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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 06.08.2020:

„Ein für alle Seiten gewinnbringendes Tauschprinzip.“

Der Verein Tausche Bildung für Wohnen fördert Kinder in strukturschwachen Stadtteilen
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Tausche Bildung für Wohnen e.V.

Die strukturschwachen Stadtteile Duisburg-Marxloh und Gelsenkirchen-Ückendorf sind geprägt von Kinderarmut, Arbeitslosigkeit, Lehrermangel und Wohnungsleerstand. Der Verein Tausche Bildung für Wohnen e. V. fördert Kinder aus diesen Stadtteilen in ihrer persönlichen, sozialen und schulischen Entwicklung. Junge Erwachsene im Bundesfreiwilligendienst oder im Studium wohnen dort für mindestens ein Jahr mietfrei. Im Gegenzug unterstützen sie in gezielten Lern- und Förderangeboten die Kinder des Stadtteils und stärken so gleichzeitig das kooperative Miteinander vor Ort. Seit der Gründung 2012 haben sich bereits mehr als 42 Bildungspatinnen und Bildungspaten im Verein engagiert und Betreuungsangebote für über 560 Kinder ermöglicht.


In den so genannten Tauschbars in Duisburg-Marxloh und Gelsenkirchen-Ückendorf stehen Kinder an erster Stelle. In diesen „Stadtteilkinderzimmern“ gibt es viele bunte Spielsachen, und Bildungspat*innen begleiten die Kinder dabei, sich persönlich und schulisch zu entwickeln, indem sie mit ihnen lernen, reden und gemeinsam ihre Freizeit gestalten. Eingerichtet wurden die Tauschbars vom Verein Tausche Bildung für Wohnen e.V., um Kindern in strukturschwachen Gegenden Bildung zu ermöglichen und Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

Der Verein Tausche Bildung für Wohnen
Der Verein Tausche Bildung für Wohnen wurde 2012 von Christine Bleks und ihrem damaligen Geschäftspartner Mustafa Tazeoglu als gemeinnütziger Verein gegründet. Die Grundidee dazu entwickelte Mustafa Tazeoglu im Jahr 2007. Als Sohn türkischer Einwanderer in Duisburg-Marxloh aufgewachsen, hat er in seinem Leben viele Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen erfahren, er wollte sich davon aber nicht unterkriegen lassen, sondern etwas Positives gestalten und nachfolgenden Generationen bessere Startchancen verschaffen. Als er 2009 Christine Bleks, die alleinerziehende Mutter eines Teenagers, kennenlernte, der es ebenfalls wichtig war, gesellschaftlich benachteiligten Kindern und ihren Familien einen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, der auch die Persönlichkeitsentfaltung mit einbezieht, gründeten sie gemeinsam das Sozialunternehmen Tausche Bildung für Wohnen e.V. in Duisburg-Marxloh. Der Verein setzt sich für Bildungsgerechtigkeit, nachbarschaftliches Miteinander, Integration und die Mitwirkung an sozial-strukturellen Prozessen ein und möchte zu einer Gesellschaft beitragen, in der Menschen einander achten, voneinander lernen und gemeinsam ein friedliches Umfeld und Miteinander gestalten. Seit Februar 2019 gibt es eine Wirkungsstätte des Vereins auch im Stadtteil Gelsenkirchen-Ückendorf.

Strukturschwache Gebiete im Ruhrgebiet
Der Tausche Bildung für Wohnen e.V. konzentriert sich auf zwei Problembereiche: die Bildungs- und Chancenungerechtigkeit bei Kindern aus benachteiligten Familien und die gesellschaftlichen Herausforderungen durch städtische Strukturwandelprozesse - von Ghettoisierung bis Gentrifizierung. Stadtteile wie Duisburg-Marxloh und Gelsenkirchen-Ückendorf sind strukturell benachteiligt, von großer Arbeitslosigkeit und Immobilienleerstand betroffen. Ein hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und Bezug von Transferleistungen hat nur einen geringen Zugang zu Bildung, auch die Kinder haben wenig Chancen auf eine gute Bildung. Insbesondere für junge und in Ausbildung befindliche Menschen ist es schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Das Modell
Vor diesem Hintergrund haben die Gründer von Tausche Bildung für Wohnen ein für alle Seiten gewinnbringendes Tauschprinzip entwickelt: Der gemeinnützige Verein stellt engagierten jungen Menschen mietfreien Wohnraum in den Stadtteilen zur Verfügung - diese fördern als Bildungspat*innen im Gegenzug die schulische und persönliche Entwicklung der ortsansässigen Kinder und bieten ihnen in den sogenannten Tauschbars, den Wirkungsstätten des Vereins, ein zweites Zuhause. Hier können sich die Kinder durch ganzheitliche Lernförderung und attraktive Ferien- und Freizeitangebote entfalten. „Durch den Tausch von mietfreiem Wohnraum für eine Bildungspatenschaft schaffen wir so eine Win-Win-Win-Situation für Kinder, engagierte Bildungspaten und benachteiligte Stadtteile - und damit eine langfristige Perspektive für die Region“, ist der Verein überzeugt.

Bildungspat*innen arbeiten entweder im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes in Vollzeit, als Studierende und Auszubildende in Teilzeit oder ehrenamtlich in individueller Absprache. Jeden September beginnt eine neue Generation von Bildungspat*innen in der Regel für ein Jahr, es ist aber auch möglich zu verlängern; einer der Bildungspaten ist schon seit 2014 dabei. Nach der Auswahl und Aufnahme ins Projekt findet eine intensive Qualifizierung statt. Dadurch erhalten die Bildungspat*innen wichtige Kompetenzen für ihre Arbeit, die eigene individuelle Entwicklung und ihre weiteren beruflichen Perspektiven. Aber auch während ihres Einsatzes ergänzen Hospitationen, Coachings und Supervision ihre Professionalisierung.

Tätigkeiten der Bildungspat*innen

Vormittags unterstützen sie Kinder in den umliegenden Schulen. Oder sie lernen und spielen mit geflüchteten und neu zugezogenen Kindern, die noch keinen Schulplatz zugewiesen bekommen haben. Am Nachmittag betreuen die Bildungspat*innen dann eigene Gruppen von maximal fünf Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren in der Tauschbar. Neben einer Sprach- und ganzheitlichen Lernförderung, die zwei bis dreimal in der Woche stattfindet, gestalten sie jeden Samstag ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm. In den Ferien gibt es wechselnde Projekte mit Ausflügen, Lernzeiten, Aktionen und Verpflegung, aber auch gemeinsamen Festen. Die festen und beständigen Gruppen bieten den Kindern einen sicheren und angstfreien Raum, in dem die Patinnen und Paten ihnen dabei helfen, ihre Potenziale und Fähigkeiten zu entdecken. „Du findest bei Tausche Bildung für Wohnen einen Raum, in dem du dich ausprobieren und wachsen, ganz viel geben und noch mehr bekommen kannst! Dabei bist du immer von einem Team umgeben, welches motiviert und unterstützt - und der Spaß ist hier inklusive!“, schwärmt Greta, Bildungspatin im BFD 2018/19. Sie hebt die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit hervor und freut sich, dass sie eine verantwortungsvolle Vorbildfunktion einnimmt.

Der Erfolg kann sich sehen lassen. Bisher zeigten rund 70 Prozent der über 560 beteiligten Kinder mehr Freude am Lernen, bessere Noten, ein gesteigertes Selbstwertgefühl, ein wertschätzenderes Sozialverhalten und ein positiveres Verhältnis zum Stadtteil, wodurch sich ihre Chancen auf bessere Abschlüsse, höhere Bildung, mehr Integration und Teilhabe erhöhen. Auch alle der rund 40 Bildungspat*innen zeigten nach rund achtwöchiger Teilnahme einen wertschätzenderen Umgang mit anderen, bewusste Selbstkompetenzen, reduzierte Vorurteile und einen klaren Blick für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. Die Stadtteile wiederum erfahren eine Wiederbelebung und Aufwertung.

Auf andere Städte übertragbar

Der Verein Tausche Bildung für Wohnen arbeitet mit vielen Akteuren der Stadtteile eng zusammen und baut darüber ein großes Netzwerk auf. Besonders intensiv ist die Zusammenarbeit mit Schulen. Der Verein wird von vielen Partnern, Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen unterstützt und wurde bereits elfmal ausgezeichnet. So war er u.a. ausgezeichneter Ort im Land der Ideen 2013/14, erhielt 2018 den deutschen Nachbarschaftspreis und 2019 den deutschen Engagementpreis in der Kategorie „Generationen verbinden.“

Das Ruhrgebiet steht beispielhaft für einen tiefgreifenden urbanen Strukturwandel und die damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen. Der Verein hat sich daher gezielt in zwei Stadtteilen des Ruhrgebiets niedergelassen, die besonders von diesem Wandel betroffen und zugleich zwei der ärmsten Viertel Deutschlands sind. Aber auch andere Städte und Regionen sind von Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, knappen Haushaltskassen, hohen Mieten oder schlechtem Wohnungsbestand betroffen, weshalb Kinder oft wenig Chancen auf eine erfolgreiche Bildungsbiographie haben. Bei Interesse bringt der Verein das Projekt Tausche Bildung für Wohnen auch gerne in andere Städte.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 06.08.2020
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