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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 07.05.2009:

Bologna - die Wege sind steinig und weit

Weitere Schritte zur Harmonisierung des europäischen Hochschulwesens bis 2020
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Bildrechte: Bologna-Process

Bologna, das Zauberwort, das Schibboleth einer neuen und starken europäischen Idee von Bildung? Oder vielmehr: Bologna, die Bankrotterklärung abendländischer Kultur? Bologna, das Wort, das bei den einen Bildungsträgern die Herzen höher schlagen, bei den anderen den Atem stocken oder einen melancholischen Blues erklingen lässt. Wofür hat er nicht alles herhalten müssen, der Name der alten Universitätsstadt in Norditalien, in der sich am 19. Juni 1999 die Vertreter von 30 europäischen Staaten versammelten, um eine Neustrukturierung des gesamten europäischen Hochschulraums auf den Weg zu bringen. Doch manche Wege sind steinig und weit. Und so trafen sich vom 28. bis 29. April im belgischen Leuven die Kultusminister zur inzwischen fünften Folgekonferenz. Die Urteile über die bisher erreichten Ergebnisse sind gespalten. Wie eh und je.

Fortsetzung von Bologna ohne neue Aktionslinien
Auf der Ministerkonferenz in Leuven vereinbarten die bisher 46 europäischen Staaten, die am Bologna-Prozess beteiligt sind, weitere gemeinsame Schritte, um die vielleicht umfassendste Hochschulreform in der Geschichte des akademischen Bildungswesens fortzuführen. Das Hauptziel bleibt die Etablierung eines zusammenhängenden europäischen Hochschulraums, der den Studierenden in allen beteiligten Staaten eine Vergleichbarkeit ihrer Qualifikationen ermöglicht. Die ursprüngliche Zielmarke, die in Bologna noch bei 2010 gelegen hatte, ist deutlich verschoben worden: um zehn Jahre.
Weil ein gemeinsamer europäischer Hochschulrahmen noch nicht überall erreicht sei, müssten bis 2020 weitere Anstrengungen unternommen werden, wie es in der Anschlusserklärung von Leuven heißt. Der Bologna-Prozess soll fortgesetzt und vertieft werden, eine Notwendigkeit für neue Aktionslinien wird nicht gesehen. Künftige Handlungsschwerpunkte sind: Weiterentwicklung der Curricula, Qualität der Lehre, akademische Mobilität innerhalb Europas, die soziale Dimension des Bologna-Prozesses und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Mobilität als „Gütesiegel“ der Reform
Als „Gütesiegel“ der gesamten Reform gilt der Faktor Mobilität, das heißt die Ermöglichung und Wahrnehmung akademischer Auslandsaufenthalte. Mit der Beseitigung von Mobilitätshemmnissen steht und fällt das gesamte Bologna-Projekt. Die Minister in Leuven beschlossen deshalb, die Mobilität der Studierenden in allen Staaten auf mindestens 20 Prozent zu erhöhen – das heißt jeder fünfte Studierende soll im Verlaufe seines Studiums wenigstens ein Semester lang an einer ausländischen Hochschule studiert haben. Deutschland legte die Latte dafür sogar noch einmal höher: Es will in Zukunft 30 Prozent aller deutschen Studierenden mindestens ein Semester ihres Studiums an einer ausländischen Universität absolvieren lassen.

Die Erfolgsgeschichte des Sokrates/Erasmus-Programms wird also durch zusätzliche Mobilitätsanreize ausgeweitet und durch zahlreiche andere Austauschprogramme ergänzt. Dafür braucht es harmonisierte Rahmenbedingungen innerhalb Europas. Eine Studentin, die zum Beispiel für ein Semester von Düsseldorf nach Helsinki gehen möchte, will die Sicherheit haben, dass ihre dort erbrachten Leistungen in Deutschland ohne bürokratische Hindernisläufe anerkannt werden. Und sie will in Finnland ihr Fachwissen erweitern können, vielleicht sogar länger bleiben und einen Doppelabschluss (Joint Degree) anstreben. Gleiches gilt für Studierende in allen anderen Staaten, von Albanien bis Zypern.

Master und Bachelor - das neue Hochschulpaar
Die bekannteste Änderung auf diesem Weg einer Harmonisierung des europäischen Hochschulwesens ist sicherlich die schrittweise Umstellung auf die Studiengänge und Abschlüsse Bachelor (BA) und Master (MA) an den Universitäten, die sich am amerikanischen Hochschulwesen orientiert. Der – je nach Land – sechs- bis zehnsemestrige Bachelor und ein darauf eventuell folgender Master ersetzen in Deutschland immer mehr den Magister und das Diplom. Wie ein im März 2009 veröffentlichter Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigt, waren zum Wintersemester 2008/2009 bereits 75 Prozent aller Studiengänge an deutschen Hochschulen auf das neue BA/MA-System umgestellt. Bereits ein Jahr zuvor waren 600 000 der zwei Millionen deutschen Studierenden in BA- und MA-Studiengängen immatrikuliert. Zum Vergleich: Im Wintersemester 2005/2006 betrug der Anteil gerade einmal 12,5 Prozent. Vor allem die traditionell praxisorientierten Fachhochschulen sind Vor- und Spitzenreiter bei der Reform. Ganze 94 Prozent aller Studiengänge laufen hier schon nach dem neuen Prinzip. Während sich das Gros der Studierenden mit Ziel Bachelor und Master in den Fächergruppen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Mathematik und Naturwissenschaften findet, führt die Mehrzahl der noch nicht umgestellten Studiengänge zu staatlichen oder kirchlichen Abschlüssen. Vorbehalte gibt es vor allem unter Medizinern, Ingenieuren und Kunst- bzw. Musikstudenten. In allen Bachelor-Studiengängen sollen Auslandsaufenthalte – bisher immer noch eher ein freiwilliger Soft Skill – systematisch in die Curricula der Bachelor-Studiengänge integriert werden.

Mit der Umstellung verbunden ist die Einführung von so genannten Modulen und Leistungspunkten nach dem European Credit Transfer System, kurz ECTS. Bundesbildungsministerin Annette Schavan kommt zu dem Schluss, dass die Umsetzung „an Fahrt gewinnt“. Die Reform sei für die deutschen Hochschulen „ein Gewinn“. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, die an der Konferenz von Leuven als Gast teilnahm, sieht die dort erreichten Ergebnisse indes nüchterner: „Es müssen noch etliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, um die angestrebte Mobilität wirklich zu erreichen.“ Konkret heißt dies: „In Deutschland muss der Staat etwa beim Auslands-BAföG, bei der Altersversorgung mobiler Wissenschaftler und beim Aufenthaltsrecht nachbessern.“ Zudem sei die Lehre konsequenter ins Zentrum zu rücken.

Master in Sachen Skepsis: Deutschland
Gerade die deutschen Lehrenden zeigen sich gegenüber dem Bologna-Prozess besonders reserviert. Laut einer Umfrage des Gallup-Instituts unter 5800 Hochschullehrern in 31 europäischen Ländern hält 62 Prozent der deutschen Dozenten die Hochschulreform für bisher wenig erfolgreich. Die Mehrheit, nämlich 52 Prozent, glaubt gar, dass es besser gewesen wäre, die alten Studienmodelle beizubehalten. Das ist der höchste Wert unter allen europäischen Ländern, die an dieser Studie teilgenommen haben. Vier von zehn Hochschullehrern in Deutschland sind der Meinung, dass der Bachelor nicht darauf vorbereitet, einen angemessenen Job zu finden. Zwar waren die Bildungspolitiker teils harsche Kritik von Studentenvertretern gewohnt, die dem Bologna-Prozess Verfehlungen besonders im sozialen Bereich – also in punkto Studienfinanzierung und Chancengleichheit – vorwerfen. Die Umfrage des Gallup-Instituts zeigt nun aber, dass die Stimmung auch an der professoralen Basis nicht so rosig ist, wie es die bildungspolitischen Entscheidungsträger gerne wahrhaben möchten.

Dies mag auch daran liegen, dass Bologna insbesondere für das deutsche Hochschulwesen ganz entscheidende Einschnitte mit sich bringt. Traditionell eher reformunwillig, aber in der Vergangenheit auch nicht so verschult wie amerikanische oder britische Bildungssysteme, gründeten sich die deutschen Universitäten auf Humboldts Ideal der Einheit von Forschung und Lehre – und die stillschweigende Annahme, dass geistige Leistung weniger kontrolliert und erzwungen, als freiwillig erbracht werden könne. Zudem müssen im Unterschied zu Deutschland viele andere europäische und darunter alle englischsprachigen Länder nicht mit dem Problem der völligen Umwandlung bestehender Abschlüsse kämpfen – sie waren schon vorher weitgehend dem amerikanischen BA- und MA-Modell angepasst.

„Negativ schlägt zu Buche, dass die Reform international hochrenommierte Studienabschlüsse entwertet“, gab der Münchner Philosophieprofessor und Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Oktober 2008 zu bedenken. „Dazu gehört der deutsche Diplom-Ingenieur, dazu gehört das Staatsexamen in Jura […] und dazu gehören die traditionsreichen und weltweit angesehenen geisteswissenschaftlichen Magister-Abschlüsse.“ Allerdings verschweigt Nida-Rümelin einen wichtigen Vorteil des Bachelors. Bisher hatte ein deutscher Magister-Student nach dem Abbruch seines Studiums vor dem Examen nichts in der Hand – selbst nach zehn und mehr Semestern. Mit dem Bachelor kann er die Universität nun mit einem staatlich anerkannten Zeugnis verlassen.

„Hamster im Laufrad“
Viele Probleme in Deutschland im Zusammenhang mit Bologna sind hausgemacht. Darunter fällt der Umstand, dass die erste Studienphase bis zum Bachelor an deutschen Universitäten nur sechs Semester beträgt, während Studenten in England und in vielen anderen Unterzeichner-Staaten mindestens sieben, mitunter bis zu zehn Semester Zeit bis zu ihrem ersten Abschluss haben. Die Inhalte früher acht- bis zehnsemestriger Diplomstudiengänge sollen an deutschen Universitäten nun in drei Jahren absolviert werden, was zu sehr dichten Studienplänen und strikten Anwesenheitslisten führt – und gerade keine Anreize dafür schafft, für längere Zeit ins Ausland zu gehen. Zudem müssen viele Studierende nach wie vor neben dem Studium jobben, auch um die in zahlreichen Bundesländern obligatorischen Studiengebühren finanzieren zu können.

In Anbetracht dessen hat Bernhard Kämpen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, die Situation junger Studierender in Deutschland in Zeiten von Bologna mit denen von „Hamstern im Laufrad“ verglichen – wobei natürlich jedes Bundesland sein eigenes „Laufradsystem“ pflegt. Und jede Universität sich herausnimmt, ihre zukünftigen Master-Studenten nach eigenen Kriterien auszuwählen. Einen Anspruch auf die Fortsetzung des Studiums nach dem Bachelor haben Studierende auch nach der Konferenz von Leuven nicht.

Allein der Wechsel der Universität innerhalb Deutschlands, im kulturellen Bereich bis ins Äußerste föderalistisch organisiert, ist zehn Jahre nach der Erklärung von Bologna nicht wesentlich einfacher geworden. Weil viele Studiengänge mittlerweile bundesländerspezifisch stark ausdifferenziert und spezialisiert sind, hapert es mit der Anerkennung der neuen Studienmodelle und des Leistungspunktesystems an manchen Hochschulen noch immer. Ein Student, der von Kiel nach München wechselt, will zumindest nicht mehr Probleme erleben als eine Studentin, die für ein Semester nach Tirana geht – bestenfalls gar keine.

Im Bundesbildungsministerium ist man inzwischen offen für eine zeitliche Ausweitung der Bachelor-Phase, wenn ein Aufenthalt im Ausland eingeplant ist. Dies sei aber jeweils von den Hochschulen vor Ort zu entscheiden, so der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Andreas Storm (CDU), der neben dem parteilosen sachsen-anhaltinischen Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz Deutschland auf der Konferenz von Leuven vertrat. Storm und Olbertz verteidigten laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach der Konferenz zwar das Reformwerk, gestanden aber Verbesserungsbedarf ein. Zu prüfen sei, „ob nicht eine allzu starke Ausdifferenzierung und Profilbildung gerade in der Bachelor-Phase die gewollte Mobilität der Studierenden wieder einschränkt“.

Soziale Dimension
Ein Hauptanliegen der Bologna-Reform bleibt die Verbesserung der sozialen Bedingungen des Studiums. So heißt es in der Abschlusserklärung der Konferenz von Leuven: „Der Zugang zu universitärer Bildung soll erleichtert werden, indem die Kompetenzen von Studierenden aus bisher unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen gefördert und gleichwertige Studienbedingungen für alle geschaffen werden.“ Deutschland muss hier besonders nachbessern, studieren an deutschen Universitäten doch nach wie vor immer noch wenige Kinder aus bildungsfernen Schichten. Für den Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, ist Leuven insgesamt eine „Enttäuschung“: „Wieder nur warme Worte, wieder keine verbindlichen Aussagen, wie es mit der sozialen Dimension des Bologna-Prozesses weitergehen soll. Hier treten wir an Ort und Stelle.“ Noch ist jedoch längst nicht aller Tage Abend: Die nächste Konferenz im rumänischen Bukarest 2012 wird zeigen, ob man den ehrgeizigen Zielen ein Stück näher gekommen ist.

Autor(in): Arndt Kremer
Kontakt zur Redaktion
Datum: 07.05.2009
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