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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 01.08.2007:

"Wenn Schulen besser werden wollen, dann geht das nur mit denen, die in der Schule arbeiten."

Ein Gespräch mit Peter Fauser am 19. Juli 2007 während der Thüringer Sommerakademie "Demokratie lernen & leben" in Weimar
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Bildrechte: BLK-Programm "Demokratie lernen und leben"

Das Schulentwicklungsprogramm "Demokratie lernen & leben", bei dem Bund und Länder im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) zusammenwirkten, wurde Anfang 2007 nach fünf Jahren Laufzeit abgeschlossen. Insgesamt beteiligten sich rund 200 allgemein bildende und berufliche Schulen in 13 Bundesländern. Ziel des Programms war es, Unterricht und Schulleben zu demokratisieren sowie die Bereitschaft junger Menschen zur aktiven Mitwirkung an der Zivilgesellschaft zu fördern. Damit sollte auch eine Antwort gegeben werden auf Gewalt, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen und auf die seit Jahren zunehmende Politik(er)verdrossenheit und Politikdistanz.

Auch nach dem Ende der Förderung wirken Programm und Vision von "Demokratie lernen & leben" fort. Vom 19. bis 21. Juli 2007 veranstaltete das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) an der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) die Dritte Thüringer Sommerakademie "Demokratie lernen & leben", wo insbesondere in Workshops für Lehrerinnen und Lehrer Gelegenheiten geboten wurden, Erfahrungen auszutauschen und neue Handlungsroutinen für die Arbeit in der Schule einzuüben.

In einem Gespräch berichtet Peter Fauser, Professor für Schulpädagogik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, von der Entstehung, der Entwicklung, den Erfolgen und den Erkenntnissen von "Demokratie lernen & leben". Wie beurteilt er heute, was passiert ist, nachdem er im Jahre 2001 zusammen mit Wolfgang Edelstein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin ein Gutachten verfasste, das die Grundlage des Programms bildete? Deutlich wird, dass neben der Struktur des Schulwesens insbesondere die Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern im Mittelpunkt seiner Schulreformbemühungen stehen.
Die Fragen stellte Veit Polowy.

Entstehung des BLK-Programms "Demokratie lernen & leben"

Polowy: Wie sind Sie dazu gekommen, diese Expertise mit Wolfgang Edelstein zu schreiben?

Fauser: Im Hinblick auf die inhaltlichen Ziele, also die "Sache"´ war´s ganz einfach. Da haben sich zwei Leute getroffen, die das gleiche Interesse haben. Sie fragen natürlich nach den zeitgeschichtlichen Hintergründen. Es gibt in Deutschland seit den späten Siebzigerjahren eine ganz intensive Diskussion und wachsende Besorgnis über Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit oder -verdrossenheit, Politikerschelte usw. Das Förderprogramm "Demokratisch Handeln" - für mich der Erfahrungshintergrund für diese Expertise - hat sich damit schon seit der deutschen Vereinigung ziemlich genau auseinandergesetzt, und zwar auch praktisch, durch einen jährlichen Wettbewerb. Die Lage hatte sich ja dann zur Jahrtausendwende wieder zugespitzt; es gab diverse fremdenfeindliche Anschläge. Wir haben dann gemeinsam in Konferenzen und Beratungen darüber diskutiert, was zu tun sei. Das Instrument des BLK-Modellprogramms schien uns geeignet. Dann hat das BMBF uns beide mit der Expertise beauftragt. Es war natürlich von Vorteil, dass Wolfgang Edelstein und ich demokratiepädagogisch und wissenschaftlich eine gemeinsame Grundauffassung haben.

Polowy: Welche Personen außer Wolfgang Edelstein spielten dabei außerdem eine Rolle?

Fauser: Ganz wichtig war die Freudenberg-Stiftung, die das Programm angeregt hat, besonders Christian Petry, und in der Senatsverwaltung Berlin Eberhard Welz. Später sind noch eine Reihe von Partnern - z. B. Gerd de Haan und Christiane Giese, um nur die "Chefs" der Berliner Koordinierungsstelle zu nennen - dazugekommen, die dann für die Umsetzung wesentlich geworden sind.

Polowy: Inwieweit schließt das BLK-Programm an die Re-Education und Reformpädagogik an? Gibt es bewusste Verbindungen?

Fauser: Eher indirekt. Die Re-Education war ja ein gut gemeinter, aber im Grund naiver Versuch, auf den Zusammenbruch der Demokratie in Deutschland und auf Nazi-Deutschland mit einem Erziehungsprogramm zu reagieren. Was übrig geblieben ist, ist die Schülermitverwaltung und das Fach Politische Bildung. Wenn man dieses nimmt und dann noch die gesamte reformpädagogische Diskussion und die neueren Lern- und Entwicklungstheorien und die Erkenntnisse über Schulqualität hinzufügt, dann hat man den Ansatz für das BLK-Programm. Also erstens: ein Erziehungsziel, also eine Philosophie, die auch in der Re-Education zum Ausdruck gebracht worden ist. Zweitens: die Überzeugung, dass Lernen nicht nur der Transfer von Wissen von einem Älteren zu einem Jüngeren ist, sondern die aktive und eigene Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit braucht, also Handlungsorientierung und Lebensorientierung. Und drittens: die Einsichten der modernen Lernforschung, die ganz klar zeigen: Lernen ist ein aktiv-produktiver Vorgang, der ganz wesentlich die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit braucht - man kann sagen "kompetenzbasiert", das ist der Sammelbegriff, unter dem wir das diskutieren -, auf intelligentes, anwendungsfähiges, lebenstaugliches Wissen angelegt. Wenn man dann fragt, was das für Schule und Lehrer bedeutet, dann hat man den Ansatzpunkt für dieses Programm.


Entwicklung von Schulen

Polowy: Was ist an deutschen Schulen änderungswürdig?

Fauser: Gegenwärtig wird in der internationalen Diskussion ein Paradigmenwechsel postuliert von der Lehre zum Lernen. Was heißt das? Zunächst: Es wäre falsch anzunehmen: Es gibt Schulen, die sind noch in der alten Tradition, und es gibt Schulen, die sind in der neuen und richtigen Moderne. Richtig ist vielmehr: In jeder Schule, und wenn man es noch zuspitzt: bei jedem Lehrer, jeder Lehrerin gibt es beide Ansätze. Nämlich den Ansatz, den ich gerne mit dem Begriff "Verkündigung" beschreibe, wo man so handelt wie der sprichwörtliche Pfarrer in der Kirche: Einer gibt etwas von sich und - das wird unterstellt - die anderen nehmen das auf und haben es dann gelernt. Das ist bekanntlich falsch. Der andere Ansatz ist, vom Lernen auszugehen. Dann konzentriert sich das Lehrerhandeln auf die Begleitung des Lernens, nicht auf die Belehrung. In jeder Schule sind beide Kulturen vorhanden. Was wir brauchen, ist ein durchgreifender und professionell verstandener und beherrschter Wechsel zur Kultur des Lernens. Das ist das Wesentliche. Bildungspolitisch müssen wir irgendwann über die Strukturfragen nachdenken. Wir brauchen einen ganz anderen Umgang mit Heterogenität und zwar mit der Integration von Heterogenität. Das sind für mich die wichtigsten Basisqualitäten. Das ist sehr weitgreifend.

Polowy: Was sind konkrete Eckpfeiler, was sich an Schulen ändern sollte oder woran sich Schulen ausrichten sollten?

Fauser: Das Wichtigste wäre, dass wir den Lehrerinnen und Lehrern Qualifikationsprogramme anbieten, die es ihnen ermöglichen, berufsbegleitend neue Handlungsroutinen zu entwickeln. Das Schwierigste bei diesem Paradigmenwechsel von der Lehre zum Lernen ist nämlich die Entwicklung neuer Routinen. Lehrer handeln ja, handlungspsychologisch gesehen, unter großem Druck. Das heißt, sie befinden sich in einer Situation wie ein Simultanschachspieler, der an 24 Brettern gleichzeitig spielt und eigentlich keine Zeit zum Denken hat. Er muss die Stellung blitzschnell erfassen und reagieren. Das kann man nur, wenn man extrem gut funktionierende Routinen hat, und zwar die richtigen Routinen. Die zu lernen ist sehr aufwändig. Das ist das, was wir in der Lehrerbildung und -fortbildung bisher sträflich vernachlässigen. Die Lehrer werden da auch allein gelassen. Das wäre für mich der erste und wichtigste Ansatzpunkt: Eine Entwicklung und Professionalisierung des Lehrerhandelns.

Polowy: Welche weiteren Punkte können Sie nennen außer Lehrerbildung?

Fauser: Wenn die Lehrer anders handeln, ist das die halbe Miete. Das hat mehrere Systemfolgen. Zum einen muss das in der Lehrerbildung ganz anders angelegt werden. Wir machen ja üblicherweise in der Lehrerbildung überhaupt kein Training. Dann müssten die Schulen viel mehr Selbstständigkeit bekommen im Hinblick auf die Gestaltung der schuleigenen Lernpläne. Ich sage: "Lernpläne", weil es nicht um Lehrpläne geht, sondern um Lernpläne. Gute Schulen haben Lernpläne, die sehr unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit, der individuellen Arbeit, der Gruppenbildung, der fächerübergreifenden Arbeit enthalten. Da ist ein ganz großes Entwicklungsfeld. Da gilt natürlich das Gleiche wie bei der Veränderung von Berufsroutinen beim einzelnen Lehrer: Die Schulen müssen dazu überhaupt erst in die Lage versetzt werden, das zu machen. Am Ende würde ich natürlich sagen, es wäre wirklich wunderbar, wenn in Deutschland eine aufgeklärte Strukturdebatte einsetzen würde. Ich finde, dass die alte Debatte über das so genannte dreigliedrige Schulwesen immer wieder auf die falschen Punkte führt. Entscheidend ist eigentlich, dass Schulen lernen, mit Heterogenität umzugehen, dass sie keinen Schüler verlieren unterwegs, dass wir aufhören mit dem Sitzen bleiben usw. Es gibt viele schulformunabhängige Qualitäten, die zu entwickeln sich lohnt. Das alles hat natürlich für mich mit Demokratie zu tun, weil der Kern der Demokratie ist, dass alle Menschen in die wichtigen Dinge einbezogen werden und in der gleichen Weise gefördert und anerkannt werden.


Entwicklung des Programms

Polowy: Welche Schritte sind erfolgt, bis aus der Expertise im Jahre 2001 das BLK-Programm entstand?

Fauser: Die Expertise ist so was wie eine Gedankenressource. Es war im Blick auf die konkrete Umsetzung des Programms klar, dass die verschiedenen Bundesländer ganz unterschiedliche Schwerpunkte bei der Realisierung legen würden und auch die Schulen ganz unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte setzen. So weit ich das beurteilen kann, hat das Programm mehrere wichtige Folgen nach sich gezogen. Für mich das Allerwichtigste ist, dass es jetzt eine große Gruppe von Lehrerinnen, Lehrern und Fortbildnern gibt, die das Thema Demokratie als ihr Thema verstehen und die über professionelle Instrumente verfügen, anderen bei ihren und den notwendigen Lernprozessen zu helfen. Außerdem gibt es Netzwerke in den verschiedenen Bundesländern, die die Zusammenarbeit dieser Kollegen absichern. Und es gibt eine ganze Reihe von Schulen in dem Programm, die gelernt haben, viel bewusster und mit Qualitätsmaßstäben Demokratie in der eigenen Schule zu verwirklichen. Die Frage, ob man die Programmwirkung auf der Ebene von Lernprozessen der Schüler nachweisen kann, die würde ich eher vorsichtig beurteilen, einfach deshalb, weil die von mir jetzt genannten Primärveränderungen auf einer anderen Ebene liegen und wir außerdem keine echten Längsschnittdaten haben. Aber wir haben eine Reihe von empirischen Befunden, die immerhin zeigen: Es war nicht ganz ohne. Gleichwohl: Netzwerkbildung, Professionalisierung, institutionelle Qualitätsentwicklung - das sind die wichtigsten Schritte.

Polowy: In welchen Entwicklungsetappen hat sich das BLK-Programm entfaltet?

Fauser: Die ersten Schritte nach der Expertise und dem Beschluss zur Einrichtung des Programms waren, dass die Länder ihre Arbeitsfelder definiert haben und die Schulen, die sich am Programm beteiligt haben. Dann haben sie länderspezifische Multiplikatoren und Netzwerkkoordinatoren eingerichtet. Im Verlauf entstand dann ein wachsender Arbeitsverbund zwischen allen verschiedenen Ebenen. Dann wurden Qualifikationsmodule eingerichtet, die zum Teil von der Koordinierungsstelle in Berlin, zum Teil von Fortbildungsinstituten, vor allem vom brandenburgischen Fortbildungsinstitut in Ludwigsfelde, angeboten worden sind, und überdies jährliche Tagungen unterschiedlicher Ausrichtung. Dann gab es eine Zwischenkonferenz in Magdeburg - die drei, vier Programmjahre sind ja unheimlich schnell vorbei - und eine Abschlusskonferenz jetzt im Frühjahr in Berlin und länderspezifische Abschlusskonferenzen in den teilnehmenden Bundesländern. Sehr viel Material ist erarbeitet und teilweise im Internet zugänglich gemacht worden. Es gibt einen ganzen Schuber mit Beispielen, mit Qualifikationsangeboten, mit theoretischen Texten und länderspezifischen Entwicklungsporträts. Das Programm hat viel fachliches Wissen hervorgebracht. Es steht also sehr viel abrufbares, greifbares Wissen über das Warum, über das Wie, über das "Wer macht´s?" zur Verfügung.


Erfolge des Programms

Polowy: Wie beurteilen Sie das Erreichte nach sechs Jahren?

Fauser: Ich finde es ein Unglück, dass es keine Transferprogramme mehr gibt, weil es nach der Föderalismusreform die BLK nicht mehr gibt. Aus meiner Sicht müssten wir alle Anstrengungen darauf richten, in den Ländern Anschlüsse zu sichern und die Länder wieder in die Zusammenarbeit zu bringen. Wie weit da die neuen Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern Mittel bereithalten, kann ich im Moment schwer einschätzen. Es gibt ja die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik, die vor zwei Jahren in Magdeburg gegründet worden ist und die sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Fäden zwischen den Beteiligten weiter zu erhalten und nicht abreißen zu lassen. Meine Position ist eine Mischung. Mein "empirisches Auge" sagt: Skepsis ist geboten. Und mein "praktisches Auge" sagt: Wir müssen viel tun, um die Sache voranzubringen.

Polowy: Welche Erfolge des Programms können Sie nennen?

Fauser: Das Thema Demokratie ist "da" und zwar professionell und institutionell und bildungspolitisch auf eine fachlich schwer widerlegbare Weise. Das Thema war ja vorher nicht da. Es gibt ja keine Lobby dafür. Es gibt das Fach Politische Bildung. Das ist eins von den so genannten Randfächern und hat dadurch selber eine schwierige Stellung. Ich glaube, wir haben jetzt wirklich eine kleine Fachkultur von Praktikern und Wissenschaftlern, die auf diesem Feld der Demokratiepädagogik eine eigene Zugehörigkeit und eine eigene Aufgabe sehen. Das ist für mich das Wichtigste.

Polowy: Welche Erwartungen haben sich bestätigt bzw. nicht bestätigt?

Fauser: Nachdem klar war, was die Länder machen und welche Schulen mitmachen, kamen für mich keine allzu großen Überraschungen mehr. Ich hätte mir vorher gewünscht, dass bei der Beteiligung der Schulen eine größere Selbstbestimmung und eine sehr viel genauere Passung zum Programm hätten ermöglicht werden können. Das war aber kaum zu machen, schon weil, wie immer, wenn so ein Programm aufgelegt wird, ein immenser Zeitdruck besteht. Und es ist auch klar, dass die Länder dann eigene Interessen verfolgen und zum Teil schon laufende Programme mit diesem Programm verbinden und alimentieren. Als wir die Expertise geschrieben haben, habe ich wahrscheinlich die pragmatischen Anpassungsnotwendigkeiten etwas unterschätzt. Was wir vielleicht überschätzt haben, waren messbare Wirkungen auf Schülerebene. Aber dazu hab ich ja schon etwas gesagt: Da bin ich eigentlich nicht überrascht. Ich muss sagen, ich bin im Ganzen eher angetan davon und wirklich beeindruckt, mit welcher Überzeugungskraft und fachlichen Solidität vor allem die Multiplikatoren, die Demokratieberater, die Lehrer, die in Schulen wirklich gearbeitet haben, dieses Thema jetzt repräsentieren und praktisch vorantreiben. Insofern finde ich: Es hat sich wirklich gelohnt.


Transfer: Erkenntnisse des Programms

Polowy: Was können wir von "Demokratie lernen & leben" inhaltlich lernen? Was sind die inhaltlichen Erkenntnisse aus dem Programm?

Fauser: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse für mich? Kein Zweifel an der Bedeutung der Demokratie. Ganz wichtig: die Kultivierung des Umgangs, die Ebene des Umgangs, da ist das Pflanzbeet der Demokratie. Es gibt eine wirkliche Bereitschaft, um nicht zu sagen, ein Bedürfnis bei Lehrerinnen und Lehrern, sich darauf einzulassen, weil sie spüren und wissen, dass das wichtig ist, und weil es ihnen auch besser geht, wenn sie demokratisch handeln. In Deutschland gibt es eine immer noch extrem unterentwickelte Bereitschaft, sich zivilgesellschaftlich, demokratiepolitisch und demokratiepädagogisch zu engagieren. Das müsste uns eigentlich in Fleisch und Blut übergehen. Ich glaube, davon sind wir noch sehr, sehr weit entfernt. Was wir brauchen, sind Kräfte im zivilgesellschaftlichen Bereich: Stiftungen. Aber vor allem müssen wir die Lehrerinnen und Lehrer ermutigen und bei der Stange halten, an diesem Thema dran zu bleiben.

Polowy: Was sind Erkenntnisse hinsichtlich der Struktur des Programms? Was kann man mitnehmen?

Fauser: Es ist zu kurz gewesen, um das mal klar zu sagen. Deshalb hat es wahrscheinlich auch eine gewisse Techniklastigkeit in der Durchführung. Aber das kann gar nicht anders sein. Das ist insofern gar nicht als Vorwurf zu verstehen. Ich finde, die Koordinierungsstelle in Berlin hat fabelhaft gut gearbeitet. Aber ich glaube, wir hätten noch eine oder zwei Phasen, also zwei bis vier Jahre gebraucht, um die Entwicklung in den Ländern selbsttragend werden zu lassen. Und da wäre für mich noch ein Bedarf. Wenn ich jetzt die Organisation neu aufbauen oder fortentwickeln sollte, würde ich die Länderdependencen sehr stark machen und versuchen, noch mehr die Schulen aktiv zu beteiligen.


Ausblick

Polowy: Was ist der Ausblick für Sie persönlich? Wie geht´s für Sie persönlich weiter?

Fauser: Bei mir am Lehrstuhl gibt es ja mehrere Projekte. Neben dem Demokratie-Projekt "Demokratisch Handeln", einem Wettbewerb, bei dem wir immer wieder Schulen finden und stärken in dem, was sie hier gut machen, gibt es das Entwicklungsprogramm für Unterricht und Lernqualität. Da machen wir konkretes Lehrertraining. Da geht es auch um das, was ich vorhin mit Umgangsqualität beschrieben habe: Wir trainieren mit Lehrerinnen und Lehrern, auf der Basis gegenseitiger Anerkennung und gegenseitigen Verstehens zu arbeiten. Das ist Graswurzelarbeit im Sinne der Demokratie. Dann hoffe ich, dass die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik es wirklich schafft, die in den Ländern vorhandenen, sehr unterschiedlichen, aber sehr interessanten und wirksamen Ansätze für den - wir sagen ja immer noch Transfer, was ganz falsch ist -, für die Fortführung, die Konkretisierung und die Konsolidierung des Programms miteinander in Verbindung zu bringen und zu unterstützen. Ich habe jetzt gar nicht über die Politik gesprochen. Für mich ist es bildungspolitisch ein Skandal: Man hat den Eindruck, das Modellprogramm ist vorbei und jetzt redet politisch kaum mehr jemand darüber. Wir hatten heute eine Ausnahme. Der Minister hat ja gesagt: `Es ist und bleibt wichtig´. Ich würde mir wünschen, dass Demokratieförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und Ländern aufgenommen und nachhaltig konsolidiert wird. Aber im Moment bin ich eher skeptisch. Meine große Frage ist: Wo kommt die politische Überzeugungskraft und wo kommen die politischen Mehrheiten her, diesen wichtigen Bereich weiter auszubauen und überhaupt weiter am Leben zu erhalten. Bei der Bildung einer starken Lobby für dieses Thema sind wir noch nicht einmal auf halbem Wege.


Fausers Aktivitäten

Polowy: Was macht die Akademie für Bildungsreform?

Fauser: Im Moment sind wir Träger des Förderprogramms "Demokratisch Handeln" zusammen mit der Heuss-Stiftung. Das ist im Moment das Wesentliche. Ich bin Vorsitzender und Jan Hofmann ist Stellvertreter, Jan Hofmann, Leiter des gemeinsamen Fortbildungsinstituts von Berlin und Brandenburg. Sitz der Akademie ist Jena. Das ist ein Verein. Dazu gehören eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus Wissenschaft und Praxis. Die will ich jetzt nicht aufzählen, aber es ist so ein kleines "Who is Who" der Pädagogik.


Lehrerbildung

Polowy: Lehrerbildung ist häufig selbst nicht demokratisch. Wie müsste Lehrerbildung aussehen?

Fauser: Ich kann die Richtung sagen. In Jena gibt es ja ein Jenaer Modell für die Lehrerbildung. Da gibt es zwei Elemente, die sehr wichtig sind. Hinter den beiden Elementen steht etwas Prinzipielles. Es gibt ein so genanntes Eingangspraktikum - wir erwarten etwa 300 Stunden qualifizierter Arbeit mit Kindern, also praktische Erfahrungen zu Beginn oder schon vor dem Studium - und ein volles Praxissemester. Dahinter steckt das, was wir über die Mängel der Lehrerbildung in Deutschland wissen. Nämlich: Es gibt zwei Felder, die zu wenig ausgebildet, ausgeprägt sind. Das eine ist der so genannte berufswissenschaftliche Teil, also das, was nicht Fachwissenschaft ist, sondern fachdidaktische, fachpraktische, erziehungswissenschaftliche, entwicklungspsychologische, diagnostische Kompetenz. Und das andere ist die Praxis. Es fehlt in einem unbegreiflichen Maß an Praxis, wie sie bei anderen Berufen wie den Ärzten selbstverständlich ist. Das sind die beiden wichtigsten Dinge für das Lehrerstudium. Gut, die gegenwärtigen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess und der Modularisierung machen da eher skeptisch. Ich hoffe, dass wir wenigstens das Jenaer Modell durchbringen. Wenn wir von Lehrerbildung sprechen: Für mich ist natürlich die Lehrerfortbildung mindestens genau so wichtig. Ich bin überzeugt: Wenn Schulen besser werden wollen, dann geht das nur mit denen, die in der Schule arbeiten.

Polowy: Das Jenaer Modell ist das Modell, das mit der BA/MA-Studienreform eingeschlagen wurde?

Fauser: Ja, aber es macht ja gerade nicht diesen Schritt. Wir haben in Jena kein Konsekutivmodell, sondern ein grundständiges Modell für die Lehrerbildung beibehalten. Das wird zwar jetzt auch durchgerechnet auf Adaptierbarkeit an BA/MA, aber im Prinzip bleibt es ein grundständiges Studium. Fast überall ist es anders.

Autor(in): Veit Polowy
Kontakt zur Redaktion
Datum: 01.08.2007
© Innovationsportal

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