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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 23.03.2006:

Kopenhagen - und dann?

Berufliche Bildung soll europaweit zusammenwachsen

Vor gut sechs Jahren ist Bildungspolitik zur gemeinsamen Sache Europas erklärt worden. Auf dem Lissabon-Gipfel im März 2000 haben die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Europäische Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen. Die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in der EU sollen zu einer "Referenz im Weltmaßstab" werden. Während der Bologna-Prozess für die Schaffung eines Europäischen Hochschulraums sorgt - 45 europäische Länder stellen ihre Studienstrukturen auf das zweistufige Modell Bachelor und Master um - hat man sich 2002 in der Kopenhagen-Konferenz darauf geeinigt, auch die europäische Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung zu verstärken. In beiden Prozessen geht es darum, Durchlässigkeit, Transparenz und Mobilität im Bildungsbereich zu garantieren. Als Instrument dazu dient für die universitäre Ausbildung ein Leistungspunktesystem, das so genannte European Credit Transfer System (ECTS). In Anlehnung dazu wird für die berufliche Bildung ein eigenes Modell anvisiert: das European Credits for Vocational Education and Training (ECVET).

Der Kopenhagen-Prozess
Auf einer Tagung in Brügge im Juni 2002 verständigten sich die politischen Bildungsverantwortlichen der EU-Mitgliedstaaten auf Kernpunkte der künftigen Zusammenarbeit in der EU. Diese so genannte "Brügge-Initiative" legte den Grundstein für die Kopenhagener Erklärung von 30 europäischen Bildungsministern im November 2002, in der die Stärkung der europäischen Dimension der beruflichen Bildung festgelegt wurde. Zu den weiteren Themenfeldern zählen die Verbesserung der Transparenz in Bezug auf nationale Systeme und berufsqualifizierende Abschlüsse, die Erarbeitung gemeinsamer Instrumente zur Qualitätssicherung in der Berufsbildung, die Entwicklung von Grundsätzen zur Validierung von informell erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen sowie eine verstärkte internationale Zusammenarbeit in einzelnen Wirtschaftssektoren.

Drei Arbeitsgruppen zu den Themen Transparenz, Qualitätssicherung und Leistungspunktesystem wurden damit beauftragt, bis zur Nachfolgekonferenz in Maastricht Ende 2004, einen einheitlichen Transparenzrahmen für Qualifikationen und Kompetenzen (EUROPASS), gemeinsame europäische Prinzipien zur Identifizierung und Validierung non-formal und informell erworbener Lernergebnisse, einen gemeinsamen europäischen Bezugsrahmen zur Qualitätssicherung sowie Prinzipien eines Grundmodells für ein europäisches Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) zu erarbeiten.

Der EUROPASS ist als elektronisches Format konzipiert und 2005 bereits eingeführt worden. Er umfasst die Einzeldokumente EUROPASS-Lebenslauf, EUROPASS-Zeugniserläuterung (für Berufsbildungsabschlüsse), EUROPASS-Mobilität (bisher: Europass Berufsbildung), EUROPASS-Diplomzusatz (für Hochschulabschlüsse) und EUROPASS-Sprachenportfolio. Diese Instrumente verschaffen ein klares Bild der Qualifikationen und Kompetenzen, die lebenslang ergänzt werden können und erleichtern einen Vergleich im europäischen Kontext.

Reformpunkte von Maastricht
Im Rahmen der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft fand vom 13. bis 16. Dezember 2004 in Maastricht die europäische Folgekonferenz "Stärkung der europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung" statt. Es trafen sich dort die Bildungsminister aus 32 europäischen Ländern, die Europäische Kommission und die Europäischen Sozialpartner, um neue Schwerpunkte und Strategien der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung festzulegen. Die EU-Mitgliedstaaten sprachen sich eindeutig für mehr gemeinsame Aktivitäten in der Berufsbildung aus und verabschiedeten die neuen Ziele der Modernisierung der europäischen Berufsbildungssysteme im Maastricht-Kommuniqué. Die Europäische Kommission befürwortete zwar weiterhin, das Harmonisierungsverbot der nationalen Bildungssysteme bestehen zu lassen, betonte aber die Bedeutung einer zunehmende Konvergenz der Systeme für einen Europäischen Bildungsraum.

Um das Ziel eines europäischen Arbeitsmarktes und einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu erreichen, sieht das Maastricht- Kommuniqué nationale Reformen in der Berufsbildung genauso vor wie ein europäisches Regelungssystem für die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Die Maastricht-Erklärung führt deshalb als konkrete Agenda die Entwicklung eines Leistungspunktesystems für die berufliche Bildung (ECVET) und die Herausarbeitung eines Europäischen Qualifikationsrahmens zur Einordnung der in der Bildung und im Arbeitsleben erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen (EQF) fort.

Das Leistungspunktesystem ECVET
In Analogie zum ECTS-System ist vorgesehen, ein Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung ("ECVET" - VET = Vocational Education and Training) zu entwickeln. Lernerfolg und -fortschritt sollen damit auch in Punkten dokumentiert werden können. Die Punkte sollen wie eine "Bildungswährung" überall in Europa transferiert und angerechnet werden können und damit der Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität zu Bildungs- und Arbeitszwecken und der Förderung der Mobilität innerhalb und zwischen den unterschiedlichen Bildungssystemen in Europa dienen. Die Arbeitsgruppe zu ECVET arbeitet an der Entwicklung eines Grundmodells, das sich zunächst auf die Bereiche der formalen Bildungsgänge konzentriert und später auch informelles Lernen berücksichtigen wird. Das ECVET soll als Transmissionsriemen zwischen nationalen Kreditpunktesystemen dienen und in den Ländern zum Einsatz kommen, in denen bislang kein ausgeprägtes System existiert.

Der Europäische Qualifikationsrahmen EQF
Die Einordnung von Bildungsgängen und Lernprozessen in verschiedenen Niveaustufen zur Durchführung von ECVET soll durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen ("European Qualifications Framework" - EQF) ermöglicht werden, der von einer europäischen Expertengruppe entwickelt wird. Dieser EU-weite Rahmen für die Zuordnung von Qualifikationen zu vereinbarten Niveaustufen zielt darauf, die Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen und Qualifikationen in Europa zu verbessern. Langfristig geplant ist auch, non-formal erworbene Kompetenzen in diesen Rahmen zu integrieren. Die Niveaustufen bilden eine Art "Wertigkeitstabelle" für die verschiedenen Bildungsabschlüsse und erworbenen Qualifikationen im europäischen Vergleich. Derzeit werden verschiedene Niveaustufenmodelle als Grundlage für ECVET und EQF auf europäischer Ebene diskutiert.

Wird das deutsche duale System im Kopenhagen-Prozess benachteiligt?
Schwierigkeiten für den erfolgreichen Verlauf des Kopenhagen-Prozesses zeichnen sich dahingehend ab, dass in Europa nicht miteinander kompatible Berufsbildungssysteme nebeneinander bestehen. Im Gegensatz zum Hochschulraum, in dem sich über Jahrhunderte ähnliche Strukturen in den Ländern herausgebildet haben, reichen die Berufsbildungssysteme in den europäischen Ländern von schulischen bis zu dualen Systemen. Daneben gibt es in England beispielsweise einen modularisierten Weiterbildungsmarkt auf der Basis von "national vocational qualifications (NVQ)". Auch für die Ausbildungsdauer gelten nicht kompatible, nationale Regelungen. Ein Katalog der "Fertigkeiten" soll nach Meinung der Europäischen Kommission Abhilfe schaffen und in dem Dschungel der Vielfalt und Verschiedenartigkeit beruflicher Ausbildungen und -abschlüsse für Transparenz sorgen.
Berufsbildungsforscher Prof. Dr. Felix Rauner von der Universität Bremen fürchtet dadurch eine deutliche Unterbewertung der dualen Formen berufsqualifizierender Ausbildungsgänge, wie sie in Deutschland existieren sowie eine durchgängige Überbewertung der akademischen bzw. schulischen Abschlüsse, die seiner Ansicht nach nicht selten in ihrer Qualität hinter einer qualifizierten dualen Berufsausbildung zurückfallen. Einen europäischen Berufsbildungsraum auf der Grundlage eines Systems europäisch normierter Fertigkeiten zu definieren - unterhalb einer qualifizierenden Berufsausbildung - und diese von einer "Zertifizierungsbürokratie" verwalten zu lassen, hätte nach Ansicht Rauners weit reichende Konsequenzen für alle Länder mit entwickelten Berufsbildungssystemen. Gerade Deutschland wäre davon sehr betroffen.

Er empfiehlt daher, "bei der Bildung eines europäischen Berufsbildungsraumes den mühsameren - aber aus seiner Sicht erfolgversprechenderen - Weg einzuschlagen, nämlich die Entwicklung eines europäischen Berufs- und Berufsbildungssystems auf der Basis offener dynamischer Kernberufe und einem System moderner Lehrlingsausbildung, wie es etwa in Schottland im letzten Jahrzehnt realisiert wurde."

Bei der Nachfolgekonferenz des Kopenhagen-Maastricht-Prozesses in diesem Jahr wird sich zeigen, ob solche Bedenken in der weiteren Entwicklung des Europäischen Berufsbildungsraumes berücksichtigt werden.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 23.03.2006
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