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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 06.06.2005:

Elegant, leicht, aber irreführend: `Work-Life-Balance´

Expertinnen tagten zum Thema "Bildungs- und Karrierewege von Frauen"
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Quelle: Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

Mädchen haben Jungen in ihren Schulleistungen überrundet, Frauen sind die besseren Studierenden, kurzum die junge Generation von Frauen hat den besten Bildungsstandard, der jemals in der Geschichte erreicht wurde! Trotz jahrelangem Gender Mainstreaming und trotz aller Gleichstellungsforderungen spiegelt sich diese Leistung nicht bei der Positionierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und schon gar nicht in der Besetzung von Spitzenpositionen wider. 

Auf der Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften "Bildungs- und Karrierewege von Frauen. Wissen - Erfahrung - biographisches Lernen", die vom 26.- 28. Mai in den Räumen der Wolfsburg in Mühlheim an der Ruhr stattfand, diskutierten Expertinnen unter anderem folgende Fragen: Wie wichtig ist es auch für den beruflichen Aufstieg, in Frauennetzwerke eingebunden zu sein? In welcher Form und inwieweit erfahren Frauen Ausgrenzungen aus beruflichen Positionen? Am zweiten Tag fanden sich Arbeitsgruppen zu den Überthemen "Symbolische Gewalt und Karriere? Das Aufbrechen von strukturellen Begrenzungen durch Lernherausforderungen" und "Lernen wie es geht? Über Handlungsstrategien zum beruflichen Erfolg?" zusammen und bearbeiteten Themen wie: "Bildungs- und Karrierewege von Frauen - historisch gesehen" sowie "Erfahrungen von Frauen in Leitungs- und Führungsfunktionen: Zwischen Isolation und Anerkennung?". Deutlich wurde: Frauen befinden sich nach wie vor auch durch die Doppelrolle von Beruf und Familie in beruflichen Sackgassen. Durch von der Wirtschaft geprägte Begrifflichkeiten wie "Work-Life-Balance" wird suggeriert, es sei ihr persönliches "Problem" ...  


Gender Mainstreaming ohne sichtbare Folgen?
"Während  einerseits Gender Mainstreaming als Gleichstellungsstrategie immer selbstverständlicher in institutionelle Kontexte eingebunden wird, ist andererseits der Wille, sich mit den damit verbundenen Verhältnissen und daraus entstehenden Verpflichtungen zu beschäftigen, nicht tiefgehend verändert", so Prof. Anne Schlüter von der Universität Duisburg-Essen, die die Tagung organisiert hat. Darüber hinaus argumentiere so mancher Bildungsexperte, man komme auch ohne Gender Mainstreaming aus und wieder andere meinten, der Diskurs über das Geschlechterverhältnis in Hochschulen sei für die Person, das Fach oder den Studiengang statusmindernd und zudem mittlerweile überflüssig. Schließlich hätten doch Frauen und Mädchen im Bildungsbereich nicht nur aufgeholt, sondern die Jungen sogar überflügelt. So formuliere die Shell-Jugendstudie die mittel- und langfristige Prognose, dass Mädchen und junge Frauen hinsichtlich ihrer Bildungsqualifikation bessere Ausgangspositionen am Arbeitsmarkt haben, dass sie damit in der Lage sind, ihre Eigeninteressen, die Chance auf Gleichberechtigung zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen. 

Die Realität stellt sich nach Auffassung von Prof. Hildegard Macha, Vorsitzende der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und Professorin der Universität Augsburg, jedoch anders dar: Aufgrund der Erosion der Arbeitsverhältnisse, den Anforderungen einer globalisierten Arbeitswelt und den Aufgaben von Erziehungs- und Beziehungsarbeit in der Familie sei die Lebens- und Arbeitswelt keineswegs im Sinne des Begriffes "Work-Life-Balance" ausgeglichen. Vielmehr müsse dieses oft diskutierte Thema nun völlig neu begriffen werden: "Die hohen Arbeitslosenzahlen, die starren Aufstiegsbarrieren, die allgemeine Unsicherheit der Arbeitsplätze, die Perspektivlosigkeit der Berufsanfängerinnen oder auch die Marginalität von Frauen in Spitzenpositionen werden als Bedrohung erlebt", sagt Prof. Hildegard Macha. 


"Work-Life-Balance" als Lebensaufgabe?
Das Vereinbarkeitsproblem zwischen Erwerbsarbeit und Familie war in der Frauenforschung schon in den 70ern ein Thema. Es wurde, so Dr. Bettina Dausien, Privatdozentin an der Universität Bielefeld, im feministischen Kontext kritisch analysiert in seinem Verhältnis zwischen dem System des kapitalistischen Arbeitsmarktes einerseits und dem gesellschaftlichen System der Reproduktion andererseits. "Heute heißt es freilich - eleganter und leichter -  `Work-Life-Balance´ und ob sich dahinter tatsächlich eine vergleichbare Problembeschreibung verbirgt, wird zu diskutieren sein", sagte Bettina Dausien im Rahmen ihres Vortrags "Machen Frauen `Karriere´? - Kritische Anmerkungen zu einem soziologischen Konzept und seiner Karriere in der Geschlechterforschung". 

"Work-Life-Balance" - wie könnte das aus dem Munde von Arbeitgebern gemeint sein? Beispielsweise entwickeln Personalvorstände großer Firmen Strategien, um "gute Frauen" zu halten, indem sie etwa Kinderbetreuungsplätze sowie flexible Arbeitszeiten oder Ruhepausen und Sportangebote am Arbeitsplatz anbieten. Dausien sieht den Begriff "Work-Life-Balance" für Analysen der Geschlechterforschung in Bezug auf Bildungs- und Karrierewege von Frauen aus folgenden Gründen kritisch: 

  • Der Begriff "Work-Life-Balance" ist geschlechtsneutral und nimmt dem Diskurs so die Schärfe der Geschlechterfrage.
  • Der Begriff neutralisiert zudem soziale Klassenunterschiede und Hierachien, wird aber letztlich vor allem im Kontext hochqualifizierter Berufe und höherer betrieblicher Positionen angewandt.
  • Der Begriff personalisiert und suggeriert auf diese Weise, dass es um ein Problem der individuellen Lebensführung geht. Der Begriff wird aber vor allem für betriebliche Strategien der Personalentwicklung verwendet.
  • Und schließlich verdeckt der Begriff die strukturellen gesellschaftlichen Widersprüche, die hinter dem Problem lebbarer Arbeits-Zeit-Verhältnisse stehen. Stattdessen verspricht er Lösungen in Form einer individuell erreichbaren "Balance".
     

Ebenso kritisch untersucht Bettina Dausien den Begriff "Karriere", der gemeinhin weniger in seiner soziologischen neutral bewerteten Hinsicht verstanden werde, sondern gesellschaftliche Wertungen enthalte und von Mustern durchzogen sei, die ihrerseits zur kulturellen Konstruktion von "Geschlecht" beziehungsweise typischen Frauen- und Männerleben beitragen. Hier plädiert Dausien dafür, das analytische Potenzial eines soziologischen Karrierekonzepts auszuschöpfen und die differenzierten Theorien und Erkenntnisse der Geschlechterforschung zu Lebensverläufen und Biographien von Frauen und Männern modischen Debatten zu Karriere und Work-Life-Balance kritisch entgegenzuhalten.


Immer noch dominiert das "Drei-Phasen-Modell"
Statt Karrierewegen zeigten sich die typischen Brüche in den Lebensläufen von Frauen und der Arbeitsmarkt scheine resistent gegen die Karriereversuche von Frauen. Die Doppelrolle verhindere nach wie vor den beruflichen Aufstieg von Frauen. Macha spricht von "einer Marginalisierung der Frauen in Spitzenpositionen". Stattdessen sei bei Frauen mit Kindern das Drei-Phasen-Modell "Berufstätigkeit-Mutterpause-Teilzeitarbeit" nach wie vor anzutreffen. Häufig bestünde eine ökonomische Abhängigkeit vom Partner, Mütter hätten mit einer geringer ausfallenden Rente zu rechnen. 

"Dabei werden die Mütter selbst für die Balance im Lebenslauf verantwortlich gemacht", sagt Macha und verweist darauf, dass 32 Prozent der Alleinerziehenden verarmen und in den Partnerschaften die traditionelle Rollenverteilung weiterhin besteht, so dass Frauen weiterhin meist in einer beruflichen Sackgassen-Situation landen. Macha spricht von der in Deutschland vorherrschenden Mutterideologie, die "wie schon früher als gesellschaftliches Argument missbraucht wird, Frauen ein Drei-Phasen-Modell von Erwerbs- und Kinderarbeit nahelegt". Die Diskriminierung sei jedoch nicht zu personifizieren und sei auch auf den Kapitalismus und nicht auf die Globalisierung zurückzuführen, sondern vielmehr sei sie ein strukturelles Problem. 


Phänomen der Kinderlosigkeit ist kein "Frauenproblem"
Das Phänomen der Kinderlosigkeit wird in Deutschland viel diskutiert. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt, verlängerte Ausbildungszeiten, riskanter Berufseinstieg, der Kinderwunsch an sich und unvereinbare zeitliche Erwartungen der Partner in Familien führten zu einem Dilemma der Kinderfrage, das nicht individuell, sondern ebenfalls strukturell begründet sei. Anders die Wahrnehmung in der Gesellschaft: Frauen würden häufig einseitig für die Kinderlosigkeit in Deutschland verantwortlich gemacht, so Prof. Macha. Dabei würden sich 67 Prozent der Männer, wenn es darauf ankomme, eher für Karriere als für Kinder entscheiden, sagt Prof. Anne Schlüter. Doch das Phänomen der Kinderlosigkeit, manche nennen es sogar diskriminierenderweise "Gebärstreik", werde oft den Frauen zugeschrieben. 

Neben den Veränderungen in Arbeit und Ausbildung zeige sich auch als erschwerend, dass das Zeitfenster, in dem Frauen Kinder bekommen würden, immer enger werde. So würden im Alter von 26 Jahren immerhin 64 Prozent der Frauen Kinder haben wollen und 32 Prozent "vielleicht". Doch zwischen dem Wunsch und dessen Realisierung gebe es eine Diskrepanz und es herrsche eine Verzögerungstaktik vor. Die Vielzahl der Menschen möchte zunächst berufliche und finanzielle Sicherheit und "erst Mal" keine Kinder, so Macha.

Auf diese Weise hat sich die zeitliche Organisation der Elternschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert. So sind 33,6 Prozent der Männer zwischen 35-39 Jahren kinderlos, bei den Frauen der gleichen Alterspanne sind es 17,4 Prozent. Besonders Männer würden mit einer "erst Mal nicht"- Mentalität und dem Wunsch nach mehr beruflicher Sicherheit oder dem Bauen eines Hauses die Realisierung eines Kinderwunsches nach hinten verschieben. Ab dem 35. Lebensjahr sinke allerdings die Bereitschaft oder Wunsch von Frauen, Kinder zu kriegen. Diese polare Organisation führe häufig zu Druck und Konflikten in der Partnerschaft, so Prof. Macha. Wie ließen sich diese lösen? "Partnerschaftliche Familienmodelle mit Arbeitsteilung im Bereich Kinder- und Hausarbeit sind zu entwerfen und Strategien der Vereinbarkeit im Verhandlungshaushalt der Moderne zu zeigen, wie sie zum Beispiel in Schweden oder Island umgesetzt werden."


Barrieren von vielen Seiten abbauen   
Das Phänomen der Kinderlosigkeit und der Zwiespalt zwischen Familie und Beruf, beziehungsweise Karrierewegen müsse auf der Makroebene der Politik und gleichermaßen individuell betrachtet werden. "Verzicht auf Kinder ist keine alleinige Entscheidung von Frauen - auch Männer und Gesellschaft spielen eine Rolle", so Macha. Vierzig Prozent der Akademikerinnen haben keine Kinder. Dabei gelte es gerade mit steigendem Bildungsniveau der Frauen, zwischen Beruf und Familie zu entscheiden, während bei den Männern das Modell des Ernährers nach wie vor wirke und die Einstellung "erst Mal nicht", bis mehr finanzielle Sicherheit erreicht wird, vorherrscht. "Die Ideologie von den `Frauen´, die angeblich die Reproduktion verweigern" konnte entlarvt und "durch detaillierte Ergebnisse zum Reproduktionsverhalten und zu den Entscheidungsgrundlagen beider Geschlechter dekonsturiert werden", meinte Hildegard Macha abschließend. 

Des Weiteren sei es unabdingbar, verantwortliche Positionen für Frauen erreichbar zu machen, damit diese Machtverhältnisse bezüglich der Kinderfrage und Vereinbarkeitsfrage verändern könnten. In wissenschaftlicher Hinsicht steht es laut Prof. Hildegard Macha an, die demographischen und arbeitsmarktpolitischen Daten unter soziologischer und erziehungswissenschaftlicher Perspektive auszuwerten. Auch die gesellschaftlichen Hintergründe der scheinbar individuellen Entscheidung, der Kinderfrage, das Aufdecken politischer Ideologien der "Normalfamilie" und ihre politischen Folgen sollten tiefergehend beleuchtet werden. Und letzten Endes gehe es darum, aus neu gewonnen Erkenntnissen der Geschlechterforschung politische Folgerungen zu ziehen und Forderungen zu stellen, die im Rahmen der Familien-, Arbeitsmarkt- und Hochschulpolitik sichtbar werden müssten. Diese Pläne verkündeten die Wissenschaftlerinnen nicht ohne ein verschwörerisches Augenzwinkern und betonten, wie wichtig es sei, auch in beruflichen Zusammenhängen den Zusammenhalt unter Frauen zu stärken. Das heiße zum Beispiel, sich nicht in der Öffentlichkeit gegenseitig anzugreifen und so genannte "Nicht-Angriffs-Pakte" zu vereinbaren, wie es Männer schon lange machten ...    

Autor(in): Katja Haug
Kontakt zur Redaktion
Datum: 06.06.2005
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