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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 05.06.2008:

Gegen Politikverdrossenheit, Gewaltbereitschaft und Rassismus

„Demokratie lernen & leben“: Ein Pilotprojekt an 200 Schulen
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: BLK-Programm "Demokratie lernen & leben"

Das Programm hatte das Ziel, durch die Demokratisierung von Unterricht und Schulleben die Bereitschaft junger Menschen zur aktiven Mitwirkung an der Zivilgesellschaft zu fördern. Das Lernen von Demokratie als Unterrichtsgegenstand und das Leben in einer – eben auch schulischen – Demokratie sollten die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler verbessern, Probleme gewaltfrei lösen zu können. Grundlage des Programms war ein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und von der Friedrich-Schiller-Universität Jena erstelltes Gutachten aus dem Jahr 2001. In ihm hoben der Max-Planck-Forscher Prof. Wolfgang Edelstein und der Jenaer Wissenschaftler Prof. Peter Fauser „die besondere demokratiepädagogische Stellung und Verpflichtung der Schule“ hervor. Gleichzeitig betonten sie, dass Schule einen „Teil des Problemzusammenhanges“ innerhalb der Gesellschaft darstelle. Schule kann nicht gegen, sondern immer nur mit der Gesellschaft wirken. Daraufhin beauftragte die Projektgruppe „Innovation im Bildungswesen“ der BLK das Interdisziplinäre Zentrum für Lehr- und Lernforschung (IZLL) an der FU Berlin mit der Trägerschaft des Programms „Demokratie lernen & leben“. Gefördert wurde das Programm einerseits vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) andererseits von den beteiligten Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Was passiert(e) an den Schulen?
Die am Programm beteiligten Schulen mussten sich für mindestens einen von vier Themenbereichen entscheiden: „Unterricht“, „Lernen in Projekten“, „Schule in der Demokratie“ oder „Schule als Demokratie“. Im Modul „Unterricht“ wurden Wege gesucht, demokratische Verantwortung im Unterricht selbst zu erfahren und zu reflektieren. Das „Lernen in Projekten“ sollte helfen, gemeinsame Ziele kooperativ zu erreichen. Die Module „Schule als Demokratie“ und „Schule in der Demokratie“ bezogen die Schülerinnen und Schüler verstärkt in ihrer eigenen Lebenswelt mit ein und förderten Kooperationen mit außerschulischen Partnern wie der Jugendhilfe oder örtlichen Firmen. Wenn Politik und Demokratie nicht mehr als etwas Lebensfernes erfahren werden, sondern als etwas, das jeder einzelne aktiv mitgestalten kann, dann ist schon viel gewonnen. Schule darf davon nicht ausgenommen werden. Es war lange Zeit ein Problem und ist es teilweise immer noch, wenn Demokratie zwar im Politikunterricht behandelt wird, die Lernenden dann aber in der Schule selbst keine wesentlichen Mitbestimmungsrechte erhalten. Heutzutage bieten deshalb immer mehr Schulen den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten, auf die Gestaltung ihrer Schule Einfluss zunehmen.

Beispiele aus der schulischen Praxis
Die Gemeinschaftsgrundschule Balthasarstraße im Kölner Agnesviertel übt schon mit Erst- bis Viertklässlern ein, was es heißt, wenn diese über Lerninhalte, Wochenpläne und Hausaufgaben mitbestimmen können. Im Partnersystem lernen die Grundschüler, Verantwortung zu übernehmen und Hilfen anzunehmen. Sie bewerten den Unterricht auf anonymen Fragebögen und bringen Verbesserungsvorschläge ein. Auf eigenen Klassensprecher-Konferenzen können sich die Schülerinnen und Schüler auch für Themen außerhalb des Schulradius einsetzen.

Das Staatliche Gymnasium Neuhaus am Rennweg in Thüringen schuf sogar ein eigenes Schülerparlament. Jeder Jahrgang wird dort durch zwei Schülerinnen und Schüler repräsentiert, Lehrkräfte fungieren nur als Berater. Insgesamt sitzen 48 „Parlamentarier“ in drei Ausschüssen, die Streitigkeiten zwischen Lehrern und Schülern schlichten, Projekttage und Feierlichkeiten organisieren oder über die schulinternen Regeln bestimmen. Ergebnisse dieser gelebten Schuldemokratie zeigen sich schon, wenn man die Schule in den Pausen betritt: Dort sitzen Schüler auf allen Ebenen auf dem Fußboden. Die von Lehrern vorgegebene Regelung, die Gänge stets frei zu halten, hatte das Schülerparlament nämlich abgeschafft. In die farbenfrohe und offene Bauhausarchitektur seiner Schule würde, so Schuldirektor Ralph Leipold, „nichts Starres, Rigides passen.“ Das Ziel der Schule sei es, „starke, junge Menschen zu entlassen, die eine hohe Selbstwirksamkeit haben.“

Dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, lernen Schülerinnen und Schüler an verschiedenen Gymnasien in Mecklenburg-Vorpommern durch die Beschäftigung mit der Geschichte ihres Ortes. So haben 2005 im Rahmen des Projekts „Meine Gemeinde in Zeiten der Diktaturen“ am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium auf Rügen, dessen Bevölkerung 1946 zu 44 Prozent aus Vertriebenen bestand, elf Schülerinnen und Schüler Flüchtlingsschicksale auf ihrer Heimatinsel erforscht. Das Robert-Stock-Gymnasium Hagenow, ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern, ging wiederum den Spuren jüdischen Lebens in Südwest-Mecklenburg nach, unter anderem durch Interviews mit Zeitzeugen.

Eine ganz besondere Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit entwickelte sich 2006 in Bremen. Insgesamt 15 Bremer Schulen hatten es sich zum Ziel gesetzt, mindestens 70 Bremer Abgeordnete durch ihre Unterschrift zu verpflichten, langfristig gegen Rassismus offensiv vorzugehen und ein Landesparlament gegen Rassismus zu gründen. Der Erfolg blieb nicht aus: „Wir sind stolz, dass wir das Projekt ,Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage’ aufrecht erhalten haben und dass nun bundesweit das erste ,Parlament gegen Rassismus und für Courage’ hier in Bremen zu finden ist“, so die Schülervertreterin Frauke Schwagereit.

Erfolge und Probleme
Der Abschlussbericht des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) von 2007 verweist insgesamt auf eine breite Unterstützung des Programmanliegens in den Schulen. Demokratiepädagogische Maßnahmen wurden in großer Zahl und Vielfalt angeboten und wahrgenommen, wobei vor allem die Lehrkräfte positive Effekte in der abschließenden Befragung feststellten. Dennoch „konnte eine allgemeine Steigerung des Niveaus demokratierelevanter Kompetenzen über alle Schulen hinweg nicht wahrgenommen werden“, heißt es im Bericht. Die Wissenschaftler weisen aber auch darauf hin, dass eine solche generelle Steigerung unter den gegebenen Bedingungen unwahrscheinlich gewesen wäre. Das Programm war nicht darauf angelegt, alle Schülerinnen und Schüler der jeweils beteiligten Schule zu erfassen. Die Zeitspanne des Programms von insgesamt nur drei Jahren war zudem relativ kurz, um allgemeine signifikante Änderungen bewirken zu können. Und schließlich, sicherlich einer der wichtigsten Punkte, handeln „schulische Akteure in einem gesellschaftlichen und sozialen Umfeld, das eine Orientierung auf Demokratie mehr oder weniger fördern kann“. Hier liegt der Kern des Problems, ist doch die Zustimmung zur Demokratie als Staatsform in den vergangenen Jahren gesunken. Hielten nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes im Jahre 2000 noch 80 Prozent der Befragten im Westen und 49 Prozent der Interviewten im Osten die Demokratie für die beste Staatsform in Deutschland, so sank diese Quote 2005 auf 71 Prozent im Westen und auf 38 Prozent im Osten. Das sind Werte, die belegen, wie wichtig es ist, Projekte wie „Demokratie lernen & leben“ in den Schulen auch in Zukunft zu ermöglichen und noch stärker in der Gesellschaft zu verankern. Damit Deutschland nie wieder eine „Demokratie ohne Demokraten“ wird.

Autor(in): Arndt Kremer
Kontakt zur Redaktion
Datum: 05.06.2008
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