Suche

Gebärdensprache DGS-Button Leichte Sprache LS-Button
Erweiterte Suche

Ariadne Pfad:

Inhalt

Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 12.01.2012:

„Bei Flut steigen alle Schiffe“

Gezielte Förderung von hochbegabten Schülerinnen und Schülern zahlt sich aus

Früher blieb Hochbegabung häufig unerkannt oder wurde als Verhaltensauffälligkeit missdeutet. Heute bemühen sich die Ministerien und Schulen der meisten Bundesländer, die Diagnose und die Förderung von Hochbegabung im Schulalltag zu verankern.

Manche Kinder langweilen sich bereits im Kindergarten, sie fangen an zu stören, können sich nicht der Gruppe anpassen und werden zu Außenseitern. In den Grundschulklassen haben sie den Ruf von Strebern oder Besserwissern, spielen den Clown und können ihre erkennbare Intelligenz nicht in die entsprechenden Schulleistungen umsetzen. Die Diagnose „verhaltensauffällig“ wird gestellt.

Inzwischen ist die Umwelt glücklicherweise für diese Symptome so weit sensibilisiert, dass diese Kinder und Jugendlichen nicht mehr so schnell als „schwierig“ klassifiziert werden, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Stattdessen nehmen Eltern und Pädagogen das Auftreten solcher Auffälligkeiten nun häufig zum Anlass, auf eine Hochbegabung untersuchen zu lassen. Ein weitgehend objektiver Nachweis darüber kann nur durch einen Intelligenztest bei einem Psychologen erfolgen, der Erfahrung mit hochbegabten Kindern hat. Diese Psychologen berücksichtigen auch die Ergebnisse einer Vorbesprechung mit Kind und Eltern sowie das Verhalten des Kindes während des Tests.

Ermittelt der Arzt bei dem Test einen Intelligenzquotienten von 130 und mehr, gilt das Kind als hochbegabt. Bei einem Quotienten zwischen 115 und 130 spricht man von einer überdurchschnittlichen Begabung. Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind definiert diese Begabung als „ein Geschenk für das Kind, für die Familie und für die ganze Gesellschaft“. Hochbegabte Kinder seien keine „besseren“ Kinder. Sie benötigten aber eine gezielte Förderung, die ihren Bedürfnissen gerecht werde.

Schulen für Hochbegabtenförderung
Der Begriff der „individuellen Förderung“ hat das vergangene Jahrzehnt in der deutschen Bildungslandschaft geprägt. Lehrkräfte stoßen allerdings bereits bei der „ganz normalen“ Bandbreite der Leistungsfähigkeiten und Leistungsbereitschaft ihrer Klasse – also ohne attestierten Förderbedarf bei Lernschwächen oder Hochbegabung – an ihre Grenzen.

Unter anderen hat Rheinland-Pfalz diese Problematik erkannt und das Primat der Leistungsheterogenität bei hochbegabten Schülerinnen und Schülern abgeschwächt. Das Land bietet ihnen seit 2004 spezielle Schulen für Hochbegabtenförderung an vier Gymnasien in Kaiserslautern, Koblenz, Mainz und Trier an. Diese Schulen verfügen jeweils über eine eigene Schulleitung; die Lehrerinnen und Lehrer rekrutieren sich indes aus dem Personal der angeschlossenen Regelgymnasien und haben zum Teil Fortbildungen absolviert.

Die Gymnasien verlangen von den Eltern und den Kindern den Nachweis der Hochbegabung, um sie dann selbst in Gesprächen und an Probeunterrichtstagen kennen zu lernen. Am Ende des Auswahlprozesses für eine Klasse, die aus nicht mehr als 25 Schülerinnen und Schülern bestehen soll, haben die Schulen für Hochbegabtenförderung etwa 40 bis 80 Kinder getestet. Bereits seit Jahren wächst die Zahl der Eltern, die ihre hochbegabten Kinder an der Schule für Hochbegabtenförderung am Max-von-Laue-Gymnasium in Koblenz anmelden wollen, laut Leiterin Sabine Maus ständig. „Wir hatten schon immer hochbegabte Schülerinnen und Schüler", erinnert die Leiterin, „und haben diese dann über alle Klassen verteilt.“

„Herausforderung und Reiz zugleich“
Das neue Konzept der Hochbegabtenklassen sei sowohl für die Lehrerinnen und Lehrer als auch für die Schülerinnen und Schüler befriedigender. „Für die Lehrerinnen und Lehrer ist die Arbeit mit den hochbegabten Kindern und Jugendlichen eine Herausforderung und zugleich eine reizvolle Aufgabe, denn die Kleingruppenarbeit ermöglicht oft eine andere Methodik“, berichtet Sabine Maus. „Die Schülerinnen und Schüler wiederum lernen schnell, sind motiviert, kreativ in Darbietungen und sehr genau.“

Peter Pörsch, der Leiter der Schule für Hochbegabtenförderung am Mainzer Gymnasium Gonsenheim empfindet „das Unterrichten als inspirierend, man wird in einer anderen Art von den Schülerinnen und Schülern gefordert als in einer Regelschule“. Die Mathematiklehrerin Christiane Schafft ergänzt: „Man muss sich immer hinterfragen lassen – fachlich wie in den pädagogischen Maßnahmen, man muss diskutieren und begründen. Es ist ein unglaublich lebhaftes Geben und Nehmen.“ Das Interesse der Kinder und Jugendlichen sei sehr hoch – dies sei der augenfälligste Unterschied zu einer Regelklasse.

Das Anforderungsniveau in den Hochbegabtenklassen ist naturgemäß höher, die achte Klasse wird ganz übersprungen, und es gibt viele zusätzliche Angebote, die oft bereits durch Universitäten als Kooperationspartner durchgeführt werden.

Hochbegabte Kinder motivieren
Die Gesellschaft für das hochbegabte Kind stuft die gezielte Förderung hochbegabter Kinder auch als eine Chance für Lehrerinnen und Lehrer sowie für die „normal begabten“ Klassenkameraden ein. Pädagogen, die so arbeiteten, berichten, dass nach einer Anfangsphase mit Mehrarbeit eine Entlastung auftrat, sich das Lernklima in der Klasse verbesserte und alle Schülerinnen und Schüler motivierter mitarbeiteten. Ein Lehrer fasste dies so zusammen: „Bei Flut steigen alle Schiffe.“

Schon seit dem Schuljahr 1997/1998 können in Rheinland-Pfalz zudem alle Gymnasien mit der Einrichtung von sogenannten „Projektklassen“ nach dem BEGYS-Modell (Begabtenförderung am Gymnasium mit Verkürzung der Schulzeit) beginnen. 13 Gymnasien haben diese „Projektklassen“ mittlerweile eingerichtet. Ebenso werden Grundschülerinnen und Grundschüler durch das im Schuljahr 2004/2005 gestartete Projekt „Entdecken und Fördern hochbegabter Kinder in der Grundschule“ mit einem wöchentlichen „Entdeckertag“ gefördert.

Gezielte Förderung ist selten
Auch wenn die Notwendigkeit der Hochbegabtenförderung von vielen Seiten anerkannt wird, fördern nur wenige Schulen in Deutschland ganz gezielt hochbegabte Schülerinnen und Schüler. Darunter sind einige staatliche Internatsschulen für Hochbegabte: In Hessen ist dies die Internatsschule Schloss Hansenberg, in Baden-Württemberg das Landesgymnasium für Hochbegabte Schwäbisch Gmünd, in Sachsen-Anhalt die Landesschule Pforta und in Sachsen das Landesgymnasium Sankt Afra.

Häufiger bieten Schulen fachspezifische Hochbegabtenförderung an, sei es im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich wie zum Beispiel das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Erfurt, im sprachlichen Bereich wie die Salzmannschule im thüringischen Schnepfenthal, im musikalischen Bereich wie das Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach in Berlin oder im sportlichen Bereich wie das Sportinternat Hannover.

Ähnlich wie in Rheinland-Pfalz wurden in Bayern an vier Gymnasien Hochbegabtenklassen eingerichtet, dazu kamen im Schuljahr 2009/10 Förderklassen für Hochbegabte an Gymnasien in allen Regierungsbezirken, „um das Potenzial an Hochbegabten noch besser ausschöpfen zu können“, wie das Kultusministerium erklärte. In Baden-Württemberg ermöglicht das Landeshochschulgesetz hochbegabten Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ein Schülerstudium.

Netzwerke und Beratungsstellen
Daneben haben sich in vielen Bundesländern in den vergangenen Jahren Netzwerke und Beratungsstellen gebildet. Das Saarland beispielsweise errichtete 2000 die Beratungsstelle Hochbegabung, die Pädagogen in Kindergärten und Schulen für die Thematik sensibilisiert. Darüber hinaus erfahren hier die Eltern eine individuelle und zielgerichtete Beratung.

Das Hessische Kultusministerium hat sich seit 1998 mit der Einrichtung von Beratungs- und Förderangeboten zum Thema Hochbegabung in der Schule befasst. Aus einem anfänglichen zweijährigen Grundschulprojekt zur Hochbegabtenförderung entwickelte man ein Gütesiegel hochbegabungsfördernder Schulen, das seit 2004 allen hessischen Schulen einen Einstieg in die Erkennung und Unterstützung von Hochbegabung ermöglicht. 140 Schulen unterschiedlicher Schulformen sind im Schuljahr 2010/2011 mit standortbezogenen Förderkonzepten im Rahmen dieses Programms aktiv gewesen.

In Nordrhein-Westfalen unterstützt das „Netzwerk Hochbegabtenförderung NRW“ zehn Schulen in einer systematisch begleiteten Kooperation bei der Diagnose und Förderung von Hochbegabung. In Sachsen-Anhalt helfen den Schulen hierbei die Koordinierungs- und Beratungsstelle Hochbegabtenförderung am Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) sowie die Netzwerkschulen für Hochbegabungsförderung. In Niedersachsen bildete sich 2010 der Kooperationsverbund „Hochbegabung fördern“: In diesem landesweiten Netz, in dem sämtliche Schularten vertreten sind, tauschen sich die Akteure über Diagnose- und Förderverfahren aus.

Die Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg richtete bereits 1996 die Beratungsstelle besondere Begabungen (BbB) ein. In Schleswig-Holstein arbeiten seit dem Schuljahr 2011/12 elf weiterführende Schulen als „Kompetenzzentrum Begabtenförderung Sek. I und II“. Sie erarbeiten und erproben standortspezifische Konzepte, um hochbegabte Kinder und Jugendliche zu fördern. Als Multiplikatoren für transferfähige Konzepte der schulischen Begabtenförderung unterstützen sie andere Schulen.

Von 2005 bis 2010 etablierte Brandenburg in jedem Schulamtsbezirk einen Stützpunkt der Begabtenförderung sowie Leistungs- und Begabungsklassen (LuBK) zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Begabungen an Gymnasien und Gesamtschulen. In Berlin fördert ein landesweites Netzwerk mit vier Regionen von der Grundschule an: Schneller durch die Schulanfangsphase, Überspringen von Klassen - ganz oder in einzelnen Fächern, Begabtenunterricht am Nachmittag und in Sommercamps, Schnellläuferabitur in elf Jahren, erste Scheine an der Universität schon während der Schulzeit.

Und in Sachsen arbeiten 17 Gymnasien im Projekt „GIFted“, dem gymnasialen Netzwerk individueller Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler. Ausgehend von den Ergebnissen des Schulversuchs „Grundschule mit erweitertem Angebot für Schüler mit besonderen Begabungen“ an der „16. Grundschule „Josephine Dresden“ ist seit 2005 ein Netzwerk von 36 Grundschulen für Hochbegabtenförderung entstanden.

 

Projekte zum Thema im Innovationsportal des Deutschen Bildungsservers:

Entdeckertag - Entdecken und Fördern hochbegabter Kinder in der Grundschule

Erkennen und Fördern hochbegabter Kinder in der Grundschule

Gütesiegel Hochbegabung

Deutsche JuniorAkademien

Hochbegabtenschulen

Begabungsförderung im Grundschulbereich – Camps für Grundschulkinder mit besonderen Begabungen

Hochbegabtenförderung in der Grundschule

Bundeswettbewerb Fremdsprachen

Bundeswettbewerb Mathematik

 

 

Autor(in): Ralf Augsburg
Kontakt zur Redaktion
Datum: 12.01.2012
© Innovationsportal

Ihr Kommentar zu diesem Beitrag. Dieser Beitrag wurde bisher nicht kommentiert.

 Weitere Beiträge nach Innovationsgebieten (Archiv).

Die Übernahme von Artikeln und Interviews - auch auszugsweise und/oder bei Nennung der Quelle - ist nur nach Zustimmung der Online-Redaktion von Bildung + Innovation erlaubt.

Die Redaktion des Online-Magazins Bildung + Innovation arbeitet journalistisch frei und unabhängig. Die veröffentlichten Beiträge bilden u. a. auch interessante Einzelmeinungen zum Bildungsgeschehen ab; die darin zum Ausdruck gebrachte Meinung entspricht nicht notwendig der Meinung der Redaktion oder des DIPF.

Inhalt auf sozialen Plattformen teilen (nur vorhanden, wenn Javascript eingeschaltet ist)

Teile diese Seite: