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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 09.11.2017:

„Ich setze mich für eine digitale Volksbildung ein“

Digitalisierung an Volkshochschulen
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Joachim Sucker

Digitale Bildung hält auch an den Volkshochschulen Einzug. Das Strategiepapier „Erweiterte Lernwelten“ (ELW) sieht neue Lehr- und Lernsettings für die Volkshochschulen vor, die das Präsenzangebot der Volkshochschulen um digitale Settings erweitern. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Joachim Sucker, einem der Autoren des Papiers, über digitale Bildung an den Volkshochschulen, Digicircle und MOOCS.


Online-Redaktion: Sie haben gemeinsam mit anderen das Strategiepapier „Erweiterte Lernwelten“ (ELW) verfasst, das die Grundlage für neue Lehr- und Lernsettings innerhalb der deutschen Volkshochschulen (VHS) bildet. Wie kam es dazu, und welche wesentlichen Punkte beinhaltet das Papier?

Sucker: Der Weg zu diesem Masterplan ging über drei Jahre. Es hatte sich gezeigt, dass es abseits der VHS-Strukturen - der Verbandsstrukturen sowie der regionale Strukturen - immer mehr Kolleg/inn/en gab, die sich eigenständig über Onlinekanäle zusammenschlossen. Vorreiter war eine Marketinggruppe auf XING, in der rund 350 Kolleg/inn/en miteinander kommunizierten und eigenständig Marketingtagungen durchführten. Das nahm eine solche Dynamik an, dass uns klar war, dass wir uns damit beschäftigen müssen und dass wir versuchen mussten, diese digitalen Strukturen auf die pädagogische Ebene zu übertragen. So entstand das Papier „Erweiterte Lernwelten“ (ELW). Mit „erweiterten“ Lernwelten war gemeint, dass wir nicht das Digitale gegen das Präsenzlernen stellen, sondern das Präsenzangebot der Volkshochschulen um digitale Settings - in erster Linie Blended-Learning-Formate, eine Mischung aus Online- und Präsenzangeboten - erweitern wollten. Mit reinen Online-Settings hätten wir das Paradigma der kommunalen Anbindung der Volkshochschulen in Teilen in Frage gestellt und das wollten wir vorerst nicht.

Wir schlugen vor, eine gemeinsame Vertriebsstrategie aufzubauen - die vhs.cloud -, mit der ein Produkt allen Volkshochschulen bundesweit zur Verfügung gestellt werden kann und über die alle Volkshochschulbeteiligten miteinander kommunizieren können. Jede VHS kann beliebig viele Mitarbeiter und Kursleiter in diese Cloud einbinden, es gibt keine regionale Begrenzung was Kommunikationsstrukturen wie Foren oder Arbeitsgruppen angeht. Sie funktioniert auch als Lernmanagementsystem und hat ein integriertes Videokonferenzsystem.

Online-Redaktion: Wie hat sich digitale Bildung an den Volkshochschulen seitdem entwickelt?

Sucker: Der Auftakt der Entwicklung war der Volkshochschultag am 9. und 10. Juni 2016 in Berlin. Das Thema der digitalen Teilhabe des ELW-Plans ist dort im großen Stil mit fünf Bundesministern und anderen Institutionen eingeläutet worden. Passend dazu wurde der Masterplan für die „Erweiterten Lernwelten“ beschlossen und veröffentlicht. Seitdem gibt es in allen Landesverbänden Informationsveranstaltungen und sogenannte Digicircle. Diese sind ein wichtiges Element im Konzept der Erweiterten Lernwelten. In einem Digicircle schließen sich bis zu fünf Volkshochschulen zusammen und arbeiten an der Entwicklung neuer Lernsettings. Es gibt bereits eine große Anzahl unterschiedlicher Pilotprojekte, an denen zurzeit 130 Volkshochschulen beteiligt sind und die bis Mitte 2018 abgeschlossen und evaluiert werden sollen. Darunter sind Blended- Learning-Formate (überwiegend Flipped Classrooms) unter anderem für den Sprachunterricht, den Gesundheitsbereich und den Integrationsbereich. Anschließend wollen die Beteiligten die Ergebnisse in die Breite tragen. Eine Grundlage dafür ist die vhs.cloud. Der Deutsche Volkshochschulverband hat sie vor Kurzem an den Start gebracht. Jetzt sind die über 900 Volkshochschulen gefordert.

Online-Redaktion: Gab es vor dem Konzept der Erweiterten Lernwelten auch schon digitale Formate an den Volkshochschulen?

Sucker: Vorher gab es in ganz Deutschland eigentlich nur ein größeres Format an einer VHS. Die VHS Böblingen-Sindelfingen hatte eine Webinarreihe eingerichtet, in der Wissenschaftler in einem Videokanal live eingestreamt wurden und die Zuschauer nach dem Vortrag Fragen stellen konnten. Alle Volkshochschulen konnten sich dort einkaufen, insgesamt wurde die Veranstaltung an rund 50 Volkshochschulen live wahrgenommen. Erst mit dem vhsMOOC, den ich 2013 gemeinsam mit acht Kollegen realisiert habe, kam das Thema Digitalisierung an den Volkshochschulen in Bewegung.

Online-Redaktion: Worum ging es in dem vhsMOOC?

Sucker: Das Thema war „Lernen im Web 2.0“. Es ging darum, Tools, die es damals gab und die auch heute noch von Bedeutung sind, vorzustellen - wordpress, Videostreaming, Podcasts, XING. Ähnlich macht das auch der EBmooc aus Graz. Heute würde man das Thema in einer kürzeren, prägnanteren Form aufgreifen, damals war das wie ein Happening. Der Inhalt entstand erst im Verlauf des Events über Gespräche und Anregungen der Kolleg/inn/en. Bundesweit waren über 700 Kollegen angemeldet, circa 150 haben aktiv mitgemacht. Über diesen MOOC hat das Thema „Digitalisierung“ den Weg zu den pädagogischen Mitarbeitern gefunden.

Online-Redaktion: Sie haben gemeinsam mit Nina Oberländer 2015 den „größten VHS-Kurs aller Zeiten“ abgehalten, den „ichMOOC“. Warum kam der „ichMOOC“ so gut an?

Sucker: Wir haben den ichMOOC jeweils mit der VHS Bremen und der VHS Hamburg über einen Zeitraum von vier Wochen durchgeführt. Thema des Online-Kurses war „mein digitales Ich“. Wir haben den Teilnehmer/inn/en deutlich gemacht, dass sie in der Lage sind, mit ihrem Profil und der Art und Weise ihr Netzwerk zusammenzustellen, private und /oder berufliche Ziele verfolgen zu können. Der Schritt in ein soziales Netzwerk verläuft meist spontan, erst später stellt sich die Frage, was will ich hier eigentlich? Wir wollten aufzeigen, wie und in welchen Netzwerken man agieren kann, welches Profil man eingibt, wie Missverständnisse im Netz entstehen, worauf man Rücksicht nehmen muss und was mit den eigenen Daten in den großen Netzwerken passiert. Das traf auf großes Interesse. Dafür hatten wir 40 Videointerviews produziert, die mit Fragen begleitet wurden, über Foren konnten sich die Teilnehmer/innen austauschen. Parallel dazu gab es eine Facebookgruppe. Der ichMOOC ist heute noch bei der Oncampus im Netz. Und auch in der Facebook-Gruppe regt es sich immer noch. Der MOOC integrierte auch Präsenzformate, so genannte MOOCbars. Das waren Begleitgruppen vor Ort, die sich einmal in der Woche in ihrer VHS trafen und mit Fachleuten zu einem von uns vorgegebenen Thema, wie „Was passiert mit meinen Daten, wenn ich sterbe?“ oder „Was sind Influencer in den sozialen Netzwerken?“ diskutierten. Diese Mischung aus Online-MOOC und Präsenz-MOOCbar eignete sich sehr gut dafür, online Impulse zu geben, die sich in der Bildung regionaler Netzwerke fortsetzten. Das Konzept hat im Bildungskontext einige Nachahmer gefunden.

Online-Redaktion: Wo stehen die Volkshochschulen heute? Wollen sie mehr digitale Bildung zulassen oder sind sie skeptisch?

Sucker: Es gibt eine Reihe von VHS-Leitungen, die sich nicht für digitale Formate öffnen wollen. Dann gibt es einen großen Kreis, der dazu bereit ist, digitale Bildung in Form von Blended- Learning-Formaten in ihr Angebot mit aufzunehmen und sich an den Digicirclen zu beteiligen. Das wird mit der neuen vhs.cloud auch noch einfacher. Ein paar Volkshochschulen gehen noch einen Schritt weiter. Sie setzen sich dafür ein, dass Digitalisierung auch Konsequenzen für die tägliche Arbeit in den Volkshochschulen hat, für die Kommunikation, die Zusammenarbeit und die Vernetzung der Kollegen und der Kursleitung. Und dann gibt es noch eine sehr kleine Gruppe, die das Thema Digitalisierung in der ganzen Breite bearbeiten möchte und, um es nach vorne zu bringen, nach neuen öffentlichen Lernorten sucht. Es gibt zum Beispiel VHS-Initiativen, die gemeinsam mit Bibliotheken etwas machen. Einige wenige arbeiten auch sehr experimentell und bieten bundesweite Webinare zu Themen an, die so noch gar nicht in den ELW vorgesehen sind.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielen Open Educational Resources (OER) in den digitalen Formaten der Volkshochschulen?

Sucker: Zurzeit keine große. Die MOOCs bestehen zwar aus OER-Materialien, aber ansonsten gibt es wenige freie Bildungsmaterialien, weil die Volkshochschulen die Inhalte nicht selber herstellen. Sie werden entweder durch die Verlage produziert oder von den Kursleitungen. Und die sind durchweg noch der Meinung, dass das Unterrichtsmaterial ihr Kapital sei, das sie nicht einfach anderen zur Verfügung stellen möchten. Ein groß angelegter Dialog zu diesem Thema ist an den Volkshochschulen noch nicht eingeleitet. Das wird kommen, ein erster Schritt ist, dass die Projekte aus den Digicirclen zumindest in der vhs.cloud bereitgestellt werden.

Online-Redaktion: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?

Sucker: Ich starte diesen Monat eine Blogwerkstatt. Mit dem Projekt möchte ich Einrichtungen der Erwachsenenbildung und Dozenten dazu animieren, mehr Blogs zu machen, um ihre Kundenkommunikation zu intensivieren oder auch Fachblogs zu Themen anzubieten, die in ihrer Region interessant sind. In der Werkstatt zeigen wir, wie man einen Blog erstellt und präsentiert. Das Projekt geht über 12 Monate und wird im Rahmen von Epale, eine ePlattform für Erwachsenenbildung in Europa, von der Europäischen Kommission gefördert.

Wie Digitalisierungsprozesse in Bildungseinrichtungen integriert werden können, ist nach wie vor mein Thema. Dazu biete ich Teamtage in Volkshochschulen an. Zurzeit startet der Landesverband Schleswig-Holstein mit mir eine „Rundreise“. Thema ist aber nicht nur die Entwicklung von Lernsettings, sondern der gesellschaftliche Wandel und die Konsequenzen für die Erwachsenenbildung. Das in regionalen Strukturen, außerhalb der Metropolen zu entwickeln, ist eine spannende Aufgabe. Mein Ziel dabei ist, die Menschen für die Zukunft zu begeistern. Das klappt schon ganz gut.

Und besonders freut es mich, wenn ich, wie in Norderstedt, an der Entwicklung neuer Bildräume beteiligt werde. VHS und Bibliothek bekommen dort einen Neubau. Hier ist die Frage: Wie kann sich dieser Bildungshotspot für die Kommune bereits in der Planung öffnen?


Joachim Sucker ist seit 2016 selbstständiger Innovationsberater im Weiterbildungsbereich. 15 Jahre in der Kulturellen Bildung und 15 Jahre im Bildungsmarketing, zuletzt Marketingleiter der VHS Hamburg, bilden seinen Erfahrungshintergrund. Er realisiert neue Bildungsformate und vernetzt Bildungsakteure. Er bloggt seit Jahren zu Bildungsthemen auf www.allesauszucker.wordpress.com

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 09.11.2017
© Innovationsportal

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