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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 29.01.2004:

Händereichen statt Faust in der Tasche

Anti-Gewalt-Trainer bieten körperzentrierte Konzepte an, um Gewalt an Schulen einzudämmen.

Bildung PLUS: Zwei alltägliche Szenarien: Eine Schülerin der zehnten
Klasse fühlt sich nicht mehr wohl in der Schule, sie wird gemobbt und zur Außenseiterin abgestempelt. Zweites Szenario: Ein Schüler, Anführer einer gewalttätigen Clique, erpresst seine Mitschüler über längere Zeit hinweg, zwingt sie zum Raub und zum Schlagen von Schwächeren. Was tun? 
 
Schlafhorst: Das sind klassische Situationen, im ersten Fall hätte man
früher wahrscheinlich nicht von Mobbing gesprochen, sondern von kleinen Sticheleien. Das Thema Mobbing ist in Mode gekommen, denn sich auf Kosten Anderer, Schwächerer stärker zu fühlen, ist verwerflich. Es wird dennoch gemobbt. Wir fragen am Ende des Trainings allgemein, wie fühlt ihr euch in der Klasse: gut, mittelgut, schlecht, kennt ihr Außenseiter? Wir fragen in der Gruppe, wie fühlt sich das an, was passiert mit der Person, die gemobbt wird? Es geht also um Empathie. 
 
Andere Methoden würden auf das zweite Szenario zutreffen. Dieses
Problem muss in der Klasse thematisiert werden, was natürlich voraussetzt, dass die Lehrer vorher für solche Gespräche ausgebildet werden, und dann wird darüber offen gesprochen. Es wird nicht nach einem Schuldigen gesucht, sondern man sucht mit den Schülern gemeinsam nach Lösungen.
 
Dazu gibt es das Anti-Mobbing-Programm `No blame Approach'. Hierbei müssen die Lehrer zuerst erkennen, wer gemobbt wird. Der Lehrer soll dann mit dem Mobbingopfer ein Gespräch unter vier Augen führen. Er fragt unter anderem: Wer ärgert dich? Möchtest du, dass das aufhört? Nachdem der Mobber benannt wurde, bildet der Lehrer eine Unterstützungsgruppe. Mit dem Mobber, mit sozialkompetenten Schülern und mit Freunden des Gemobbten. Im Vier-Augen-Gespräch und in der Gruppe fällt das Wort Mobbing gar nicht. Nach ein bis zwei Wochen zeigt sich in der Regel, dass das Mobbing aufhört.

Bildung PLUS: Wie sieht ein erfolgreiches Anti-Gewalt-Training an
Schulen aus? 

Schlafhorst: Seit zwei Jahren arbeite ich als Anti-Gewalt-Trainer bei
den Steimel-Menscher-Theaterprojekten in Düsseldorf. Neben Simon Steimel, Regisseur und Anti-Gewalt-Trainer leite ich die Trainings in den Klassenräumen. Nach Vorgesprächen mit den Lehrern über die Klasse - die Lehrer nehmen in der Regel auch am Training teil - bilden wir zunächst in der Klasse einen Stuhlkreis. Dadurch bekommen wir eine aufgebrochene Klassensituation. 
 
Nun arbeiten wir mit theaterpädagogischen und schauspielerischen
Elementen. Die Schüler spielen das, was vorher zum Thema Verhalten in Gewaltsituationen gezeigt und besprochen wurde. Sie können so erleben, wie sich ihr Körper anfühlt und was sie mit ihren neuen Verhaltensweisen bei anderen auslösen können. Das ist einerseits körpersprachlich beschreibbar, andererseits durch das Verhalten meines Gegenübers gut darstellbar. Zum Beispiel: Verblüffen bei Beleidigungen. 
 
Ganz klassisch eine Begegnungssituation auf der Straße: zwei
Jugendliche begegnen sich, einer sucht Streit: Wie verhält sich der andere? Dabei gibt es ein bestimmtes Blickverhalten. Wenn ich eine Person länger als einen Augenblick anblicke, kann das bereits als Provokation aufgefasst werden. Nach dem Motto: "Was guckst du so blöd?" Dann nimmt diese Situation letztlich ihren verhängnisvollen Verlauf.

Deswegen sagen wir, man sollte wissen, wie und - vor allem - wie lange man guckt. Weniger als eine Sekunde bringt meistens keinen Ärger. Und wenn z.B. eine Person von weitem auf mich zukommt, dann muss ich diese Person nicht zwingend angucken, sondern ich schaue bewusst vorbei, oder ich interessiere mich für was anderes. Ganz entscheidend dabei ist eine aufrechte Köperhaltung und - den Kopf nicht hängen zu lassen. Wenn ich mich aber auf einen Kampf der Blicke einlasse, muss ich - wie gesagt - mit unangenehmen Konsequenzen rechnen. Blicke sind im Übrigen eine Art Hierarchieverhalten, das alle Menschen an den Tag legen. 
 
Also, wir zeigen Gewalt-Situationen auf, reflektieren dabei
Körpersprache, Stimme und Worte und lassen die Schüler dann selbst spielen. Dann variieren wir Verhaltenweisen und Reaktionen. Wichtig ist das Lernen über den Affekt, was auch eine größere Erinnerungsleistung mit sich bringt. Und natürlich soll das Training allen Spaß machen. 
 
Bildung PLUS: Wie werden Sie denn als Außenstehender akzeptiert?

Schlafhorst:
Außenstehende haben in der Regel einen unbeeinflussten
Blick auf die Situation. Sie erkennen - sobald der Stuhlkreis gebaut wird - bestimmte gruppendynamische Prozesse und handeln unvoreingenommen. 
 
Entscheidend ist: In der ersten Minute muss erreicht werden, dass die
Schülerinnen und Schüler uns als Trainer akzeptieren - Stichwort
erster/zweiter Eindruck. Man hat seinen Ablauf, eine klare Umgangsweise, man redet nicht selber, wenn die Schüler reden und wartet bis Ruhe ist. 
 
Wir achten aber nicht nur auf eingeschliffene Verhaltensweisen der
Klasse, sondern auch auf die der Lehrer. Wenn ein Lehrer z.B. vor der Klasse steht und durch die Lautstärke versucht sie niederzubrüllen. Wenn er dann noch versucht einzelne Schüler bloßzustellen, sind das natürlich sehr unglückliche Mittel. Man sollte im Unterricht ruhig, fair und kooperativ sein und klare Regeln vorgeben. 

Bildung PLUS: In Ihrem Konzept spielt der Körper eine große Rolle:
Welche Körpercodes gehen bei Opfern von Gewalt aus und welche bei den Aggressoren?

Schlafhorst: Hier kann man zunächst die klassische Täter-/
Opfer-Körperhaltung unterscheiden.

In den Anti-Gewalt-Trainings, die ich auch für die Jugendgerichte- und
Bewährungshilfe mache, habe ich Jugendliche, die - interessanterweise - einen Täter - wie auch einen Opferausdruck in ihrem Körper haben. 
 
Diese Jugendlichen haben in der Regel eine wesentlich breitbeinigere
Körperhaltung und machen einen auf Cool. Wenn man dies durchschaut, sieht man dahinter eine aufgeblasene und unsichere Person. Wer seine Position in der Gesellschaft nicht gefunden hat, möchte dennoch seinen Platz haben. Er verschafft sich Raum und macht sich daher nach unten hin breit. Durch das raumgreifende Verhalten signalisiert man aber gleichzeitig: Komm mir nicht zu nahe, wobei man - rein statisch betrachtet - sehr unsicher steht. Das ist ein Paradoxon.

Und bei den Opfern ist es umgekehrt. Sie machen sich in ihrem
Standpunkt sehr klein, wobei sich der Oberkörper zusammenzieht - wie bei einer Schnecke. Bei den Opfern ist oft ein vorsichtiges, langsames, bedächtiges Gehen symptomatisch. Diese Leute erleben sehr viel Unterspannung, während die Aggressoren eine Überspannung in ihrem Körper erleben: Wer unterspannt ist, ist leicht zu ärgern, wer angespannt ist, ist leichter reizbar.

Prinzipiell gibt es aber das Problem, dass jeder gemobbt werden kann:
Du machst einfach was Falsches in einer ungünstigen Konstellation und
schon wirst du angegriffen. Die einen können sich dagegen besser zur Wehr setzen, die anderen eben nicht. Mobbingopfer sehen häufig nicht so aus, wie sich das Umfeld dies vorstellt, sei es, dass sie etwas zu klein sind oder zu dick oder einfach "die falsche Kleidung" tragen. Aber man kann in diesem Zusammenhang nicht sagen, der oder die wird - aufgrund des Körpercodes - ein Mobbing-Opfer. 
 
Bildung PLUS: Wie trainieren Sie die Schülerinnen und Schüler für
Stresssituationen, und welche Veränderungen bzw. Erfolge nehmen Sie nach den Übungen wahr.

Schlafhorst: Für Stress-Situationen gibt es einige Übungen, wie z.B.
die S-Bahnsituation: Versuchter Überfall bzw. Provokation in der
Öffentlichkeit. Was kann man machen? Aufstehen und gehen?! Kämpfen?! Hau ab!!!! - schreien - das trainieren wir - extrem laut. Es geht also darum, dem oder den Tätern eine klare Handlungsanweisung zu geben. Diese Übung bestärkt die Schüler und wappnet sie für solche Situationen.

Und in Übergriffssituationen gehen wir so vor: Wenn ihr ein Nein-Gefühl habt, dann benennt es entschieden: "Nein, ich will das nicht, fassen Sie mich nicht an!" Solche Ernstfallsituationen trainieren wir häufig. Stichwort, euer Körper gehört euch, den darf keiner anfassen, wenn ihr es nicht wollt.

Die Veränderungen, die wir nach den Übungen feststellen, sind teilweise sehr erstaunlich. Schüchterne oder kleinere Schüler zeigen, dass sie sich sehr wohl mit Ihrer Stimme zur Wehr setzen können. Und ihre Körpersprache wirkt dabei selbstbewusster.

Was sich auch bewährt hat, ist das Rollen-Switching. Das heißt Schüler
übernehmen in einer Übung eine Opferrolle, um so die Sichtweise und die Empfindungen der anderen Seite kennen zu lernen. Ihr eigenes Verhalten können die Schüler dadurch reflektieren.

Außerdem versuchen wir in bestimmten Abständen in dieselbe Klasse zu gehen, um Veränderungen zu überprüfen und eine kontinuierliche Zusammenarbeit - auch in Notfällen - zu gewährleisten.

In einer Umfrage an 14 Düsseldorfer Schulen bewerteten Lehrer und Schüler übrigens die Anti-Gewalt-Trainings der Steimel-Menschner-Theaterprojekte mit "sehr gut". 


Holger R. Schlafhorst
, Jahrgang 1967, ist Anti-Gewalt-Trainer, Schauspieler und Trainer für Körpersprache nach Sabine Mühlisch und Samy Molcho. Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengebiet Deutsch als Fremdsprache an der Universität Düsseldorf.

 

Autor(in): Peer Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 29.01.2004
© Innovationsportal

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