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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 29.03.2007:

"Wir haben nur die Schule, um die Demokratie in den Köpfen und Herzen zu verankern"

Das Programm "Demokratie lernen & leben" geht zu Ende
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Bildrechte: BLK-Programm "Demokratie lernen & leben"

Seit fünf Jahren erproben 170 Schulen in 13 Bundesländern das Programm "Demokratie lernen & leben" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK). Auf der Abschlusskonferenz Anfang März in Berlin präsentierten sie ihre Ergebnisse.

"Lass mich in Ruhe", schreit Finn und verschwindet. Er hat Angst vor Toms harten Schlägen. "Ich krieg dich noch", ruft Tom ihm hinterher. Finn musste schon öfter Schläge von Tom einstecken. Ihre Mitschülerinnen und -schüler schauen meistens weg, wenn Tom und Finn sich prügeln. Sie trauen sich nicht, sich einzumischen. Niemand hat ihnen gezeigt, wie man sich bei einem Streit richtig verhält.

Demokratisches Präventionskonzept
Dabei eignen sich gerade Schulen, Kindern und Jugendlichen demokratisches Verhalten beizubringen, ist Prof. Dr. Wolfgang Edelstein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin überzeugt: "Wir haben nur die Schule, um die Demokratie in den Köpfen und Herzen zu verankern", sagt er. Dort können Jugendliche lernen, Konflikte fair miteinander zu lösen, sie können in der Schulgemeinschaft Kommunikationsfähigkeiten entwickeln und Perspektivwechsel einüben. Vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt an Schulen und dem um sich greifenden Rechtsextremismus hat er deshalb gemeinsam mit Prof. Dr. Peter Fauser von der Friedrich-Schiller-Universität Jena ein Präventionskonzept entworfen, mit dem Werte wie Menschenrechte, Demokratie und soziale Integration in die Schulen getragen werden sollen. Drei Jahre haben die Wissenschaftler für die Umsetzung ihres Programms gekämpft und dafür, dass Schülerinnen und Schüler lernen dürfen, einen "demokratischen Habitus" anzunehmen. Dann wurde im Jahr 2002 ihr Konzept "Demokratie lernen & leben" als Projekt der BLK eingerichtet und mit 13 Millionen Euro von Bund und Ländern gefördert.

Umsetzung des Programms an den Schulen
Nach fünf Jahren Laufzeit endete das erfolgreiche Projekt am 2./3. März 2007 im Umweltforum in Berlin. Im Mittelpunkt der Abschlusskonferenz stand die Präsentation der Ergebnisse: Eine Auswahl der 170 am BLK-Programm beteiligten Schulen verschiedener Schulformen aus dreizehn Bundesländern zeigten, wie sie demokratisches Verhalten in den vergangenen Jahren eingeübt haben: Durch die Einrichtung von Klassenräten und Schulparlamenten, durch die Ausbildung von Konfliktlotsen und Streitschlichtern und die Einführung von Mediationstrainings für Lehrerinnen und Lehrer. In einer Hamburger Schule wurden Klassen- und Schulsprecher in Moderationstechniken und Organisationsfähigkeiten trainiert und in einer Schule in Baden-Württemberg halfen Achtklässler als Schülermentoren Kindern aus Migrantenfamilien beim Lernen und unterstützten sogar die Eltern, die nur wenig Deutsch sprechen, beim Elternabend oder beim Übersetzen von Schriftstücken.

Wie einflussreich die Projekte sein konnten, zeigten die Grundschule Obervorschütz in der Nähe von Kassel und verschiedene Schulen in Bremen. In der Grundschule Obervorschütz ließen sich Beamte des Bauamts von Kindern die Mängel der Toilettenanlage schildern und in Bremen bildeten rund hundert Jugendliche aus fünf Schulen ein Forschungsteam, das Daten zur Lage auf dem Ausbildungsmarkt sammelte. Es fand heraus, dass viel mehr Bremer Real- und Hauptschulabsolventen ohne Lehrstelle bleiben, als von den Ausbildungsbilanzen öffentlich verbreitet wird. Ihr Ergebnis war, dass 50 Prozent der Absolventen auch drei Jahre nach Ende der Schulzeit noch immer keine Lehrstelle hat. Aufgrund dieser Entdeckung wurden sie sogar ins Bremer Parlament eingeladen.

Hat der Transfer noch eine Chance?
Angeregt und begleitet wurden die Schulen von Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard de Haan, Erziehungswissenschaftler der Freien Universität Berlin und neben Wolfgang Edelstein der Projektleiter von "Demokratie lernen und leben". Zusammen mit seinem Team half er den Schulen, Projekte anzustoßen. Außerdem entwickelten sie "Praxisbausteine" und Lehrmaterialien, mit denen auch nach Ablauf des Projektes Schulen arbeiten können. Trotz Beendigung des Programms hat der Fachbeirat unter Leitung von Prof. Dr. Lothar Krappmann auf der Abschlusskonferenz dazu aufgerufen, die Arbeit fortzuführen, "bis alle Schulen die Demokratiepädagogik in ihren Mauern installiert haben". Er hofft, dass die Länder Gelder bereitstellen werden, um das groß angelegte Programm weiterzuführen und die Ergebnisse in neue Schulen zu transferieren. Durch die Neuordnung der Bildungspolitik im Zuge der Föderalismusreform hat der Bund keinen Einfluss mehr auf die Schulpolitik, und die BLK wird aufgelöst. Unterstützung bekommt Lothar Krappmann von Prof. Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung, der die externe Evaluation des BLK-Programms durchführte. Er ist sicher, dass sich Investitionen in schüleraktivierende Maßnahmen langfristig für eine Schule auszahlen. "Wo Schüler sich anerkannt fühlen, gedeiht nicht nur das Lernklima, sondern gestaltet sich auch die Partizipation sehr viel positiver", bestätigt er nach fünf Jahren Beobachtung des Projektes.

Gesellschaft für Demokratiepädagogik macht weiter
Doch die Initiatoren des Programms wollen nicht warten. Sie haben unter dem Vorsitz von Wolfgang Edelstein die "Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik" gegründet, die unter anderem Demokratiepädagogen und Multiplikatoren ausbildet. Diese sollen demokratisches Verhalten an die Schulen tragen. Bereits auf der Ergebniskonferenz hat man 130 "Berater und Beraterinnen für Demokratiepädagogik" zertifiziert: Lehrer, Psychologen und Sozialpädagogen, die am Brandenburger Landesinstitut für Schule und Medien in den letzten Jahren dafür ausgebildet wurden, den Schulen Fortbildungen anzubieten und sie in Sachen Demokratieerziehung zu beraten. Ein großer Schritt, um das Engagement für die Programmziele zu erhalten, lobt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik. Und das in einer Zeit, in der die Politikdistanz vieler Jugendlicher wächst und die Menschenfeindlichkeit zunimmt.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 29.03.2007
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