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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 15.08.2002:

„Warum wird aus Blau und Gelb Grün?“

Naturwissenschaftliche Experimente im Kindergarten
Das Bild zum Artikel
Pro. Dr. Gisela Lück

Bildung PLUS: Sie machen seit vielen Jahren naturwissenschaftliche Experimente im Kindergarten. Wie entstand die Idee zur Durchführung der Experimente?

Lück: Im Grunde gab es zwei Anlässe. Ich habe früher in der Industrie gearbeitet und erhielt als Leiterin der wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit bei Henkel eine Vielzahl von Anfragen aus der Bevölkerung, auch von Kindern, zu ganz alltäglichen Fragestellungen. Wie zum Beispiel, was ist ein Waschmittel oder warum wird die Wäsche sauber, wenn ich wasche. An den interessierten Fragen der Kinder einerseits und an den zutage getretenen Bildungslücken der Erwachsenen andererseits, entstand bei mir die Frage, ob man das nicht anders machen und Kinder viel früher an die Themen heranführen könne.
Ich selber bin als Kind, und das ist der andere Grund, sehr früh und sehr liebevoll an die Naturwissenschaften herangeführt worden. Ein Kinderarzt hat mir in einer Zeit, als ich krank war, Experimente näher gebracht. Ich bin sehr davon überzeugt, dass diese frühen Eindrücke bis ins spätere Leben wirken. Und ich glaube, ich bin deshalb Chemikerin geworden, weil ich diese erste Erfahrung bekommen habe.

Bildung PLUS: Befürworten Sie deshalb eine frühe Heranführung der Kinder an die Naturwissenschaften?

Lück: Wir haben eine Untersuchung zu dem Thema gemacht, wie der frühe Einfluss, den Kinder bekommen, auf das spätere Leben wirkt. Dazu wurden 1345 Biographien von Chemiestudenten ausgewertet. Von 22 % der Chemiestudenten, die gerade ihr Studium begonnen hatten, kam die Antwort, dass sie deshalb Chemie studieren, weil sie im Kindesalter früh und liebevoll an die Naturwissenschaften herangeführt wurden. Nur 8% erhielten hingegen die zum Studium ausschlaggebende Prägung in der Sekundarstufe II. Das ist ein Indiz dafür, dass man viel bewegen kann, wenn man früh anfängt.

Bildung PLUS: Aber geht das naturwissenschaftliche Interesse in der Grundschulzeit nicht verloren?

Lück: Es ist leider richtig, dass wir in der Grundschulzeit nur sehr wenig naturwissenschaftliche Vermittlung im Sachunterricht haben, so dass die Kinder in dieser Zeit kaum Prägung dieser Art erhalten. Das früh geweckte Interesse bleibt aber, wie obige Untersuchung zeigt, bei einigen sehr lange Zeit bestehen. Im Gegensatz dazu sind Jugendliche, die erst in der Sekundarstufe I an die Chemie herangeführt werden, nicht mehr so leicht zu begeistern. Die erste Freude schlägt ziemlich schnell ins genaue Gegenteil um. In diesem Alter muss man viel mehr auf die Situation der Schülerinnen und Schüler eingehen und Beispiele aus ihrer Lebenswelt nehmen. Bei kleinen Kindern ist das Interesse so groß, dass man mit den eigentlichen Phänomen kommen kann.

Bildung PLUS: Wieso sind naturwissenschaftliche Kenntnisse für Kinder wichtig?

Lück: Meine These ist, dass Kinder im Alter von fünf, sechs, sieben Jahren naturwissenschaftliche Phänomene gedeutet bekommen wollen und deshalb auch so viele Warum-Fragen stellen. Diesem Bedarf nach Wissen, diesem Eigenantrieb danach, die Welt zu verstehen, sollte man nachgeben.
Aber letzten Endes ist dies eine Streitfrage, der ein unterschiedlicher Bildungsbegriff zugrunde liegt. Ich gehe von der Sicht des Kindes aus. Interpretiert man Bildung nach Humboldt, hieße es vielmehr, dass Erwachsene den Kindern die Welt zugänglich machen.

Bildung PLUS: Gibt es viele Kindergärten, in denen Kindern Naturwissenschaften vermittelt werden?

Lück: Die Akzeptanz in den Einrichtungen für das Thema ist groß. Die große Barriere dagegen ist aber das oft praktizierte Konzept des situativen Ansatzes. Danach versucht man im Elementarbereich den Kindern nicht vorzugeben, womit sie sich beschäftigen. Die Befürworter dieses Konzeptes wenden sich gegen das Konzept der Naturwissenschaftsvermittlung, weil ihnen das viel zu sehr verordnet scheint. Dagegen wehre ich mich natürlich, denn die Kinder nehmen ja gerne und freiwillig an den Experimenten teil. Selbst wenn ich ihnen stattdessen ein Bad im Planschbecken anbiete, entscheiden sich 70% für die Experimente.

Bildung PLUS: Wie kann man die Erzieherinnen dafür gewinnen, naturwissenschaftliche Experimente im Kindergarten durchzuführen?

Lück: Das ist die Kernfrage. Das Problem ist, dass die Ausbildung der Erzieherinnen im Elementarbereich in der BRD eine naturwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nicht vorsieht. Im Ausland ist das anders. Ich selber unterrichte an der Universität Bozen Erzieherinnen gründlichst in Naturwissenschaften. Deutsche Erzieherinnen aber haben von Naturwissenschaften wenig Ahnung. Auf rudimentäre Dinge, wie, was löst sich schneller in Wasser, Zucker oder Salz, gibt es keine Antworten. Und da gibt es natürlich Ressentiments. Andererseits gibt es einen unglaublichen Bedarf und eine große Bereitschaft an Fortbildungsveranstaltungen und Fachliteratur. Der Absatz meines Buches "Leichte Experimente für Eltern und Kinder" beispielsweise ist sehr groß und dieses wird überwiegend von Erzieherinnen gekauft. Auch ist die Resonanz in den Kindergärten, in denen wir die Experimente durchgeführt haben sehr gut.

Bildung PLUS: Also ist die Scheu verloren, selbst solche Experimente durchzuführen?

Lück: Ohne jede Anleitung gibt es sehr viel Scheu. Aber mit ein wenig Anleitung wird diese deutlich herabgesetzt. Es muss nicht unbedingt ein Fortbildungsgang sein, ich habe auch erlebt, dass Erzieherinnen sich beispielsweise nach den Vorschriften meines Buches richten und das auch immer klappt. Die Experimente sind auch so ausgewählt, dass sie mit wenig Materialien immer funktionieren, sonst entstehen auch Frust und Abwehr bei den Kindern. Es wäre wirklich falsch zu sagen, die Erzieherinnen hätten kein Interesse daran.

Bildung PLUS: Befürworten Sie eine akademische Ausbildung für Erzieherinnen auch in Deutschland?

Lück: Wenn sie den Praxisbezug behält und nicht akademisiert wird im Sinne von Theorie, ja. Zudem eröffnet eine solche Ausbildung auch einer ganz anderen Zielgruppe den Beruf, nämlich all denjenigen, die nicht auf ein Studium verzichten möchten und dennoch im Elementarbereich tätig werden wollen. Dass das mit einem höheren Gehalt verbunden sein muss, ist klar, aber aus meiner Sicht auch notwendig, schließlich haben die Erzieherinnen eine sehr große Verantwortung für die ersten Lebensjahre unserer nächsten Generation. Diese Verantwortung sollte uns etwas wert sein.

Bildung PLUS: Zur Zeit gibt es ja eine intensive Diskussion in der Bildungspolitik um Reformen auch in der frühen Förderung. Wie kann man Ihrer Meinung nach Kinder im Kindergartenalter fördern?

Lück: Es gibt diesen wunderschönen Begriff von Freud, den Frau Elschenbroich wieder ins Leben gerufen hat und zwar "die strahlende Intelligenz der Kinder". Dieses Offensein für alles und jeden kann Kinder natürlich mehr nahe bringen als nur Physik und Chemie. Es wäre vermessen zu sagen, nur Physik und Chemie. Sie sind an so vielem interessiert. An Kunst, an Kultur, an Sprache, an Sprachspielen, an Versen, an Liedern. Ihre Lernbereitschaft ist unglaublich groß. Pausenlos, in alle Richtungen kann man das erleben. Es gibt wenig, wo ich sagen würde, das ist zu früh, wenn ein Kind es wissen will. In dieser Offenheit sollte man sie fördern. Stattdessen gibt es diesen bekannten, oft gehörten Satz, "dafür bist du noch zu klein". Ich finde es sehr schade, wenn ich das höre, da es oft nur eine Schutzformulierung ist, weil einem die Antworten selbst nicht einfallen.

Bildung PLUS: Sollten Kindergärten mehr zu Bildungseinrichtungen werden?

Lück: Also vom Status quo, vom Jetzt und vom Gros der jetzigen Einrichtungen, so wie ich sie erlebe, würde ich mir wünschen, dass Bildung ein wenig mehr Einzug halten würde. Aber auf jeden Fall mit Augenmaß. Es darf kein Drill geben, es sollen keine Bildungsanstalten entstehen, sondern nur ein wenig mehr, als es jetzt ist. Weil/wenn die Kinder es ja einfordern, wollen sie mehr Bezug zu ihrer Lebensumwelt erklärt bekommen. Bildung ist für mich nicht gleich Wissen, sondern eine Kompetenz, die erworben wird, um die Welt zu verstehen, sich selbst erklärbar zu machen. Und gerade Naturwissenschaften legen Sinnzusammenhänge, Regelhaftigkeiten offen, die Kindern zeigen, dass es etwas gibt, was zuverlässig unter bestimmten Umständen immer wieder so klappt.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 15.08.2002
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