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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 19.04.2012:

Welche Chancen haben Deutschlands Schüler?

Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des föderalen Schulsystems
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Chancenspiegel

Mitte März 2012 haben die Bertelsmann Stiftung und das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der Technischen Universität Dortmund gemeinsam den Chancenspiegel herausgebracht. Das IFS hat den Chancenspiegel konzipiert, die Auswertung der Daten vorgenommen und die Publikation erstellt. Die Studie versucht erstmalig in Deutschland, Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der Schulsysteme in den einzelnen Bundesländern zu messen und transparent zu machen.

Der erste Chancenspiegel ist eine Bestandsaufnahme, die aufzeigt, welche Unterschiede in den Schulsystemen der Bundesländer bestehen. Die Chancen von Schülerinnen und Schülern, soziale Nachteile zu überwinden und ihr Leistungspotenzial auszuschöpfen, sind nicht überall gleich.
Die Veränderungen und Entwicklungen der letzten Jahre wird der nächste Chancenspiegel untersuchen. Das Projekt ist zunächst bis 2013 geplant.

Ziel der Studie ist es, die Bildungsberichterstattung in Deutschland zu ergänzen und eine Debatte darüber anzuregen, wie Chancengerechtigkeit und Leistungsstärke erhöht werden und die Bundesländer voneinander lernen können.

Das Verfahren
Die IFS-Wissenschaftler um Professor Wilfried Bos haben für jedes Bundesland in den vier Dimensionen Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe analysiert, wie gerecht und wie leistungsstark das jeweilige Schulsystem ist und inwiefern starke ebenso wie schwache Schüler gefördert werden. Die Studie gibt Aufschluss darüber, wie integrativ das jeweilige Schulsystem ist, welche Möglichkeiten die Schüler haben, eine Ganztagsschule zu besuchen, und ob es dem Schulsystem gelingt, soziale Nachteile auszugleichen, Klassenwiederholungen und Schulabstiege zu vermeiden und Schulaufstiege zu ermöglichen. Die Studie zeigt auf, welche Lesekompetenzen vermittelt werden, wie viele Schüler die Hochschulreife erhalten und wie häufig Schulabgänger ohne oder nur mit Hauptschulabschluss einen Ausbildungsplatz finden.

Für den Chancenspiegel wurden keine eigenen Daten erhoben. Er nutzt die Informationen aus anderen Bildungsberichten, aus amtlichen Bundes- und Länderstatistiken und Schulleistungsstudien wie z.B. IGLU oder PISA, die bis Ende September 2011 vorlagen. Diese Ergebnisse spiegelt er auf der Basis wichtiger wissenschaftlich-theoretischer Überlegungen zur Gerechtigkeit von Schule wider.

Der Ländervergleich

Im Fokus der Studie stehen die Länder, die besonders erfolgreich sind, und diejenigen, die im innerdeutschen Vergleich am schlechtesten abschneiden. Die Untersuchungen in der Dimension Integrationskraft zeigen, dass die deutschen Schulsysteme Schüler insgesamt noch zu wenig integrieren. Selbst bei den Ländern der so genannten oberen Ländergruppe, also denjenigen, die in diesem Vergleich am besten abschneiden, bleiben durchschnittlich 4,1 Prozent aller Schüler vom Regelschulbesuch ausgeschlossen. Bei der unteren Ländergruppe sind es 7,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler. Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen besuchen viele Kinder eine Förderschule.
Für den Besuch einer Ganztagsschule gibt es im Süden Deutschlands die wenigsten Angebote. Unter 20 Prozent aller Schüler lernen in Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt im Ganztag. In Berlin, Hamburg, Sachsen und Thüringen hingegen nehmen bis zu drei Viertel aller Schüler Ganztagsangebote wahr.

Die Untersuchungen in der Dimension Durchlässigkeit zeigen, dass in allen Bundesländern benachteiligte Schüler weniger Chancen haben, das Gymnasium zu besuchen. Dies ist vor allem in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein so. Eine größere Durchlässigkeit gibt es in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Sachsen. Insgesamt steigen aber in allen Ländern mehr Kinder ab als auf: Vor allem in Berlin, Hessen, Niedersachsen und Sachsen erhalten nur wenige Kinder die Chance, auf eine höhere Schulform zu wechseln. Auch die Gefahr, das Klassenziel nicht zu erreichen, ist in allen Bundesländern hoch. In Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wiederholen viele Kinder mindestens ein Schuljahr. Weniger Wiederholer gibt es in Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein.
Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen haben unterschiedliche Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Besonders gut sind ihre Möglichkeiten in Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Mehr als die Hälfte dieser Schüler erhält hier eine Perspektive durch den direkten Übergang ins duale Berufsbildungssystem.

Schulsysteme können gleichzeitig fordern und fördern
In der Dimension Kompetenzförderung stehen die Lesekompetenz der Viertklässler und Neuntklässler sowie der Zusammenhang von Kompetenzerwerb und sozialer Herkunft im Mittelpunkt. Vergleichsweise hohe Kompetenzwerte am Ende beider Schulstufen erreichen die Schüler in Bayern, Sachsen und Thüringen. Jugendliche aus Berlin, Bremen und Hamburg erwerben sowohl in der Primar- als auch in der Sekundarstufe deutlich schlechtere Lesekompetenzen als Kinder aus anderen Bundesländern. Die Chancen leistungsschwächerer Schüler, höhere Kompetenzwerte zu erreichen, sind im Ländervergleich in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen besonders gut. Die leistungsstärkeren Schüler werden in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Sachsen am besten gefördert. Kinder aus den sog. bildungsfernen Familien liegen vor allem in den Stadtstaaten bis zu zwei Schuljahre zurück.

Auch die Chancen, das Abitur zu machen, oder die Gefahr eines Schulabbruchs sind in Deutschland unterschiedlich verteilt. In Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und im Saarland verlassen deutlich mehr Schüler die Schule mit einer Hochschulzugangsberechtigung als in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Bis zu 14 Prozent der Jugendlichen in den ostdeutschen Ländern gehen ohne Abschluss von der Schule ab. In Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und NRW sind es nur sieben Prozent oder weniger. Dabei zeigen Länder wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, dass Schule gleichzeitig fördern und fordern kann. Hier gibt es hohe Abiturientenzahlen bei vergleichsweise wenig Schülern ohne Abschluss.

Die Bildungschancen sind in Deutschland sehr unterschiedlich verteilt

Die Ergebnisse der Studie zeigen: Die Bildungschancen von Schülern unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland erheblich. Dabei erreicht keines der 16 deutschen Bundesländer in allen vier Dimensionen Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe eine Platzierung in der oberen Ländergruppe. Auch ist keines ausschließlich in der unteren Gruppe zu finden. Dennoch sind die Unterschiede gravierend. „Die Bundesländer müssen deutlich mehr voneinander lernen“, resümiert Jörg Dräger, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung anlässlich der Veröffentlichung des Chancenspiegels.

Dass alle Bundesländer Entwicklungsbedarf haben, betont IFS-Direktor Professor Bos. Denn auch Bundesländer, die in einer oder mehreren Dimensionen in der oberen Ländergruppe liegen, weisen in einer anderen Dimension schlechte Ergebnisse auf. So erzielt Hamburg beispielsweise im Ländervergleich sehr gute Resultate in den Dimensionen Durchlässigkeit und Zertifikatsvergabe, bietet seinen Schülern aber in der Kompetenzförderung vergleichsweise schlechte Chancen. Sachsen-Anhalt hingegen liegt in den Bereichen Integrationskraft, Durchlässigkeit und Zertifikatsvergabe jeweils in der unteren Gruppe, erreicht im Bereich der Kompetenzförderung aber eine Platzierung unter den besten 25 Prozent.

Dass Leistung und Gerechtigkeit kein Widerspruch sein müssen, zeigen vor allem Bundesländer wie Sachsen, die sowohl bei der Kompetenzförderung als auch bei der Durchlässigkeit im Ländervergleich gut abschneiden. Gute Bildungspolitik strebt beide Ziele an, ist Dräger überzeugt.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 19.04.2012
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