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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 19.07.2007:

Herausforderung und Chance für die Geisteswissenschaften

Das Wissenschaftsjahr 2007 steht im Zeichen der Geisteswissenschaften
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Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung

In den vergangenen sieben Jahren standen die Natur- und Technikwissenschaften im Mittelpunkt der Wissenschaftsjahre. Dieses Jahr sind die Geisteswissenschaften an der Reihe. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, erläutert im Interview die Gründe für diese Entscheidung und die Vorhaben, die dieses Wissenschaftsjahr prägen.


Bildung PLUS: Nach sieben Wissenschaftsjahren, in denen die Natur- und Technikwissenschaften im Mittelpunkt standen, geht es in diesem Jahr um die Geisteswissenschaften. Was war für diese Entscheidung ausschlaggebend? Wurden die Geisteswissenschaften in den vergangenen Jahren von der Politik zu wenig beachtet?

Schavan: Nach sieben naturwissenschaftlichen Wissenschaftsjahren waren jetzt einmal die Geisteswissenschaften an der Reihe. Obwohl die Geisteswissenschaften sehr beliebt sind, haben sie selbst oft den Eindruck, in ihrem Wirken unterschätzt zu werden. Deshalb freue ich mich darüber, dass dieser große Bereich unserer Wissenschaftslandschaft - es geht um 96 Fächer - jetzt die Möglichkeit hat, seine Arbeit öffentlich darzustellen. Die große Zahl der Fächer zeigt, wie schwer es gewesen wäre, eines auszuwählen. Es geht darum, einen großen Teil der Wissenschaftskultur, der die Geisteswissenschaften verbindet und auszeichnet, zum Zuge kommen zu lassen. Wir begreifen dieses Jahr als Herausforderung und Chance zugleich für die Geisteswissenschaften und ihre Darstellung in der Öffentlichkeit. Deswegen suchen wir das Gespräch zusammen mit Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik. Wir wollen die Leistungen und die Faszination der Geisteswissenschaften deutlich machen.

Bildung PLUS: Warum gibt es bei den Wissenschaftsjahren überhaupt eine Trennung in Natur- und Geisteswissenschaften?

Schavan: Die Wissenschaftsjahre finden seit dem Jahr 2000 mit dem Ziel statt, den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu verbessern. Das tun wir in jedem Jahr mit einem unterschiedlichen thematischen Schwerpunkt. Nachdem in den vergangenen Jahren vor allem die Natur- und Technikwissenschaften wie beispielsweise die Geowissenschaften, die Chemie und die Informatik im Mittelpunkt standen, sind es in diesem Jahr die Geisteswissenschaften. Wir hatten auch schon das Einsteinjahr, das einer einzigen Persönlichkeit gewidmet war. Es geht nicht darum, die Unterschiede zwischen einzelnen Fächern oder Fachgebieten zu betonen, sondern Bewusstsein für die Leistungen bestimmter Felder in der Wissenschaft zu schaffen. 2007 stehen alle geisteswissenschaftlichen Fächer im Mittelpunkt, weil alle diese Fächer ein Gegenstand verbindet: die Sprache. Im Jahr 2008 widmen wir uns dann der Mathematik.

Bildung PLUS: Was soll mit dem Jahr der Geisteswissenschaften erreicht werden und welche Vorhaben stehen im Vordergrund?

Schavan: Im Jahr der Geisteswissenschaften finden in ganz Deutschland zahlreiche Veranstaltungen statt, von Ausstellungen über Vortragsreihen, öffentliche Vorlesungen, Podiumsdiskussionen, Wettbewerbe bis zu Lyrik-Performances, den Poetry Slams. Wir sind sehr erfreut, dass sich so viele Partner - über 300 sind es bislang - mit eigenen Projekten an diesem Wissenschaftsjahr beteiligen. Damit wird den Menschen die Möglichkeit gegeben, aus der Nähe zu erleben, wie spannend und lebendig Fächer wie Geschichte, Archäologie, Japanologie oder Theaterwissenschaften sind. Diese Fächer können für unseren Alltag in einer globalisierten und kulturell komplexen Welt eine Vielzahl nützlicher und fruchtbarer Anregungen liefern. Das gilt besonders für die so genannten "Kleinen Fächer" wie beispielsweise die Islamwissenschaften, Sinologie oder Indologie. Heute in Zeiten der Globalisierung haben sie eine große Bedeutung für das Verständnis der verschiedenen Kulturen und den Dialog der Kulturen. Ihre Forschung ist für unser Verständnis der Entwicklungen und Konflikte in diesen Regionen - denken Sie nur an den Nahen Osten oder China - unverzichtbar.

Bildung PLUS: Zur Eröffnung des Wissenschaftsjahres 2007 sprachen Sie davon, dass es Aufgabe der Politik sei, den Wissenschaften die nötigen Freiräume zu geben. Wie sehen die "Freiräume" für die Geisteswissenschaften aus und was verbirgt sich hinter der entsprechenden Förderinitiative?

Schavan: Den Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in Deutschland wollen wir mit der Förderinitiative "Freiraum für die Geisteswissenschaften" vor allem das geben, was sie für eine intensive Forschungsarbeit brauchen: Zeit. Dazu zählen beispielsweise die internationalen Forschungskollegs, womit wir vor allem die internationalen Netzwerke unserer Geisteswissenschaftler stärken wollen, und Projekte für junge Wissenschaftler/innen, mit denen wir sie ermutigen wollen, sich verstärkt an den Möglichkeiten des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms zu beteiligen. Denn dort sind ja zum ersten Mal Geisteswissenschaften mit eigenen Themen vertreten. Und wir haben auch besondere Fördermöglichkeiten für thematische Projekte, die sich mit dem sozialen und kulturellen Dialog in Europa beschäftigen. Es sind allesamt Projekte, die im Zusammenhang mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats stehen. Damit werden erstmals Wünsche der Geisteswissenschaftler auch umgesetzt.

Bildung PLUS: Welche Rolle spielen die Geisteswissenschaften in den Exzellenzinitiativen?

Schavan: Die Exzellenz-Initiative, um das vorweg zu sagen, ist ein Wettbewerb exzellenter wissenschaftlicher Projekte und Einrichtungen unabhängig von der Fachrichtung. Während wir in der ersten Runde dieser Initiative nur wenige geisteswissenschaftliche Projekte hatten, sind die Geisteswissenschaften in der zweiten Runde deutlich besser vertreten. Sie haben ihre Chance genutzt. Die endgültigen Ergebnisse haben wir erst im Oktober dieses Jahres. Es ist jedoch eindeutig, dass die Exzellenzinitiative in der deutschen Wissenschaftslandschaft eine große Bewegung und einen aus meiner Sicht sehr positiven Wettbewerbsgeist ausgelöst hat.

Bildung PLUS: Welche "zündenden Ideen" liefern die Geisteswissenschaften der Gesellschaft oder anders gefragt, wie innovativ sind sie?

Schavan: Dank der Forschung in den Religionswissenschaften, aber auch in der Arabistik, der Indologie oder der Orientalistik sind wir zum Beispiel in der Lage, die Konflikte im Nahen Osten oder etwa den Terrorismus jüngster Zeit nicht einfach pauschal als kulturelle Konflikte zu verstehen, sondern zu differenzieren. Da zeigt sich auf den zweiten Blick, dass sich die großen monotheistischen Religionen viel stärker gleichen, als diese Konflikte zunächst vermuten lassen, oder dass die Region des Nahen Ostens politisch, wirtschaftlich und kulturell wesentlich heterogener ist, als das Konfliktschema `Islam gegen Christentum´ oder `Orient gegen Okzident´ glauben machen möchte. Und solche differenzierten Betrachtungsweisen helfen uns auch im Alltag unserer eigenen Gesellschaft. Ein anderes Beispiel ist die Erinnerungskultur: In der Archäologie, aber auch in der Literaturwissenschaft und anderen Fächern hat man vor einiger Zeit begonnen zu untersuchen, wie Erinnerung funktioniert. Etwa die Art und Weise, wie in Deutschland des Holocausts gedacht wird, oder die Geschichte und Funktion von Museen. Nehmen Sie die Wissenschaftsgeschichte: Was zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen gültig war oder in der Gesellschaft akzeptiert wurde, auch das ist ein Thema für die Geisteswissenschaften.

Bildung PLUS: Ein halbes Jahr des Jahres der Geisteswissenschaften ist um. Welche Zwischenbilanz können Sie ziehen, und wie soll es in der zweiten Jahreshälfte weitergehen?

Schavan: Es gab in der ersten Jahreshälfte schon eine überwältigende Vielfalt an unterschiedlichen Veranstaltungen zu den Geisteswissenschaften. Einige Höhepunkte des Jahres wie den Feuilleton-Gipfel im Berliner Maxim Gorki Theater, den Wissenschaftssommer in Essen oder die Eröffnung von sechs Buchstabeninstallationen an öffentlichen Gebäuden in Berlin haben wir schon gesehen. Über das damit verbundene Engagement unserer Partner freue ich mich sehr. Ich denke, und das zeigt auch das Medienecho, dass man an den verschiedenen geisteswissenschaftlichen Institutionen die Chance gerne ergriffen hat, sich und die eigenen Leistungen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Natürlich gibt es auch in der zweiten Jahreshälfte wieder eine Menge spannender Projekte. Im zweiten Halbjahr wird auch entschieden, wo die Internationalen Kollegs eingerichtet werden, die zu Beginn des Jahres mit der Förderinitiative Freiraum für die Geisteswissenschaften ausgeschrieben worden sind. Damit gewährleisten wir die Förderung der Geisteswissenschaften auch über das Wissenschaftsjahr 2007 hinaus und schaffen langfristig profilierte und herausragende Einrichtungen der Forschung.


Dr. Annette Schavan wurde 1955 geboren, studierte katholischen Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften. Promotion 1980. Sie war von 1980 bis 1995 im Cusanuswerk, im Generalvikariat in Aachen und als Bundesgeschäftsführerin der Frauen-Union der CDU tätig. Von 1995 bis 2005 leitete sie das Kultusministerium in Baden-Württemberg und seit November 2005 ist Annette Schavan Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 19.07.2007
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