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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 22.08.2002:

Schulmisere kurbelt Nachhilfe an

Nachhilfe ist ein altes Gewerbe. Doch die Zeiten, in denen vor allem Schüler und Lehrer ihr Taschengeld oder Salär mit privatem Unterricht aufbesserten, gehören längst der Vergangenheit an. Die kommerziellen Bildungsanbieter erleben seit Jahren einen Boom - und die Pisa-Studie bescherte ihnen noch einmal neuen Zulauf. Einer der Großen im kommerziellen Geschäft mit der Nachhilfe ist der Studienkreis aus Bochum, der es seit seiner Gründung in den 70er Jahren auf nahezu 1.000 Filialen gebracht hat. Vergangenes Jahr begrüßte das Unternehmen den 600.000 Schüler - ein Jahr zuvor waren es noch 100.000 weniger. Besonders gefragt sind Mathe, Englisch und Deutsch. Die GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft) sieht diese Entwicklung mit Sorge, doch "dieser Trend zeigt zumindest deutlich, dass die Schule ihrem Bildungsauftrag nicht mehr gerecht wird", so Martina Schmerr, Referentin im Vorstandsbereich der GEW für Schule.

Die Gründe für den Boom liegen auf der Hand: Unterrichtsausfall, keine individuelle Betreuung - nach der Mittagszeit sowieso mit Seltenheitswert -, und ein großer Leistungsdruck. Im Studienkreis dagegen ermöglichen Minigruppen von drei bis fünf Schülern ein individuelles Eingehen auf jeden Einzelnen - für ungefähr acht Euro pro Unterrichtsstunde. Die strenge Auslese der Schüler nach Schulformen tut ein übriges, dass der Glauben der Eltern in die Schule sinkt und sie vermehrt auf private Anbieter setzen. Der Wettbewerbsdruck geht schließlich sogar so weit, dass Grundschüler auf Wunsch der Eltern nachmittags die Schulbank drücken, damit sie nach der vierten Klasse auch auf jeden Fall ins Gymnasium wechseln - sicher ist sicher. Intensive Gespräche mit den Eltern sollen dieser Entwicklung beim Studienkreis einen Riegel vorschieben.

Dass dem Studienkreis bei einem Ausbau der Ganztagesschulen die Klientel wegbleibt, glaubt Ulrich Wens, Geschäftsführer beim Studienkreis, nicht, "denn die Ganztagsschulen werden momentan sehr stark als Hausaufgabenhilfe gesehen und wir verstehen uns bewusst als Anbieter für qualifizierte Förderung und Nachhilfe - auch in klarer Abgrenzung zu anderen Mitbewerbern". Martina Schmerr dagegen ist sich sicher, dass Ganztagesschulen die Entwicklung umkehren werden: "Schweden und Finnland haben eine Nachhilfe-Quote von unter drei Prozent - und dort sind Ganztagesschulen an der Tagesordnung".

Kommerzielle Anbieter wie der Studienkreis sehen sich aber nicht als Krisengewinnler, denn knapp 30 Jahre Erfahrung in diesem Bereich würden deutlich zeigen, dass man nicht am kurzfristigen Erfolg interessiert sei, sondern an einer nachhaltigen Förderung. Doch auch mit der Nachhaltigkeit ist es so eine Sache: Eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg belegt, dass bayerische Schüler, die in den Genuss von Zusatzunterricht kamen, ihre Noten deutlich nach oben schrauben konnten, aber nach dem Wegfall des Unterrichts wieder auf ihr altes Niveau herabsanken. Ebenso wie in der Weiterbildung, für die nun ein Bildungstest geplant ist, fehlen im Bereich der Nachhilfe Gütesiegel, an denen sich Eltern orientieren können.

Die kommerziellen Anbieter können dem Staat aber auch Anschauungsunterricht in punkto Flexibilität geben: Während Politiker seit geraumer Zeit debattieren, ob Englisch in der Grundschule oder gar im Kindergarten nicht sinnvoll sei, parlieren Kleinkinder beim Studienkreis schon seit Jahren in ihrer ersten Fremdsprache. Einen besonders großen Zulauf verzeichnen die Lese- und Rechtschreibschulen des Studienkreises. Immer mehr Kinder beginnen ihre Schulkarriere mit Defiziten beim Lesen oder Schreiben. Dies sei zwar kein neues Problem, wie Dr. Birgit Ebbert, Leiterin PR und Neue Medien beim Studienkreis, betont, aber die Tendenz nach oben sei deutlich spürbar, "weil die geschriebene Sprache in unserem Medienzeitalter auf dem Rückzug ist".

Eine Kooperation mit Schulen, bei der diese bestimmte Inhalte an die privaten Bildungsanbieter auslagern, kann sich das Unternehmen aus Bochum sehr gut vorstellen, doch auf der anderen Seite stoßen sie nicht immer auf Gegenliebe. Allerdings hofft Geschäftsführer Wens, "dass die Pisa-Studie hier ein Umdenken in Gang setzen wird".

 

Autor(in): Udo Loffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 22.08.2002
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