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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 19.01.2006:

Warum die vorausschauende Reform der Lehrerbildung in Dresden zu scheitern droht

Ausbildung nach Schulstufen kontra Ausbildung nach Schularten

"Du kämpfst seit 13 Jahren für eine Reform der Lehrerbildung in Sachsen, reibst dich auf und stehst am Ende als der Schwächere da", sagt Wolfgang Melzer, Professor für Erziehungswissenschaft an der TU Dresden. Der Kampf war langfristig angesetzt, denn er denkt weniger in der Spanne eines Jahres als in der von Jahrzehnten. Sein Ringen um eine vorausschauende Reform der Lehrerbildung hat auch mit Zeitspannen zu tun. Mit der TU Dresden schlägt er vor, Lehrkräfte auszubilden, die Schüler für die Spanne von der Kindheit bis zur frühen Jugend, von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe I (Schulstufen) unterrichten können. Das ist in Deutschland ungewöhnlich.

Der Studiendekan ist einer der Initiatoren der Lehrerbildungsreform am neu gegründeten Zentrum für Lehrerbildung, Schul- und Berufsbildungsforschung (ZLSB). Das im Juni 2005 an der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) gegründete ZLSB versteht sich als "Reformmotor" der Lehrerbildung, der Studierende so ausbildet, dass sie langfristig eine Beschäftigung finden können.  

Die Reformlokomotive ZLSB hält es mit der Lehrerbildungsreform wie die Eisenbahn mit dem Streckennetz. Früher wurden die drei Phasen der Lehrerbildung, die universitären Ausbildung, das Referendariat und die nachuniversitäre Fort- und Weiterbildung von einer Lokomotive bisweilen in verschiedene Richtungen gezogen. Heute soll ein neuer Fahrplan die drei Züge ohne Verzögerungen zum anvisierten Bahnhof bringen. Vor dem Hintergrund von PISA herrscht in allen Phasen über das gemeinsame Ziel mittlerweile breiter Konsens: "Lehrerprofessionalität ist der Schlüssel zur Verbesserung der Schulqualität und der Leistungen der Schüler.   

Das ZLSB steht also in der Tradition des Forum Bildung, das im Jahr 2001 in seinen Empfehlungen die Lehrenden als Schlüssel der Bildungsreformen bezeichnete: "In der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden ist das fachwissenschaftliche Studium stärker mit pädagogischer und didaktischer Ausbildung zu verzahnen. Studium und schulpraktische Erfahrungen müssen in allen Ausbildungsphasen zusammenwirken", heißt es dort. Diese Konvergenz zu Wege zu bringen ist natürlich eine große Herausforderung an die TU Dresden, bei der rund 4.000 Lehramtsstudierende eingeschrieben sind von rund 35.000 Studentinnen und Studenten insgesamt. Rund 11 Prozent  der 35.000 Studentinnen und Studenten sind Lehramtsstudierende.

Keine Superfakultät
Die Lehrerschmiede in Dresden koordiniert die verschiedenen universitären und außeruniversitären Einrichtungen über die Grenzen der Fakultäten hinweg. Im Wissenschaftlichen Beirat des ZLBS sitzen neben Wissenschaftlern aus anderen Lehrerbildungszentren in Deutschland auch Vertreter der Schulpraxis, aus Handwerk und Industrie und auch aus der finnischen Bildungsadministartion. Es ist mit 14 Fakultäten innerhalb der Universität vernetzt. Es soll eine "Querstruktur" zu den Fakultäten bilden, ohne jedoch diese zu schwächen oder in ihrer Funktion zu ersetzen. Es versteht sich nicht als eine Superfakultät, sondern als eine zentrale Einrichtung zur Koordination und Qualitätsverbesserung der Lehrerbildung.   

Schwankungen am Lehrerarbeitsmarkt, wie sie bisher in Deutschland vernachlässigt wurden, registriert das ZLSB genau. Beim Umbau der Lehrerbildung stellt es daher den Rückgang der Schülerzahlen im Freistaat Sachsen in Rechnung, der weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Während der Rückgang der Schülerzahlen bundesweit bei 0,6 Prozent liegt, muss Sachsen einen massiven Schülerschwund verkraften (6,8 Prozent). Drückten im Jahr 1992 noch über 230.000 Schüler an Sachsens Grundschulen die Schulbank, so waren es 2004 nur noch rund 100.000. Hunderte Schulen hat der Freistaat Sachsen geschlossen. Andere zittern und unterliegen einem "Beobachtungsstatus".  

Andererseits wurden seit 1995 wieder mehr Kinder im Land geboren. An den Grundschulen sollen die Schülerzahlen allmählich wieder ansteigen, weil viele Pädagogen sich bald in die Rente verabschieden. Schon jetzt fehlen Berufsschullehrer und Sonderschullehrer, sagt Wolfgang Melzer. Und bis zum Jahr 2020 benötige Sachsen zusätzlich rund 5.400 Lehrkräfte an Grundschulen und 5.200 an Mittelschulen (Sekundarstufen). Schon ab 2008 erwartet das ZLSB einen "hohen Lehrerbedarf für fast alle Schulformen", bestätigt Melzer. Damit die Lehrkräfte nicht wieder am Bedarf vorbei ausgebildet werden, macht sich das ZLSB dafür stark, die Lehrenden vor allem für die didaktischen Kernaufgaben professionell vorzubereiten. Als die wichtigsten Berufsaufgaben für Lehrende gelten sechs Kompetenzen: 1. Unterrichten, 2. Erziehen, 3. Diagnostizieren, 4. Beraten, 5. Beurteilen sowie 6. Erneuern durch gezielte Schulentwicklung. Alle Studieninhalte und die Einübung in Lehrmethoden sollen auf Forschungsergebnissen gründen. Pikant aus Sicht des Sächsischen Staatsministerium für Kultus ist das Vorhaben, die Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr für Schulformen, also Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien auszubilden, sondern für Schulstufen ("Einführung eines Schulstufenbezuges").  

Woran das integrative Lehrerbildungskonzept der TU Dresden zu scheitern droht
Das ZLSB der TU Dresden hat nun einen Entwurf für eine grundlegende Reform der Lehrerbildung vorgelegt, der auch eine Antwort auf die Schwankungen am Lehrerarbeitsmarkt gibt.   

Geht es nach der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) gebe es gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung keine Grundschullehrer, Hauptschullehrer, Realschullehrer oder Gymnasiallehrer mehr. Wer weiß denn, an welche Schulform die Eltern ihre Kinder in zehn Jahren anmelden? Vielmehr bilden die Universitäten Lehrkräfte für Schulstufen aus: Die Schulen würden im Jahre 2010 also Primarstufenlehrer einstellen, Sekundarstufenlehrer, Oberstufenlehrer sowie Berufsschullehrer. Mit der größeren Verfügbarkeit (Disponibilität) der Lehrkräfte auf dem Arbeitsmarkt wollte das Dresdner Zentrum für Lehrerbildung die Reform dem Kultusministerium "schmackhaft" machen.  

Auch internationale Kritik aus Paris an der Zersplitterung der Lehrerbildung aufgrund der Orientierung der Lehrerbildung an Schulformen prallte an der Kultusbehörde ab. Die Lehrerexpertise der OECD "Anwerbung, berufliche Entwicklung und Verbleib von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern" bemängelt ebenfalls: "Diese starke Fragmentierung nach Schularten und Fächern ist einer der Hauptschwachpunkte des gesetzlichen Rahmens für die Ausbildung und die Beschäftigung von Lehrkräften in Deutschland." 

"Wenig Interesse an schulartenübergreifenden Elementen"
Die TU Dresden favorisiert einen weiten Zuschnitt der Lehrämter für Klassenstufen an Schulstufen. Der erste Schwerpunkt sollte von der ersten Stufe bis zur zehnten Stufe reichen, also Primarstufe und Sekundarstufe I. Der zweite Schwerpunkt reicht von den Stufen fünf bis zwölf. Der Vorteil dieses Modells liegt darin, dass die Lehrenden für die Übergänge von Primarstufe zur Sekundarstufe sensibilisiert werden. Das ist wesentlich, um die Chancengerechtigkeit benachteiligter Schüler zu erhöhen, mit der es im hiesigen Bildungssystem bekanntlich schlecht bestellt ist.

Danach sollte es einen Abschluss für das Lehramt eins geben, das die Klassenstufen eins bis sechs umfasst und ein Lehramtsabschluss zwei, das für den Einsatz in der Sekundarstufen I bis II befähigt. Das ZLSB ging für deutsche Verhältnisse unkonventionelle Wege, die gerade im Ausland begrüßt werden. Schon den Gutachtern der OECD-Lehrerexpertise war aufgefallen: "Trotz der neuen bildungspolitischen Initiativen bemerkten wir relativ wenig Interesse an der Suche nach gemeinsamen fächer- und schulartenübergreifenden Elementen."

Auch die Europäische Union zielt darauf, die Chancen für Lehrende am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Im Zuge des Bologna-Prozesses haben sich die europäischen Bildungsminister darauf geeinigt, einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen, bei dem die Abschlüsse innerhalb der Europäischen Union gegenseitig anerkannt werden sollen. Das soll auch ihre Beschäftigungsfähigkeit ("Employability") erhöhen. Kern dieser internationalen Hochschulreform ist die Umstellung der Studiengänge auf ein gestuftes Modell.    

Bildungswissenschaften sind im Kommen
Das Besondere in Dresden: Auch das für viele sakrosankte Lehramtsstudium mit abschließenden Staatsexamen wird in der alten Form abgeschafft und durch einen Masterabschluss ersetzt. Der Bachelor ist ein erster Abschluss, der zur Berufsausübung befähigen soll. Darauf wird ein zweijähriger Masterstudiengang gesetzt. Mit Bachelorabschluss allein kann man in Dresden nicht Lehrer werden. Wer aber im Bachelorstudium ein alternatives Berufsfeld zum Schullehrer bestellt, etwa die Elementarbildung, die Jugendhilfe oder die Erwachsenenbildung, hat Chancen, direkt in einen qualifizierten Beruf zu wechseln. "Wir entlassen niemanden, der nicht hinreichend Forschungsmethoden anwenden kann", betont Melzer. Dazu gehört etwa die Interpretation von Bildungsstatistiken oder die Kompetenz zur Durchführung kleinerer empirischer Untersuchungen.  

Im Verlaufe des dreijährigen Bachelorstudiengangs, den alle Lehramtskandidaten durchlaufen, sind nun drei Praktika vorgesehen, das erste schon als Grundpraktikum im Verlaufe des ersten Semesters. Spätestens nach dem zweiten Praktikum, dem "Blockpraktikum" und nach einer verpflichtenden Online-Beratung, durch das "Career Couselling for Teachers" muss die Entscheidung für den Lehrerberuf stehen. 

Der Bachelorstudiengang ist auch insofern eine solide Grundlage für die Berufspraxis als neben den ersten und zweiten zu studierenden Schulfächern auch die Bildungswissenschaften eine tragende Rolle spielen. Hierbei erwerben die Lehramtskandidaten Know-how in Sozialpädagogik, Pädagogische Psychologie und den Sozialwissenschaften. Kombiniert mit dem Fachwissen aus den Schulfächern erhalten sie einen Grundstock an Kompetenzen und an Wissen und Kompetenzen über das deutsche Bildungswesen, der die Bachelors befähigt, sich in verschiedene Berufsfelder rasch einzuarbeiten.    

Bin ich für den Lehrerberuf geeignet? Komme ich in einen anderen Beruf im Bildungswesen vielleicht besser zurecht? Im diesen Fragen sollen sich die Studierenden frühzeitig orientieren. "Wenn späte Praktika zur Einsicht verhalfen, dass der Lehrerberuf doch nicht das Richtige sei, war es häufig schon zu spät und ein Wechsel des Studiengangs führte entweder zu Zeit- und finanziellen Verlusten oder wurde aus diesen Gründen vermieden", so fassen die Autoren des ZLSB die früheren Erfahrungen mit Studienpraktika zusammen. Auch Masterabsolventen müssen nicht auf Gedeih und Verderb Pauker werden. Neben dem Lehramt für allgemein bildende Schulen haben sie die Option, als Master der Erziehungswissenschaft oder als Fachmaster mit einem Hauptfach an den außerschulischen Arbeitsmarkt anzudocken. Man spricht hierbei von "Polyvalenz" der Studiengänge, weil sie in mehrfacher Hinsicht beruflich anschlussfähig sind.    

Das Aus für die schulartenübergreifende Lehrerbildung?
Der Bissen aus dem ZLSB hat dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus nicht gemundet. Gegen die Einrichtung von polyvalenten Bachelorstudiengängen für das Lehramt hat es im Grunde nichts vorzubringen. Allerdings bemängelt Pressesprecher Dirk Reelfs, dass die TU Dresden eine Hochschulvereinbarung unterlaufe, wonach die Ausbildung für Grund- und Mittelschullehrer "grundsätzlich in der Universität Leipzig konzentriert" sei. Dort werden bereits als einzigem Standort in Sachsen die Föderschullehrer ausgebildet. Die TU Dresden hat als indes kleines Gegengewicht dazu das Monopol über die Berufsschulehrerausbildung. Das ZLSB müsse diese Aufteilung zwischen der Universität Dresden und Leipzig berücksichtigen und gewährleisten, dass sich die Lehramtsstudiengänge an den beiden Studienorten ergänzen und nicht überschneiden.  

Der Tenor der Ablehnung lautet: "Grundlage für ein sächsisches Modell der Lehrerbildung ist das Schulgesetz für den Freistaat Sachsen mit den Schularten Grundschule, Förderschule, Mittelschule, Gymnasium, berufsbildende Schulen und Schulen des zweiten Bildungsweges." Das Modell der TU Dresden sehe demgegenüber nur "nicht  schulartenbezogene Abschlüsse" vor. Die Schularten müssten in den Lehramtsabschlüssen schon deswegen eindeutig erkennbar sein, weil ansonsten die Anschlussfähigkeit zwischen erster und zweiter Ausbildungsphase nicht mehr gegeben sei.  

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Sachsen (GEW) ist enttäuscht wie auch Wolfgang Melzer. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt: "Wir wollen weiter eine grundlegende Reform der Lehrerbildung", fordert die GEW-Vorsitztende, Sabine Gerold. Das Land Sachsen zeige sich immun gegen die Kritik durch die OECD-Lehrerexpertise und aus den Reihen der Wirtschaft. "Wir dürfen vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen. Wir dürfen aus der demografischen Entwicklung aber auch nicht die falschen Schlüsse ziehen", sagte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt auf einem Bildungskongress im Jahre 2004.    

Wie das Land auf die demografische Krise und die Krise der Lehrerbildungsreform in der TU Dresden reagieren wird, steht derzeit in den Sternen. Nun ist das Kultusministerium am Zug. Schulgesetze kann man ändern - wenn man will. Das Land Sachsen hat nun den Nachweis zu erbringen, wie die Lehrerbildung so zu reformieren sei, dass die demografische Krise nicht zur Bildungskrise wird.  

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 19.01.2006
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