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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 10.04.2006:

"Die entscheidende Basis ist der Schulabschluss"

Das Modellprojekt "Schulverweigerung - Die 2. Chance"
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Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

 Schulverweigerer schließen die Schule selten erfolgreich ab, verlassen sie häufig vorzeitig und haben es demzufolge sehr schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Mit einem neuen Modellprojekt will das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Chancen dieser Jugendlichen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erhöhen. Bildung PLUS sprach darüber mit Bundesministerin Ursula von der Leyen.


Bildung PLUS: Frau von der Leyen, in einem bundesweiten Modellprojekt will die Bundesregierung bis Ende 2007 zusammen mit Städten, Landkreisen und Gemeinden 1000 schulverweigernden Jungen und Mädchen zu einem Schulabschluss verhelfen, um damit deren Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verbessern. Was gab den Ausschlag für dieses Projekt?

von der Leyen: Der Grund für unser Engagement sind alarmierend hohe und teils sogar steigende Zahlen über Schulabbrecher. Derzeit verlassen etwa neun Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler die Schule, ohne einen Abschluss zu machen und fast 15 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 20 und 29 Jahren haben keine Berufsausbildung. Von diesen jungen Menschen ohne Ausbildung sind 26 Prozent arbeitslos! Dazu kommt, dass jedes 5. Ausbildungsverhältnis abgebrochen werden muss, weil die Auszubildenden nur unzureichend vorbereitet sind. Diesen Menschen müssen wir helfen und wir müssen vor allem verhindern, dass noch mehr junge Männer und Frauen am Lebensanfang in diese Sackgasse gehen, deren Folgen sie mit großer Wahrscheinlichkeit das ganze Leben spüren werden. Hier müssen wir eingreifen. Wenn wir diesen jungen Leute beruflich und sozial eine gute Chance geben wollen, dann ist eine der Erfolg versprechendsten Strategien, dafür zu sorgen, dass sie die Schule mit einem Abschluss verlassen: Ihre Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verbessern sich damit ganz entscheidend.

Bildung PLUS: Vorgesehen ist, an 50 Standorten Koordinierungsstellen für Schülerinnen und Schüler sowie Eltern einzurichten. Wo sollen diese Stellen geschaffen werden (an sozialen Brennpunkten, in Großstädten?) und woher kommt das Personal für diese schwierigen Aufgaben?

von der Leyen: Wir beginnen in den nächsten Tagen mit einem Wettbewerb um das beste Konzept. Von allen Bewerbungen wollen wir die besten Ideen fördern. Dabei kommt es weniger darauf an, wo genau die Stellen geschaffen werden und woher das Personal kommt. Viel wichtiger ist, dass z.B. das Personal gut für das notwendige Fall-Management qualifiziert ist. Grundvoraussetzung bei allem ist, dass vor Ort die Bereitschaft zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe, d.h. zwischen Schulen, Jugendamt und freien Trägern besteht. Die Koordinierungsstellen können nur erfolgreich arbeiten, wenn Jugendhilfe, Schulen und Eltern sich auf ein Ziel einigen und alle zusammen an einem Strang ziehen


Bildung PLUS: Wie soll die Arbeit konkret aussehen oder anders formuliert wie erreicht und überzeugt man die Schulverweigerer?

von der Leyen: Das Programm zielt auf die so genannten "harten" Schulverweigerer; diese sind in der Regel bereits in den Jugendämtern bekannt. Die Fall-Manager in den Koordinierungsstellen sollen mit jedem einzelnen dieser Jugendlichen einen persönlichen Plan, eine ganz klare Vereinbarung entwickeln und verabreden. Es werden einzelne konkrete Schritte festgelegt, regelmäßig werden die Fortschritte und Erfolge besprochen und der Plan weiterentwickelt. Dazu gehört auch, dass die Koordinierungsstelle verschiedene Angebote, Maßnahmen und Praktika für den Jugendlichen koordiniert, so dass dafür gesorgt ist, dass der Tag der jungen Menschen eine sinnvolle Struktur hat.

Bildung PLUS: Welche Chancen werden diese Jugendlichen anschließend auf dem Arbeitsmarkt haben?

von der Leyen: Ohne entsprechende Ausbildung hat man heute kaum noch Aufsicht auf eine Stelle. Die entscheidende Basis ist daher der Schulabschluss. Darauf kann man eine Berufsausbildung aufbauen und so seine Möglichkeiten entscheidend verbessern.

Bildung PLUS: Bereits in den letzten Jahren hat es erfolgreiche Reintegrationsprogramme für Schulverweigerer gegeben (z. B. "Coole Schule"). Knüpft das neue Projekt daran an?

von der Leyen: Ja, wir haben mit der Durchführung des Schulverweigerer-Projekts den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge beauftragt, der sowohl fachlich qualifiziert ist als auch über entsprechende Erfahrung verfügt, denn er hat unter anderem erfolgreich das Projekt Coole Schule umgesetzt.

Bildung PLUS: Welche Möglichkeiten sehen Sie, präventiv tätig zu werden, damit Kinder und Jugendliche gar nicht erst zu Schulverweigerern werden? Können zum Beispiel Ganztagsschulen, die sich ja für Jugendhilfe und Sozialarbeit öffnen, einen Beitrag dazu leisten?

von der Leyen: Das Projekt Coole Schule hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass sich rund um die Schule alle Beteiligten einsetzen: Schüler, Eltern und Lehrer müssen stärker miteinander daran arbeiten, dass Schule spannend ist und Kinder Erfolgserlebnisse haben. Im Projekt Coole Schule wurden zum Beispiel Materialien entwickelt, die zeigen, wie hier mit geringem Aufwand große Erfolge erzielt werden können. Das wollen wir auch für unser Programm nutzen.

Bildung PLUS: Eltern sind zweifellos wichtige Partner, um Schulverweigerern eine Chance zu geben. Wie werden die Koordinierungsstellen mit ihnen umgehen? Warten, bis diese zu ihnen kommen oder aktiv auf sie zugehen?

von der Leyen: Wir wissen, dass es darauf ankommt, dass die Eltern sich engagieren, denn nur so spüren die Schulverweigerer, dass sie mit ihren Problemen wahrgenommen werden, aber auch, dass etwas von ihnen erwartet wird. Wir erwarten von den Koordinierungsstellen, dass sie die Eltern entsprechend einbeziehen, sie in ihrer Erziehungsverantwortung stärken und sich um sie kümmern werden.

Bildung PLUS: Das Modellprojekt ist ja erst einmal auf zwei Jahre angelegt. Wie soll es danach weitergehen?

von der Leyen: Wir fördern das Programm aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, der in Perioden arbeitet. Die Mittel für die nächsten zwei Jahre sind aus der laufenden Interventionsperiode. Die Mittel für die nächste Interventionsperiode sind bereits beantragt und ich bin zuversichtlich, dass wir das Programm verlängern können.

Bildung PLUS: Frau von der Leyen, wie würden Sie reagieren, wenn eines Ihrer Kinder die Schule schwänzte?

von der Leyen: Ich würde gemeinsam mit meinem Mann und dem Kind die Gründe klären, warum es nicht in die Schule geht, mit den Lehrerinnen und Lehrern sprechen und ihre Unterstützung suchen, mich mit meinem Mann gemeinsam dafür einsetzen, dass der Weg zur Schule morgens von uns so lange begleitet wird, bis die größte Schwelle überwunden ist und wir würden am Abend jeden einzelnen Schultag mit seinen Erfolgen und Problemen durchsprechen. Das ist alles sehr anstrengend und zeitaufwändig, aber diese Klippe zu überwinden ist entscheidend für das ganze weitere Leben. Vielleicht hilft es auch, Mitschülerinnen und Mitschüler nach Hause einzuladen oder zu organisieren, dass sie gemeinsam etwas unternehmen, damit unser Kind wieder in einem Freundeskreis in der Schule Anschluss fände. Wir müssen uns als Eltern, aber auch den Kindern etwas abverlangen, nur so erleben sie auch Erfolge, die sie stärken und nur so spüren sie, dass wir sie ernst nehmen und uns um sie kümmern.

Dr. Ursula von der Leyen, geboren 1958, studierte Volkswirtschaft und Medizin. Von März 2003 bis November 2005 war sie Niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. Seit November 2005 ist Ursula von der Leyen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 10.04.2006
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