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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 01.11.2012:

„Auf dem Weg zu einer Kultur der Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung"

DEQA-VET-Jahresfachtagung 2012
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Die 4. DEQA-VET Jahresfachtagung
Quelle: DEQA-VET

Die 4. DEQA-VET-Jahresfachtagung fand am 13. und 14. September 2012 im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn statt. Unter dem Motto „Bildungsrepublik Deutschland: Auf dem Weg zu einer Kultur der Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung“ diskutierten rund 150 nationale und internationale Expertinnen und Experten über den Stand der Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung in Deutschland und Europa.


Zielsetzung der diesjährigen Jahrestagung war es, vor dem Hintergrund des seit 2010 wirkenden EQAVET-Prozesses den aktuellen Stand der Qualitätssicherung in der Bildungsrepublik Deutschland zu beschreiben und die dahinter stehenden Leitmotive darzustellen. Der so genannte EQAVET-Prozess, eine Qualitätsinitiative von 33 europäischen Staaten, resultiert aus dem Bestreben, die unterschiedlichen Berufsbildungssysteme in Europa weiterzuentwickeln und vergleichbarer zu machen. In jedem Land wurden dafür nationale Anlaufstellen eingerichtet. In Deutschland übernimmt diese Funktion seit 2008 die beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn angesiedelte „Nationale Referenzstelle für Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung“ (DEQA-VET).

Die Entwicklung einer Qualitätskultur braucht Zeit

Prof. Dr. Reinhold Weiß, Vizepräsident und Forschungsdirektor des BIBB, eröffnete die Fachtagung und betonte, dass die Bedeutung von Qualität und Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung weiter zunehmen werde. Eine Qualitätskultur müsse vorhandene Kriterien deshalb kritisch hinterfragen. Viele erfolgreiche Elemente und Instrumente gebe es bereits. Das Zusammenwirken von Teilzeitberufsschulen und Betrieben im dualen System gewährleiste eine enge Abstimmung. Die Berufsbildung erfahre eine hohe Wertschätzung in Politik und Gesellschaft und habe klare gesetzliche Grundlagen. Außerdem sei es gelungen, das System der anerkannten Aus- und Fortbildungen ständig zu erneuern, wodurch es eine neue Dynamik und Wertschätzung erfahren habe. Trotzdem gebe es qualitative Mängel. Die Vertragslösungsquote von 23 Prozent sei viel zu hoch, zu viele Jugendliche würden in Übergangssystemen verweilen und zu viele Betriebe über einen Mangel an geeigneten Bewerbern klagen. Weiß betonte, dass es deshalb für die Unternehmen wichtig sei, deutlich zu machen, was sie den Bewerbern über die Mindeststandards hinaus böten.

Mit der europäischen Initiative zur Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung bestehe die Möglichkeit, gemeinsam eine einheitliche Strategie zur Qualitätssicherung zu entwickeln. Qualitätssicherung sei aber, so Weiß weiter, keine rein europäische Herausforderung mehr. Sie finde unter dem Vorzeichen der Einigung auf den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) statt. Der DQR umfasst insgesamt acht Niveaustufen und sieht die Einordnung der Meister- und Techniker-Abschlüsse mit dem Bachelor-Abschluss auf der Stufe 6 vor. Diese gelten damit als gleichwertig. Die beruflichen Abschlüsse dürften aber nicht nur formal in einen Qualifikationsrahmen eingeordnet werden, forderte Weiß, sondern die Qualifikationen sollten auch in der Praxis nachgewiesen werden können.

Sean Feerick vom EQAVET-Sekretariat in Dublin/Irland stellte in seinem Vortrag „Zum Stand der Umsetzung der europäischen Instrumente der Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung aus europäischer Sicht“ die Erfahrungen vor, die andere Länder auf europäischer Ebene mit EQAVET seit zehn Jahren machen. Im europäischen Kontext werde offensichtlich, wie wichtig Qualitätssicherung sei, betonte er: Es gelte Zuverlässigkeit, Robustheit, Relevanz und Nutzen von Qualifikationen in den beruflichen Ausbildungen zu sichern. Ein Qualitätssicherungssystem fördere die Mobilität; Qualifikationen und Standards seien das Feld, auf dem berufliche und schulische Ausbildung aufeinandertreffen und interagieren. Die Partnerschaft mit stakeholdern spiele dabei eine ganz wesentliche Rolle. Im Gegensatz zur Situation in Deutschland würden in den meisten Ländern Ausbildungsträger umfangreich beteiligt, bei der Ausarbeitung der Umsetzung der Empfehlungen müssten jedoch Studierende und Auszubildende mehr einbezogen werden. Auch die Verbindungen zwischen der schulischen und beruflichen Ausbildung sowie der Ausbildung an den Hochschulen müssten verstärkt werden. Freerick zeigte sich davon überzeugt, dass die EQAVET-Empfehlungen das Potenzial haben, Qualitätssicherung zu verankern. „Wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam an der Lösung arbeiten, schaffen sie es auch gemeinsam“.

Prof. Dr. Peter Dehnbostel von der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) in Berlin machte in seinem Vortrag zum Thema „Berufliche Handlungskompetenz und die Indikatoren EQAVETs – ein gemeinsames Qualitäts- und Kulturverständnis“ darauf aufmerksam, dass die Entwicklung der Qualitätssicherung Zeit brauche. „Eine Kultur herzustellen braucht Jahrzehnte! Es gibt bereits Facetten von Ansätzen der Qualität in der beruflichen Bildung, aber sie werden noch nicht richtig gelebt“, betonte er. „Im Mittelpunkt dessen, was wir überprüfen, stehen die Kompetenzen. Der Qualifikationsrahmen ist das Steuerungsinstrument, aber er sollte auch informelle und nicht formale Qualifikationen erfassen. 60 bis 80 Prozent dessen, was eine Fachkraft kann, hat sie informell im Leben erworben. Darauf hat sich unsere Bildungsgesellschaft noch nicht eingelassen.“ Dehnbostel plädiert deshalb für ein neues Qualitätsverständnis, dass einem verantwortlichen Bildungssystem zugrunde liegt. Zu dem Verfahren „Input – Prozess – Output“ sei bereits der „Outcome“ – die Wirksamkeit – hinzugekommen. Zusätzlich würde aber zwischen dem Output (Zeugnis) und dem Outcome eine Transferphase benötigt. Auch sollten Ziele und Standards, die gesellschaftlich bestimmt werden müssen, vor dem Input stehen. Er verwies darauf, dass der Deutsche Qualifikationsrahmen noch zu wenig Qualitätssicherung und zu wenig Qualität in der Bildungsplanung aufzeige. Die Bildungsbereiche – auch der Hochschulbereich – benötigten jeweils einen eigenen Bezugsrahmen. Außerdem müsse Qualitätssicherung die Evaluierung von Einrichtungen durch externe Prüforgane einschließen.

Anregende Diskussionen in fünf Foren

Nach den Vorträgen der Experten diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jahrestagung in fünf Foren die beiden Leitfragen: „Hat die berufliche Handlungsfähigkeit bzw. -kompetenz über den engeren Kreis des betrieblichen Teils der Erstausbildung hinaus mittlerweile tatsächlich verbindlichen Charakter erworben?“ und „Entspricht die berufliche Handlungsfähigkeit als Konstrukt dem Indikatorensystem des EQAVET-Prozesses und wenn ja, inwieweit?“
Das Forum 1: „Qualitätskultur in der Allgemeinbildung“ – moderiert von Wulf Homeier vom Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) in Hildesheim und Michaela Achenbach vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt/Main – kam zu dem Schluss, dass die Kommunikationswege weiter geöffnet und verstärkt werden müssen. Alle Schüler müssten im allgemeinbildenden System besser auf die berufsbildende Phase vorbereitet werden. Auch werde in den vielen kleinen Schulen, die es beispielsweise in Niedersachsen gebe, die Qualitätsarbeit auf zu wenige Schulter verteilt. Entscheidend sei deshalb für die Zukunft ein Einstellungswandel: Lehrkräfte müssten das Bewusstsein entwickeln, dass Bildung mit Qualität gleichzusetzen sei. Auch die Schulleiter wüssten oft viel zu wenig über die Unterrichtsinhalte an ihrer Schule. Außerdem gebe es zu viele parallel existierende Maßnahmen, mit denen das allgemeine Schulsystem Schüler ausbildungsfähig machen könne, und zu wenig Verzahnungen zwischen dem allgemeinen und dem berufsbildenden System.

Das Forum 2: „Qualitätskultur in der dualen Berufsbildung“ teilte sich in zwei Arbeitsgruppen auf. Die Moderation übernahmen Margit Ebbinghaus vom BIBB und Helena Sabbagh, beim BIBB im Bereich DEQA-VET aktiv. Die erste Gruppe resümierte, dass zwar Akteure und Praxis in das System eingebunden würden, sich die Handlungskompetenz aber noch nicht hinreichend an den Grundsätzen des DQR orientiere. Es gebe ein Bewusstsein für eine Qualitätskultur, aber noch viel Spielraum für Verinnerlichung im Detail. Bürokratische Hürden seien zu hoch, passende Lösungen scheiterten in der Umsetzung. Die Schulgesetze der Länder seien oft zu starr. Es entstehe eine Diskrepanz zwischen der Theorie der Qualitätssicherungssysteme und der Praxis. Die zweite Gruppe hob hervor, dass es gute Grundlagen für Qualitätssicherung durch Ordnungsvorgaben gebe, aber noch mehr Anstrengungen erfolgen müssten, dieses Potenzial auch zu nutzen. „Es muss mehr Lernortkooperationen zwischen Betrieben und Berufsschulen geben, auch müssen die Azubis mehr eingebunden werden, um Transparenz herzustellen“, so das Statement. Erste Tendenzen der Kompetenzorientierung seien da, die EQAVET-Indikatoren würden aber noch nicht richtig genutzt und in die Qualitätssicherungssysteme eingespeist. Qualitätskultur gebe es auf Systemebene, auf Umsetzungsebene müsse noch mehr getan werden.

Im Forum 3 ging es um die „Qualitätskultur in der vollzeitschulischen beruflichen Aus- und Weiterbildung“. Die Moderation übernahmen Dr. Uwe Lehmpfuhl und und Dr. Monique Nijsten, beide vom BIBB. Das Forum konstatierte, dass es in allen Ländern Qualitätssicherungen für berufliche Schulen gebe, die Lehrer das Gedankengut der Qualitätssicherung aber noch mehr übernehmen müssten. Lehrer sollten zu teamplayern werden, Schulen sich besser vernetzen und gegenseitig unterstützen. Jede Schule entwickele ihre eigene Qualitätskultur, einheitliche Qualitätsstandards fehlten. Auch herrsche keine Harmonie zwischen europäischer und deutscher Einstufung. Die Lernergebnisse und nicht der Status auf Ausbildungsgänge sollten im Vordergrund stehen.

Das Forum 4: „Qualitätskultur in der beruflichen Erwachsenen- und Weiterbildung“ – moderiert von Alfred Töpper von der Qualitätsgesellschaft Bildung und Beratung mbH (qbb) in Berlin und Dick Moraal vom BIBB, zeigte auf, dass es in der Erwachsenenbildung bereits viele Qualitätsmanagementmodelle gebe, die insgesamt zu einer besseren organisationalen Qualität geführt hätten. Aber im Bereich der pädagogischen Qualität, der Lehr- Lerninteraktion und der Durchführungsqualität von Bildungsveranstaltungen zeige sich Optimierungsbedarf. Der Deutsche Qualifikationsrahmen sei noch nicht in der Praxis angekommen. Die EQAVET- Indikatoren bedienten vielfach nur die Makroebene. Das Herunterbrechen auf die Betriebe dürfte die größte Herausforderung sein. In der Weiterbildung machten strenge Vorgaben der Zertifizierung Änderungen schwierig. Auch müsse der Inhalt mehr mit der Prüfung abgeglichen werden.

Das fünfte Forum in englischer Sprache zum Thema: „BIBB Pilot Projects on Quality Assurance and Quality Development – a Contribution to the European Process“ beschäftigte sich inhaltlich mit den Sachständen auf den verschiedenen Ebenen der Qualitätssicherung. Viele Expertinnen und Experten, darunter Barbara Hemkes, BiBB, Sophie Weisswange, Europäische Kommission, Dr. Dorothea Schemme, BIBB, Christel Weber, Koordinationsstelle Qualität (k.o.s.), Tina Knoch, Institut für Gerontologische Forschung (IGF), Carmen Hahn, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, Prof. Manfred Eckert, Universität Erfurt, Sigrid Bednarz, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und Claudio Dondi, SCIENTER, beteiligten sich an der Diskussion. Am Beispiel der Kooperation von fünf Pilotprojekten in Deutschland wurde aufgezeigt, dass der Referenzrahmen schon gut bekannt sei, in einigen Punkten aber noch verbessert werden könne. So werde die Pädagogik in den Betrieben bei den Indikatoren zu wenig berücksichtigt, außerdem müsse es verbindlichere Standards für Lernergebnisse geben, und auch die Ebene zwischen Ausbilder und Auszubildendem brauche mehr Beachtung. Eine wissenschaftliche Begleitung sowie Durchlässigkeit und Übertragbarkeit der Indikatoren fehlten. Auch die Beziehung zwischen den Indikatoren und Innovationen sei noch unklar. Ein verbindliches System müsse das Ergebnis eines gewachsenen Prozesses sein, der Prozess müsse daher von unten nach oben offen sein.

Qualitätskultur in der Bildungsrepublik
Zum Abschluss der zweitägigen Veranstaltung diskutierten die Vertreter der Bundesländer und der EU, der Kammern, der Hochschulen und der Weiterbildung, der Auszubildenden, der Nationalen Agentur (NA), des BIBB sowie von DEQA-VET unter der Moderation von Alfred Töpper von der Qualitätsgesellschaft Bildung und Beratung mbH in Berlin gemeinsam über grundsätzliche Ansätze einer Qualitätskultur in der „Bildungsrepublik Deutschland“.

Wolfgang Kreher vom Hessischen Kultusministerium betonte, dass eine gute Qualitätsstruktur bereits entwickelt und damit vielen Schulen ermöglicht worden sei, sich auf den Weg zu mehr Selbstständigkeit zu machen. Auch Uwe Meyeringh von ver.di NRW machte deutlich, dass er in der beruflichen Bildung eine schon seit vielen Jahren gelebte Qualitätskultur sehe, die die Lebensqualität der Jugendlichen im Auge habe. Daniela Decker, Auszubildende im BiBB, betonte in diesem Zusammenhang, wie wichtig es sei, wenn sich der Ausbilder in Feedback-Gesprächen in den Auszubildenden hineinzudenken versuche und Denkanstöße gebe.

Barbara Fabian vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) wand ein, dass Europa auf das duale System nach Deutschland schaue und Deutschland sich der Aufgabe stellen müsse, was es nach Europa geben könne. Auch Wolfgang Kreher betonte, dass es Deutschland so gut gehe, weil es eine duale Ausbildung habe. „Deshalb müssen wir jetzt in duale Studien investieren“, ergänzte er. Thomas Gruber von der Nationalen Referenzstelle DEQA-VET konstatierte: „Man kann den Rückgang bei der dualen Bildung nicht nur auf die Demographie schieben. Man muss tradiertes Denken hinterfragen. Wir müssen einen gemeinsamen Weg in eine europäische Zukunft gehen, die durch Vielfalt gestaltet wird!“

Auf die Frage, wie Qualität dauerhaft gesichert und aufrechterhalten werden könne, verwies Isabelle Bonnaire von der Nationalen Agentur beim BIBB darauf, wie wichtig es sei, sich zu vernetzen und voneinander zu lernen. „Man muss zusammen versuchen, besser zu werden.“

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 01.11.2012
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