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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 27.09.2004:

Geprüft oder nicht geprüft - das ist die Frage, Teil 2

Wie selbstständigere Schulen in Zukunft überprüft werden
Das Bild zum Artikel
Gymnasium erhält Besuch
Quelle: Schul-TÜV

Hamburg
"Wir erwarten ein realistisches Bild der Lage nach der Einführung und leichter Modifikation des Lehrerarbeitszeitmodells", sagt Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig. In Hamburg kommt zunächst nur das neue, bundesweit beachtete und kritisch kommentierte Lehrerarbeitszeitmodells auf den Prüfstand. Und mittelfristig könnte so etwas wie ein Lehrer-TÜV kommen. Die Schwachstellen der unterschiedlichen Lehrerarbeitszeitmodelle sollen untersucht und Verbesserungsvorschläge erkundet werden. Die Schulinspekteure haben verschiedene Instrumente im Repertoire: Workshops mit Schulaufsicht und Rektoren, Dokumentation der Unterrichtsverteilung, schriftliche Befragungen von Rektoren und Lehrkräften, Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, Eltern, Personalvertretungen und Gewerkschaften. Hamburg wird durch eine Unternehmensberatung bei der externen Evaluation des Lehrerarbeitszeitmodells unterstützt.

Hessen
Hessen setzt auf ein Mix von interner und externer Evaluation. Evaluation von Schule ist gekoppelt an das Schulprogramm als "Gesamtkonzept, das eine Schule sich gibt". Das Modellprojekt "Selbstverantwortung plus", derzeit begrenzt auf einige ausgewählte berufliche Schulen, soll in Hessen treibende Kraft auch für externe Evaluationen werden. Geplant ist in Hessen die Einrichtung einer "schulamtsübergreifenden Qualitätsagentur" mit enger Anbindung ans Kultusministerium.

Im Rahmen des Projektes "Selbstverantwortung Plus" soll ein multiprofessionelles Team mit Vertretern aus Schulaufsicht, Schulen, Studienseminaren, Institut für Qualitätsentwicklung und "Personen von außerhalb der Bildungsverwaltung" die Projektschulen von außen begutachten. Beratung und Kontrolle sollen hierbei getrennt werden. Ein Zwischenbericht erfolgt nach zwei Jahren. Eine "große externe Evaluation" ist drei Jahre nach dem Schulversuch anvisiert. Dabei soll die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf weitere berufliche Schulen, aber auch auf allgemeinbildende Schulen geprüft werden.

Mecklenburg-Vorpommern
Hier geht es um die Lehrkräfte: Stärken und Schwächen der Lehrer stehen im Brennpunkt der Schulinspektionen Mecklenburg-Vorpommerns. Da auf die Unterrichtsgestaltung von Lehrkräften fokussiert wird, ist auch die Rede vom "Lehrer-TÜV". Er soll 2005 starten. Rund 40 geschulte Lehrerinnen und Lehrer, so genannte "Fachberater", besuchen dann den Unterricht der Kolleginnen und Kollegen. Sie gehen in Regionale Schulen, Gymnasien und Gesamtschulen. Organisatorisch ist der "Lehrer-TÜV" bei den Schulämtern verankert, die Fachaufsicht obliegt dem Landesinstitut für Schule und Ausbildung (LISA).Für Mecklenburg-Vorpommern dreht sich bei der externen Evaluation alles um die "Fachentwicklung". Doch auch die "partnerschaftliche Atmosphäre" und Teamarbeit im Kollegium stehen auf der Agenda der Fachberater. 

Niedersachsen
"Vom Schulleiter bis zum Hausmeister wird alles überprüft", sagt Bernd Busemann dem Hamburger Abendblatt. Besonderheit beim Niedersächsischen Modell: die Prüfberichte sollen veröffentlicht werden und den Wettbewerb zwischen den Schulen anregen - ein Vorhaben, das auf Kritik stößt. Wird Sein oder Nichtsein der Schulen in Zukunft von einem günstigen Evaluationsbericht abhängen? Die Schulinspektion in Niedersachsen folgt dem Vorbild der Niederlande, wird aber auf die Bedürfnisse des Landes abgestimmt. Erprobt wurde der Ansatz bereits 2003 mit acht niedersächsischen Schulen im Rahmen des Projekts "Qualitätsentwicklung in Netzwerken".

Der Niedersächsische Schul-TÜV ist eingebettet in ein Reformbündel, das auf die Eigenständigkeit von Schulen abzielt. Der Startschuss für die Schulinspektionen wird im Jahr 2005 fallen. Als Richtschnur für die Schulinspektoren dient ein Orientierungsrahmen "Schulqualität". Bereits 2003  hat das Land 17 Schulaufsichtsbeamte zu Schulinspektoren geschult. Die Bezirksregierungen werden abgeschafft, die Schulaufsicht umgebaut. Die Schulinspektion à la Niedersachsen wird auf rund 100 Mitarbeiter aufgestockt, 50 Schulinspektoren und 50 Verwaltungskräfte. Im Zuge der Reform muss die Schulverwaltung abspecken -  300 von über 1000 Stellen werden abgebaut. Dabei entstehen auch neue Stellen im Umfeld des Schul-TÜVs.  

Nordrhein-Westfalen  
Seit 2002 verfolgt das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) die Idee der Selbstständigkeit von Schule. Selbstständig sein heißt, für die Qualität der schulischen Arbeit die Verantwortung zu übernehmen. Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zielen auf die Verbesserung der unterrichtlichen und systematischen Arbeit der Schule durch
- die qualitätsorientierte Selbststeuerung von Schulen und
- die Entwicklung regionaler Bildungslandschaften.
Konkrete Felder der Umsetzung eigenverantwortlichen Handelns sind:
- Unterrichtsentwicklung und schulinternes Management
- Personalbewirtschaftung
- Unterrichtsorganisation und -gestaltung
- Sachmittelbewirtschaftung
- Innere Organisation und Mitwirkung
- Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung.
Diese Handlungsfelder sind wesentliche Elemente der Schulentwicklungsprozesse von "Eigenverantwortlichen Schulen".
Die Verankerung der Idee der Eigenverantwortlichkeit von Schule im neuen Schulgesetz des Landes NRW ist das klare Bekenntnis zu dieser Form der Qualitätsentwicklung und -sicherung.
Das Land setzt den Rahmen für ein Schulsystem, in dem der Staat die Ziele vorgibt und die Einhaltung der Standards kontrolliert. Qualitätsanalyse NRW als externe Evaluation wird an allen Schulen des Landes in gleicher Art und Weise durchgeführt.

Rheinland-Pfalz
"Pädagogische Freiheit und Selbstständigkeit der Schulen einerseits und regelmäßige Evaluation andererseits sind zwei Seiten einer Medaille", sagt Doris Ahnen, amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz und rheinland-pfälzische Kultusministerin. Systematische externe Evaluation ist in Rheinland-Pfalz eng an das "Leitprojekt" des Landes geknüpft: "Ganztagsschule in Rheinland-Pfalz". Bis 2006 werden im ganzen Lande 300 Ganztagsschulen in Angebotsform  entstehen. der Ausbau der Ganztagsschulen wird im Rahmen von vier wissenschaftlichen Begleitprojekten evaluiert. Hierbei kooperiert das Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend mit rheinland-pfälzischen Hochschulen. Gegenstand der Evaluationen sind: 1. Die Konzepte der Ganztagsschulen und ihre Umsetzung, 2. Kooperationen der Ganztagsschulen mit außerschulischen Partner, 3. Selbstständiges Lernen im Kontext von naturwissenschaftlichen Experimenten, 4. Neue Lehr- und Lernformen in Hinsicht auf individuelle Förderung.

Mit dem "Projekt Erweiterte Selbstständigkeit" (PES) gibt das Land den Schulen mehr Freiheit im Bereich der Organisation von Vertretungsunterricht. Selbstverständlich wird der neue Spielraum der Schulen überprüft. Per Schulgesetz werden die Schulen verpflichtet, an internationalen, länderübergreifenden und landesinternen Vergleichsuntersuchungen teilzunehmen. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass Rheinland-Pfalz eine eigenständige Qualitätsagentur errichten will.  

Sachsen 
"Wir werden einen Sächsischen Schul-TÜV aufbauen und neben der Fortsetzung nationaler und internationaler Vergleichstests auch innerhalb des Landes Kriterien für eine ständige vergleichende Beurteilung der Leistungen unserer Schulen entwickeln", sagte Georg Milbradt, Ministerpräsident von Sachsen bereits 2002 auf dem Bildungskongress "Sachsen macht Schule- PISA und die Perspektiven". Ein sechsköpfiges Team baut derzeit eine Agentur auf, die bis zu 20 Mitarbeiter haben soll. In ca. drei Jahren, in 2007 machen sich die Schulinspektoren aus Sachsen auf den Weg in die Schulen. Laut Kultusminister Karl Mannsfeld soll sich der sächsische Schul-TÜV auf die schwachen Schulen konzentrieren. Die Ergebnisse der Qualitätstests werden u.a. in einen landesweiten Bildungsbericht einfließen. Eine Rangliste mit den Ergebnissen guter und schlechter Schulen, also eine Veröffentlichung der schulbezogenen Erkenntnisse, ist nicht vorgesehen.  

Sachsen-Anhalt 
Noch lässt sich nicht absehen, für welche Lösung externer Evaluation sich das Land Sachsen-Anhalt entscheiden wird. Das Land hat jedenfalls ein eigenes Referat "Evaluation, Schulinspektion".  

Schleswig-Holstein
Vom Schuljahr 2003/2004 an führt Schleswig-Holstein landesweit Qualitätstests für die Praxis von Schulen durch - von Ratzeburg bis Flensburg, Friedrichstadt bis Kiel. In der Öffentlichkeit sind die Qualitätstests besser bekannt als "Schul-TÜV". Jährlich werden 160 Schulen im nördlichsten Land einer Untersuchung unterzogen. Über 40 Expertenteams machen sich im Zeitraum von sechs Jahren auf den Weg, alle 1000 Schulen in Schleswig-Holstein zu bewerten. "Schleswig-Holstein ist das einzige Land, das den Schul-TÜV flächendeckend eingeführt hat, sagt Jens Oldenburg, Pressereferent im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur.  

Thüringen

Der Lehrer-TÜV in Thüringen könnte bald Wirklichkeit werden und offen legen, wie es um die Qualität der Lehre in Thüringens Schulen bestellt ist. "Knallhart" soll der Bericht über Lehrerqualität und Schulkultur ausfallen, so Bernd Schreier vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung und Medien (ThLLM) in der Ostthüringer Zeitung vom 12. März 2003. In Thüringen stehen die Vorzeichen also auf Lehrer-TÜV. Doch zuerst werden die Schulämter zu Qualitätsagenturen umgebaut. Schulinspektoren sollen in Zukunft Thüringens Schulleiterinnen und -leitern in die Karten schauen können. Nach Information des Thüringer Elternverbands orientiert sich Thüringen bei der Errichtung des Schul-TÜVs am angelsächsischen Vorbild. In England macht man bei schlechten Noten, die durch ein Inspektorenteam vergeben wurden, auch vor Schulschließungen nicht halt. Mit Besuch von Schulinspektoren können Schulen aller Schularten rechnen. Gecheckt werden unter anderem auch Elternarbeit, Nachmittags-Angebote und die Öffnung zur Region. 

Ausblick
Kaum ein Bundesland wird in Zukunft auf einen Qualitätstest verzichten können. Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte und Schulleitungen müssen sich zunehmend auf den Besuch von Schulinspektoren einstellen. Für die Eltern kann ein günstiger Bericht über eine Schule eine Entscheidungshilfe sein, um die  richtige Schule für ihr Kind zu finden. Er könnte auch dazu beitragen, dass die Schüler sich mehr mit ihrer Schule identifizieren. Es ist immerhin beruhigend zu wissen, dass auch Fachleute von außen den Lehrkräften Professionalität bescheinigen. "Gute Schulen nutzen die Ergebnisse sehr selbstständig, andere brauchen mehr Kontrolle und Anregungen", sagt Barbara Soltau vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH). 

Auch Unternehmen werden sich eher auf Schulsponsoring einlassen, wenn sie von außen attestiert bekommen, dass die Schulen gute Arbeit leisten. Sicher ist: die empirische Wende im Schulalltag bringt neue Jobs bzw. eine Veränderung des Arbeitsprofils von Schulaufsichtsbeamten. Wer, wenn nicht geschulte Fachleute für Qualitätssicherung, soll die Daten an Schulen sammeln, auswerten, Schulen Empfehlungen ausstellen und konkret unterstützen, wenn Hilfe erforderlich ist? 

Schulinspektion: Big Brother oder nützlicher Freund?
Über Sein oder nicht Sein von Schulen könnte - angesichts langfristig sinkender Schülerzahlen - die Frage entscheiden, ob einer Schule ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde oder nicht. Zumindest, wenn die Entwicklung der Überwachung einen restriktiven Verlauf nimmt. So wie mancherorts in England. Dort können Schulen geschlossen werden, die einer Schulinspektion nicht standhalten. Bisher laufen die Bemühungen der Länder zur Überwachung schulischer Selbstständigkeit allerdings eher auf kooperative und freundliche Modelle der Überprüfung hinaus, eher nach dem Vorbild der Niederlande.

Meistens bauen die Länder eine Architektur der Überprüfung auf, die auch die Schulaufsicht einbindet - nur so erlangen die Empfehlungen der Schulinspektionen eine gewisse Verbindlichkeit. Viele Länder wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz verpflichten die Schulen per Schulgesetz zur Überwachung der Qualität schulischer Arbeit. Es entsteht ein großer Flickenteppich verschiedener Agenturen, die dazu beitragen sollen, die Schulqualität in den einzelnen Ländern zu sichern. Ein verstärkter Austausch zwischen den Ländern kann die verstreuten Bemühungen um Qualität bündeln und sicherstellen, dass nicht nur die Schulen Impulse von außen erhalten, sondern auch die Länder.

Ein weiterer, neuer Baustein in der Überprüfungsarchitektur - ist das "Wissenschaftliche Institut der Länder zur Qualitätssicherung", das erst 2004 seine Arbeit aufgenommen hat. Die wichtigste Aufgabe dieser Qualitätsagentur der Kultusministerkonferenz (KMK) ist ein "kontinuierliches länderübergreifendes Bildungsmonitoring". Die Qualitätsagentur der KMK kooperiert mit den Ländern und kann auf deren Vorarbeit zurückgreifen. Viel hängt davon ab, dass die Zusammenarbeit von Schulinspektionen in den Ländern und der nationalen Qualitätsagentur gelingt. Und es bleibt zu hoffen, dass trotz der Erhöhung des Überwachungstakts in den Ländern den Schulen noch Zeit zum Verschnaufen bleibt. Qualität braucht mitunter, wie ein guter Wein, Zeit zum Reifen.

 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 27.09.2004
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