endeffekt habe ich weniger Probleme, wenn ich sie im Griff habe. Wichtig ist, dass diese Schüler eine Bezugsperson und vor allem einen Menschen haben, dem sie vertrauen. 

Bildung PLUS: Was ist beim Mobbing konkret zu tun? 

Schlafhorst: Es geht in erster Linie nicht darum, einen Schuldigen auszumachen und diese Person vorzuführen. Vielmehr sollten dem vermeintlichen Täter Alternativen aufgezeigt werden, wie er - ohne Gewalt - Situationen bestehen kann. Das ist es, was wir in unseren Trainings anbieten.

Bildung PLUS: Wieso gibt es - Ihrer Erfahrung nach - so viel Gewalt an Schulen? Ist das ein exklusives Schulproblem oder eines der Eltern bzw. des Umfelds? 
 
Schlafhorst: Gewalt hat es immer schon gegeben. Natürlich auch in der Schule, die eine Einrichtung ist, in der man lernt, sich gesellschaftlich einzuordnen, und in der man sich mit anderen arrangieren muss. Gewalt ist die Summe von Erlerntem, der persönlichen Situation und eigenen Gewalterfahrungen. Auch mangelnde Anerkennung und fehlende Unterstützung im Elternhaus können Frustrationen hervorrufen, die wiederum mit in die Schule gebracht und dort ausgelebt werden. Ein Junge, der sieht wie der Vater die Mutter schlägt, wird sich wahrscheinlich in der Schule auch nur mit Schlägen zu helfen wissen. Wichtig zum Verständnis von Gewalt sind also sehr viele Einflüsse. Und natürlich müssen sich Elternhaus, Lehrer und Medien dabei ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und zusammenarbeiten. 

Bildung PLUS: Auch Alkohol spielt eine große Rolle...

Schlafhorst: Drogen kommen auch hinzu, natürlich. Sie enthemmen und bringen ein vermeintlich besseres Gefühl mit sich. Die Konsequenzen sind bekannt. Und die Gewalt-Spirale kann sich bis zum Selbstmord drehen, wenn man also Gewalt gegen sich selber anwendet. Zum Beispiel, wenn ein Mobbingopfer, den Satz: Du gehörst nicht dazu! auf verheerende Weise verinnerlicht. Das familiäre Umfeld ist auch sehr wichtig: ein strafender Blick des Vaters reicht schon aus, oder der Vorwurf, du kannst doch gar nichts, du bist zu nichts in der Lage, ist nichts anderes als Mobbing in der Familie.

Bildung PLUS: Ist die Gewalt "nur" ein Problem der Hauptschulen und der Großstädte? 

Schlafhorst: Gewalt gibt es überall, auch an Gymnasien. Dort spielt sich die Gewalt allerdings etwas subtiler und hintergründiger ab. Ich nenne Ihnen ein Beispiel für unbeherrschtes emotionales Verhalten, dass auch in Gymnasien zu beobachten ist: Die Klasse ist laut, der Lehrer schreit noch lauter, dieser hat natürlich gegen die Überzahl der Schüler keine Chance, er wird immer lauter. Dann zeigt ihm die Klasse - das kennen wir aus der eigenen Schülerzeit - "wo der Hammer hängt" - und brüllt ihn nieder. Das ist auch eine Form von Gewalt. 

Bildung PLUS: Wo und wie können Lehrer als Konfliktmanager trainiert werden?

Schlafhorst: In den Lehrerfortbildungen zum Thema "Anti- Gewalt und Körpersprache im Unterricht" geht es darum, den Körper mehr in das Gesamtgeschehen mit einzubeziehen. Wir leben in einer hoch technologisierten Gesellschaft, die dem Körperempfinden und dem  Körperausdruck nicht ausreichend Bedeutung einräumt. Wir versuchen in unseren Trainings, zu vermitteln, dass Lehrer ihren eigenen Körper als Bestandteil des Unterrichts begreifen. Dabei ist es interessant zu beobachten, dass viele Lehrer fast "körperlos" sind. Der Körper lebt nicht mit. Das merkt man, wenn beispielsweise die Stimme sehr schwach oder hoch ist. Ganz entscheidend: die Stimme muss stets mittrainiert werden . 
 
Wir beginnen mit leichten Körperübungen - wie in den Körper hineinspüren, um den Körper ins Bewusstsein zu bringen. Dann zeigen wir bestimmte Verhaltensweisen, die es den Lehrern ermöglichen, sich gegen Störungen im Unterricht besser zu behaupten.

Also: Wie kann ich professionell reagieren und zwar so, dass ich selber und die Klasse mehr vom Unterricht haben. Es geht darum, die Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung abzugleichen, denn die geht oft sehr weit auseinander, und sie können sich dadurch vieles einfacher machen. Man muss aber erst mal dahinter kommen, und es für sich wollen. 


Nächste Woche können Sie den zweiten Teil des Interviews lesen.


Holger R. Schlafhorst
, Jahrgang 1967, ist Anti-Gewalt-Trainer, Schauspieler und Trainer für Körpersprache nach Sabine Mühlisch und Samy Molcho. Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengebiet Deutsch als Fremdsprache an der Universität Düsseldorf.

 

Autor(in): Peer Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 22.01.2004
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