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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 04.12.2006:

Chancen optimieren durch Bildungsabschlüsse

Schwierige Übergänge von der Schule in die Berufsausbildung
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Dr. phil. Dipl.-Psych. Nora Gaupp

Nora Gaupp

Warum sind die Übergänge von der Schule in die Berufsausbildung für Hauptschulabsolventinnen schwierig geworden?

In der Tradition des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems führt der Weg ins Arbeitsleben für Absolventinnen und Absolventen der Hauptschule über eine betriebliche Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf. Die Alternative, nach Ende der Pflichtschulzeit ohne weitere Qualifizierung als ungelernte Arbeitskraft in den Arbeitsmarkt einzusteigen, gilt demgegenüber als problematisch, da der Anteil an Arbeitsplätzen für Erwerbspersonen ohne Ausbildungsabschluss seit langem kontinuierlich zurückgeht. Zudem werden angesichts der hohen Gesamtarbeitslosigkeit die verbleibenden Arbeitsplätze mit geringen Qualifikationsanforderungen von Personen eingenommen, die für diese Arbeitsplätze eigentlich überqualifiziert sind.

Trotz der schlechten Arbeitsmarktschancen für Unqualifizierte stagniert der Anteil an jungen Erwachsenen, die bis zum 25. Lebensjahr keine anerkannte Ausbildung absolviert haben, seit längerem auf relativ hohem Niveau (zwischen 14 und 15 Prozent). Gleichzeitig ist das durchschnittliche Alter der Jugendlichen beim Eintritt in eine betriebliche Berufsausbildung über die Jahre hinweg deutlich angestiegen. Offenbar ist der frühere "Normalverlauf", ein unmittelbar nach Ende der Pflichtschulzeit ohne weitere Zwischenschritte stattfindender Eintritt in die Berufsausbildung, eher die Ausnahme geworden.

Angesichts des lang anhaltenden Mangels an Ausbildungsplätzen befinden sich die Hauptschulabsolventinnen und -absolventen in einer schwierigen Konkurrenz zu Jugendlichen mit mittlerem Bildungsabschluss oder gar Abitur.

Mit dem DJI-Übergangspanel sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden: Wie orientieren sich die Jugendlichen in dieser Situation? Was sind ihre Ziele? Welche Wege gehen sie, um diese Ziele zu erreichen? Gelingt es ihnen, eine Ausbildung zu beginnen und diese abzuschließen? Und was geschieht mit denen, die keine Ausbildung beginnen wollen bzw. denen es nicht gelingt, eine Ausbildung zu beginnen? Ist dies der Anfang einer Karriere, die mit langfristigen Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt bis hin zur Ausgrenzung von Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Teilhabe verbunden ist?

Das Übergangspanel des Deutschen Jugendinstituts

Am Deutschen Jugendinstitut wurde im Frühjahr 2004 eine Längsschnitt-Untersuchung begonnen, die diesen Fragen nachgeht. Bundesweit wurden in 126 Schulen rund 4.000 Schülerinnen und Schüler im letzten Schulbesuchsjahr der Hauptschule (bzw. in Hauptschulzweigen von Gesamtschulen und anderen Sekundarschulen) per Fragebogen im Klassenverband nach ihrer Herkunftsfamilie, ihren Schulerfahrungen, ihren Bildungs- und Ausbildungszielen und ihren Plänen für die Zeit nach Ende des laufenden Schuljahres befragt. Jungen stellten mit 57 Prozent deutlich mehr als die Hälfte der Befragten. Davon stammten 53 Prozent aus Zuwandererfamilien. Interessant ist, dass gut ein Viertel der Befragten nicht in Deutschland geboren ist. In fast der Hälfte der Herkunftsfamilien wurde (auch) eine andere als die deutsche Sprache gesprochen. Dagegen war nach dem Kriterium der nicht-deutschen Staatsangehörigkeit nur jede/r Vierte "Ausländer/in".

Seit November 2004 wurden die Jugendlichen in halbjährlichen Abständen zu ihren weiteren Wegen durch das Bildungs- und Ausbildungssystem interviewt. Die Anlage der Untersuchung als Längsschnitt (oder "echtes Panel") ermöglicht, für die einzelnen Jugendlichen die Wege von der Schule in Ausbildung und Erwerbsarbeit differenziert nachzuzeichnen.

Die Bildungs- und Ausbildungswege von Hauptschulabsolventen nach der Pflichtschulzeit

Die folgende Abbildung zeigt die Bildungs- und Ausbildungsstationen der Jugendlichen zu den beiden Zeitpunkten November 2004 und November 2005.

Grafik die verschiedenen Bildungs- und Ausbildungwege zeigt.

(Die Quersummen addieren sich nicht zu 100 Prozent auf. Dies liegt daran, dass einige mögliche Stationen der Jugendlichen (Wehr- und Zivildienst, freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr, Praktika, Auslandsaufenthalte) aufgrund von geringen Fallzahlen in der Auswertung nicht berücksichtigt wurden.)

In der Schule hatte die größte Gruppe der Befragten Ausbildung als den nächsten Qualifizierungsschritt genannt. Tatsächlich befand sich im November 2004 mit einem Anteil von 35 Prozent die größte Gruppe in der Schule. Von diesen gingen im November 2005, also ein Jahr später, 60 Prozent noch immer in die Schule. 21 Prozent hatten nach einjährigem Schulbesuch eine Berufsausbildung aufgenommen, 11 Prozent waren in eine Berufsvorbereitung eingetreten und 5 Prozent waren weder in einer Schule noch in Ausbildung oder Arbeit, damit faktisch arbeitslos.

Von den 26 Prozent, die bis November 2004 eine Berufsausbildung aufgenommen hatten, waren ein Jahr später 88 Prozent noch immer in Ausbildung. Diese Zahl allein sagt zwar noch nichts darüber aus, ob einzelne Jugendliche Ausbildungsbetriebe oder Ausbildungsberufe gewechselt hatten. Insgesamt ist dieser Wert jedoch ein Indikator für einen relativ stabilen Verbleib in der Berufsausbildung, die in der Regel eine Dauer von mindestens zwei Jahren, meist sogar drei Jahren hat. Entsprechend gering sind die Übergänge aus Ausbildung in Schule, Berufsvorbereitung oder in die Arbeitslosigkeit.

Berufsvorbereitung ist demgegenüber in der Regel auf eine Dauer von maximal einem Jahr angelegt. Insofern war bei einem Vergleich der Zeitpunkte November 2004 und November 2005 ein Wechsel der Jugendlichen in einen anderen Status zu erwarten. Angesichts der ursprünglichen Ausbildungspläne der Jugendlichen - aber auch in Anbetracht der für Berufsvorbereitung genannten Zielsetzung, auf Ausbildung vorzubereiten - wäre nach einem Jahr Berufsvorbereitung der Eintritt in eine Berufsausbildung der zu erwartende und zu wünschende Anschluss. Tatsächlich befinden sich von den Jugendlichen, die sich im November 2004 in Berufsvorbereitung befanden (26 Prozent der Gesamtgruppe), im November 2005 noch 35 Prozent in Ausbildung. Ein weiteres knappes Drittel (29 Prozent) befindet sich erneut in Berufsvorbereitung. Hier hat ein, von der Funktion der Berufsvorbereitung her nicht intendierter, Übergang entweder von einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme in ein schulisches Berufsvorbereitungsjahr oder umgekehrt stattgefunden. Die drittgrößte Gruppe (15 Prozent) befindet sich im November 2005 weder in der Schule, noch in Arbeit oder Ausbildung. Diese Jugendlichen haben offenbar bis zu diesem Zeitpunkt keinen für sie passenden Anschluss gefunden, auch keinen, der allein der Zeitüberbrückung dienen könnte. Den Weg zurück in die Schule haben 11 Prozent genommen.

"Unversorgte Bewerber"

Fast jede/r Zehnte befand sich im November 2004 weder in der Schule noch in Ausbildung oder Arbeit. Die Wege, die diese Jugendlichen bis November 2005 genommen haben, zeigen, dass diese in der Berufsbildungsstatistik als unversorgte Bewerber etikettierten Jugendlichen in ihren Merkmalen und Motiven heterogen sind. Ein Teil dieser Jugendlichen, die bis November 2004, also fünf bis sechs Monate nach Verlassen der Schule noch keinen ihnen passenden Anschluss gefunden haben, hat an ursprünglichen Bildungs- und Qualifizierungszielen festgehalten, andere taten sich offensichtlich schwer, Bildungs- und Qualifizierungsperspektiven zu entwickeln. Die größte Gruppe ist bis November 2005 zurück ins Bildungssystem gekehrt: 38 Prozent gehen wieder zur Schule. Die zweitgrößte Gruppe (28 Prozent) hat eine Ausbildung begonnen. Nur 6 Prozent haben eine Berufsvorbereitung aufgenommen. Fast jede/r Fünfte ist auch im November 2005 wieder oder noch immer weder in der Schule noch in Ausbildung und Arbeit. Diese letzte Gruppe von Jugendlichen beginnt, sich vom Bildungs- und Ausbildungssystem und wahrscheinlich auch vom ersten Arbeitsmarkt zu entfernen.

Eine wichtige Differenzierung besteht in der Unterscheidung von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Vergleicht man die Wege von Jugendlichen deutscher Herkunft und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, so ergibt sich folgendes Bild: Jugendliche mit Migrationshintergrund befinden sich im November 2004 deutlich häufiger in der Schule, um allgemein bildende Abschlüsse zu erwerben. Die Tendenz zu einer Fortführung des Bildungsweges in Schulen setzt sich für diese Jugendlichen auch bei einem Vergleich der Zeitpunkte November 2004 und 2005 fort. Der Anteil, der auch nach dem Schuljahr 2004/2005 weiter zur Schule geht, ist in dieser Gruppe deutlich höher als bei Jugendlichen deutscher Herkunft. Höher sind in der Gruppe mit Migrationshintergrund auch die Anteile der Übergänge in eine Schule für diejenigen, die sich im November 2004 noch in einer Berufsvorbereitung oder einer Berufsausbildung befanden. Im Ergebnis besuchen im November 2005, also rund 16 Monate nach Ende des Pflichtschulbesuches, noch 35 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund (aber nur 22 Prozent der Jugendlichen deutscher Herkunft) eine Schule. Dafür befinden sich zu diesem Zeitpunkt nur 36 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in einer Berufsausbildung (aber 52 Prozent der Jugendlichen deutscher Herkunft). Der Anteil derjenigen, die im November 2005 eine Berufsvorbereitung absolvieren, (davon etwa ein Drittel bereits in einem zweiten Durchgang) ist für beide Gruppen etwa gleich hoch (14 Prozent bzw. 13 Prozent), ebenso der Anteil derjenigen, die im November 2005 weder eine Schule besuchen, noch eine Ausbildung absolvieren oder erwerbstätig sind (8 Prozent bzw. 9 Prozent).

Fazit

Fast die Hälfte der Hauptschulabsolventinnen und -absolventen hatte sich noch in der Schulzeit an der traditionellen Abfolge "Pflichtschulbesuch - Berufsausbildung" orientiert. Allerdings kann mit etwa einem Viertel nur eine Minderheit tatsächlich diese Abfolge von Schritten gehen. Deutlich mehr Jugendliche gehen nach dem letzten Pflichtschuljahr weiter auf die Schule. Für einen Teil der Jugendlichen ist das die Antwort auf fehlende Zugangsmöglichkeiten zur Ausbildung. Für andere -insbesondere Mädchen und Jugendliche mit Migrationshintergrund - ist der weitere Schulbesuch aber auch von vornherein eine Präferenz. Gemeinsam ist beiden Gruppen eine Strategie des "Chancen Optimierens": Indem sie Bildungsabschlüsse erwerben, wollen sie ihre Chancen auf Zugang zu einer Berufsausbildung - sei sie schulisch oder betrieblich - verbessern.
Die Untersuchung belegt, dass die Absolventinnen und Absolventen der Hauptschulen eine in ihren Motiven, Zielen und Potenzialen heterogene Gruppe sind. In der Mehrzahl sind sie bereit und in der Lage, lange und komplizierte Abfolgen von Bildungs- und Qualifizierungsschritten zu absolvieren, um ihre Qualifizierungsziele zu verwirklichen. Nur sehr wenige Jugendliche gehen nach der Schule den Weg in ungelernte Arbeit.
Die Ergebnisse der nächsten Erhebung im November 2006 werden zeigen, ob sich diese Strategie des "Chancen Optimierens" bewährt. Es wird sich aber ebenso zeigen, für welche Jugendlichen sich die Wege vom Bildungs- und Ausbildungssystem entfernen und an welchen "Kreuzungen" oder "Weichen" eine besondere Unterstützung notwendig ist, um die Risiken des Rückzugs und der Ausgrenzung zu verringern. Dazu will diese Längsschnittstudie einen Beitrag leisten.

Verwendete Literatur

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (2005). Berufsbildungsbericht 2005. Bonn/Berlin.
  • Gaupp, N., Hofmann-Lun, I., Lex, T., Mittag, H. & Reissig, B. (2004). Schule - und dann? Erste Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung von Hauptschülerinnen und Hauptschülern in Abschlussklassen. Reihe Wissenschaft für alle, Deutsches Jugendinstitut München/Halle.
  • Solga, H. (2005). Ohne Abschluss in die Bildungsgesellschaft. Die Erwerbschancen gering qualifizierter Personen aus soziologischer und Ökonomischer Perspektive. Opladen: Leske & Budrich.
  • Ulrich, J.G. (2006). ... Schulnoten sind die eine Seite - Fähigkeit und Persönlichkeit die andere... Oder: Warum tut sich die heutige Jugend beim Berufsstart so schwer? In: Michel, A. u. a. (Hrsg.): Chancen für Schulmüde, Arbeitspapier. München/Leipzig, DJI (erscheint demnächst).

 

Dr. phil. Dipl.-Psych. Nora Gaupp studierte von 1995 bis 2001 Psychologie an der kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt und war von 2001 bis 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seit 2003 ist sie wissenschaftliche Referentin im Forschungsschwerpunkt "Übergänge in Arbeit" am Deutschen Jugendinstitut in München.
Interessengebiete und Forschungsthemen sind Jugend- und Bildungsforschung, berufliche Integration von sozial- und bildungsbenachteiligten Jugendlichen sowie Kompetenzerfassung und -entwicklung.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 04.12.2006
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