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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 21.12.2000:

"...bleiben nach wie vor unverzichtbare Lern- und Lehreinrichtungen"

Bildungseinrichtungen künftig als Lernagenturen - Koordinator des Modellprogramms "Lebenslanges Lernen" im Interview

Forum Bildung: Was soll mit dem Modellversuchsprogramm "Lebenslanges Lernen" der Bund-Länder-Kommission erreicht werden ?

Krug: Ziel des Modellversuchsprogramms ist es, innovative Projekte zu erproben, die einen Wandel in der Lernkultur herbeiführen können und den dafür notwendigen Prozess der Neuorientierung unseres Bildungssystems unterstützen. Es geht um die Stärkung der Eigenverantwortung und Selbststeuerung der Lernenden. Diese sollen über Anreizsysteme zum Lernen und die Verbesserung der Lernfähigkeit der Menschen bewirkt werden.

Sowohl das Lernen in Bildungseinrichtungen als auch informelles selbstgesteuertes Lernen in alltäglichen Lebenssituationen und am Arbeitsplatz werden dabei einbezogen. Lebenslanges Lernen wird nicht nur als notwendige Antwort auf sich wandelnde Strukturen, sondern auch als Chance zur Entwicklung der Persönlichkeit, als Beitrag zur Beschäftigungsfähigkeit und als Chance zur verstärkten gesellschaftlichen Mitwirkung auch im Sinne von Abbau von Benachteiligungen in der Gesellschaft betrachtet. Das Programm soll Veränderungsprozesse von Bildungsinhalten und Vermittlungsformen von Aufgaben und Strukturen der Bildungsträger ebenso untersuchen, wie innovative Lehr- und Lernkonzepte für personelle, fachliche, soziale und methodische Kompetenzen. Die Angebote der Bildungseinrichtungen sollen verbessert, Service- und Beratungsleistungen sollen ergänzt und transparent für alle zugänglich bereitgestellt werden.

Mit Hilfe des Programms sollen zudem die Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen verbessert werden. Deshalb werden alle Akteure des Bildungssystems verstärkt zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit aufgerufen. Es geht um die Verbesserung der Voraussetzungen für lebenslanges Lernen und zur Stärkung der Rahmenbedingungen für diese Aufgabenstellung.

Forum Bildung: Die Wechselwirkung zwischen lebenslangem Lernen und einer neuen Lehr- und Lernkultur ist intensiv. Wie sieht eine neue Lehr- und Lernkultur aus, wenn sie lebenslanges Lernen fördern soll ?

Krug: Die Aufgabenstellung der Entwicklung neuer Lehr- und Lernkulturen ist Gegenstand aller Projekte im Rahmen des Modellprogramms. Es geht im Grundsatz um die Veränderung des Lehr- und Lernarrangements zwischen Lernenden und Lehrenden. In diesem Zusammenhang sollen in Kontext konstruktivistischer pädagogischer Theorien und entsprechender Ergebnisse empirischer Bildungsforschung die Lernenden stärker in den Mittelpunkt der Lehr- und Lernprozesse rücken. Es wird davon ausgegangen, dass die Lernprozesse in ihren Ergebnissen um so positiver ausfallen, je stärker die Lernenden selber in die Strukturierung ihrer eigenen Lernprozesse eingebunden sind. Eine derartige Orientierung auf Selbstlernprozesse bedeutet nicht, dass die Bildungsinstitutionen an Bedeutung verlieren; im Gegenteil, sie gewinnen eine zusätzliche Bedeutung als Lernagenturen zur Unterstützung selbstgesteuerter Lernprozesse. In diesem Zusammenhang sind natürlich Multimedia-gestützte Lernprozesse von besonderer Bedeutung.

Forum Bildung: Wie verändert sich das Verhältnis von Erstausbildung und Weiterbildung ?

Krug: Die Entwicklung neuer Lern- und Lehrkulturen im Kontext lebenslangen Lernens gibt der Weiterbildung eine besondere Bedeutung. Sie wirkt sich allerdings auch auf die Erstausbildung aus sowohl curricular und methodisch als auch strukturell. Einerseits geht es darum, schon in der Erstausbildung das Lernen zu lernen, d.h. schon in der vorschulischen Bildung als auch in der Primarstufe und in den weiteren Entwicklungen im Schulsystem müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die jungen Menschen lernbereit sind und bleiben. Es geht nicht mehr um eine Anhäufung von Wissen im Sinne von Vorratsbildung, sondern um die personale, soziale und methodische Kompetenz, das Lernen weiterzuführen. In diesem Kontext gewinnt die Weiterbildung eine zusätzliche Funktion in der Vermittlung von Zusatzqualifikationen und von entsprechend aktualisierten Kompetenzen im Sinne modularisierter Lern- und Lehrabschnitte. Eine derartige Entwicklung bedeutet nicht unbedingt, dass die Erstausbildung verkürzt wird; allerdings werden und können Möglichkeiten geschaffen werden, die Erstausbildung zu verdichten um für die Weiterbildung entsprechende zusätzliche Möglichkeiten zu eröffnen. Eine derartige Verdichtung der Erstausbildung gewinnt insbesondere für Hochbegabte eine zusätzliche Chance, aber sie gilt auch als Chance für eine stärkere Verteilung der Lernabschnitte im Lebensverlauf.

Forum Bildung: Welche Rolle spielt virtuelles Lernen bei der Weiterbildung ?

Krug: : Im Kontext lebenslangen Lernens unter besonderer Berücksichtigung des selbstgesteuerten Lernens bieten die Multimedia-gestützten Formen des Lernens sowohl in Online- als auch in Offlineform neue Chancen. Sie können aufgrund ihrer orts-, zeit- und personenunabhängigen Anwendung auch solche Zielgruppen erreichen, die bisher Schwellenängste bei der institutionellen Weiterbildung hatten. Aber auch hier muss darauf geachtet werden, dass PC-gestütztes Lernen nicht zu neuen sozialen Ausschlüssen führt und dass neben dem individuellen virtuellen Lernen nach wie vor sozial-kommunikative Lernprozesse über Lernagenturen vermittelt werden.

Forum Bildung: Wie müssen sich die Bildungseinrichtungen auf die neue Situation einstellen ?

Krug: Die Bildungseinrichtungen verlieren nicht ihre bisherige Funktion, sie bleiben nach wie vor unverzichtbare Lern- und Lehreinrichtungen. Sie gewinnen allerdings eine neue zusätzliche Rolle, nämlich die der Lernagentur. Als Lernagentur unterstützen sie die selbstgesteuerten Lernprozesse der Menschen, indem sie über tutorielle Betreuung von Online-Lernen und über zusammenfassende Präsenzformen beim Offline-Lernen die entsprechenden Beratungs-, Vertiefungs- und Weiterführungsimpulse geben und gleichzeitig die sozial-kommunikativ notwendige Interaktion zwischen den Lernenden herstellen. Diese Kontaktaufnahme kann wiederum sowohl virtuell über Lerntutorien hergestellt werden, sie kann und muss aber auch über Präsenzphasen in Mensch-zu-Mensch-Antlitz-Ebenen erfolgen. Dazu gehört auch, dass nach der Lernphase ggf. im Sinne von sozialer Atmosphäre die Kontakte weitergeführt werden. So gesehen sind Chatrooms immer wichtiger, sie können aber nicht die Kneipe oder den Vereinsraum ersetzen.

Forum Bildung: Welche Rolle muss der Staat bei diesem Prozess einnehmen ?

Krug: Der Staat geht immer weniger in die Regelung der Einzelheiten der Lernprozesse hinein, sondern beschränkt sich stärker auf die Förderung optimaler Rahmenbedingungen für die Lernprozesse. Dieses wirkt sich sowohl im Verzicht auf Regularien bezüglich der curricularen und methodischen Lernstrukturen aus, aber auch in bezug auf veränderte Formen der Weiterbildungsförderung in Richtung einer stärkeren Eigenverantwortlichkeit Bildungseinrichtungen. Der Staat ist nicht mehr Regulierungsinstanz, sondern Förderungsinstanz für das lebenslange Lernen. Der Staat wirkt bei zum Empowerment. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen drücken sich aus in der Förderung von Innovationen, in der Forschung für die Lehr- und Lernprozesse, in der Verbesserung der Information und Transparenz und Beratung für die Lernenden und in der Stärkung der Qualität des Lernens. Diese Aktivitäten übernimmt der Staat nicht alleine, sondern mit den Beteiligten im Sinne einer gemeinschaftlichen Aufgabe aller Beteiligten.

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 21.12.2000
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