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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 28.10.2011:

„Wir wollen Veränderungen im Unterricht erreichen“

Das „Schulprojekt Klimawandel“ verbindet Wissenschaft und Schule
Das Bild zum Artikel
Dr. Dieter Kasang

Das „Schulprojekt Klimawandel“ wurde Ende September 2011 mit einem der beiden 2. Plätze des Wettbewerbs „Schule trifft Wissenschaft“ der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. Die Online-Redaktion sprach mit dem Leiter des Projekts, Dr. Dieter Kasang, über die Ziele des Vorhabens und seine Durchführung an den Schulen.

Online-Redaktion: Wie und wann entstand das „Schulprojekt Klimawandel“?

Kasang: Die Idee für das Projekt wurde von meinem Kollegen Ulrich Bosler, damals am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) an der Universität Kiel tätig, und mir entwickelt. Ich war damals am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg angegliedert. Wir bewarben uns mit dem Projekt bei dem NaT-Working Programm der Robert Bosch Stiftung und wurden angenommen. Von Sommer 2005 bis Sommer 2010 wurde dann das Projekt unter dem Titel „Klimawandel und seine Folgen“ im Rahmen des NaT-Working-Programms gefördert.

Online-Redaktion: Wo ist das Projekt heute angesiedelt, und welche Institute sind beteiligt?

Kasang: Von 2010 bis zum Sommer 2011 war es am Norddeutschen Klimabüro des Helmholtz-Zentrums Geesthacht angesiedelt. Seit kurzem gehört es dem Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ) in Hamburg an. Es waren immer schon mehrere Institute an dem Projekt beteiligt. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg beispielsweise war von Anfang an dabei und finanziert uns eine studentische Hilfskraft. Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg erkennt unsere Aktivitäten als Fortbildung an und beteiligt sich auch bis zu einem gewissen Grad an der Finanzierung. Das DKRZ stellt einen Arbeitsraum, Beratung und Daten zur Verfügung.

Online-Redaktion: Welche Ziele werden mit dem Projekt verfolgt?

Kasang: Was wir wollen, ist, dass sich Schülerinnen und Schüler für wissenschaftliche Themen interessieren und wissenschaftsorientiertes und interdisziplinäres Arbeiten lernen. Das ist das Kernziel. Auf diese Weise wollen wir Veränderungen im Unterricht erreichen, hin zu einem projektorientierten forschenden Lernen, bei dem die Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erwerben, die sie dann später auch im Studium oder im Beruf gebrauchen können.

Online-Redaktion: Wie viele Schulen sind an dem Projekt beteiligt?

Kasang: Zurzeit sind 12 Schulen beteiligt, wobei nicht immer alle Schulen gleichzeitig aktiv sind. Es kommt zum Beispiel darauf an, ob an den Schulen ein Kurs zustande kommt, der sich mit dieser Thematik beschäftigt, so dass auch mal ein oder zwei Jahre eine Schule nicht dabei ist. Aktiv sind meistens acht bis zehn Schulen. Die Schulen stammen größtenteils aus Hamburg, aber es sind auch zwei Schulen aus Schleswig-Holstein und eine aus Niedersachsen dabei.

Online-Redaktion: Wie wird das Projekt an den Schulen durchgeführt?

Kasang: Das „Schulprojekt Klimawandel“ wird in der Oberstufe über einen Zeitraum von einem halben Schuljahr in den normalen Unterricht eingebunden. Im Einzelnen unterscheiden wir vier Phasen. Zunächst erfolgt eine Einführung in das Thema Klimawandel durch den Lehrer, wofür das Projekt Materialien zur Verfügung stellt. Nachdem die Schüler ein gewisses Grundwissen erworben haben, werden sie aufgefordert, einzelne Themen zu wählen, die sie in Kleingruppen bearbeiten sollen. In dieser Phase besucht das Projektteam, zu dem neben mir zwei mitarbeitende Studenten gehören, die Schulen und berät die Schüler bei der Themenfindung. Wir erörtern mit den Schülern, welche Themen sich bearbeiten lassen und welches Material es dafür gibt. Wenn es für ein Thema schwierig ist, an Informationen heranzukommen, raten wir davon ab. Wir verweisen die Schüler zunächst auf die beiden an das Projekt angegliederten Informationsplattformen, den Hamburger Bildungsserver und das mit dem Deutschen Bildungsserver entwickelte Klimawiki. Zu den meisten Themen finden sich dort Informationen. Aber wir unterstützen die Schüler auch gerne, wenn sie weiteres Material oder den Kontakt zu Wissenschaftlern usw. suchen. Sie können uns jederzeit eine E-Mail schreiben oder uns im Institut besuchen.

In einem weiteren Schritt stellen wir den Schülern Klimamodelldaten zur Verfügung und beraten sie bei deren Auswertung. Die Datenauswertung stellt den Kern der wissenschaftsorientierten Arbeit im Projekt dar. Die Hamburger Klimaforschung, an die das Projekt ja angegliedert ist, ist eine Forschung, die auf der Entwicklung und der Rechnung von Klimamodellen beruht, also keine Klimaforschung, die ins Feld geht und Messungen durchführt. Aus den Modellrechnungen entstehen Daten, die in großen Datenbanken gespeichert werden. An die kann man Schüler nicht direkt heranlassen. Sie würden in den Informationen und in dem, was ihnen abverlangt wird, um diese zu filtern, untergehen. Wir haben deshalb aus der Datenbank eine ganze Reihe von Datensätzen herausgezogen, insgesamt über 6000, die wir auf dem Hamburger Bildungsserver abgelegt haben und die die Schüler sich herunterladen können. Wir zeigen ihnen dann, wie man diese Datensätze mit einem einfachen Programm visualisiert, also eine anschauliche Karte, z. B. über die Temperaturentwicklung in den nächsten 100 Jahren in Deutschland, erstellt.

Online-Redaktion: Welche Möglichkeiten bietet die Kooperation mit wissenschaftlichen Instituten für die Unterrichtsarbeit?

Kasang: Schüler werden in Projekten, an denen wissenschaftliche Institute beteiligt sind, in Methoden eingeführt, die ihnen die Schulen in der Regel nicht bieten können. Diese wissenschaftlichen Methoden gehören nicht in die Lehrerausbildung und auch nicht in die Fortbildung, es sind spezielle Methoden, die an die Forschungsinstitute gebunden sind. Dass wir ihnen solche wissenschaftlichen Methoden zeigen und nahe bringen und dass sie diese anwenden und damit auch relativ selbstständig arbeiten können, das ist der wichtige Mehrwert für die Unterrichtsarbeit! Aber schon bei der Quellen-Recherche zu den Themen gibt es Schülergruppen, die sich eigenständig hinter ein Thema klemmen und von sich aus, ohne unsere Vermittlung, an andere Institute heran treten, um sich Informationen über ihr Thema zu holen – diese Eigenständigkeit entsteht im normalen Unterricht nicht so leicht.

Online-Redaktion: Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf das „Schulprojekt Klimawandel“?

Kasang:
Die Schüler begegnen uns immer mit ganz großer Aufmerksamkeit. Wir haben nicht das Problem, dass sie uns nicht zuhören. Sie sind aufmerksam, die meisten arbeiten ganz intensiv an ihren Themen und treten von sich aus mit uns oder anderen Instituten in Kontakt. Ich denke, dass sie zu einem großen Teil mit steigendem Interesse reagieren. Das entspricht auch den Rückmeldungen, die wir von den Lehrkräften bekommen. Wir führen alle sechs Monate einen Projektworkshop durch, auf dem sich die Lehrer und das Projektteam treffen und Wissenschaftler und Schüler Vorträge halten. Auf diesen Workshops tauscht man sich darüber aus, was in den Schulen passiert und was man weiter plant. Dort haben wir auch die Rückmeldung bekommen, dass das Projekt starkes Interesse bei den Schülern weckt und es sich gerade in Richtung eigenständiges Arbeiten sehr gut entwickelt.

Online-Redaktion: Wie unterstützen der Hamburger Bildungsserver und das Bildungswiki Klimawandel das Schulprojekt?

Kasang: Das Primäre ist, dass damit zwei wichtige Informationsplattformen vorhanden sind, die aktuelles und wissenschaftlich abgesichertes Material anbieten. Ich schreibe schon seit 15 Jahren für den Hamburger Bildungsserver und für das Bildungswiki Klimawandel seit drei Jahren, wobei ich wissenschaftliche Literatur auswerte und sie so darstelle, dass Schülerinnen und Schüler – zumindest in der Oberstufe - sie aufnehmen und verstehen können. Beide Plattformen liefern Basisinformationen und eignen sich gut als Ausgangspunkt. Auch das Klimawiki ist eine sehr umfangreiche Informationsquelle und mittlerweile sogar weiter entwickelt als die Seiten beim Hamburger Bildungsserver. Ingo Blees vom Deutschen Bildungsserver und ich haben gerade angefangen, das Klimawiki zu einem semantischen Web zu entwickeln, d. h. wir verknüpfen die einzelnen Artikel mit semantischen Beziehungen, so dass man nicht nur einen Link zu einem anderen Beitrag erhält, sondern auch erfährt, in welcher Bedeutung dieser Artikel mit anderen verknüpft ist. Welcher zusätzliche Nutzen daraus für die Unterrichtsarbeit entsteht, muss sich zeigen.

Online-Redaktion: Das „Schulprojekt Klimawandel“ wurde von einer unabhängigen Jury unter Vorsitz von Nobelpreisträger Professor Erwin Neher Ende September 2011 mit dem 2. Platz des Preises „Schule trifft Wissenschaft“ der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. Was freut Sie daran besonders?

Kasang: Ja, natürlich freut es mich, dass wir diesen Preis gewonnen haben. Und natürlich freuen wir uns auch über die 20.000 € Preisgeld, damit sind die Kosten für das Projekt in den nächsten Jahren abgesichert. Was mich persönlich aber am meisten berührt hat, war, dass einige Schüler, die bei der Preisverleihung dabei waren, hinterher zu mir gekommen sind und sich dafür bedankt haben, dass das Projektteam es ihnen ermöglicht hat, so nah an der Wissenschaft und eigenständig zu arbeiten.

Online-Redaktion: Wie geht es weiter mit dem „Schulprojekt Klimawandel“?

Kasang: Erst einmal bin ich sehr glücklich darüber, dass das Projekt jetzt am Deutschen Klimarechenzentrum angebunden ist. Ich habe dort schon seit 15 Jahren mein Arbeitsbüro und kenne die Mitarbeiter gut. Das Projekt ist dort gut aufgehoben. Ich finde es auch sehr positiv, dass die Software, die wir für die Datenauswertung benutzen und die einige Mängel aufweist, hier demnächst verbessert wird. Auch interessiert sich die Hamburger Schulbehörde für uns und möchte sich mit uns treffen und über die Weiterentwicklung des Projekts sprechen. Wir erhoffen uns davon, dass man vielleicht eine halbe Stelle für dieses Projekt oder allgemein für die Kooperation zwischen Wissenschaft und Schule schafft. Für mich ist dies eine wichtige Perspektive, denn ich möchte allmählich zurücktreten und ersetzt werden; ich bin schon pensioniert und hoffe, dass dies über diesen Weg möglich sein wird.

Online-Redaktion: Wird das Projekt auch auf andere Bundesländer ausgedehnt?

Kasang: Es gibt diese Idee, das Projekt auch in anderen Bundesländern durchzuführen, es stellt sich nur die Frage, in welcher Form es an den Schulen eingebunden werden könnte. Die Hamburger Profiloberstufe bietet optimale Voraussetzungen, weil hier eine Gruppe von Fächern zu einem bestimmten Thema ein halbes Jahr lang zusammenarbeitet, was gut zu unserem Projekt passt. Vergleichbare Verhältnisse gibt es aber, soweit ich weiß, in den meisten anderen Bundesländern nicht. Andererseits ist es so, dass das Projekt eine gewisse Reife erreicht hat, so dass man sagen kann, mit Engagement und einer gewissen Einarbeitungszeit könnte man das Projekt auch in anderen Bundesländern durchführen. Mit Fortbildungen von unserer Seite vor Ort und einer Beratung auf die Ferne könnte man es überall etablieren. Aber ob wir das anstoßen, müssen wir erst noch überlegen. Wir müssen zunächst klären, ob genügend Mittel und Personal zur Verfügung stehen.


Dr. Dieter Kasang, Studium in Geographie, Deutsch und Philosophie an den Universitäten Hamburg und Wien. Tätigkeit als Lektor für Deutsch an der Universität Uppsala, Schweden. Promotion in Literaturwissenschaft. Unterricht an einem Hamburger Gymnasium. Seit Mitte der 1990er Jahre Tätigkeit am Deutschen Klimarechenzentrum und Max-Planck-Institut für Meteorologie mit der Aufgabe, Ergebnisse der Klimaforschung an Schulen zu vermitteln, und Redakteur am Hamburger Bildungsserver. Leitung verschiedener Projekte mit Schulen und Aufbau von Informationsplattformen zum Klimawandel im Internet.




Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 28.10.2011
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