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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 29.05.2006:

"Verschiedenheit ist anfassbar"

Das europäische Projekt EMIL widmet sich dem interkulturellen Lernen in der Lehreraus- und -fortbildung.
Das Bild zum Artikel
Dr. Juliana Roth

Hinter EMIL verbirgt sich das "Europäische Modularprogramm für Interkulturelles Lernen in der Lehreraus- und -fortbildung". EMIL wird gefördert von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur, im Rahmen des Programms SOKRATES sowie vom Institut für Interkulturelle Kommunikation der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Projekt ist für die Dauer von zwei Jahren geplant und läuft vom 1. November 2004 bis zum 30. September 2006.

Die Idee des Projektes ist, gemeinsam mit Partnereinrichtungen in Deutschland und aus Bulgarien, Griechenland, Großbritannien und der Türkei ein Europäisches Modularprogramm für die Verankerung von interkultureller Kompetenz in der Lehreraus- und -fortbildung für den Schwerpunkt Grundschulpädagogik zu entwickeln und europaweit zugänglich zu machen. "Das Projekt füllt damit eine Lücke: In keinem der beteiligten Partnerstaaten ist die Vermittlung von interkultureller Kompetenz bislang Bestandteil der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung", so die Initiatoren des Projekts.

Es wendet sich an Dozent/innen der Lehreraus- und -fortbildung, Schwerpunkt Grundschulpädagogik sowie an künftige  und an bereits praktizierende Grundschullehrerinnen und -lehrer und zielt auf die Sensibilisierung für den Umgang mit anderen Kulturen und Minderheiten . EMIL soll die "interkulturelle Kompetenz" langfristig als künftige Schlüsselkompetenz für Grundschulpädagogen in der Aus- und Fortbildung (ggf. auch in den Curricula) verankern. Erwartet wird von dem Projekt auch ein Beitrag zur Demokratie- und Toleranzerziehung. Die Lehreraus- und -fortbildung soll dadurch eine europäische Dimension gewinnen und EMIL soll darüber hinaus dazu beitragen, ein europäisches Lehrerprofil zu entwickeln. Ausgehend von den Partnereinrichtungen möchten die Initiatoren im Rahmen des Projektes in diesem Sinne den Grundstein für ein europäisches Netzwerk legen. Bildung Plus unterhielt sich mit der stellvertretenden Projektleiterin von EMIL, Dr. Juliana Roth vom Institut für Interkulturelle Kommunikation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, über ihre Erfahrungen.          

Bildung Plus: Aus welchem Grund arbeiten bei dem Programm EMIL ausgerechnet die Länder Deutschland, Bulgarien, Griechenland, Großbritannien und die Türkei zusammen?

Roth: Es ging darum, Partner aus Ländern zusammenzubringen, die unterschiedliche Erfahrungen mit Inter- und Multikulturalität in ihren Gesellschaften haben. Wir sollen angeregt werden, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer nationalen Bildungstraditionen zu reflektieren; letztendlich um die eigenen Selbstverständlichkeiten zu begreifen, um über sie hinweg zu steigen. Ausbildungssysteme sind stark kulturabhängig, denn sie sollen ja tief verwurzelte Auffassungen und Traditionen transportieren.

Bildung Plus: Sind die unterschiedlichen akademischen Traditionen, Bildungssysteme und gesellschaftlichen Probleme wie Minderheitenproblematiken, Zuwanderungsgesellschaften oder der europäischer Integrationsprozess der einzelnen Länder bei der Umsetzung von EMIL eher hinderlich oder bereichernd?

Roth: Letztendlich bereichernd. Doch um zu dieser Einsicht zu kommen, musste man sich durch ein Dickicht von Missverständnissen, Selbstverständlichkeiten und eigenen Kulturblindheiten hindurcharbeiten.

Bildung Plus: Obschon Deutschland sich inzwischen als Einwanderungsland bezeichnet und die Europäisierung schon in vielerlei Hinsicht gelebt wird, findet das interkulturelle Lernen keine Berücksichtigung in der Lehreraus- und -fortbildung. Wäre es nicht schon vor längerer Zeit angebracht gewesen, Module interkulturellen Lernens für angehende Pädagogen anzubieten?     

Roth: Eigentlich ja, das hat aber nicht stattgefunden. Man kann dies nur als paradox bezeichnen, um sich nicht mehr darüber aufzuregen. Nicht dass man es nicht erklären könnte, aber damit ist es nicht getan. Mir tun besonders die Grund- und Hauptschullehrer leid, die ohne professionelle Hilfe am multikulturellen Arbeitsplatz Schule allein gelassen sind.
 
Bildung Plus: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es bei den Ländern hinsichtlich ihres Verständnisses von "interkulturellem Lernen"?

Roth: Gemeinsam ist das Bewusstsein, dass es in den Gesellschaften kulturelle Diversität gibt, dass sie im Klassenzimmer physisch vorhanden ist, und dass man nicht mehr vom alten Selbstverständnis ausgehen kann, man stünde vor einer kulturell homogenen Klasse. Sehr unterschiedlich ist in den Ländern der Forschungsstand zum interkulturellen Lernen, auch das Bewusstsein der gesellschaftlichen Relevanz des Themas unterscheidet sich recht stark.

Bildung Plus: Innerhalb des Projektes entwickeln Sie ein Programm zur Verankerung interkultureller Aus- und Fortbildung mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik. Wie können wir uns dieses Programm vorstellen?   

Roth: Es ist ein Handbuch mit einem theoretischen und einem Übungsteil von gleicher Länge. Es ist geeignet für das Selbstlernen, aber auch für das Konzipieren von interkulturellen Seminaren oder Fortbildungen. Es zielt auf die generelle Sensibilisierung von Lehrerinnen und Lehrern für die Bedeutung kultureller Unterschiede und auf die Ausbildung von Fähigkeiten für den Unterricht und für den Umgang mit den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Auf keinen Fall enthält es Rezeptwissen etwa über "türkische" oder "russische" Schüler. Hinzu kommt noch eine Broschüre mit Übungen, die in die Landessprachen übersetzt sind.
Übrigens - beide Produkte wird man an unserem Institut beziehen oder im Internet von der Homepage des Projekts herunterladen können.
 
Bildung Plus: Wäre dieses Programm auch auf andere Länder übertragbar? 

Roth: Gewiss, denn der Ansatz ist kulturallgemein und spricht kulturelle Unterschiede prinzipiell an. Es ist dann egal, ob es sich um einen griechisch-albanischen oder einen englisch-pakistanischen Fall handelt.

Bildung Plus: Wie war die Resonanz der Dozentinnen und Dozenten sowie der Lehramtskandidaten auf die Probeläufe?

Roth: Wir haben einen Probelauf mit Lehrern in Thessaloniki gemacht und stießen auf viel Interesse. Vor kurzem habe ich eine Studentengruppe in Ankara unterrichtet, die aus Pädagogikstudenten aus den Partnerländern bestand. Jedes Land entsandte vier Studentinnen und Studenten. So waren es 20 junge Leute, die - mit Ausnahme der Münchner Studenten, die aus meinem Fach waren - zum ersten Mal in ihrem Leben gespürt haben, was Kultur und kulturelle Differenz bedeuten.

Bildung Plus: Wie sehen die Methoden interkulturellen Lernens im Unterricht einer Grundschule konkret aus? 

Roth: Diese Frage lässt sich adäquat nur mit einem längeren Aufsatz beantworten. Sehr verkürzt gesagt: das Konzipieren von Maßnahmen und Lerneinheiten, mit denen die Kinder voneinander lernen, dass sie kulturell unterschiedlich sind und dass sie keine Angst haben sollen, dieses offen zum Ausdruck kommen zu lassen; dass die Minderheitenkinder sich nicht "vor den Deutschen" verstecken müssen, um sich dann in eigenen Gruppen abzugrenzen und sich daran gewöhnen, parallel zu der Mehrheit zu leben; dass kulturelle Vielfalt normal und sogar positiv ist.

Theoretisch heißt das einfach: "Umgang mit kulturellen Unterschieden". Die didaktische Umsetzung ist jedoch sehr anspruchsvoll. Alles müsste dazu noch in kleine, kindgerechte Einheiten aufgebrochen werden.
 
Bildung Plus: Können wir in nächster Zeit damit rechnen, dass das Thema "Interkulturelles Lernen" in Deutschland in die Studiengänge für Grundschulpädagogen Eingang finden wird? 
 
Roth:
Da bin ich eher skeptisch. Das wäre mit sehr grundlegenden Veränderungen im Lehrplan verbunden, aber auch mit dem Abschied von den lieb gewonnenen Vorstellungen der deutschen Mittelschicht über Toleranz (die vielfach nur ein Synonym für Desinteresse an der Fremdheit vor der eigenen Tür ist). Fremdheit ist für viele nur etwas, das dem Urlaub vorbehalten bleibt. Ich sehe das interkulturelle Lernen zurzeit mehr als ein Weiterbildungsthema.

Bildung Plus: Lassen sich die Erkenntnisse zu EMIL beispielsweise auch für die Sekundarstufen I und II verwerten? 
 
Roth: Vermutlich ja, der Ansatz, den ich nutze, ist sehr weit und kann auf mehrere Kontexte übertragen werden.

Zur Person: Dr. Juliana Roth wurde in Sofia/Bulgarien geboren, studierte in Bulgarien, Deutschland und den USA und promovierte 1977 in Slawistik und Osteuropäischer Geschichte an der Universität Freiburg im Breisgau. Bis 1990 war sie in Lehre und Forschung im Bereich der Südosteuropastudien an den Universitäten Freiburg, Münster und München tätig und seit 1991 arbeitet sie im Bereich der Interkulturellen Kommunikation.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorien und Methoden des interkulturellen Lernens, die Entwicklung interkultureller Curricula, Transformationsprozesse in Ost- und Südosteuropa, Kommunikation zwischen Ost und West im postsozialistischen Europa. Sie ist Mitglied der International Academy for Intercultural Research (IAIR) und bietet Workshops, Training und Beratung für Wirtschaftsunternehmen und Nonprofit-Organisationen an. Juliana Roth sprich Bulgarisch, Deutsch, Englisch und Russisch und war zu Lehr- und Forschungsaufenthalten in den USA, in Russland, Österreich und Bulgarien. Sie ist die stellvertretende Projektleiterin von EMIL.
Ausführliche Information über Publikationen und internationale Projekte
unter www.ikk.lmu.de

 

Autor(in): Katja Haug
Kontakt zur Redaktion
Datum: 29.05.2006
© Innovationsportal

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