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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 30.07.2020:

„Vorbild durch Bildung: Eltern lernen lesen und schreiben.“

Ein Bildungsangebot für Eltern
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Bildrechte: VHS Hildesheim

Das Projekt VOR BILD UNG der Volkshochschule Hildesheim bietet Eltern, die nicht gut lesen und schreiben können und deren Kinder bald in die Schule kommen, in der Kita kostenlose Kurse an, in denen sie lesen und schreiben lernen. Das Projekt zur Alphabetisierung und Grundbildung wird finanziell unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).


„Hier bitte ausfüllen“, liest eine Teilnehmende langsam vor. In der Kita Maluki in Hildesheim treffen sich jeden Dienstagvormittag Mütter und Väter, um richtig lesen und schreiben zu lernen. Sie haben zwar eine Schule besucht und die wichtigsten Grundlagen gelernt - sie können einzelne Wörter lesen und auch schreiben -, aber sie können nicht flüssig mit Wort und Schrift umgehen. Beim Lesen und Verfassen von Texten haben sie oft große Schwierigkeiten.

Laut der Studie „LEO 2018 - Leben mit geringer Literalität“ der Universität Hamburg gibt es zurzeit 6,2 Millionen so genannte funktionale Analphabeten in Deutschland. Das sind gut 12 Prozent der Deutsch sprechenden Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter (18-64 Jahre), allein in Niedersachsen sind es circa 620. 000 Menschen. Viele empfinden es als Makel, nicht richtig lesen und schreiben zu können, verschweigen es ihrem Umfeld und entwickeln Vermeidungs- und Delegationsstrategien, mit denen sie im Alltag unerkannt durchkommen.

Ein Bildungsangebot für Eltern

Das Projekt VOR BILD UNG richtet sich an Menschen mit Grundbildungsbedarf und bietet Eltern von Kindergarten-Kindern und von Kindern, die bald in die Schule kommen, kostenlose Kurse an, in denen sie ihre Lese- und Schreibkompetenzen verbessern können.
Initiiert wurde dieses innovative und einzigartige Projekt zur Alphabetisierung und Grundbildung von der Volkshochschule Hildesheim, finanziell unterstützt wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Dekade für Alphabetisierung. Es ist im August 2018 gestartet. Das Angebot ist sowohl für Muttersprachler*innen geeignet als auch für Migrant*innen, die Deutsch mindestens auf dem Sprachniveau B1 beherrschen.

Lernende Eltern sind Vorbilder

Der Name des Projekts VOR BILD UNG leitet sich ab von dem Wort Vorbild. Vorbild durch Bildung: Eltern lernen lesen und schreiben. Die VHS Hildesheim möchte Erwachsene über deren Kinder dazu motivieren, besser lesen und schreiben zu lernen. Denn viele Eltern wollen ihre Kinder unterstützen können, wenn sie in die Schule kommen, und ihnen bei den Hausaufgaben helfen. Und sie wollen im Alltag besser zurechtkommen, indem sie zum Beispiel auch schwierige Behördenbriefe selbst lesen und beantworten können. „Der Anspruch soll sein, dass die Eltern den Kindern Vorbild sind“, erläutert Projektleiterin Caroline Herwy im Interview mit Radio Tonkuhle. Je sicherer die Eltern im Umgang mit der Schriftsprache seien, desto mehr können sie ihren Kindern ein Vorbild sein, wenn diese in die Schule kommen. Lernende Eltern seien Vorbilder, denn wenn Eltern lernen, dann wollen auch die Kinder lernen. VOR BILD UNG ermögliche den Eltern den Zugang zu lebenslangem Lernen und verringere vorhandene Lernhemmnisse. Drohende Lese- und Schreibprobleme bei den Kindern ließen sich dadurch vermeiden.

Vertrauter Raum Kita

In Hildesheim und im gleichnamigen Landkreis gibt es bislang acht Kooperationen mit Kitas und Familienzentren. Die Kita ist eine wichtige Schnittstelle zwischen den Eltern und der Volkshochschule Hildesheim, ein wichtiger Ort, um die Eltern auf die Kurse aufmerksam zu machen. Durch den persönlichen Kontakt mit den Eltern haben Mitarbeitende in Kitas sehr gute Chancen, Alphabetisierungsbedarf, also gravierende Lese- und Schreibschwierigkeiten zu erkennen. Gleichzeitig stellt die Kita eine optimale Lernumgebung dar, weil die Räumlichkeiten vertraut und für die Eltern gut erreichbar sind. Das Bildungsangebot steht ihnen dadurch direkt in ihrem jeweiligen Stadtteil zur Verfügung. Außerdem kennen sich die Eltern untereinander, was zur Wohlfühlatmosphäre in den Kursen beiträgt. Die Kurse werden von geschultem Personal durchgeführt, und die Eltern entscheiden selbst, wie schnell sie lernen möchten und wie sie gut lernen können. Im Rahmen des Projekts werden auch kostenfreie Seminare für die Kita-Mitarbeiter*innen angeboten, Fortbildungen und Workshops, in denen sie für den Umgang mit Eltern mit Alphabetisierungs- und Grundbildungsbedarf geschult werden.

Schnupperkurse und Intensivkurse

Das Projekt VOR BILD UNG besteht aus zwei verschiedenen, miteinander gekoppelten Kursen, die beide kostenlos sind und in denen sich Eltern auf den Schulalltag vorbereiten können. Dort lernen sie besser lesen, schreiben und rechnen sowie den Umgang mit einem Computer, sie erfahren, wie sie und ihr Kind gut lernen können, wie sie ihr Kind bei Hausaufgaben unterstützen und ihm bei Problemen im Schulalltag helfen können.

In den Schnupperkursen geht es zunächst um eine alltagspraktische Unterstützung. Dazu gehört das Lösen alltäglicher Probleme, wie das Schreiben von Bewerbungen, das Ausfüllen von Anträgen oder das Verstehen von Kochrezepten oder Bedienungsanleitungen. Die Teilnehmenden können eigene Briefe bzw. Texte mit in den Kurs bringen und gemeinsam mit den Dozent*innen lesen. Die Kursinhalte werden aber ggf. auch erweitert und beziehen das Thema Nachrichten und Politik mit ein: Sie orientieren sich grundsätzlich vor allem an den Bedürfnissen und Wünschen der Teilnehmer*innen. Die Schnupperkurse finden einmal in der Woche in den Kitas und Familienzentren der jeweiligen Stadtteile statt. Es gibt keine Anmeldepflicht und keinen Kursbeginn, Interessierte können jederzeit kommen und jederzeit einsteigen. Auch die Gruppengröße ist unbegrenzt. Auf Anfrage kann auch eine Kinderbetreuung organisiert werden.

Darauf aufbauend können Teilnehmende im Intensivkurs ihre Lese- und Schreibkompetenz systematisch verbessern und das in den Schnupperkursen erworbene Wissen festigen und erweitern. Die Intensivkurse sind das Herzstück von VOR BILD UNG. Sie finden zweimal in der Woche statt, ebenfalls in den Kitas und Familienzentren. Ihre Teilnehmerzahl ist aber auf vier bis zehn Personen begrenzt, damit sich die Dozent*innen individuell mit den Teilnehmenden beschäftigen können. Intensivkurse widmen sich verstärkt dem Erwerb und der Festigung der Kenntnisse im Lesen und Schreiben, aber auch dem Umgang mit dem PC sowie Fragen der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention.

Bundesweite Ausrichtung geplant

Das Projekt stößt bei den Eltern in den Kitas auf positive Resonanz und unterstützt auch die Kitas in ihrer aktiven Elternarbeit: Durch die verbesserte Lese- und Schreibkompetenz der Eltern hilft es, Kommunikationshürden abzubauen. Das innovative Projekt läuft noch bis Juli 2021. Damit das Modell nicht nur in Hildesheim und Umgebung, sondern in allen Regionen Deutschlands Anwendung finden kann, wird der erfolgreich erprobte Zugangsweg zu funktionalen Analphabeten über die Kita bzw. das Familienzentrum von der VHS Hildesheim als Handlungsempfehlung verschriftlicht und nach Projektende allen Interessierten als Konzept bundesweit zur Verfügung gestellt.





Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 30.07.2020
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