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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 21.06.2004:

Warum bauen Ritter Burgen?

Kinderunis erleben einen wahren Boom und auch die Unis profitieren davon
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Ob die Kinder zur Uni kommen wie hier zur Vorlesung für Kinder an der Uni Tübingen, oder die Uni zur Schule kommt - die Bildungseinrichtungen öffnen sich zusehends
Quelle: Uni Tübingen

Die Universität Tübingen gilt als Pionierin der Kinderuniversität: Vor drei Jahren entwickelten die Journalisten Ulla Steuernagel und Ulrich Janßen gemeinsam mit dem Pressesprecher der Universität, Michael Seifert, das Projekt Kinderuni. "In der Kinder-Uni beantworten echte Professoren Fragen, die sich Kinder stellen. Da es in Tübingen viele Professoren und viele Kinder gibt, lag nichts näher als eine Kinder-Uni", erklärt Ulrich Janßen.

Die Idee war tatsächlich so gut, dass der Tübinger Uni die Türen eingerannt wurden: Für die Vorlesung "Warum bauen Ritter Burgen?" interessierten sich über tausend kleine Besucher Nach diesem furiosen Auftakt entstanden in den vergangenen drei Jahren über 50 Kinderunis in Deutschland - in Stuttgart zum Beispiel erklärt Professor Karl Stahr, warum die Wüste lebt und lässt die kleinen Studenten über Wüstenboden laufen, simuliert einen Sandsturm oder solche Temperaturschwankungen, dass Steine platzen. In Mainz wandeln die Chemieprofessorinnen Claudia Felser und Petra Mischnick mit ihren kleinen Studenten auf den Spuren von Sherlock Holmes und untersuchen Geheimtinten und Fingerabdrücke.

Wissenserwerb ist zweitrangig bei den Kinder-Vorlesungen
Die Kindervorlesungen sind für Grundschüler zwischen acht und zwölf Jahren gedacht und natürlich steht bei dieser Art Vorlesung nicht der Wissenserwerb an erster Stelle. "Die Kinderuni soll ein Appetithäppchen sein, das Kinder neugierig auf Wissen macht. Was sie mit nach Hause nehmen, sind Wissenstrophäen. Sie sind stolz darauf, Eltern oder Freunden etwas Wissenschaftliches erklären zu können", sagt Michael Seifert.

Wie gut den Studenten in spe die Vorlesungen gefallen, belegt eine Studie der Universität Tübingen vom vergangenen Jahr: Die Kinder selbst wollen gut unterhalten und geistig angeregt werden. Das scheint gelungen, denn die kritischen Besucher stellen den Vorlesungen beim Thema Zufriedenheit sehr gute Noten aus. Wie tief das Wissen ist, das sie erwerben, so die Tübinger Studie, lässt sich nicht genau sagen, aber Ziel sei eigentlich auch Einblicke in verschiedene Fachbereiche zu gewähren und ihr Interesse an Universität, Wissenschaft und einzelnen Fächern zu wecken. Und das ist vollauf gelungen, denn die Kinder haben nach dem Besuch der Uni deutlich mehr Interesse an Naturwissenschaften, Archäologie, Astronomie, Jura und Philosophie.

Gute Kinder-Vorlesungen ergeben gute Studenten-Vorlesungen
Und auch die Universität profitiert von der Kinderuni: "Das ist die radikalste Öffnung, die der Universität möglich ist und sie präsentiert sich so als eine offene Institution. Bei Kindern und Eltern sollen die Hemmschwellen abgebaut werden, eine Universität zu betreten. Davon verspreche ich mir, dass diese Kinder in der Oberstufe keine Scheu haben, sich zu informieren und einfach mal zum Schnuppern in eine Vorlesung gehen, um zu sehen, ob ein bestimmtes Fach etwas für sie ist", erklärt Michael Seifert die Intention der Universität. Nach drei Jahren Kinderuniversität ist es in Tübingen mittlerweile so, dass sich die Professoren regelrecht drängeln um mal eine Kindervorlesung halten zu können. Und das ist nicht nur eine Frage des Prestiges, sondern macht vielen Wissenschaftlern schlicht und ergreifend einfach viel Vergnügen.

Physikprofessor Joachim Treusch, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich, kann diese Entwicklung gut verstehen, denn "bei Kindern ist es unverstellte, ungebremste Neugier. Das macht einfach Spaß. Die sind auch völlig ungeniert im Fragen und Staunen. Wenn man Kinder in ihrer Neugier bestärkt, kann man etwas tun, was möglicherweise auch in ihrer Schulzeit wirksam bleibt." Joachim Treusch könnte eigentlich auch als Erfinder der Kinderuni gelten, denn er nahm schon vor dreißig Jahren Kindergartenkinder mit in sein Labor an der Universität Dortmund. Er glaubt, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Professoren von den Vorlesungen profitieren: "Ich bin absolut überzeugt, dass eine gute Kindervorlesung automatisch eine gute Vorlesung für Studenten ergibt".

Merkzettel für Professoren, um Kinder bei der Stange zu halten
Die Universität Tübingen berät mittlerweile andere Universitäten, die in Sachen Kinderuni noch in den Startlöchern stecken. Ein Blick nach Berlin zeigt, dass auf jeden Fall Beratungsbedarf vorhanden ist, denn an der Humboldt-Uni war die erste Vorlesung für Kinder ein Desaster: Ein Geräuschpegel wie bei einem Rock-Konzert, keiner hörte dem Professor zu, der sich eine Stunde vergeblich mühte, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu gewinnen. Die Ursache war nicht ein langweiliges Vorlesungsthema, sondern dass die Humboldt-Uni Schulklassen eingeladen hatte. Diese entwickeln automatisch Unruhe, weil die Klassenclowns es sich vor soviel Publikum natürlich nicht entgehen lassen, die Dezibel-Zahlen nach oben zu jagen. In Tübingen können sich Kinder einzeln oder in kleinen Gruppen anmelden.

Außerdem haben die Tübinger Initiatoren einen Merkzettel für Professoren herausgeben, was diese bei ihren neuen Studenten beachten sollten: Immer vorne stehen und nicht durch die Gänge wandeln, weil dies Unruhe auslöst, Fragen von Kindern immer laut zu wiederholen und vor allem auf eine gewisse Dramaturgie zu achten. "Nach einer halben Stunde lässt erfahrungsgemäß die Konzentration nach und da muss man dann etwas haben, was die Kinder fesselt - eine spannende Geschichte oder ein sensationelles Bild zum Beispiel", erläutert Michael Seifert. Und auch die Eltern können von der Kinderuni etwas mit nach Hause nehmen, was viele vielleicht schon verlernt haben: Den Spaß daran Fragen zu stellen, neugierig zu sein und sich gerne Löcher in den Bauch fragen lassen.

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 21.06.2004
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