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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 10.11.2011:

„Alles schaut nach Deutschland“

Kontroversen und Übereinstimmungen auf der DEQA-VET-Jahrestagung 2011
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Diskussionsteilnehmer auf der Jahrestagung 2011 der Deutschen Referenzstelle für Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung
Quelle: DEQA-VET



Das duale Ausbildungssystem in Deutschland ist beispielgebend in Europa. So weit waren sich die Teilnehmer und Referenten auf der DEQA-VET-Jahrestagung 2011 am 26. Oktober 2011 einig. Aber wie ist es um die Absicherung und Kontrolle von Qualität bestellt? Und welche Anforderungen bringt das zusammenwachsende Europa für das deutsche Ausbildungssystem?

Es dürfte nicht häufig vorkommen, dass eine Tagung durch ein aktuelles Ereignis so überschattet wird - und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann zu einer solch fast einhelligen Kritik veranlasst - wie durch den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20. Oktober 2011, dem Abitur eine höhere Wertigkeit zuzumessen als den Berufsabschlüssen.

Auf der Jahrestagung 2011 der Deutschen Referenzstelle für Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung (DEQA-VET) am 26. Oktober 2011 im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn zog sich die Kritik an diesem Beschluss wie ein roter Faden durch den Tag. Selbst Wolfgang Kreher vom Hessischen Kultusministerium, der als Ländervertreter qua persona die KMK-Beschlüsse eigentlich hätte verteidigen müssen, signalisierte sein Unwohlsein mit der Entscheidung, die Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, in der Vorwoche bereits als einen „Generalangriff auf die duale Berufsausbildung“ bezeichnet hatte.

Die Akteure der Bundesregierung, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Wissenschaft, welche an der Erarbeitung eines „Deutschen Qualifikationsrahmens“ beteiligt sind, plädieren für eine gleichwertige Einstufung der dualen Berufsausbildung und des Abiturs. Beide sollten auf einer achtstufigen Skala auf Stufe vier angesiedelt sein. Die Kultusministerinnen und -minister hatten nun allerdings beschlossen, das Abitur auf Stufe fünf, die Lehre dagegen - von Ausnahmen abgesehen - nur auf Stufe vier oder drei einzutragen.

Europaweit einheitliche Bildungspässe angestrebt
Die Kultusministerkonferenz argumentiert mit den Besonderheiten des deutschen Bildungssystems: das Abitur gebe eine Studienberechtigung, während in anderen Ländern noch Eingangsprüfungen üblich seien. Das Handwerk dagegen sieht in der Entscheidung eine Untergrabung der dualen Ausbildung. Wenn der Großteil der Ausbildungsberufe unterhalb der allgemeinen Hochschulreife eingeordnet wird, drohe der dualen Berufsausbildung ein „massiver Attraktivitätsverlust“, so Schwannecke.

Hintergrund des KMK-Votums ist die Absicht, jungen Leuten künftig europaweit einheitliche Bildungspässe auszustellen. Der in Deutschland gefundene Qualifikationsrahmen soll in einem zweiten Schritt Eingang in eine europäische Weiterentwicklung finden - exakt das Thema der DEQA-VET-Jahrestagung.

Vor rund 110 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eröffnete Prof. Dr. Reinhold Weiß, der Vorsitzende des Bundesinstituts für Berufsbildung, den Kongress mit der Hoffnung auf eine Neupositionierung der KMK, um die Gleichwertigkeit aller Abschlüsse sicherzustellen. Wegen des Fachkräftemangels werde die Bedeutung der beruflichen Bildung zunehmen und die Frage der Qualitätssicherung dringlicher - auch im europäischen Maßstab.

„Der Europäische Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (European Quality Assurance in Vocational Education and Training - EQAVET) ist ein Instrumentenkasten für die Entwicklung einer nationalen Qualitätskultur. Hierbei geht es um die Schaffung nationaler Referenzstellen zur Qualitätssicherung und um den freiwilligen Austausch, die Zusammenarbeit und das Vertrauen, um gemeinsam voneinander zu lernen“, erklärte Weiß.

Wertschätzung des Modells der dualen Ausbildung
Das BIBB bringe sich in diesem Prozess ein, indem es Vorschläge mache und mit der Politik diskutiere, wie man die Ausbildung noch stärker auf die berufliche Handlungskompetenz ausrichten könne, und Modellversuche zur Verbesserung des Ausbildungsprozesses auflege.

Ein zweites Motiv, das während der Tagung ständig wiederkehrte, war die Wertschätzung des deutschen Modells der dualen Ausbildung. Reinhold Weiß machte auch hier den Auftakt, indem er erklärte: „Unsere Berufsausbildung hat ein hohes Niveau - nicht umsonst kommen 60 Prozent der Berufstätigen aus einer beruflichen Ausbildung und liegt die Jugendarbeitslosigkeit wesentlich niedriger als in anderen europäischen Ländern.“ Ein vom BIBB angestellter Vergleich der Berufsausbildung in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien habe zudem ergeben, dass die Einarbeitungszeiten hierzulande deutlich kürzer seien, das Kompetenzniveau höher und die Ausbildung als bedarfsorientierter eingeschätzt werde.

Dennoch sei „nicht alles Gold, was glänzt“, räumte der Leiter des Forschungsbereichs ein: „Es gibt immer noch hohe Abbrecherquoten, die man nicht hinnehmen darf. Jeder Fünfte scheidet ohne Abschluss aus der Berufsausbildung aus.“ Auch müssten die Übergangssysteme stärker an die betriebliche Ausbildung gekoppelt werden. „Wir können dennoch mit Selbstbewusstsein in die Debatten um den EQAVET gehen“, resümierte Reinhold Weiß.

Demographischer Wandel als Herausforderung
Für die Bundesregierung hielt Thomas Sondermann vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fest, eine große Herausforderung der beruflichen Bildung bestehe im demographischen Wandel: Innerhalb der nächsten Dekade nehme die Zahl der unter 20-Jährigen um 16 Prozent ab, die der Berufsanfänger um zehn Prozent. Da 50 Prozent der Jugendlichen derzeit an die Universitäten und Fachhochschulen drängten, drohe die Berufsbildung zum „Restesystem“ zu werden.

„Da erwiesen ist, dass der Bildungserfolg schon früh determiniert wird, setzt die Bundesregierung ihren Schwerpunkt bei der frühkindlichen Bildung“, führte Sondermann aus. Und mit dem Berufsbildungsgesetz von 2005 sei ein „Meisterwerk“ geschaffen worden, so der Leiter des Referats „Rechtsfragen der beruflichen Bildung“. Bei allen Entscheidungen müsse der Qualitätsaspekt immer mitschwingen.

Wolfgang Kreher als Vertreter der Länder im EQAVET-Netzwerk konnte vermelden, dass die Schulen in den meisten Bundesländern bereits Qualitätsmanagementsysteme eingeführt haben, die sich am schweizerischen Modell orientieren: „Schulintern führt die Anwendung der Verfahren und Instrumente der Qualitätssicherung zu zielführenden Schulentwicklungsschwerpunkten. Schulextern kann die Schule nachweisen, wie sie arbeitet und die Qualität der Arbeit sicherstellt. Dazu benötigt man eine Qualitätsdokumentation, welche die Grundsätze und Werte der Schulgemeinschaft beschreibt und die qualitätsrelevanten Prozesse darstellt.“ Stichworte seien hier selbstorganisiertes Lernen, individuelle Förderung und das Fördern sozialer Kompetenz.

Bei der dualen Ausbildung greift Kreher zufolge das Qualitätsmanagement in der Kooperation der verschiedenen Lernorte, beim gemeinsamen Wissensmanagement der Ausbilder, Lehrkräfte und Auszubildenden und bei einem gemeinsamen Weiterbildungssystem.

„Wir müssen in drei Jahren unsere Qualität nachweisen“
In der Bundesrepublik gibt es rund 9.000 Ausbildungsgänge. Bei Diskussionen mit den europäischen Vertretern mache man von deutscher Seite deutlich, dass eine Ausbildung immer auch unter dem Aspekt der beruflichen Kompetenz gesehen werde. „Wir streben im Handel zum Beispiel an, dass die Absolventen über kaufmännische Kompetenz verfügen und nicht nur eine Registrierkasse bedienen können“, betonte der hessische Schulamtsleiter.

Auf europäischer Ebene strebe man die Durchlässigkeit der Systeme und die Gleichwertigkeit der Abschlüsse an. Der EQAVET könne bei der Umsetzung helfen, denn „ohne Qualitätssicherung haben wir in einem zusammenwachsenden Europa keine Chance, unsere Ausbildungssysteme darzustellen“, so Kreher. „Dabei müssen wir noch sehen, wie sich die europäischen Erkenntnisse auf die Ausbildungsgänge auswirken werden, was man anpassen und in welchen Zyklen man anpassen muss“, führte Kreher aus. Im Augenblick schaue alles nach Deutschland – „aber in drei Jahren müssen wir unsere Qualität auch nachweisen.“

In seinem Beitrag über die „Rolle und Funktion der Berufsbildungsausschüsse aus Sicht der Sozialpartner“ kritisierte Hermann Nehls vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass es in den Ausbildungsbetrieben bisher noch „kein ausreichendes System der Qualitätssicherung gibt“. Die zuständigen Stellen kämen ihrer Überwachungsfunktion nur unzureichend nach, und die Politik signalisiere: „Wir brauchen überall Qualität - nur nicht in der beruflichen Ausbildung.“ Der Gewerkschaftsfunktionär attestierte, die Diskussion habe immer nur auf die Weiterbildung fokussiert, nun müsse man diese aber auch über die Qualität der Ausbildungsbetriebe führen. „Der vom DGB veröffentlichte Ausbildungsreport liefert dazu diskussionswürdige Ergebnisse“, so Nehls. „Wir brauchen auch für die berufliche Bildung ein geschlossenes System der Qualitätssicherung inklusive Evaluation.“

Erfolgreiche Instrumente der Qualitätssicherung
Dr. Christian Sperle vom Zentralverband des Deutschen Handwerks stellte hingegen fest, das Berufsbildungsgesetz stelle bereits viele Standards und Instrumente der Qualitätssicherung sicher: So seien die fachliche und persönliche Eignung des Ausbilders, die Eignung der Ausbildungsstätte und die arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen Auszubildenden und Ausbildern definiert. Unter Mitwirkung der Fachverbände, Handwerkskammern und der Gewerkschaften habe der Bund in den Ausbildungsverordnungen bundeseinheitliche Bildungsprüfungsstandards erstellt; ebenso bundesweit einheitliche Verfahrensregeln in den Gesellen- und Fortbildungsprüfungsverordnungen. Die Prüfungen würden durch ehrenamtliche Prüfungskommissionen mit öffentlich-rechtlichem Auftrag praxisnah ausgestaltet.

„Es gibt noch einige relevante Themen mit Qualitätsstandardbezug“, erläuterte Sperle. Dazu gehörten die Berufsorientierung, die Nachwuchsgewinnung, die vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen, die qualitative Verbesserung des Prüfungswesens, die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung und die Verbesserung der Integration ausländischer Auszubildender.

„Wir verfügen über erfolgreiche Instrumente und Standards zur Sicherung der Qualität in der Ausbildung“, fasste Sperle zusammen. Dies zeige unter anderem die im europäischen Vergleich hohe Übergangsquote in den Arbeitsmarkt. Neue Anforderungen im Bereich der Qualitätssicherung könnten auf Grundlage des bestehenden Systems umgesetzt werden. „Allerdings fehlt es noch an einer systematischen Erfassung und Darstellung qualitätssichernder Elemente“, gab Sperle zu bedenken.

Warteschleifen vermeiden
Wie man im beruflichen Bildungssystem Transparenz herstellen und Durchlässigkeit erhöhen kann, stellten Anita Milolaza von der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg und Christiane Köhlmann-Eckel vom BIBB in einem nachmittäglichen Forum vor. Mit der Pilotinitiative DECVET wird ein Leistungspunktesystem in der beruflichen Bildung entwickelt und erprobt, das Lernergebnisse erfassen, bewerten und anrechnen soll.

DECVET wurde durch das BMBF im Herbst 2007 initiiert. Ein Konsortium der Universitäten Magdeburg und Jena begleitet die Pilotinitiative wissenschaftlich; Projektträger ist das Bundesinstitut für Berufsbildung. Das Ziel ist es, mögliche Anrechnungspotenziale an den Schnittstellen rund um das duale System zu identifizieren, zu erproben und dadurch einen Beitrag zur Erhöhung der horizontalen und vertikalen Durchlässigkeit zu leisten. Zehn Projekte aus unterschiedlichen Regionen, Branchen und Berufsgruppen befassen sich von November 2007 bis März 2012 mit der Identifikation von Anrechnungspotenzialen an unterschiedlichen Schnittstellen rund um das duale System.

„Es gibt unzählige Maßnahmen und Initiativen der Länder, der Verbände, der Kommunen und der Wirtschaft zur Qualifizierung der Auszubildenden“, berichtete Christiane Köhlmann-Eckel. Es fehle aber an einer Systematik für die Anrechnung von Bildungsabschlüssen. Anita Milolaza erklärte: „Wir möchten helfen, Warteschleifen und redundante Qualifizierungen abzubauen und Übergänge zu vereinfachen.“

Definition von Lerneinheiten
Die DECVET-Projektpartner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Ausbildung sitzen an den Schnittstellen zwischen Berufsvorbereitung und dualer Berufsbildung, gemeinsamer berufsbildübergreifender Qualifikationen in einem Berufsfeld, zwischen dualer und vollschulischer Berufsbildung sowie zwischen dualer Berufsbildung und beruflicher Fortbildung.

DECVET analysiert die Curricula und definiert so genannte Lerneinheiten, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Institutionen herzustellen. Für den Begriff „Lerneinheit“ gibt es keine verbindliche Definition. Die Projektpartner müssen die Lerneinheiten sowohl bezüglich ihres inhaltlichen als auch ihres zeitlichen Umfangs variabel festlegen. Um die Anrechenbarkeit herzustellen, ist es erforderlich, erworbene Lernergebnisse zu validieren, zu zertifizieren und zu dokumentieren. Die Verfahren müssen dabei so anwenderfreundlich sein, dass sie nicht zum Mobilitätshindernis werden.

Vor dem Hintergrund der erforderlichen Flexibilität bei der Dimensionierung von Lerneinheiten ist es weiter notwendig, Kriterien für die Gewichtung von Lerneinheiten und die Festlegung und Zuordnung von Leistungspunkten in Relation zum angestrebten Bildungsabschluss zu entwickeln. Dabei sollen die Ansätze des europäischen ECVET-Vorschlages berücksichtigt und weiterentwickelt werden.

Im Rahmen der Pilotinitiative formulieren die Projektpartner allgemeine Grundsätze sowie qualitätssichernde Maßnahmen der Anrechnung. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob mögliche Anrechnungsmodelle berufsspezifisch und kontextbezogen strukturiert werden müssen oder ob diese auch übergreifend funktionieren können. Für die Umsetzung und das Funktionieren eines Leistungspunktesystems spielen Kooperation und Vertrauen der beteiligten Institutionen, aber auch der Lernenden dabei eine zentrale Rolle. Innerhalb der Projekte soll die Nutzbarkeit von europäischen Transparenzinstrumenten, wie beispielsweise der Europäische Qualifikationsrahmen, geprüft werden.

„Die Anrechnung von bereits erbrachten Leistungen, die durch die Lernergebniseinheiten vergleichbar gemacht werden, können Ausbildungszeiten verkürzen, Ausbildungsinhalte auslassen und die Prüfungsvorbereitung und -zulassung individualisieren“, führten die Wissenschaftlerinnen aus.

 

Autor(in): Ralf Augsburg
Kontakt zur Redaktion
Datum: 10.11.2011
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