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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 30.04.2015:

„Hand in Hand mit dem Kollegium“

Schulbibliotheken sollen Medienbildung übernehmen
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Birgit Lücke

Der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) hat am 22.04.2015 Experten aus Forschung und Praxis zu dem Symposium „Frankfurter Erklärung. Lesen und Lernen 3.0“ ins Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) nach Frankfurt eingeladen, um mit ihnen die Rolle zu diskutieren, die Schulbibliotheken in Zukunft bei der Vermittlung von Medienbildung spielen könnten. Die Online-Redaktion sprach mit Birgit Lücke, der Vorsitzenden der dbv-Kommission Bibliothek und Schule, über die Inhalte der Frankfurter Erklärung und erste Ergebnisse des Symposiums.

Online-Redaktion: Wie wichtig ist Medienbildung heute in der Schule?

Lücke: Medienbildung spielt in der Schule eine immer größere Rolle, da die Kinder und Jugendlichen in Zukunft ein viel stärker von Medien abhängiges Leben führen werden, als unsere Generation es getan hat. Auch wenn man sie gerne als „Digital Natives“ bezeichnet, so heißt das noch lange nicht, dass sie sinnstiftend alle neuen Medien beherrschen. Es ist deshalb wesentlich, dass sie neben Lesen, Schreiben und Rechnen auch lernen, mit den verschiedenen Medienformen selbstbestimmt umgehen zu können. Denn nur dann können sie ihr eigenes Leben in Zukunft vernünftig organisieren und planen.

Online-Redaktion:
Wie wird Medienbildung zurzeit in den Schulen vermittelt?

Lücke:
Medienbildung passiert nach wie vor überwiegend außerunterrichtlich oder wird von jedem Land unterschiedlich entwickelt. Es gibt keine einheitlichen Steuerungs- oder Unterstützungsinstrumente. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel gibt es den Medienpass NRW. Das ist ein tolles Instrument, aber er ist nicht verbindlich im Unterricht verankert, sondern kann freiwillig eingesetzt werden. Außerdem fehlt den Schulen in der Fläche eine einheitliche technische und personelle Ausstattung, Lehrkräfte sind meist zu wenig darin ausgebildet, die neuen Medien sinnbringend in den Unterricht einzubringen. Auch nützt der Medienpass NRW beispielsweise in Bayern wenig, dort werden andere Wege eingeschlagen.

Online-Redaktion: In der Frankfurter Erklärung beschreiben Sie, wie Schulbibliotheken diese Lücke füllen könnten. Wie müssten Schulbibliotheken ausgestattet sein, um eine umfassende Medienbildung in der Schule leisten zu können?

Lücke: Wir sind in der Frankfurter Erklärung von der Vision einer optimalen Schulbibliothek ausgegangen, mit der Unterricht im Sinne von Medienbildung möglich wäre. Dazu gehört erstens, dass jede Schule eine Art Medienzentrum braucht, in dem alle Medien vertreten sind, die allen Kindern zugänglich gemacht werden. Wir haben auch in der digitalen Bildung eine Schere zwischen bildungsbenachteiligten Kindern und anderen, die immer weiter auseinander klafft. Deshalb sollen alle Kinder in Medienzentren freien Zugang zu allen Medienformen haben.
Ein zweiter Schwerpunkt ist: Lernorte müssen heute anders aussehen. Man lernt nicht mehr nur im Frontalunterricht, sondern oft in Gruppen, in Projekten, in AGs. Die individuelle Förderung steht im Fokus. Auch das kann eine multimedial ausgestattete Schulbibliothek leisten, die andere Lernanreize und -möglichkeiten schafft.
Der dritte Bereich der Erklärung betrifft die personelle Ausstattung. Sowohl auf Lehrer- als auch auf bibliothekarischer Seite sind wir nicht hinlänglich darauf vorbereitet, Kinder in Medien zu bilden. Die Bibliothekare haben zu wenig pädagogische Kenntnisse – wir haben einen extremen Aus- und Fortbildungsbedarf –, und den Lehrern fehlt der Zugang zum Aufbau der Medienangebote. Meist werden Fachlehrer ein bis zwei Stunden in der Woche dafür vom Unterricht freigestellt, eine Medieninfrastruktur aufzubauen. Das kann kein Lehrer ohne Unterstützung von außen leisten. Ein eigens zuständiger „Medienpädagoge“ ist deshalb unbedingt nötig, um all diese Erfordernisse zu erfüllen.

Online-Redaktion: Wie sieht die aktuelle Situation der Schulbibliotheken in Deutschland aus?

Lücke:
Bisher gibt es keine einheitliche Definition von Schulbibliotheken in Deutschland. Wir haben deshalb einen absoluten Flickenteppich: vom Bücherschrank, der ab und zu mal zugänglich ist, bis zur sensationell gut ausgestatteten multimedialen Schulbibliothek, die alle Erfordernisse erfüllt. Es gibt keine einheitlichen Standards, und nur in ganz wenigen Bundesländern sind die Fachstellen für Bibliotheken überhaupt für Schulbibliotheken zuständig. Bei den meisten wird das „so mitgemacht“.

Online-Redaktion:
Auf dem Symposium „Frankfurter Erklärung. Lesen und Lernen 3.0“, zu dem der dbv am 22.04.2015 ins DIPF einlud, diskutierten Sie mit Experten aus Forschung und Praxis die Rolle, die Schulbibliotheken bei der Vermittlung von Medienbildung spielen könnten. Wen hatten Sie eingeladen?

Lücke: Es war uns sehr wichtig, dass Vertreter der Lehreraus- und -fortbildung und Medienwissenschaftler dabei waren, wie zum Beispiel Prof. Dr. Aufenanger, der selbst „Bring Your Own Device“ - Projekte (BYOD) betreut hat. Wir hatten auch Prof. Dr. Birgit Eickelmann angefragt, die die International Computer and Information Literacy Study (ICILS) koordiniert hatte, aber sie war verhindert, weil sie am gleichen Tag bei der Bundesregierung zu einer Expertenrunde zum Thema digitale Medien und Unterricht eingeladen war. Hinzu kamen Professoren, die Bibliothekare ausbilden, und jede Menge (Schul-)Praktiker: Es waren sowohl von den Landesarbeitsgemeinschaften der Schulbibliotheken Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin-Brandenburg Vertreter anwesend als auch aus Niedersachsen, wo sich gerade ein neues Bündnis gruppiert, sowie von den Fachstellen in Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern, die sich mit dem Thema Schulbibliotheken auseinandersetzen. Von der Stiftung Lesen war Frau Dr. Ehmig dabei – und natürlich Vertreter des Vorstandes des dbv.

Online-Redaktion: Welche Fragen standen im Vordergrund?

Lücke: Eine Grundsatzfrage für uns war: Sind Schulbibliotheken überhaupt noch zeitgemäß? Lohnt es sich, über Schulbibliotheken nachzudenken, oder ist der Zug längst abgefahren? Brauchen wir vielleicht nur noch an allen Schulen WLAN, die Schüler bringen ihre Tablets mit, und Medienbildung organisiert sich von selbst? Doch das einhellige Votum aller Teilnehmer/innen des Symposiums war, dass Schulbibliotheken auch in Zukunft wichtig sind. Es hat uns sehr gefreut, dass sich alle hinter die Frankfurter Erklärung gestellt haben. Vorgeschlagen wurden lediglich andere Begrifflichkeiten wie Selbstlernzentrum, Lernzentrum oder Medienzentrum, da das Wort „Schulbibliothek“ sehr buchlastig ist. Wir haben mit viel mehr Widerspruch gerechnet, da wir in der Frankfurter Erklärung auch provokante Thesen aufwarfen wie: „Schulbibliotheken könnten Motor der Unterrichtsentwicklung“ sein. Stattdessen herrschte Freude darüber, dass eine Möglichkeit gefunden wurde, wie man Medienbildung in der Schule in Zukunft verankern könnte. Ein ganz wesentlicher Punkt war, und darin waren sich auch alle einig, dass man Lehrer besser darin unterstützen muss, die Medien einzusetzen. Sie benötigen nicht nur die mediale Ausstattung, sondern auch Unterrichtsmaterialien und Anleitung.

Online-Redaktion: Zu welchen Ergebnissen kamen Sie noch?

Lücke: Wir haben beschlossen, ein Bündnis zu bilden, in dem wir unsere Kräfte bündeln und uns in Zukunft besser gegenseitig informieren und einbinden wollen. Und mit dem wir unsere Vorstellungen von moderner Medienbildungsarbeit in die Politik tragen können. Praktisch ist, dass wir im Juni eine neue Kommission Schule und Bibliothek ausschreiben. Bislang war die Kommission so ausgerichtet, dass wir sowohl Schul- als auch öffentliche Bibliotheken bedient haben, was nach außen den Eindruck vermittelt hat, dass beide Bibliotheksformen austauschbar sind und die gleichen Aufgaben erfüllen. Das wollen wir in Zukunft ändern und beide Bereiche getrennter darstellen.

Online-Redaktion: Von welchem Vorbild haben Sie sich bei der Frankfurter Erklärung inspirieren lassen?

Lücke: Es gibt einige Länder, in denen solche Medienzentren eine wichtige Rolle spielen. Südtirol beispielsweise ist ein Leuchtturm, auch in Belgien, Großbritannien und USA gehören sie längst dazu. Aber am meisten beeindruckt hat uns das schwedische Modell. Wir haben uns als Kommission im letzten Jahr in Stockholm viele Schulbibliotheken angeschaut und uns vom Kultusministerium und von der Gewerkschaft, die die Bibliothekare vertritt, beraten lassen. Daraus hat sich unsere Vision entwickelt, die sich dann in der Frankfurter Erklärung niedergeschlagen hat. Am spannendsten fanden wir, dass Schweden die Schulbibliotheken aus dem Bibliotheksgesetz herausgenommen und in das Schulgesetz überführt hat, da sie viel mehr zum Aufgabenfeld Schule gehören. Das wären auch für Deutschland eine erste Erkenntnis und ein erster Schritt. Schulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken haben sehr unterschiedliche Aufträge und Möglichkeiten und nur eine geringe Schnittmenge. Eine öffentliche Bibliothek kann Schulen beraten und unterstützen, aber wirklich nah an den ‚normalen‘ Unterricht kommt nur ein Medienzentrum in der Schule.

Auch die Herangehensweise der Schweden hat uns sehr beeindruckt. Sie haben zunächst definiert, welche Kompetenzen Schulbibliotheken fördern können - Spracherwerb, Sprachkompetenzen, Medienkompetenzen, Medienbildung –, und daraus den Schluss gezogen, dass jede Schule einen Fachmann braucht, der dafür sorgt, dass Medienbildung dort erfolgreich umgesetzt wird. Sie haben also weniger die Ausstattung in den Blick genommen, als vielmehr die Unterrichtsgestaltung und die Bibliothek, die Lernstruktur, komplett um den Unterricht aufgebaut. Dieser „Medienpädagoge“ (in Deutschland gibt es leider den Begriff „teacher librarian“ nicht) geht an die Schule, eruiert den Bedarf (Bücher, digitale Unterstützung), baut die Infrastruktur für die Schule passend auf, berät die Lehrer und übt mit den Schülern beispielsweise Recherchetraining zu bestimmten Unterrichtsthemen. Er arbeitet Hand in Hand mit dem Kollegium. Das ist für mich der absolute Idealfall. In der Diskussion fiel für so einen Menschen der schöne Begriff Medium.

Online-Redaktion: Frankfurt gilt mit seinem Modell einer „Schulbibliothekarischen Arbeitsstelle“ (sba) bundesweit als Vorbild für eine professionelle Schulbibliotheksarbeit. Was ist an dem Modell so besonders?

Lücke: Frankfurt ist in Sachen Schulbibliotheken in Deutschland die Vorreiterstadt. Das war auch ein Grund dafür, dass wir das Symposium dort haben stattfinden lassen. Was an Frankfurt überzeugt, ist die Vision, die dahinter steht. Dort betreuen sechs Fachkräfte inzwischen weit über 90 Schulbibliotheken, mit dem Endziel, alle Schulen in Frankfurt zu erreichen, die Interesse haben. Von den 90 Schulen werden nur gut zehn Schulen fachlich vor Ort mit festem Personal betreut, die anderen werden zum Beispiel mit Hilfe von so genannten Vor-Ort-Modellen versorgt: eine Fachkraft geht sechs Wochen in eine Schule hinein und entwickelt dort mit den dortigen Kräften individuelle Modelle. Außerdem bietet die sba ein umfangreiches Aus- und Fortbildungsangebot für Lehrer und Ehrenamtliche und eine Vielzahl zentral organisierter Medienangebote. Und so schaffen sie es mit sechs Leuten, eine Stadt mit dieser Größenordnung zu bedienen. Jede Schule braucht zwar eine Medienausstattung, aber es muss nicht in jeder Schule ein Lehrer den Medienmarkt sichten, auch Datenbanken kann man zentral viel günstiger einkaufen und bereit stellen, dafür braucht man nur einheitliche Software und Zugänge. Man kann sich an vielen Stellen entlasten und die Arbeiten zentralisieren, damit sich die Fachkräfte in der Schule auf die pädagogische Arbeit konzentrieren können. Es wird in Deutschland nicht von heute auf morgen in allen Schulen Schulbibliotheken in der Ausstattungsqualität geben können, wie sie in der Frankfurter Erklärung beschrieben ist. Aber das Beispiel der sba Frankfurt zeigt, dass es mit den richtigen Strategien eben doch gehen kann.

Online-Redaktion: Wie sehen die nächsten Schritte auf dem Weg der Weiterentwicklung der Schulbibliotheken in Deutschland aus, und wie wirkt die Kommission Bibliothek und Schule des Deutschen Bibliotheksverbandes daran mit?

Lücke: Der allernächste Schritt wird jetzt im Juni die Ausschreibung der neuen Kommission mit dem neuen Schwerpunkt Schulbibliothek sein. Diese wird zu einem zweiten Treffen einladen und weiter daran arbeiten, die Kräfte zu bündeln.
Dann geht es darum, sich die Frankfurter Erklärung vorzunehmen und einen Baustein nach dem anderen gemeinsam mit den neuen Bündnispartnern nach dem schwedischen Modell mit Leben zu füllen und auszubauen. Die auf dem Symposium anwesenden Medien- und Schulwissenschaftler haben ihre Bereitschaft signalisiert, dabei beratend zur Seite zu stehen. Der jetzigen Kommission war es wichtig, den Prozess anzustoßen und dafür zu sorgen, dass die besondere Rolle der Schulbibliotheken in der nächsten Kommissionszeit klar herausgestellt werden kann. Die neue Kommission kann jetzt auf dieser breiten Basis durchstarten.



Birgit Lücke, Diplom-Bibliothekarin, Leiterin der Stadtbücherei Warendorf, Kooperationen mit allen Schulen und Schulformen vor Ort. Seit 2009 Vorsitzende der Kommission Bibliothek und Schule im dbv.




Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 30.04.2015
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