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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 20.03.2006:

Schule im Stadtteil und als Teilstadt

Neue Schulen erfordern neue Wege der Schulgestaltung von unten - Plädoyer für die Open-Space-Methode an Schulen
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Farah Lenser und Peter Bauer

Lenser: Herr Bauer, Sie sind der Initiator des Projektes "Neue Schulen braucht das Land". Was verbirgt sich dahinter? Warum brauchen wir neue Schulen?

Bauer: Es gab mehrere Gründe. Der entscheidende Anstoß war jedoch die Beobachtung, dass die beginnenden Veränderungen - zunehmende Standardisierung des Lernens, die neuen Evaluationsansätze und die Leistungsverdichtung - insgesamt fragwürdig sind. Und das alles wird einem "System Schule" aufgesetzt, das längst am Anschlag ist. Es ist bedrohlich, wenn auch die letzten Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern, die noch Kraft und Hoffnung haben, im Wortsinne ausbrennen.

"Wir alle" - Schüler, Eltern, Hausmeister, Lehrende und Schulleitung - müssen uns als Bürger eines Stadtteils begreifen. Nur gemeinsam machen wir alle Schule und gestalten exzellente "Zukunfts-Schulen". Wir alle sind das Beste, was uns passieren kann. Wenn wir das sehen, dann sehen wir die Schule im Stadtteil und als Teilstadt. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir alle begreifen, dass Schulen in Zukunft einer der wichtigsten Standortfaktoren für eine gute Entwicklung im Stadtteil oder in der Stadt sein werden. Das zeigt heute bereits die Entwicklung in Deutschland, das zeigt sich auch schon länger in den USA, wo innovative Schulen Eltern anziehen, die ihrerseits bürgerschaftliches Engagement und Innovation mitbringen. Denn das einzige, was heute für die Zukunft zählt, sind besser qualifizierte Kinder. Sie sind die beste Investition für und in uns alle. Und hinter diesen Eltern stehen innovative Unternehmen, die genau diese engagierten innovativen Eltern als Arbeitnehmer oder Mitunternehmer brauchen.

Lenser: Sie selber sind ja nicht aus dem System Schule, Sie sind Diplom-Kaufmann und freier Berater, der sich seit rund 10 Jahren ausschließlich mit dem Thema "Veränderung ganzer Systeme" - von internationalen Großunternehmen bis hin zu ganzen Regionen - beschäftigt und zugleich sehr ungewöhnliche Methoden zur Veränderung einsetzt. Vielleicht haben Sie auch deshalb einen besonderen Blick auf das Thema Schule?

Bauer: Ich habe vor rund 15 Jahren endgültig kapiert, und das ist als Berater auch schmerzhaft, dass es eigentlich gar nicht so sehr darum geht, noch mehr Fachexpertise in eine Organisation, in ein großes Unternehmen hineinzubringen. Viel wichtiger und erfolgreicher ist es, die Menschen in einer Organisation wieder miteinander ins Gespräch, ins gemeinsame Miteinander zu bringen. Und dadurch das ungenutzte Wissen, die Erfahrung in einem Unternehmen, in einer Stadt oder Region zusammenzubringen.

Meine Erfahrung ist jedoch bis heute, dass wir genau dies nicht oder sehr unwirksam tun. Wir fragen nicht alle Gruppierungen im Unternehmen, wie den Facharbeiter, die Angestellte, die Sekretärin, den Menschen aus der Forschungsabteilung, der Produktion, dem Marketing, der Führung, dem Vorstand. Man redet nicht wirklich miteinander, sondern übereinander.

Lenser: Sie sprechen jetzt schon die für den 31. März bis  2. April 2006 in Wiesbaden geplante gemeinsame Veranstaltung an, die Pilotwerkstatt "Neue Schulen braucht das Land". Wer soll sich da angesprochen fühlen?

Bauer: Wir richten uns ganz bewusst an alle, die jeden Tag Schule machen und ausmachen, also die Lehrkräfte, Eltern, Schüler, die Schulleitung und den Hausmeister einer Schule. Wenn von einer Schule möglichst bis zu 15 Personen zu uns kommen, dann geben wir dieser Schule in nur zwei Tagen soviel konkretes Rüstzeug mit, so dass sie anschließend die Herausforderungen besser bewältigt. Unsere Erfahrungen belegen ganz eindeutig, dass jede Art der Veränderung deutlicher schneller und leichter gelingt, wenn alle Mitspieler einer Organisation zur gleichen Zeit und gemeinsam an den Zielen und Herausforderungen arbeiten - und zwar so, dass alle dadurch mehr Entlastung für sich schaffen - und zugleich mehr Erfolg.

Die Werkstatt ist so angelegt, dass wir über 20 Stunden mit bis zu 300 Menschen, das entspricht 20 bis 30 Schulen, in einen interaktiven, intensiven und spannenden Arbeitsprozess gehen können. In der Planungsphase am ersten Tag bekommt jede "Planungsgruppe" eine Art Kompass als Orientierung für eine gelingende Umsetzung zur Hand.

Lenser: Das heißt, gewünscht ist, dass Menschen sowohl von verschiedenen Schulen dort zusammenkommen, aber möglichst von einer Schule mehrere, damit es dann wirklich zu konkreten gemeinsam erarbeiteten Umsetzungsschritten kommen kann?

Bauer: Genau. Das ist ein unschätzbarer Nutzen, zumal schon erfolgreiche Schulleitungen, der Vertreter des hessischen Kultusministeriums oder Menschen wie Reinhard Kahl nicht nur für einen netten Vortrag oder ein bisschen Podiumsdiskussion kommen, sondern auch am Samstag in der Werkstatt dabei sein wollen, weil sie sich davon selbst viel Nutzen versprechen.

Gleichzeitig habe ich im Zuge der Arbeit in den letzten Monaten mit Bestürzung erfahren, dass an unseren Schulen in Hinblick auf die Veränderungen der Zukunft viel Frustration herrscht und eine Mischung aus Angst und Hilflosigkeit bei allen Beteiligten. Gleichzeitig wächst die Gefahr, dass Schulen, egal welcher Art, in Zukunft noch massiver unter Druck kommen, weil man ja zu Recht positive Veränderung will. Aber noch mehr Druck ist nach meiner Auffassung das allerletzte, um bei Schulen die Bereitschaft und Fähigkeit zur Weiterentwicklung zu fördern.

Die Pilot-Werkstatt liefert dagegen eine Art Blaupause für Schulen, wie man Veränderung gemeinsam erfolgreicher, mit mehr Freude und mit deutlich weniger Belastung machen kann.

Lenser: Haben Sie geeignete Kooperationspartner?

Bauer: Als Kooperationspartner haben wir das Odenwaldinstitut der Karl Kübel Stiftung gewonnen. Doch die Stiftung hat keine Fördermittel, so arbeiten wir seit Monaten ehrenamtlich.

Lenser: Diese Werkstatt geht ja auch methodisch ganz andere Wege, z.B. mit der Open Space-Methode. Könnten diese auch Modellcharakter haben für diese zu entwickelnde "Schule mit Zukunft"?

Bauer: Ja, diese Werkstatt ist fast eins zu eins auf jede Schule übertragbar. Und man könnte sogar mehrere Schulen zur gleichen Zeit, gerade in einem Stadtteil, einbeziehen. Schulen werden zukünftig noch mehr über den Tellerrand hinausschauen, gerade damit sie überlebensfähig bleiben. Und es wird neue Kooperations- und Bündnispartner geben müssen, weil die einzelne Schule oder das bisher weitgehend abgeschlossene System Schule alleine die vielfältigen Herausforderungen nicht mehr lösen kann. Das bietet aus meiner Sicht ganz viele neue Chancen, die jedoch mit der jetzigen inneren und äußeren Struktur von Schule nicht zu bewältigen sind.

Bedingung für einen erfolgreichen Wandel ist jedoch, das Alte nicht einfach weiterzuführen und immer Neues draufzusetzen. Jede Schule muss für sich klären: Was lassen wir zukünftig weg? Wo können wir Ballast abwerfen? Raum zum Innehalten erhält man nur mit der Zustimmung aller. Denn sonst wird es spätestens eine Stunde danach Eltern geben, die dagegen Sturm laufen, weil sie fürchten, dass nun gerade ihr Kind zu kurz kommt. Oder Lehrkräfte starten die Gegenoffensive, weil das erworbene schöne Spezialwissen wegfällt.

Gelingende Veränderung braucht viele Gewinner und eine faire Verteilung der Lasten - und dazu brauchen Sie wieder alle - in einem passenden Rahmen und Entwicklungskonzept.


Das Gespräch führte Farah Lenser, Sozialwissenschaftlerin, freie Journalistin und Moderatorin für Open-Space-Methoden aus Berlin.

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 20.03.2006
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