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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 01.12.2003:

Kitas im Wandel

Keine Zukunftsmusik mehr - Bildungsprogramme für Kitas in Sachsen-Anhalt

Mit ihrer Puppe im Arm kommt Katarina, fünf Jahre, morgens in aller Frühe in die Kindertagesstätte (Kita) in Magdeburg. Sie begrüßt zunächst ihre Freundinnen, erzählt wie es beim Frühstück zuhause war. Die Kleine ist vielseitig, hat jüngst ihr Seepferdchen beim Schwimmen gemacht und turnt viel. Sie hilft auch gerne anderen Kindern beim Ausziehen ihrer Winterjacken. Die Erzieherin legt Wert darauf, dass ihre Schützlinge höflich zueinander sind: "Sie sollen teilen können und Rücksicht aufeinander nehmen." Und vor allem gemeinsam lernen. In der vorweihnachtlichen Zeit basteln die Kinder Sterne wie überall in Deutschland.

Lernen vom Osten
In der privaten Kleinsteinrichtung haben 19 Kinder im Alter von anderthalb bis fünf Jahren Platz. Es sei eine lange Tradition in den neuen Bundesländern, Kinder zu rücksichtsvollen Menschen zu erziehen und das so früh wie möglich. In der Gruppe zeigt ein Junge sprachliche Mängel. Er entwickelt sich langsamer als die anderen Kinder. Daher sprechen die Erzieherinnen besonders viel mit diesem Kind. Sprechen hilft. Dennoch halten sie es für angebracht, später einen Logopäden zu Rate zu ziehen, um den Sprachmangel des Zweijährigen frühzeitig zu beheben. In Magdeburg ist die Kita-Welt offensichtlich noch in Ordnung.

Nun sollen die Kindertagesstätten Sachsen-Anhalts noch mehr auf Bildungsprozesse bei Kindern bauen: "Erziehung, Bildung und Betreuung gehören zusammen", lautet die Devise von Gerry Kley, FDP, Minister für Gesundheit und Soziales in Sachsen-Anhalt. Es gehe nicht darum, die Kinder möglichst früh zu verschulen, sondern um eine "best- und frühestmögliche sowie altersspezifische Förderung von allen Jungen und Mädchen". In Sachsen-Anhalt haben sämtliche Kinder im Alter von unter ein bis 14 Jahren einen "Rechtsanspruch" auf einen Halb- oder Ganztagsplatz und sollen dabei noch eine gezielte Förderung genießen.

Sachsen-Anhalt sieht sich mittlerweile als ein Vorreiter in der Förderung der Kleinsten: Während etwa 4 Prozent der Kinder in den alten Bundesländern im Krippenalter (Kinder unter drei Jahren) eine Tageseinrichtung besuchen, sind es in Sachsen-Anhalt 46 Prozent sein. Gar 90 Prozent aller Kinder besuchen im "Vorzeigeland für Kitas" einen Kindergarten (Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt), in den alten Ländern hingegen nur drei von vier Kindern.

Abenteuer Bildung
Stoff für die Bildung steckt nicht allein zwischen zwei Buchdeckeln. Überdies können Zweijährige meist nicht lesen. Es geht auch mit "Wassertreten", eine Methode, die Naturheilkundler Sebastian Kneipp erfunden hat. Die Kinder der Kita "Regenbogen" in Wernigerode treten in kaltem Wasser, das ihnen bis zur Kniekehle reicht und erfahren dabei so einiges. Etwa wie sich nach dem zweiten und dritten Tag des Wassertretens das Kältegefühl verändert.

Simone Runge, stellvertretende Leiterin der Kita und Erzieherin, begleitet die Kinder dabei mit einer Videokamera. Sie hält fest, wie die Kinder sich am ersten Tag scheuen, am zweiten schon sicherer wie Störche durch das Wasser waten und am dritten Tag selbstständig einige Übungen durchführen. Wasser ist ein geeigneter Stoff für die Bildung. So füllen die Kinder zudem Flaschen ab, betrachten die ein und ausgehenden Mengen, machen Spiele im Wasserbassin, betrachten sozusagen den Sturm im Wasserglas.

Von der Erzieherin zur Praxisforscherin
"Meine Arbeit wird intensiver dadurch, dass ich Kinder beim Wassertreten beobachte", sagt Runge und ergänzt "man bekommt ein umfassendes Bild von der Aktion Wassertreten". Die Erzieherinnen werden zu Praxisforscherinnen ausgebildet, indem sie ihre Beobachtungen "auf den Punkt bringen" und sich nicht in den praktischen Kleinigkeiten des Alltags verlieren. Die Übungen mit dem Wasser enthalten Bestandteile naturwissenschaftlicher Grunderfahrungen und vermitteln Bewegung und Gesundheit. Die Kunst, das Wichtige zu beobachten, erlernen die Erzieherinnen bei professionellen Pädagogen.

Bildungsprogramm für Kitas
Am roten Faden eines Modellprojektes mit Namen "Bildung : elementar" erproben 446 Mädchen und Jungen in vier Tageseinrichtungen wie das geht, aus Praxis Forschung und aus Forschung wiederum Praxis werden zu lassen. In "Werkstatttreffen" tauschen sich zu diesem Zweck Wissenschaftler der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg mit 48 Erzieherinnen regelmäßig aus; unter ihnen auch Simone Runge.

Die Ausbildung zu "Praxisforschern" bedeutet konkret Fortbildung für die Erzieher. Im Zentrum steht der weite Begriff der Erfahrung. Erfahrungen machen schließlich alle Menschen, ganz gleich ob sie schon denken können oder nicht.

Gezielte Förderung in Sachsen-Anhalt geht über Betreuung hinaus. Regelrechte Bildungspläne sollen es richten. Das übersichtliche Bildungsprogramm umfasst sechs Bereiche. Das langfristige Ziel - Vorbereitung der Kleinsten auf ein lebenslanges Lernen:

  • Kommunikation, Sprachen und Schriftkultur
  • Interkulturelle und soziale Grunderfahrungen
  • Ästhetik und Kreativität
  • Mathematische Grunderfahrungen
  • Welterkundung und naturwissenschaftliche Grunderfahrungen
  • Körper, Bewegung und Gesundheit

Sachsen-Anhalt sieht sich bereits unter den "Top Five" der Länder angesiedelt, die Bildung in die Kitas hineintragen und so konsequent auf die Ergebnisse der PISA-Studie reagieren haben. Neben Sachsen-Anhalt haben bisher Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Bildungspläne für die neugierigen Nesthäkchen vorgelegt.

Professionalisierung der "Erzieherinnen"  nur durch Hochschulbildung?
Der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, gehen die Ansätze des Ministeriums für Gesundheit und Soziales nicht weit genug. Vier Kitas im Modellprojekt seien zu wenig, sagt Annegret Windelband, Bildungssekretärin im Landesvorstand der GEW Sachsen-Anhalt. Die "Bedingungen für die Kita-Reform stimmen noch nicht", sagt Windelband. Erzieherinnen bräuchten eine längere Vorbereitungszeit, bevor sie Kinder wissenschaftlich begleiten.

Darüber hinaus sei die reguläre Ausbildung zur Erzieherin nicht mehr ausreichend, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Die Ausbildung der Erzieherin sollte an der Hochschule oder Fachhochschule angesiedelt werden.

 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 01.12.2003
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