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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 26.09.2013:

Ansprechpartner für Menschen mit Lese- und Schreibschwäche

Der Verein Lesen und Schreiben ist „Botschafter für Alphabetisierung 2013“
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Der Verein Lesen und Schreiben e.V. Berlin
Quelle: LuS e.V.

Auf der zentralen Veranstaltung zum Weltalphabetisierungstag der Vereinten Nationen am 9. September 2013 in Berlin zeichnete der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, vertreten durch seinen Geschäftsführer Peter Hubertus, die „Botschafter für Alphabetisierung 2013“ aus. Neben dem Schauspieler Heio von Stetten, der sich seit vielen Jahren für die Alphabetisierungsarbeit ehrenamtlich engagiert, wurde der Berliner Verein Lesen und Schreiben e.V. geehrt. Der Verein bietet seit 30 Jahren arbeitsweltorientierte Grundbildung und Alphabetisierung in Vollzeitmaßnahmen mit Praxisbereichen und sozialpädagogischer Begleitung an und unterstützt die Lernenden dabei, ihre Forderungen der Öffentlichkeit gegenüber zu formulieren.

Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung ernennt seit 2003 jedes Jahr Institutionen oder Einzelpersonen, die sich in besonderem Maße für die Belange von Erwachsenen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten einsetzen, zum „Botschafter für Alphabetisierung“. 7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland sind von funktionalem Analphabetismus betroffen und können nur einfache Sätze lesen und schreiben, doch nur etwa 20.000 von ihnen besuchen Lese- und Schreibkurse.

Der Verein Lesen und Schreiben e.V.

Der Verein Lesen und Schreiben e.V., der im Oktober 2013 sein 30-jähriges Jubiläum feiert, wurde 1983 von Betroffenen und ihren Unterstützern aus einer Selbsthilfe-Initiative heraus gegründet. Der Vereinssitz befindet sich seit 30 Jahren am selben Ort, im Karl-Marx-Straßenkiez in Berlin-Neukölln. Hier entwickeln PädagogInnen, SozialarbeiterInnen und Ehrenamtliche gemeinsam mit den Betroffenen immer wieder neue Methoden und Angebote, um funktionalen Analphabeten einen aktiven Zugang zum lebenslangen Lernen zu ermöglichen. Das erklärte Ziel des Vereins ist es, die Schriftsprachkompetenz auszubauen, aber auch alltagspraktische und arbeitsweltorientierte Kenntnisse zu erweitern und dadurch das Selbstvertrauen der Lernenden zu stärken. Sie sollen zunehmend eigenverantwortlich und selbstständig handeln können.

Der Verein ist Ansprechpartner für alle Menschen mit Lese- und Schreibschwäche in ganz Berlin, vermittelt Grundbildung und fördert die Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie im Umgang mit dem PC. Außerdem unterstützt er bei der Entwicklung alltagspraktischer und handwerklicher Fertigkeiten, begleitet Betroffene bei Behördengängen, vermittelt ihnen Kontakte zu anderen Bildungsträgern oder Beratungsstellen und unterstützt sie bei aktuellen Problemen. „Wir wollen, dass die Menschen, die sich an uns wenden, ihre Lebensqualität verbessern, handlungsfähig werden“, berichtet Urda Thiessen, die seit 20 Jahren Mitarbeiterin des Vereins ist. Lesen und Schreiben e.V. möchte Betroffenen Mut machen, sie aus ihrer Isolation herausholen, damit sie am Leben und an der Gesellschaft teilhaben können. „Oft ist Analphabetismus gepaart mit Langzeitarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Viele müssen den Umgang mit der Gesellschaft erst lernen“, weiß Urda Thiessen aus langjähriger Erfahrung. Wer 30, 40 Jahre versteckt hat, dass er nicht lesen und schreiben kann, leidet oft auch unter körperlichen und oder psychischen Beeinträchtigungen. „Aber jeder kann Fortschritte machen“, ist sie überzeugt. Andere wiederum kommen gut zurecht, haben sich auf ihre Art in ihrem Leben eingerichtet und brauchen „lediglich“ ergänzende Angebote.

Die Angebote des Vereins
Der Verein reagiert auf diesen unterschiedlichen Bedarf mit individuellen Angeboten. In der Regel laufen die Kurse, die vom Jobcenter gefördert werden, mehrere Monate bis zu einem Jahr, fünfmal in der Woche, den ganzen Tag über. Weil die Teilnehmenden sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Kenntnisse mitbringen, gibt es nicht „den Unterricht“ für alle, sondern zwei bis drei Niveaugruppen mit maximal zehn Teilnehmern. Zusätzlich bekommen die Lernenden Einzelunterricht und individuelle Förderung.

In den ganztägigen Angeboten wird Alphabetisierung und Grundbildung mit praktischer Arbeit kombiniert. Der theoretische Teil enthält – vermittelt von ausnahmslos qualifiziertem Lehrpersonal – Unterrichtsangebote wie Alphabetisierung, Rechtschreibung, Grundbildung in Rechnen und Sozialkunde, Anwendungen am PC, E-Learning sowie Persönlichkeits- und Bewerbungstraining. Im praxisorientierten Teil können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Holz- und Kreativwerkstatt des Vereins „austoben“ und „Luft holen“, die sie zum Lernen brauchen. Der Praxisbereich (Werkstatt, Küche/Hauswirtschaft, Garten, Orientierungstraining) bietet aber vor allen Dingen auch Möglichkeiten auf andere Art zu lernen, das im Unterricht Gelernte mit praktischer Anwendung zu verknüpfen und Stärken einzubringen. Hier werden den Lernern grundlegende Arbeitsabläufe vermittelt, um sie näher an das Arbeitsleben heranzuführen. Dazu gehört es, Aufträge zu verstehen und umzusetzen, Rückmeldungen zu geben, Nachfragen zu stellen, Arbeitsschritte festzulegen und einzuhalten sowie den fachgerechten Umgang mit Werkzeugen und Material zu erlernen. Begleitet wird der komplette Tagesablauf von einer Sozialpädagogin, die für alle ein offenes Ohr hat, bei Hartz IV- oder anderen Anträgen hilft und für alle da ist.

Viele Ehemalige engagieren sich

Dienstags treffen sich abwechselnd der Zeitungskurs und die Schreibwerkstatt. In der Zeitung „Jeder hat das Recht Lesen & Schreiben zu lernen“ berichten Analphabeten über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. In der Schreibwerkstatt wird mit den eigenen Geschichten jede Woche in öffentlichen Lesungen das Lesen geübt. Wo Bedarf ist, helfen Ehrenamtliche in der Methode des stellvertretenden Schreibens. Auch werden hier die kleinen und großen Sorgen des Alltags besprochen. Und Teilnehmer und Ehrenamtliche verabreden sich zum Museums-, Konzert- oder Kinobesuch, zum Picknick im Park oder helfen sich gegenseitig beim Umzug.

Dass die Lernangebote eine große Bedeutung für die Betroffenen haben, zeigt sich nicht nur in der sehr niedrigen Abbrecherquote, sondern auch im Engagement der Ehemaligen, die oft über Jahre hinweg den Kontakt zum Verein halten. Viele unterstützen als Lernbegleiter ehrenamtlich die Anfängergruppen, begleiten Lernende bei Ämtergängen und bieten allgemeine Hilfe im Alltag. Zur besseren Strukturierung ihrer Aktivitäten und als Anlaufstelle nach Ablauf der Maßnahme gründeten sie nun eine erste Selbsthilfegruppe in Berlin.

Das Alpha-Bündnis Neukölln
Die Lernenden beim Verein Lesen und Schreiben e.V. sind sehr engagiert, sie treten selbstbewusst an die Öffentlichkeit und wollen auf die Problematik des funktionalen Analphabetismus aufmerksam machen. Auch wenn viele Herzrasen und Atemnot bekommen, wenn sie vor ein Mikrofon treten, reden sie öffentlich bei Veranstaltungen wie auch am Runden Tisch zur Alphabetisierung und Grundbildung oder beim Alpha-Bündnis Neu-Kölln. Dafür wurden sie jetzt verdient mit dem Preis „Botschafter für Alphabetisierung des Jahres 2013“ ausgezeichnet.

Der Verein, der sich über jede Form der Unterstützung freut – auch Dauerspender sind gern gesehen – initiiert immer wieder neue Projekte, um seine Angebote zu ergänzen und auszubauen und die Vereinsarbeit weiterzuentwickeln. So ist das Alpha-Bündnis Neukölln entstanden, ein Zusammenschluss des Vereins Lesen und Schreiben e.V. mit derzeit über 30 Neuköllner Einrichtungen aus den unterschiedlichsten Bereichen, die mehr Öffentlichkeit für das Thema „Analphabetismus“ schaffen wollen. Dazu gehört die „Aktion Alpha Kompetenz": Mitarbeiter in allen Bereichen, die mit von Lese- und Rechtschreibschwäche Betroffenen zu tun haben, werden vom Verein Lesen und Schreiben e.V. gezielt sensibilisiert und geschult. Mit der Fortbildung erwerben die Teilnehmer einen „Alpha-Aufkleber", der an der Tür auf das Tabuthema aufmerksam macht und Betroffenen signalisiert, dass sie hier Hilfe finden können. Der Alpha-Kompetenz-Aufkleber wurde am 4. September 2013 erstmals verliehen. Er wurde von Lernenden des Vereins entworfen und ist auch für funktionale Analphabeten erkennbar.

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 26.09.2013
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