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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 20.04.2006:

Beide Seiten müssen sich entgegen kommen

Islamischer Religionsunterricht ist an Schulen überfällig

Religionsunterricht ist in Deutschland fester Bestandteil des Stundenplans, zumindest für christliche Schülerinnen und Schüler. Zum Teil gibt es auch jüdischen und orthodoxen Religionsunterricht. Die fast 750.000 Schüler muslimischen Glaubens, die in Deutschland täglich öffentliche Schulen besuchen, haben indes zumeist keinen Religionsunterricht. Es gibt zwar in einigen Bundesländern Modellversuche, zu einem flächendeckenden Religionsunterricht ist es aber noch nicht gekommen. Im Grundgesetz, Art. 7 (3), ist jedoch verankert, dass der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach ist und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Bereits 1984 bezeichnete die Kultusministerkonferenz (KMK) die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts als überfällig.

Repräsentative Ansprechpartner fehlen
Im Grunde müsste eine Schule islamischen Religionsunterricht anbieten, sobald zwölf muslimische Schüler zusammenkommen. Doch das Grundgesetz spricht das Unterrichtsprivileg nach dem Vorbild der christlichen Konfessionen nur "Religionsgemeinschaften" zu. Der Islam aber kennt keine Kirche und keine höchste Lehrautorität wie den Vatikan oder eine Bischofskonferenz. Den Behörden fehlen daher repräsentative Ansprechpartner in der islamischen Gemeinschaft, denn die Muslime sind in unterschiedliche Glaubensrichtungen zersplittert: Ein Dutzend Dachorganisationen sowie drei Spitzenverbände, von denen der stärkste unter dem Einfluss des türkischen Staates steht, konkurrieren um die Gläubigen. Einigten sich Sunniten, Schiiten, Aleviten und andere deutschlandweit, bräuchte das Land von heute auf morgen etwa 5000 Islam-Lehrer.

Erste Schritte in "religiöser Unterweisung"
Dennoch gab es bereits in den achtziger Jahren erste Versuche, "religiöse Unterweisung" für Schülerinnen und Schüler islamischen Glaubens in der Schule einzuführen. Als erste Bundesländer boten dies Bayern und Nordrhein-Westfalen im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts "Türkisch" am Nachmittag an. Bayern legte dabei Lehrpläne zugrunde, die vom türkischen Unterrichtsministerium zur Verfügung gestellt wurden. Nordrhein-Westfalen ließ durch das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung eigene Curricula entwickeln. Beraten wurde es dabei von den muslimischen Universitäten in Kairo und Ankara. Später boten beide Bundesländer nach diesen Konzepten Islamische Unterweisung in deutscher Sprache für muslimische Schüler an.
Heute wird von fast allen Seiten die Notwendigkeit eines Islamunterrichtes in deutscher Sprache als selbständiges Unterrichtsfach ohne Einbindung in den muttersprachlichen Unterricht anerkannt.

Vorreiter: Nordrhein-Westfalen
Neben der Islamischen Unterweisung im muttersprachlichen Unterricht in Türkisch, Arabisch und Bosnisch hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland in einem Modellprojekt in dem Schuljahr 1999/2000 damit begonnen, Islamunterricht in deutscher Sprache als eigenständiges Unterrichtsfach im Rahmen eines zeitlich nicht befristeten Schulversuchs anzubieten. Ziel ist es, dieses Angebot unter Beteiligung islamischer Dachverbände flächendeckend auszubauen. Inzwischen werden an 120 Schulen aller Schulformen über 5000 muslimische Schüler in so genannter Islamkunde unterrichtet. Die Leistungen im Fach Islamkunde (früher Islamische Unterweisung) werden benotet und zählen wie der evangelische und katholische Religionsunterricht bei der Versetzung mit. Anders als bei einem "klassischen" Religionsunterricht wird in dem Modellversuch aber die Erziehung zum Glauben ausgespart. Die Schüler werden sachlich über den Islam informiert. Zur Begleitung des Schulversuchs wurde ein Beirat einberufen, der am 13. Juli 2004 erstmals tagte. Beteiligt sind u. a. der Islamrat, der Zentralrat der Muslime, die Türkisch-Islamische Union (DITIB), der Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. (VIKZ), die Föderation der Aleviten sowie Wissenschaftler und Vertreter von Lehrer- und Elternverbänden.

"Echter Religionsunterricht" gefordert
Die Forderung nach Einführung eines nicht nur sachlich informierenden, sondern bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterrichts trugen muslimische Verbände in NRW bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Bis heute erfolglos, weil ein demokratisch legitimierter Ansprechpartner fehle. Nach dem Willen der Landesregierung soll der Religionsunterricht bis zum Jahr 2010 aber endlich eingeführt werden. Die Voraussetzungen dafür werden mit der Universität Münster geschaffen, die seit dem Wintersemester 2004/2005 Religionslehrer für Islam ausbildet. Die ersten Lehrer könnten 2008 starten.
Wenn sich die islamischen Verbände bis dahin nicht auf eine gemeinsame Vertretung einigen könnten, solle notfalls nur mit einem oder zwei Verbänden über den Religionsunterricht geredet werden, fordert Integrationsminister Armin Laschet (CDU). Mit den Stimmen aller Fraktionen setzte der Landtag jetzt eine Arbeitsgruppe ein, die die Einführung von regulärem islamischen Religionsunterricht voranbringen soll.

Eine Schule in Erlangen
Auch im bayerischen Erlangen gibt es seit dem Schuljahr 2003/2004 einen Modellversuch "Islam-Unterricht". An einer Grundschule im Stadtteil Bruck können muslimische Schüler aller Klassenstufen einen deutschsprachigen Islam-Unterricht besuchen, in dem sie neutral über ihren Glauben informiert werden. Die bayerische Landesregierung, die den Modellversuch gemeinsam mit der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen ins Leben gerufen und den Lehrplan erarbeitet hat, ist zufrieden. "Wir wollen das Projekt ausweiten", betont der CSU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Joachim Herrmann. Bereits im kommenden Schuljahr könne das Projekt an einigen weiteren Schulen starten. Die Schulen sollten sich dazu Ansprechpartner bei den örtlichen Islamgemeinschaften suchen. Die Richtlinien für die Gestaltung des Unterrichts könnten nach Herrmann zu einem Großteil von Erlangen übernommen werden. "Im Rahmen des Projektes wurde ein Lehrplan entwickelt, der für Grundschulen in ganz Bayern gelten kann." Für die anderen Schultypen soll der Plan nach Angaben der CSU noch verändert werden. Als Lehrkräfte für den Unterricht kommen neben dafür qualifizierten örtlichen Muslimen Absolventen der Universität Erlangen-Nürnberg infrage, die im Rahmen ihrer Lehrerausbildung das Zusatzfach "Islam-Unterricht" belegt haben.

Hessen zieht Ethikunterricht vor
Gestritten wird in den Bundesländern vor allem über den rechtlichen Status und das Mitwirkungsrecht der islamischen Verbände und Gemeinschaften bei der Gestaltung der Inhalte und bei der Ausbildung und Auswahl der Lehrenden. Hier liegen die Positionen der politisch Verantwortlichen und der religiösen Gemeinschaften und Verbände noch weit auseinander. Die Länderregierungen bezweifeln wegen der vergleichsweise geringen Mitgliederzahlen der Moscheegemeinden und Moscheevereine deren Legitimation, für die Mehrheit der Muslime insgesamt zu sprechen. In Hessen haben deshalb muslimische Vereine und Verbände 1997 die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) gegründet, um die volle rechtliche Anerkennung für ihre Vertretungsfunktion zu erhalten und ordentlichen Religionsunterricht nach den gesetzlichen Bestimmungen unter ihrer verantwortlichen Mitwirkung beantragt. Kultusministerin Karin Wolff lehnt das aus mehreren Gründen ab: Sie hegt Zweifel, dass die IRH uneingeschränkt zur Verfassung und ihren Bestimmungen, beispielsweise zur Gewaltenteilung und der Gleichberechtigung von Mann und Frau, steht. Und sie ist auch nicht überzeugt davon, dass die Organisation mit ihren knapp 11.500 Mitgliedern die etwa 600.000 Muslime in Hessen repräsentiert und als Religionsgemeinschaft anzusehen ist. Einen Partner, der für alle moslemischen Gläubigen sprechen könnte, sieht sie in Hessen nicht. Theoretisch hält sie es zwar für möglich, dass eine Gruppe mit Duldung aller anderen die Führung bei Verhandlungen übernimmt, aber auch so etwas zeichne sich nicht ab, so Wolff. Stattdessen setzt sie auf die Ausweitung des Ethik-Unterrichts. In diesem Rahmen hätten alle Schulen die Möglichkeit, auch über die "Ethik des Islam" zu informieren.

Sonderform Berlin
Anders als in fast allen anderen Bundesländern ist Religionsunterricht nach dem Berliner Schulgesetz kein Pflichtfach, die Teilnahme am jeweiligen Religionsunterricht ist von einer freiwilligen Anmeldung abhängig. Dies war die Rechtsgrundlage dafür, dass in Berlin die umstrittene Islamische Förderation - ebenso wie inzwischen die Alevitische Gemeinschaft - gerichtlich die Anerkennung erstritten hat, Religionsunterricht in eigener Trägerschaft an staatlichen Schulen auf der Grundlage von § 23 des Berliner Schulgesetzes anzubieten - also nicht als ordentliches Unterrichtsfach nach Art. 7,3 GG. Berlins Landesverfassung und das Schulgesetz sehen vor, dass Religionsunterricht grundsätzlich nur in der alleinigen Verantwortung der religions- und weltanschaulichen Gemeinschaften und nur als Wahlfach erteilt werden kann. Seit Beginn des Schuljahres 2001/2002 wird islamischer Religionsunterricht in der Verantwortung der Islamischen Förderation in den Klassen eins bis sechs von islamischen Lehrern zwei Stunden wöchentlich erteilt. Der islamische Religionsunterricht wird gleichberechtigt zum evangelischen, katholischen und jüdischen Religionsunterricht sowie zur "Lebenskunde" des Humanistischen Verbandes gegeben - aber nicht gleichberechtigt zu den übrigen Unterrichtsfächern des Berliner Schulsystems.

Hamburg: "Religionsunterricht für alle"
Eine weitere Sonderform praktiziert der Stadtstaat Hamburg. Hier wird "Religionsunterricht für alle" erteilt: Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und auch solche ohne religiöses Bekenntnis nehmen im Klassenverband gemeinsam am Unterricht teil. Nur katholische und jüdische Schüler sind in der Regel ausgenommen. Muslimische Schülerinnen und Schüler können teilnehmen, können sich aber auch von der Teilnahme befreien lassen. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) will zwar zur Förderung der Integration von Muslimen in Hamburg eigenständigen Islam-Unterricht einführen, stößt aber bisher auf Bedenken in anderen und auch in der eigenen Partei.

Niedersachsen will islamischen Religionsunterricht flächendeckend einführen
Auch in anderen Bundesländern gibt es immer mehr Vorstöße zur Einführung islamischen Religionsunterrichts. In Bremen läuft ein Modellversuch an einem Schulzentrum, in Rheinland-Pfalz wurde der Islamunterricht an einer Grundschule aufgenommen und auch Baden-Württemberg will zum Schuljahr 2006/2007 den Modellversuch "Islamunterricht" an zwölf Grundschulen erproben.

In Niedersachsen wird seit einiger Zeit islamischer Religionsunterricht angeboten, der auch die rechtlichen Voraussetzungen an einen solchen erfüllen und flächendeckend eingeführt werden soll. Als Ansprechpartner für den Staat fungiert ein Runder Tisch, der sich unter anderem aus Vertretern verschiedener islamischer Organisationen zusammensetzt.

Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 versprach der damalige Ministerpräsident Sigmar Gabriel den muslimischen Eltern einen "Religionsunterricht in deutscher Sprache" und lud die islamischen Verbände zu einem Runden Tisch. Sein christdemokratischer Nachfolger Christian Wulff griff die Idee auf. Er kritisierte "deutsche Versäumnisse", mahnte, dass "Ausländerkinder sich nicht fühlen dürfen wie rechtlose Nichtbürger" und versprach eine reguläre Ausbildung von islamischen Religionslehrern.

Im Schuljahr 2003/04 hat Niedersachsen dann an acht Grundschulen mit islamischem Religionsunterricht in deutscher Sprache begonnen. Da das zunächst freiwillige Angebot von bis zu 90 Prozent der muslimischen Kinder an den Schulen angenommen wurde, wird im Kultusministerium ein Erlass vorbereitet, der das bislang "Unterweisung" genannte Angebot auch offiziell zum Unterrichtsfach und damit zum Pflichtstoff für islamische Kinder machen will. Mittlerweile wird der Unterricht an 19 Grundschulen praktiziert. Muttersprachliche Lehrkräfte, die Angestellte des Landes sind, unterrichten zwei Stunden pro Woche. Für die Pilotprojekte wurde eine Form zwischen echtem Religionsunterricht und Islamkundeunterricht gewählt. Der Runde Tisch hat den Rahmenlehrplan erarbeitet, auf dessen Grundlage das Kultusministerium den Inhalt ausgestaltete. Die wichtigsten islamischen Verbände und Organisationen haben dem Lehrplan zugestimmt. Zum kommenden Semester startet an der Universität Osnabrück ein Aufbaustudiengang zur Ausbildung deutschsprachiger Islamlehrer, damit langfristig regulärer Religionsunterricht, bei dem Muslime selbst die Lehrer und Unterrichtsinhalte bestimmen, erteilt werden kann. Der Studiengang richtet sich an Lehrer mit Staatsexamen, die bekennende Muslime sind.

Beide Seiten müssen sich entgegen kommen
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hat sich dafür ausgesprochen, in Schulen im gesamten Bundesgebiet islamischen Religionsunterricht einzuführen. "Wir müssen auch muslimischen Schülern eine gleichrangige religiös-ethische Erziehung an öffentlichen Schulen im staatlichen Auftrag anbieten", fordert er. Davon ist Deutschland noch weit entfernt. Noch gibt es in keinem Bundesland flächendeckend islamischen Religionsunterricht, obwohl Vertreter islamischer Verbände schon seit Jahrzehnten dafür kämpfen. Die Ansätze bleiben in Modellversuchen stecken. Immer wieder scheitert es daran, dass beide Seiten auf ihre Rechte pochen: einen Anspruch auf Religionsunterricht zu haben einerseits, einen demokratisch legitimierten Ansprechpartner vorzufinden andererseits.

Damit die Muslime beim schulischen Religionsunterricht endlich gleichberechtigt behandelt werden, sollten sich Staat und muslimische Gruppen mehr entgegenkommen. Muslime müssen Wege finden, ihre innermuslimischen Gegensätze zu überwinden, und die Behörden müssen ihre Bringschuld anerkennen und mit dem Unterricht beginnen, auch wenn noch nicht alle juristischen Voraussetzungen erfüllt sind. Ein Runder Tisch, wie in Niedersachsen praktiziert, könnte dafür ein Anfang sein.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 20.04.2006
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