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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 20.03.2014:

„Wir haben ein Stück weit Differenzierung und Sachlichkeit in die Diskussion gebracht.“

Das CEWS fördert Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftssystem
Das Bild zum Artikel
Dr. Andrea Löther

„Center of Excellence Women and Science“ (CEWS) ist ein nationales Kompetenzzentrum des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Dr. Andrea Löther, der stellvertretenden Leiterin des CEWS, über die Situation von deutschen Wissenschaftlerinnen und die Projekte des Zentrums.


Online-Redaktion: Welche Ziele stehen beim CEWS im Vordergrund?

Löther: Wir streben danach, dass das Thema Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft wissenschaftlich fundiert wird. Hierzu geben wir Denkanstöße und initiieren Veränderungsprozesse. Auch wollen wir einen Transfer zwischen den Erkenntnissen aus der Wissenschaft hinein in die Gleichstellungspraxis und in die Politik schaffen. Darüber soll letztendlich erreicht werden, dass es mehr Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftssystem gibt.

Online-Redaktion: Das CEWS wurde im Jahr 2000 gegründet. Inwiefern hat das Institut seitdem den Gleichstellungsprozess in Deutschland unterstützt? Welche Veränderungsprozesse hat es initiiert?

Löther: Einerseits sind wir stark im Bereich Monitoring tätig. Wir haben mehrere Monitorings von Gleichstellungsmaßnahmen durchgeführt, so zum Beispiel in den Jahren 2001 und 2002 bis 2004 zum Hochschul- und Wissenschaftsprogramm „Chancengleichheit“ oder jetzt zum Instrumentenkasten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Auch haben wir mitgewirkt, dass es international eine verbesserte Datenlage gibt, vor allem mit den „She Figures“ auf europäischer Ebene. Die „She Figures“ beleuchten die Situation von Frauen in Wissenschaft und Forschung unter den Aspekten Beschäftigungsverhältnisse, fachspezifische Segregation, Karriereentwicklung und Entscheidungsgremien. Die umfangreichste statistische Datensammlung zu Frauen in der Wissenschaft in Europa wird alle drei Jahre von der EU-Kommission in Auftrag gegeben. Weiter haben wir ein Statistikportal aufgebaut und eigene Indikatoren entwickelt, insbesondere für das Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten. Inken Lind, bis 2011 Mitarbeiterin im CEWS, hat einen Forschungsüberblick über Karrierewege von Wissenschaftlerinnen erstellt. Die Ergebnisse sind 2006/07 in die Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und des Wissenschaftsrates (WR) eingeflossen, was sehr zur Versachlichung der Diskussion um die Geschlechtergerechtigkeit beigetragen hat.

Zu den eigenen Forschungsprojekten zählen beispielsweise das Projekt zur „Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft“ sowie ein Projekt darüber, wie sich die Gleichstellungsstrukturen an den Hochschulen in den letzten Jahren verändert haben, beide vom BMBF finanziert. Wichtig für die Initiierung von Veränderungsprozessen sind auch die Bereitstellung von Informationen und der Wissenstransfer in Form unserer Website und unseres Journals. Ein anderer Bereich, in dem wir in den letzten Jahren zunehmend tätig geworden sind, sind Wirksamkeitsanalysen und Evaluationen. So evaluieren wir beispielsweise als Auftragsforschung die Gleichstellungspolitik einzelner Hochschulen. Weiter waren wir beteiligt an Evaluationen von Gleichstellungsprogrammen in Österreich, an einer Untersuchung zur Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten in der EU-Forschungsförderung und der Evaluation der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Gesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung. Vor einigen Jahren haben wir die BLK-Empfehlungen zu Frauen in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen überprüft. Was die Initiierung von Maßnahmen angeht, ist sicherlich das Projekt „Anstoß zum Aufstieg“ am prominentesten. In diesem Pilotprojekt haben wir von 2001 bis 2005 Berufungstrainings für angehende Professorinnen durchgeführt. Anschließend ist das Angebot zum Teil von den Hochschulen selbst, zum Teil vom Deutschen Hochschulverband (DHV) weitergeführt worden.

Alle diese Veränderungsprozesse, die wir mit angestoßen haben, trugen zu einer wissenschaftlichen Fundierung der Diskussion zur Geschlechtergerechtigkeit bei. In den 1990er Jahren ist zum Teil noch sehr ideologisiert über das Thema gesprochen worden. Wir haben ein Stück weit Differenzierung und Sachlichkeit in die Diskussion gebracht.

Online-Redaktion: Mit welchen Dienstleistungen und Informationsangeboten steht das CEWS Wissenschaftlerinnen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Wissenschaftsorganisationen und politischen Gremien zur Verfügung?

Löther: An erster Stelle steht unser elektronisches CEWS-Journal, das ca. alle sechs Wochen erscheint und kostenlos abonniert werden kann. Es liefert breit gefasste Informationen zum Thema Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft und Gleichstellungspolitik. Dann haben wir die Wissenschaftlerinnendatenbank Femconsult entwickelt. Sie richtet sich an promovierte Wissenschaftlerinnen, die sich dort online eintragen können, und an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die nach geeigneten Bewerberinnen suchen können. Unsere Webseite beinhaltet unter anderem ein Portal zum Gleichstellungsrecht, in dem wir alle relevanten Gesetzestexte aus den Hochschul- und Gleichstellungsgesetzen der Länder zusammengestellt haben sowie eine Literaturdatenbank. Zu dem Bereich Familienfreundlichkeit an Hochschulen gibt es eine eigene Webseite mit Informationsportal. In unserem Statistikportal haben wir ausgewählte Statistiken zusammengestellt; das CEWS-Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten erscheint alle zwei Jahre. Außerdem führen wir regelmäßig statistische Sonderauswertungen durch.

Online-Redaktion: Inwiefern ist der Anteil von Frauen an den Professuren und in Führungspositionen in den außerhochschulischen Forschungseinrichtungen in den vergangenen Jahren in Deutschland gestiegen?

Löther: An den Hochschulen ist der Frauenanteil an Professuren seit Beginn der 1990er Jahre kontinuierlich gewachsen. Im Jahr 2000 lag er bei zehn Prozent, jetzt ist er bei über 20 Prozent. Die Steigerung ist linear. Einzelne Hochschulen sind sehr aktiv im Bereich Gleichstellungspolitik, an anderen Hochschulen tut sich noch wenig. Durch das Professorinnenprogramm des Bundes und der Länder und die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der DFG mussten sich in den vergangenen Jahren aber alle Hochschulleitungen mit dem Thema beschäftigen. Das hat zu einer deutlichen Veränderung geführt. Beide Programme setzen einen Akzent auf strukturelle Veränderungen, während die früheren Programme stärker auf die Förderung von Frauen ausgerichtet waren. Gleichstellung wird jetzt mehr als Gesamtkonzept angesehen und nicht nur als einzelne Maßnahme verstanden. Verstärkt wurde dieser Prozess durch die erste Vergaberunde der Exzellenzinitiative. Damals gab es ziemlich harsche Kritik der internationalen Gutachter und Gutachterinnen an der Situation der Gleichstellung an deutschen Hochschulen.

Bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen wächst zwar auch insgesamt der Frauenanteil in Führungspositionen, aber die Unterschiede zwischen den Forschungseinrichtungen sind erheblich. Bei der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) beispielsweise gibt es eine sehr deutliche Steigerung, was allerdings auch an einem W2-Programm mit befristeten Professuren liegt, während auf der anderen Seite die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) seit 1992 gar keine Steigerung beim Frauenanteil an Führungspositionen zu verzeichnen hat.

Online-Redaktion: Wie sieht die Situation von deutschen Wissenschaftlerinnen im internationalen Vergleich aus?

Löther: Die europäischen Vergleichszahlen von 2009 und 2010 in der Publikation „She Figures“, die die Europäische Kommission alle drei Jahre veröffentlicht, zeigen, dass Deutschland bei vielen Indikatoren in der Schlussgruppe ist. Der Anteil an Frauen, die in Hochschulen und Forschungseinrichtungen beschäftigt sind, liegt in Deutschland mit 35 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 40 Prozent. Bei den Promotionen liegt Deutschland nur wenig unterhalb des EU-Durchschnitts, aber bei den höchsten Professuren verzeichnet Deutschland mit 15 Prozent wieder erheblich weniger Prozentpunkte als der EU-Schnitt mit 20 Prozent. Gleichzeitig gibt es aber in Deutschland seit 2002 eine deutlichere Steigerung als im europäischen Vergleich.

Online-Redaktion: Warum bleiben die großen Sprünge in Deutschland aus?

Löther: Trotz der größeren Verankerung des Themas ist das Wissen über Geschlechtergerechtigkeit oder Genderkompetenzen noch sehr unzureichend. Auf der einen Seite herrscht in Deutschland ein sehr konservatives Familienbild. Dies führt dazu, dass die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Diskussion vielfach als wichtigster Grund für die Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen gesehen wird, obwohl wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Ursachen vielfältiger sind. In anderen Ländern wird Gleichstellung anders diskutiert.

Dazu kommen das Wissenschafts- und Karrieresystem und die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Das System in Deutschland ist sehr stark auf die Professur fokussiert. Eine dauerhafte Position im Wissenschaftssystem kann man in Deutschland im Regelfall nur erreichen, wenn man eine Professur bekommt. Unterhalb der Professur gibt es kaum unbefristete Stellen. Eine wissenschaftliche Laufbahn stellt daher ein großes Risiko dar, denn nur wenige Nachwuchswissenschaftler/innen können zu einer Professur gelangen. In Ländern wie Frankreich oder Großbritannien gibt es unbefristete Beschäftigungsmöglichkeiten unterhalb der Professur, von denen aus ein Aufstieg oder eine Beförderung zum „full professor“ möglich ist. Bei uns herrscht kein solches Beförderungs-, sondern ein Sprungsystem mit einer sehr langen Qualifikationsphase. Hier bekommen Wissenschaftler/innen meist erst mit über 40 eine unbefristete Stelle. Das sind Karrierebedingungen, die für Frauen noch einmal besonders nachteilig sind.

Online-Redaktion: Mit welchen aktuellen Projekten treibt das CEWS den Gleichstellungsprozess weiter voran?

Löther: Wir haben vergangenes Jahr ein Projekt zu hochschulischen Gleichstellungsstrukturen abgeschlossen, in dem wir über zwei Jahre analysiert haben, wie sich die Gleichstellungspolitik verändert und ob sich Gleichstellungspolitik professionalisiert. Dann befinden wir uns gerade im Abschluss des Projektes „Für mehr Familienfreundlichkeit an deutschen Hochschulen“. Da ging es einerseits darum, ein Beratungs- und Informationsangebot zum Thema Familienfreundlichkeit für Hochschulen aufzubauen, und andererseits darum, wissenschaftliche Analysen zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu erstellen. Außerdem führen wir ein Projekt zur geschlechtergerechten Führungskräfterekrutierung in Forschungsorganisationen durch, und wir überarbeiten den Instrumentenkasten zu forschungsorientierten Gleichstellungsstandards für die DFG. Dies ist eine Zusammenstellung von Beispielmaßnahmen, was Hochschulen konkret machen können. Darüber hinaus sind wir an zwei EU-Projekten beteiligt. Das eine betrifft den Aufbau eines EU-weiten Portals zum Thema Geschlechtergerechtigkeit, bei dem anderen führen wir die externe Evaluation von Aktionsplänen bei drei Partnerorganisationen durch, die für eine institutionelle Veränderung in Richtung Geschlechtergerechtigkeit arbeiten.

Online-Redaktion: Wie steht das CEWS zur Einführung der Frauenquote?

Löther: Wir befürworten die Quote. Wir sehen in der Quote ein Steuerungsinstrument zur Erhöhung des Frauenanteils neben anderen. Wir sind vor allem deshalb für eine Quote, weil wir mehr Verbindlichkeit in der Gleichstellungspolitik einfordern. Wir favorisieren für den Wissenschaftsbereich eine leistungsabhängige Quote mit einer flexiblen Handhabung, wie wir sie in unserem Positionspapier dargestellt haben. D.h. es soll jeweils eine Einzelfallprüfung geben, es soll eine verbindliche Quote sein, und sie soll sich am Kaskadenmodell orientieren. Das bedeutet, dass sich die Quote aus dem Frauenanteil an der nächst unteren Qualifikationsstufe ergibt.


Löther, Andrea, Dr., Jahrgang 1963, Studium der Geschichtswissenschaft, Europäischen Ethnologie und Soziologie in Marburg und Bielefeld, 1997 Dissertation, 1997 bis 2000 Frauenbeauftragte der Universität Bielefeld, seit 2000 Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS. Schwerpunkte: Begleitung und Monitoring von hochschulpolitischen Entwicklungen, Gleichstellungspolitik an Hochschulen, Monitoring und Evaluation, statistische Daten zum Geschlechterverhältnis in der Wissenschaft, Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten, Frauen in MINT-Fächern. GESIS, Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS, Unter Sachsenhausen 6-8, 50667 Köln, Email: andrea.loether@gesis.org.




Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 20.03.2014
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