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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 18.11.2002:

Nordrhein-Westfalen: Freiraum für Schulentwicklung

„Selbstständige Schulen“ entscheiden mehr: Ganz gleich ob bei Inhalten oder Investitionen

Frühe Gehversuche in demokratischer Schulkultur
"Wir tun einander nicht weh" - die wichtigste Regel, die für alle Schülerinnen und Schüler der Norbert-Grundschule gilt. Die Kinder haben insgesamt elf Schulregeln selbstständig aufgestellt, um die Gewalt "durch Beleidigungen, Spucken, Treten, Boxen, Haare ziehen, Prügeln, mit Sand werfen" einzudämmen. Nicht selten kommt es zu Verstößen gegen diese elf Gebote, doch die Kinder wissen, dass sie "ihre" Regeln nicht einer fremden Instanz verdanken, sondern sich selbst. Wer gegen die Regeln verstößt, muss Rede und Antwort stehen. Vor dem Klassenrat und der Schülerkonferenz.
 
Einmal in der Woche tagt der Klassenrat. In den Klassen drei und vier können die älteren Kinder, Mädchen und Jungen, den Klassenrat leiten. Die Kinder der Klassen eins bis vier besprechen gleichberechtigt mit den Lehrern Schwierigkeiten an der Schule. In dem "Klassenratsbuch" tragen die Kinder selbstständig mit Datum ein, mit wem es Streit gegeben hat: "ich war sauer auf dich weil..." Ursula Bultmann, die Schulleiterin, freut sich über die frühe "Schreiberziehung", die dabei geübt wird. Und die Lehrer signalisieren Kindern mit dem "Klassenratsbuch", wie wichtig es für die Schule ist, dass sich die Kinder verstehen.

Weniger Konflikte, mehr Leistung
"Schulklima, Lernqualität und Bereitschaft zur Aggression stehen in einem Korrespondenzverhältnis", sagen die Bildungsforscher Wolfgang Edelstein und Peter Fauser in ihrem Gutachten  "Demokratie lernen und leben". Die Voraussetzung für demokratische Handlungskompetenz sei das "verständnisintensive Lernen". Darunter verstehen Edelstein und Fauser: "Langfristig angelegte Lernprozesse, die Erfahrung, Handeln, Wissen und kritisches Urteilsvermögen miteinander verbinden."

"Wir achten darauf, die Regeln einzuhalten", sagt Ursula Bultmann. Die Erziehung zur Demokratie ist ein "mühsamer Prozess" und einer der Zeit kostet. Kann man sich jetzt Zeit leisten, wo die Leistungen der Schüler in Deutschland dringend verbessert werden sollen? Für Ursula Bultmann gibt es nur einen Weg: "Wenn Konflikte da sind, muss man sich die Zeit nehmen, sie zu lösen." Beim Besprechen von Konflikten lernen Migrantenkinder nebenbei mit der deutschen Sprache umzugehen und, wie man "aktiv zuhört". Man kann keine Leistung bringen, wenn Konflikte in der Luft liegen.

"Selbstständige Schulen NRW": Zur Zeit das größte Schulentwicklungs-Projekt
Die Norbert-Grundschule hat sich im Kooperationsvertrag mit dem Bildungsministerium von Nordrhein-Westfalen auf das Lernziel "Demokratische Erziehung" festgelegt. Kinder der ersten und zweiten Klassen sollen bereits in Klassenräten und Schülerkonferenzen selbstständig Probleme an der Schule lösen können - das wird im Arbeitsfeld "Unterrichtsorganisation und Unterrichtsgestaltung" des Modellvorhabens "Selbstständige Schulen NRW" näher bestimmt. Die Gewalt soll dadurch eingedämmt werden, dass Kinder in den dritten und vierten Klassen zu Mediatoren, das sind Streitschlichter, ausgebildet werden. Zuvor lassen sich die Lehrer fortbilden, in Kommunikationstraining und Konfliktlösungsstrategien. Als lernende Lehrer sind die Lehrer Vorbilder für die Kinder.

Für die Streitschlichter gibt es viel zu tun, schließlich liegt die Norbert-Grundschule in einem sozialen Brennpunkt in Münster. Insgesamt sind 26 verschiedene Nationalitäten an der Schule vertreten.

Durch das "Modellvorhaben Selbstständige Schulen NRW" ist auch im Kollegium der Norbert-Grundschule Bewegung gekommen. Voraussetzung für die Teilnahme einer Schule an dem Vorhaben ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Kollegium. Nach der Abstimmung hat Ursula Bultmann die Gewissheit, dass "das gesamte Kollegium dahinter steht." Die hohe Akzeptanz ist wichtig, weil die Lehrer sich als Teamarbeiter der Herausforderung einer multikulturellen Schule im sozialen Brennpunkt stellen.

In Nordrhein-Westfalen nehmen insgesamt 237 Schulen an dem "Modellvorhaben Selbständige Schule NRW"  teil, Schulen aller Schulformen von Sonderschulen bis Berufskollegs und Gymnasien. Das Großprojekt läuft sechs Jahre lang, bis 2008.
Mit 103 Grundschulen, das sind 43 Prozent, stellen die Grundschulen die meisten Modellschulen, gefolgt von Berufskollegs, 27 Prozent, und Gymnasien mit 25 Prozent. 

Geld für multimedialen Unterricht und neue Medien
Das Berufskolleg Südstadt in Köln ist eine von 64 Berufskollegs im Modellvorhaben. Allein in Köln nehmen 11 Berufskollegs am Projekt teil. "Man fühlt sich außen vor" sagt Wolfgang Hardenacke, Schulleiter des Berufskollegs Südstadt, über die Schulen, denen die Teilnahme versagt blieb.

Die Schüler im Alter von 18 bis 20 Jahren sind Auszubildende oder Berufsschüler. Das Berufskolleg Südstadt hat die Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler dadurch gestärkt, dass sie in der Schulkonferenz das gleiche Stimmengewicht wie die Lehrer haben. Animiert durch mehr Verantwortung bereiten sich die Schüler auf die Sitzungen intensiver vor. "Interessiert und kompetent, mehr als vermutet.", so schätzt Wolgang Hardenacke den Umgang der Schülerinnen und Schüler mit mehr Freiraum in der Schule ein.

Im Unterschied zu Grundschulen sind Berufskollegs große Einheiten mit zahlreichen Schülern. Für einen erfolgreichen Start vieler Schüler in das Berufsleben sind Medienkompetenzen zentral. Wolfgang Hardenacke sieht einen "hohen Finanzierungsbedarf" für den Kauf von EDV-Geräten und der Installation von Multimedia. Er nutzt das eigene Budget und die Freiheit entscheiden zu können, wie er den Einsatz von Informationstechnik und Neue Medien im Unterricht unterstützt. In den kommenden zwei Jahren wird Wolfgang Hardenacke Geld in die Fortbildung der Kollegen investieren. Danach möchte er überprüfen lassen, was die Fortbildungen gebracht haben.

Die Kinder der Norbert-Grundschule müssen ihr Tun und Lassen vor dem Klassenrat rechtfertigen. Und die Schulen im Projekt "Selbstständige Schulen NRW" müssen bereit sein, die Qualität der schulischen Arbeit vom nordrhein-westfälischen Bildungsministerium evaluieren zu lassen. Das schließt auch Schulinspektionen ein.


Bildung PLUS stellt im nächsten Beitrag die bayerische Schulreform vor: "MODUS 21 - Modell Unternehmen Schule im 21. Jahrhundert - Schule in Verantwortung"

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 18.11.2002
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