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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 02.02.2006:

"Breitbandausbildung ist ein großer Gewinn"

Erzieherinnenausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik - ein Auslaufmodell oder umfassende Qualifizierung für ein anspruchsvolles Berufsbild?
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Dr. Margret Langenmayr

Bildung PLUS hat bereits mehrere Beiträge zum Thema "Akademisierung der Erzieherinnenausbildung" veröffentlicht, um zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Thematik beizutragen. Lesen Sie folgenden Gastartikel von Frau Dr. Margret Langenmayr als einen weiteren Diskussionsbeitrag.

Angesichts des gesellschaftlichen Wandels sowie der von der Pisa-Studie bei uns festgestellten geringen Chancengerechtigkeit wird zurzeit der quantitative und qualitative Ausbau der Kindertagesstätten mit Nachdruck gefordert. Damit stellt sich auch die Frage nach der Qualität der Ausbildung von Erzieherinnen. Dabei kann der Eindruck entstehen, dass es nur Kostengründe sind, die eine vollständige Verlagerung der Ausbildung von den Fachschulen/Fachakademien für Sozialpädagogik (FS Sozialpädagogik) auf die Fachhochschule (FH) verhindern. Die Erzieherinnen müssten dann entsprechend ihres akademischen Abschlusses (wahrscheinlich?) besser bezahlt werden. Einer Anhebung des Ausbildungsniveaus scheint auch ein quantitatives Argument im Weg zu stehen, nämlich dass es erst in ca. 30 Jahren gelingen könnte, alle Erzieherinnen auf der FH auszubilden. Die Fachschulen geraten dadurch fast in eine Falle: Auf der einen Seite werden sie damit konfrontiert, dass sie den derzeitigen Ansprüchen angeblich nicht genügen, auf der anderen Seite hören sie, dass man sie aus den oben genannten Gründen aber doch (noch...) brauche. Wird aber diese Sichtweise der Qualität der Ausbildung an den Fachschulen Sozialpädagogik gerecht? Was ist deren spezielles Profil im Vergleich zu den Fachhochschulen?

1. Breitbandausbildung in Verbindung mit der beruflichen Identitätsentwicklung
Die Fachschulausbildung ist eine Breitbandausbildung. Staatlich anerkannte Erzieher/innen können in allen Arbeitsfeldern tätig werden, z.B. in Tageseinrichtungen für Kinder, bei der stationären Jugendhilfe, in der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit. Dagegen zielen die neuen Bachelor-of-education-Studiengänge auf die Professionalisierung bzw. Spezialisierung im Praxisfeld der Tageseinrichtungen für Kinder, z.B. für die Übernahme von Leitungsaufgaben oder die Begleitung von Bildungsprozessen von 0 bis 6- bzw. 0 bis 12-Jährigen.

Die Anforderungen im Praxisfeld der Tageseinrichtungen für Kinder werden immer komplexer. Daher ist es grundsätzlich sinnvoll, dass sich Absolventen der FS Sozialpädagogik nach Abschluss ihrer Ausbildung bzw. nach einigen Jahren Berufserfahrung durch einen Bachelor-Studiengang weiterbilden, um sich vertieft mit frühpädagogischen Fragen auseinanderzusetzen oder z. B. ihre organisationsbezogenen Kompetenzen zu erweitern. Ein solches Studium grundständig zu beginnen, erscheint aber eher problematisch. Denn für die berufliche Identitätsentwicklung ist die Breitbandausbildung ein großer Gewinn: Die Studierenden der FA Sozialpädagogik können in den unterschiedlichen Praktika verschiedene Einsatzfelder kennen lernen und diese Erfahrungen zu ihrer persönlichen Biografie, ihren Stärken und Schwächen in Beziehung setzen. Ihre berufliche Identitätsentwicklung ist dadurch mit einer differenzierteren Auseinandersetzung verknüpft, als wenn sie sich von Anfang an "nur" auf den Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder bezieht. Entschließt sich eine Erzieherin nach ihrer Ausbildung an einer FS Sozialpädagogik für ein weiterführendes Studium an einer FH, so bringt sie sowohl auf verschiedene Arbeitsfelder bezogene als auch arbeitsfeldübergreifende Kompetenzen mit, verbunden mit einer sehr persönlichen Vorstellung von ihrer Rolle als Erzieherin angesichts der Komplexität der Anforderungen im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder.

2. Theorie-Praxis-Verknüpfung
Für einen Bachelor-Studiengang an der FH ist ein Praktikum von einem halben Jahr vorgesehen. Die der Fachschulausbildung in den meisten Ländern vorangestellte Erstausbildung bzw. das Berufspraktikum führen zusammen mit den in der theoretischen Ausbildung für die sozialpädagogische Praxis vorgesehenen Stundenanteilen zu weit höheren Praxisanteilen. Der wesentliche Unterschied zum Fachhochschulstudium liegt aber darüber hinaus in der individuellen Praxisbegleitung durch Lehrkräfte der Schulen. Die dafür notwendigen Arbeitszeiten sind im Budget der Schulen fest verankert. Dabei haben die Studierenden zusätzlich zu der von den Fachkräften in der Praxis übernommenen Anleitung die Möglichkeit, eine differenzierte fachliche und persönliche Rückmeldung zu erhalten. Sie können die Erfahrungen, die sie mit den Kindern/Jugendlichen, mit dem Team, dem Träger der Einrichtung, den Eltern und anderen Kooperationspartnern machen, intensiv reflektieren. Dabei üben sie sich mit Unterstützung der Lehrkräfte darin, das theoretische Fachwissen, das sie sich im Unterricht erarbeitet haben, direkt auf die Praxissituationen zu beziehen, ihre Beobachtungen und deren Dokumentation zu prüfen, ihre Planungsüberlegungen zu begründen, Handlungsalternativen zu bedenken, ihr Erzieherverhalten zu hinterfragen. Wenn die Forderung nach "Akademisierung" der Ausbildung immer wieder damit begründet wird, dass wissenschaftliche Reflexionsfähigkeit notwendig sei, so gibt es gerade hierfür an den FS Sozialpädagogik viel Entwicklungsraum.

In der Regel haben die in der Praxisbegleitung eingesetzten Lehrkräfte mehrjährige eigene Praxiserfahrungen. Die zahlreichen Praxisbesuche helfen ihnen, die Weiterentwicklung der Praxis in den verschiedenen Arbeitsfeldern unmittelbar zu verfolgen. Sie können ihre Beobachtungen wiederum direkt in die Schulen "einfädeln", ein wichtiger Aspekt für die Qualitätssicherung der Ausbildung.

Nicht nur die Begleitung während der Praktika hat das Ziel der Verknüpfung von Theorie und Praxis. Auch die Lernprozesse in den verschiedenen Unterrichtsfächern sind situiert, d.h. gehen von authentischen Praxissituationen aus (1). Sowohl theoretischer als auch praktischer Unterricht ermöglichen also Praxiserfahrungen durch Probehandeln. Auch die schriftlichen Abschlussprüfungen beziehen sich direkt auf die Praxis. Hier werden die Aufgaben z.B. in Bayern so gestellt, dass zunächst eine berufliche Situation zu analysieren ist, dabei eigenständig theoretische Erklärungsansätze darzustellen sind und in einem zweiten Teil ein fundiertes Handlungskonzept zu entwickeln ist.

3. Persönlichkeitsbildung
Die FS Sozialpädagogik sehen die Persönlichkeitsbildung der Studierenden als ihre ganz besondere Stärke an. Im Gegensatz dazu fällt auf, dass diese Fragestellung bei den Fachhochschulen kaum thematisiert wird. Dass die Erzieherinnenausbildung einen schulischen Lernort hat, stärkt die Möglichkeiten der Persönlichkeitsbildung. Da die FS Sozialpädagogik in der Regel klein und überschaubar sind, vollzieht sich schulisches Lernen in einer Kommunikationsgemeinschaft. Hier gibt es alltäglich Raum für persönliche Begegnungen zwischen Lehrkräften und Studierenden. Persönliche Lebenssituationen der Studierenden können thematisiert werden, Unterstützung in belastenden Situationen von den Studierenden erbeten oder von den Lehrkräften angeboten werden. Konflikte in den Lerngruppen oder auch mit Lehrkräften können thematisiert und beispielhaft bearbeitet werden. Die Studierenden erhalten in den unterschiedlichen Fächern Rückmeldungen zu ihren Stärken und Schwächen, werden zur Weiterentwicklung ermutigt. Wie Lehrkräfte mit Studierenden kommunizieren, ist dabei immer auch Modell für die Praxis. Dazu gehören auch Erfahrungen der Partizipation der Studierenden, die in der Regel in den Schulordnungen fest verankert, aber auch Teil der Unterrichtsplanung ist. Gemeinsame Feste und Feiern, Meditationen, Angebote zur Entspannung, gemeinsame Studienfahrten prägen das Schulleben fast aller FS Sozialpädagogik. Viele Studierende werden auf diese Weise intensiv in ihren Reifungsprozessen zwischen Ablösung und beruflicher Identitätsfindung unterstützt. Vor allem in den Schulen in kirchlicher Trägerschaft, aber nicht nur dort, wird gezielt am Aufbau eines Wertebewusstseins gearbeitet, das als Basis professioneller Arbeit der Erzieherin eingeschätzt wird. Raum dafür gibt es nicht nur im Schulleben, z.B. bei von Studierenden gestalteten Besinnungen, sondern auch in den verschiedenen Unterrichtsfächern, in denen die gemeinsam erarbeiteten Inhalte immer auch explizit in einen Wertekontext gestellt werden.

Besonders wichtig für die persönlichen Entwicklungen der Studierenden ist die oben beschriebene intensive Praxisbegleitung, weil diese zum Teil in Einzelsituationen, zum Teil in Kleinstgruppen umgesetzt wird. Die hiermit verbundenen Aufgaben und Anforderungen schließen Selbstreflexion von Anfang an mit ein.

Wichtig für die Ausbildung einer Erzieherinnenpersönlichkeit ist auch der hohe Anteil der musischen Fächer wie Musikerziehung und Rhythmik, Kunst- und Werkerziehung. Zu diesen Fächern gehört stets die reflektierte Selbsterfahrung. Dadurch wird spätere professionelle Praxis erst möglich, in der eben nicht die eigenen Vorerfahrungen und Frustrationen das pädagogische Handeln bestimmen dürfen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie kann auch in anderen Fächern Raum einnehmen, weil in den meisten Bundesländern das Budget der Schulen so ausgestattet ist, dass in einem Teil der Fächer Unterricht in Kleingruppen möglich ist. Vor allem für Unterrichtsinhalte in einem Fach wie Psychologie ist das besonders wichtig.

Zur Unterstützung persönlicher Entwicklungen der Studierenden gehört auch der Umgang mit einer Vielzahl von Leistungsnachweisen. Die damit gegebenen Bewertungen enthalten immer auch persönliches Feedback und regen gezielt weitere Lernprozesse an. Da viele Leistungsnachweise mündlich sind, können die Studierenden sich in einer Vielzahl von Situationen im Präsentieren und Moderieren üben - Schlüsselqualifikationen, die in der Praxis sowohl in der Teamarbeit als auch in der Zusammenarbeit mit Eltern und der Öffentlichkeitsarbeit gefragt sind.

4. Wissenschaftliche Fundierung
In den bisherigen Ausführungen ist schon deutlich geworden, dass an den FS Sozialpädagogik eine intensive Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten der wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen wesentlicher, auch prüfungsrelevanter Teil der Ausbildung ist. Die Studierenden sollen dabei das Wissen, das zur Klärung der Voraussetzungen und Folgen beruflichen Handelns von Bedeutung ist, nicht rein nachahmend, d.h. auswendig lernend erwerben. Vielmehr ist es das Ziel, die Studierenden zu eigenaktiver, kritischer Wissenskonstruktion anzuregen und dabei zu unterstützen. Die mitgebrachten schulischen Erfahrungen erschweren dies allerdings zum Teil. Im Positionspapier der drei Ausbildungsverbände wird daher das Fachabitur als Zulassungsvoraussetzung gefordert, das auch am Ende der Erstausbildung erworben werden könnte.

Eine gründliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Positionen oder der Bewertung unterschiedlicher Ansätze kann an den FS Sozialpädagogik nicht geleistet werden. Diese schätzen daher die derzeitige Entwicklung kooperativer Studiengänge an den FH im Blick auf einen möglichen Qualitätsschub für die Praxis als Gewinn ein. Ein solcher Kooperationsstudiengang sollte auf der fachschulischen Erzieherinnenausbildung aufbauen und entweder solche Kompetenzen weiterentwickeln, die kaum Teil einer "Grundausbildung" sein können (z.B. Leitungskompetenzen) oder solche, für die eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung notwendig ist, wie z.B. Bildungsmanagement. Eine solche Weiterbildung ist aber sicher nicht für alle Erzieherinnen notwendig, wenn die Qualität einer kontinuierlichen Fortbildung gesichert ist.
Wünschenswert wäre es, wenn möglichst bald sowohl die Ergebnisse der Ausbildung an den FS Sozialpädagogik als auch der neuen Bachelor-Studiengänge evaluiert würden. So könnten beide Ebenen ihr jeweiliges Profil und ihre spezifische Qualität gezielt weiterentwickeln und die Praxis würde durch multiprofessionelle Teams mit bestausgebildeten Mitgliedern gewinnen.

 

Anmerkungen
(1) Vgl. Peter Beer/Margret Langenmayr: Lernfeldorientierung in der Erzieherinnenausbildung. Vorschläge für die Unterrichtspraxis, München 2003
vgl. auch die Qualitätsstandards der bayerischen Fachakademien für Sozialpädagogik http://www.kindergartenpaedagogik.de/1281.html  

 

Dr. Margret Langenmayr, seit 1974 in der Erzieherinnenausbildung tätig; seit 1992 Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising e.V.; Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher (BAGKAE); 2. Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft bayerischer Fachakademien; zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der Erzieherinnenausbildung.

Autor(in): Dr. Margret Langenmayr
Kontakt zur Redaktion
Datum: 02.02.2006
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